Verwaltungsrecht

Keine Abschiebungshindernisse bei ivorischem Asylantragsteller

Aktenzeichen  W 2 K 19.31653

Datum:
13.12.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 34660
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
EMRK Art. 3

 

Leitsatz

1. Aus der von einem ivorischen Asylbewerber vorgetragenen religiös motivierten Ablehnung und Bedrohung durch die Familie seiner traditionell verheirateten Frau lässt sich auch unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen und sozialen Situation in der Elfenbeinküste keine reale Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S.v. Art. 3 EMRK ableiten. (Rn. 18) (red. LS Clemens Kurzidem)
2. In der Elfenbeinküste herrscht eine hohe religiöse Diversität und Toleranz. Im Falle religiös motivierter Bedrohungen oder Nachstellungen besteht die Möglichkeit, sich an die staatlichen Stellen zu wenden, die bereit und in der Lage sind, Hilfe zu gewähren. (Rn. 21) (red. LS Clemens Kurzidem)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Die zulässige Klage, über die gemäß § 102 Abs. 2 VwGO auch in Abwesenheit eines Beteiligten verhandelt werden konnte, ist unbegründet.
Der Bundesamtsbescheid vom 23. September 2019 ist im verfahrensgegenständlichen Umfang rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO.
1. Der Kläger hat zum maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 AsylG) keinen Anspruch auf die Feststellung von zielstaatsbezogenen Abschiebungsverboten.
Es liegen keine nationalen Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG in seiner Person vor. Die Ausreiseaufforderung unter Androhung der Abschiebung in die Elfenbeinküste und die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots sind ebenfalls rechtmäßig.
Auf die zutreffenden Ausführungen im angegriffen Bundesamtsbescheid, die sich das erkennende Gericht gemäß § 77 Abs. 2 AsylG zu eigen macht, wird Bezug genommen. Lediglich ergänzend wird ausgeführt:
Gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Europäischen Menschenrechtskonvention ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Die Abschiebung eines Ausländers ist danach unzulässig, wenn ihm im Zielstaat unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK droht oder wenn im Einzelfall andere in der Europäischen Menschenrechtskonvention verbürgte, von allen Vertragsstaaten als grundlegend anerkannte Menschenrechtsgarantien in ihrem Kern bedroht sind (vgl. BVerwG, U.v. 24.5.2000 – 9 C 34/99 -, juris Rn. 11).
Aus den vom Kläger vorgetragenen religiös motivierter Ablehnung und Bedrohungen durch die Familie seiner traditionell verheirateten Frau lassen sich – selbst bei Wahrunterstellung – auch unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen und sozialen Situation in der Elfenbeinküste keine reale Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK ableiten.
Zwar können unter bestimmten Umständen auch schlechte humanitäre Bedingungen eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen. Ist die schlechte humanitäre Lage weder dem Staat noch den Konfliktparteien zuzurechnen, sondern bedingt durch die allgemeinen wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse, kommt eine Verletzung von Art. 3 EMRK nur dann in Betracht, wenn ganz außergewöhnliche Umstände in der Person des Klägers vorliegen, die über die allgemeine Beeinträchtigung der Lebenserwartung des Klägers im Herkunftsland hinausgehen (vgl. EGMR, U.v. 27.5.2008 – 26565/05, U.v. 28.6.2011 – 8319/07). Mithin kommt es für das Bestehen eines zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernisses gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG wesentlich darauf an, ob es dem Kläger voraussichtlich möglich sein wird, sich in den Arbeitsmarkt der Elfenbeinküste zu integrieren und seinen Lebensunterhalt aus eigener Kraft zu erwirtschaften. Dabei sind insbesondere seine bisherige Berufsausbildung, seine aktuelle gesundheitliche Situation und bestehende Unterhalts- und Betreuungslasten zu berücksichtigen.
Solche Umstände liegen zur Überzeugung des Gerichtes beim Kläger jedoch nicht vor.
Der Kläger ist ein gesunder, junger, weit überdurchschnittlich gut gebildeter und in der Arbeitswelt erfahrener Mann, der in der Lage sein wird, in seinem Heimatland auch ohne familiäre Unterstützung ein Erwerbseinkommen zu erzielen und sich das nötige Existenzminimum zu sichern. Der Kläger könnte sich – allein oder gemeinsam mit seiner traditionell verheirateten Frau und seinem zu erwartenden Kind – überall in seinem Heimatland in einem der vielen Ballungsräume niederlassen. Er ist nicht darauf angewiesen, in die Nähe der Familie der Frau zu ziehen. Diese müsste von der Rückkehr des Klägers keine Kenntnis erhalten. Es ist nicht davon auszugehen, dass diese Familie noch weitere Nachstellungen hinsichtlich des Klägers unternehmen wird. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass der Kläger sich im Falle von weiteren Bedrohungen oder Nachstellungen durch die Familie der Frau hilfesuchend an die staatlichen Stellen seines Heimatlandes wenden könnte. Nach dem Länderreport des Auswärtigen Amtes über Code d´Ivoire vom März 2019 herrscht im Heimatland des Klägers eine hohe religiöse Diversität und eine hohe Toleranz. „Conversions are fequent and tolerates“ ist im CIV Report vom European Asylum Support Office (EASO), vom Juni 2019, auf Seite 14 zu lesen. Die staatlichen Stellen sind bereit und in der Lage, Hilfe zu gewähren.
Darüber hinaus sind im Rahmen von § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK die finanziellen Rückkehr- und Starthilfen aus europäischen, Bundes- und Landesmitteln für freiwillige Rückkehrer zu berücksichtigen, mit denen der Kläger – selbst ohne finanziellen oder persönlichen Beistand seiner in der Elfenbeinküste verbliebenen Verwandten – die erste Zeit nach einer Rückkehr überbrücken und sich ein neues soziales Netzwerk aufbauen könnte.
Insgesamt ist deshalb nicht davon auszugehen, dass die Lebenssituation des Klägers in wirtschaftlicher, sozialer und gesundheitlicher Sicht wesentlich von den allgemeinen Lebensbedingungen in der Elfenbeinküste abweichen wird. Ein Verstoß gegen Art. 3 EMRK allein aufgrund schlechter humanitärer Bedingungen ist zur Überzeugung des Gerichts nicht zu befürchten.
Gesundheitsbedingte Einschränkungen im für § 60 Abs. 7 AufenthG relevanten Schweregrad sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Auftreten und Erscheinungsbild des Klägers in der mündlichen Verhandlung gaben ebenfalls keinen Anlass, an seinem stabilen Gesundheitszustand zu zweifeln.
2. Auch gegen die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots des § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziffer 6 des Bescheids) sind keine durchgreifenden rechtlichen Bedenken vorgetragen worden oder sonst ersichtlich. Insbesondere sind keine Ermessensfehler des Bundesamts bei der Bemessung der Frist nach § 11 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 AufenthG zu erkennen.
Somit hatte die Klage insgesamt keinen Erfolg.
3. Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.

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