Verwaltungsrecht

Keine Anerkennung einer von einer 12 1/2 jährigen in Syrien geschlossenen Ehe

Aktenzeichen  4 F 425/18 S

Datum:
19.6.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 20421
Gerichtsart:
AG
Gerichtsort:
Fürth
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
FamFG § 121 Nr. 3
EGBGB Art. 6, Art. 13 Abs. 3 Nr. 1
EuEheVO Art. 3 Abs. 1 lit. a

 

Leitsatz

1. Die Anerkennung der Eheschließung eines Mädchens im Alter von zwölf Jahren im Ausland scheidet eindeutig aus. (Rn. 21)
2. Die Beteiligten haben kein schützenswertes Vertrauen in den Bestand ihrer Ehe, wenn die Minderjährige auch nach ihrem Heimatrecht nicht ehemündig war und die Registrierung der Ehe im Ausland durch Falschangaben erschlichen wurde. (Rn. 23)

Tenor

1. Es wird festgestellt, dass eine Ehe zwischen den Beteiligten nicht besteht.
2. Die Kosten des Verfahrens werden gegeneinander aufgehoben.
3. Der Verfahrenswert wird festgesetzt auf 3.000,00 Euro.

Gründe

Die Beteiligten haben am 10.04.2013 vor dem Imam in Geba, Syrien, die Ehe miteinander geschlossen. Zu diesem Zeitpunkt war die Antragstellerin 12½ Jahre alt. Unter dem 01.09.13 ist von dem Scharia-Gericht zu Khan Arnabeh, Syrien, eine Heiratsbestätigung ausgestellt worden. Zum Erhalt dieser Registrierung wurde dem Gericht ein Attest vorgelegt, wonach die Antragstellerin im vierten Monat schwanger sei. Tatsächlich war die Antragstellerin jedoch nicht schwanger. Kinder sind aus der Beziehung der Beteiligten nicht hervorgegangen. Beide Beteiligte besitzen die syrische Staatsangehörigkeit und leben seit September 2014 (Antragsgegner) bzw. September 2015 (Antragstellerin) in Deutschland. Die Beteiligten haben sich am 06.12.2016 voneinander getrennt. Zu diesem Zeitpunkt ist die Antragstellerin aus der ehelichen Wohnung ausgezogen bzw. in den Haushalt ihrer Eltern zurückgekehrt.
Die Antragstellerin hat beantragt,
festzustellen, dass zwischen den Beteiligten eine Ehe nicht besteht.
Der Antragsgegner ist dem nicht entgegengetreten. Die Beteiligten sind zu den Umständen ihrer Eheschließung und zur Frage der Trennung angehört worden. Wegen des Ergebnisses der Anhörung wird auf das Protokoll der Sitzung vom 22.05.19 (Bl. 29 f. d. A.) Bezug genommen.
Der Antrag ist gemäß § 121 Nr. 3 FamFG statthaft und zulässig.
Das erkennende Gericht ist gemäß § 98 Abs. 1 Nr. 2 FamFG international zuständig, da beide Beteiligte ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland haben. Art. 3 Abs. 1 a) 1. Spiegelstrich EuEheVO ist nicht einschlägig. Gemäß Art. 1 Abs. 1 a) EuEheVO gilt diese Verordnung für die Ehescheidung, die Trennung ohne Auflösung des Ehebandes und die Ungültigerklärung einer Ehe. Hierunter fallen nicht Feststellungsverfahren mit Ausnahme der Ungültigerklärung der Ehe (Zöller/Geimer, EuEheVO, Art. 1 Rn 1). Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist allerdings keine Erklärung einer bestehenden Ehe für ungültig, sondern lediglich die Frage, ob und inwieweit sich die Wirksamkeit einer im Ausland geschlossenen Ehe auf das Inland erstreckt.
Das erkennende Gericht ist auch örtlich zuständig. Zwar ist gemäß § 122 Nr. 4 FamFG eigentlich das Amtsgericht Augsburg zuständig, da der Antragsgegner dort zum Zeitpunkt der Eintritt der Rechtshängigkeit seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, da er sich im dortigen Bezirk seit Juli 2018 in Untersuchungshaft befindet. Auf die Frage, ob der Antragsgegner in […] noch seinen Wohnsitz hat, kommt es insofern nicht an. Das Gericht ist hinsichtlich der örtliche Zuständigkeit jedoch gemäß den §§ 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG, 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO an den Verweisungsbeschluß des Amtsgerichts Bensheim vom 10.12.18 gebunden.
Die Antragstellerin hat für ihren Antrag auch ein Rechtsschutzinteresse. Zwar ist der Antragsgegner ihrem Feststellungsbegehren nicht entgegengetreten. Er hat jedoch deutlich gemacht, daß er für den Fall der Scheidung bzw. des Nichtbestehens der Ehe vermögensrechtliche Ansprüche der Antragstellerin bzw. ihrer Familie zu befürchten hat. Deshalb ist er zum Beispiel nicht gewillt, die sich nach seiner Behauptung in seinem Besitz befindlichen syrischen Scheidungspapiere an die Antragstellerin herauszugeben. Diese muß daher befürchten, daß sich der Antragsgegner zur Abwehr von vermögensrechtlichen Ansprüchen auf das Bestehen der Ehe beruft. Ein Interesse an der Feststellung ihres Nichtbestehens (für das Territorium der Bundesrepublik Deutschland) kann ihr daher nicht abgesprochen werden.
Der Antrag ist auch begründet.
Unterliegt die Ehemündigkeit eines Verlobten nach Art. 13 Abs. 1 EGBGB ausländischem Recht, ist die Ehe nach deutschem Recht gemäß Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB unwirksam, wenn der Verlobte im Zeitpunkt der Eheschließung das 16. Lebensjahr nicht vollendet hatte. Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Die Ehemündigkeit der Antragstellerin unterliegt syrischem Recht und sie war zum Zeitpunkt der Eheschließung erst 12½ Jahre alt.
Die Voraussetzungen der Übergangsvorschrift des Art. 229 § 44 Abs. 4 EGBGB liegen nicht vor. Nach dieser Vorschrift gilt Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB nicht, wenn der minderjährige Ehegatte vor dem 22.07.1999 geboren worden ist, oder die nach ausländischem Recht wirksame Ehe bis zur Volljährigkeit des minderjährigen Ehegatten geführt worden ist und kein Ehegatte seit der Eheschließung bis zur Volljährigkeit des minderjährigen Ehegatten seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hatte. Die Antragstellerin ist jedoch weder vor dem 22.07.99 geboren noch hatte kein Ehegatte seit der Eheschließung bis zur Volljährigkeit des minderjährigen Ehegatten seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland. Die Beteiligten haben nämlich von September 2014 bzw. September 2015 bis zum Eintritt der Volljährigkeit der Antragstellerin im September 2018 jeweils vier bzw. 3 Jahre in Deutschland gelebt.
Bei der Ehe der Beteiligten handelt es sich somit um eine Nichtehe, aus der sich in Deutschland keine Rechtsfolgen ergeben. Sie kann weder legalisiert werden, noch bedarf sie der Aufhebung.
Auf die etwaige Verfassungswidrigkeit der vorgenannten Normen (vgl. BGH FamRZ 19, 181 = NJW 19, 464 Ls = NJOZ 19, 43) kommt es nicht an. Denn selbst wenn die vorgenannten Normen wegen Verfassungswidrigkeit unwirksam wären, wäre der Antrag der Antragstellerin weiterhin begründet. Denn auch dann wäre der Eheschließung der Beteiligten die Anerkennung in Deutschland zu versagen.
Gemäß Art. 11 Abs. 1 EGBGB ist ein Rechtsgeschäft formgültig, wenn es die Formerfordernisse des Rechts, das auf das seinen Gegenstand bildende Rechtsverhältnis anzuwenden ist, oder des Rechts des Staates erfüllt, in dem es vorgenommen wird. Danach richtete sich die Form der Eheschließung der Beteiligten vorliegend nach syrischem Recht. In Syrien ist für die Wirksamkeit der Eheschließung die Mitwirkung des Staates nicht erforderlich. Die Ehe wird durch Angebot und Annahme in der Gegenwart zweier männlicher Zeugen, die islamischen Glaubens sind, geschlossen (Artt. 5, 12 syr. Personalstatusgesetz). Diese Voraussetzungen liegen hier vor.
Gemäß Art. 13 Abs. 1 EGBGB unterliegen die Voraussetzungen der Eheschließung für jeden Verlobten dem Recht des Staates, dem er angehört, hier für beide Beteiligte also dem syrischen Recht. Das syrische Recht nimmt die Verweisung auch an (BGH, Urteil v. 11.10.06 – XII ZR 79/04, BeckRS 06, 132583 Rn 15). Die materiellen Gültigkeitsvoraussetzungen der Eheschließung müssen für jeden Verlobten im Zeitpunkt der Heirat vorliegen.
Gemäß Art. 16 syr. PSG (Personalstatusgesetz) erlangt der Mann die Ehemündigkeit mit Vollendung des 18., die Frau mit Vollendung des 17. Lebensjahres. Danach war die Antragstellerin zum Zeitpunkt der Eheschließung nicht ehemündig. Hat ein Jugendlicher das 15. oder eine Jugendliche das 13. Lebensjahr vollendet und beantragen sie die Eheschließung mit der Behauptung, geschlechtsreif zu sein, genehmigt der Richter gemäß Art. 18 Abs. 1 syr. PSG die Eheschließung, sofern die Richtigkeit ihrer Angaben sowie ihre körperliche Reife bewiesen sind. Auch diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Weder hatte die Antragstellerin zum Zeitpunkt der Eheschließung das 13. Lebensjahr vollendet noch wurde vor der Eheschließung die Genehmigung eines Richters eingeholt.
Ist eine Ehe geschlossen und fehlen sachliche oder förmliche Voraussetzungen, so bestimmt die Folgen das verletzte Recht. Denn das ausländische Recht ist so wenig wie möglich auszuschalten.
Nach Art. 40 Abs. 1 syr. PSG ist die Eheabsicht beim Bezirksgericht unter Vorlage im einzelnen genannter Unterlagen anzuzeigen. Diese Formalitäten wurden nicht eingehalten. Gemäß Art. 40 Abs. 2 syr. PSG wird eine außerhalb des Gerichts geschlossene Ehe nur registriert, wenn die Formalitäten des Abs. 1 erfüllt sind. Im Falle der Geburt eines Kindes oder bei offenkundiger Schwangerschaft wird die Ehe auch ohne Einhaltung der genannten Voraussetzungen registriert.
Eine derartige Registrierung der Ehe der Beteiligten durch das Scharia-Gericht zu Khan Arnabeh ist hier erfolgt. Die Beteiligten haben diese jedoch nur dadurch erreicht, daß sie dem Registergericht vorgespiegelt haben, die Antragstellerin sei schwanger. Es kann einmal dahingestellt bleiben, wie sich die Erschleichung der Registrierung nach syrischem Recht auswirkt. Denn selbst wenn die Ehe der Beteiligten – wovon diese übereinstimmend ausgehen – allein durch die Registrierung in Syrien als wirksam betrachtet würde, wäre ihr die Anerkennung in Deutschland gemäß Art. 6 EGBGB zu versagen. Nach dieser Vorschrift ist eine Rechtsnorm eines anderen Staates nicht anzuwenden, wenn ihre Anwendung zu einem Ergebnis führt, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar ist. Sie ist insbesondere nicht anzuwenden, wenn die Anwendung mit den Grundrechten unvereinbar ist.
Dies ist hier der Fall, soweit nach syrischem Recht die von einem zwölfjährigen Mädchen geschlossene Ehe als wirksam behandelt wird. Nach § 1303 BGB darf in Deutschland eine Ehe nicht vor Eintritt der Volljährigkeit eingegangen werden. Mit einer Person, die das 16. Lebensjahr nicht vollendet hat, kann eine Ehe nicht wirksam eingegangen werden. Die Eheschließung einer Zwölfjährigen wäre daher in Deutschland nicht möglich.
Zwar begründet die bloße Abweichung von den Ergebnissen einer hypothetischen Anwendung des deutschen Rechts noch keinen Verstoß gegen den ordre public. Erforderlich ist vielmehr, daß das Ergebnis der Anwendung des ausländischen Rechts zu den Grundgedanken des deutschen Rechts und der in ihnen liegenden Gerechtigkeitsvorstellungen in so starkem Widerspruch steht, daß es aus deutscher Sicht untragbar erscheint. Zu den unverzichtbaren Bestandteilen des deutschen Rechts gehört der Schutz Minderjähriger vor den Folgen von Willenserklärungen und Rechtshandlungen, deren Tragweite sie auf Grund mangelnder Entwicklung und Verstandesreife noch nicht absehen können. Dieses Schutzes bedarf ein Minderjähriger für die Frage einer Eheschließung um so mehr, als er durch diese nicht nur in vermögensrechtlicher Hinsicht verpflichtet wird, sondern eine grundsätzlich auf Dauer angelegte persönliche Bindung mit personenrechtlichen Auswirkungen eingeht. Die Pflicht des Staates zur Gewährleistung des Minderjährigenschutzes findet ihre grundgesetzliche Verankerung in Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 2 GG.
Dabei bedarf es vorliegend keiner Entscheidung, ab welchem Alter die Eheschließung eines Minderjährigen noch zu akzeptieren wäre. Die Eheschließung eines Mädchens im Alter von zwölf Jahren scheidet eindeutig aus, weil selbst unter Berücksichtigung möglicher kultureller Unterschiede, die geistige und körperliche Entwicklung der Minderjährigen der eines Erwachsenen noch nicht einmal ansatzweise angenähert und die Pubertät noch nicht abgeschlossen ist. Darauf, daß die Fähigkeit zu einer Eheschließung im Alter von 12 Jahren gegebenenfalls im Kulturkreis der Beteiligten als selbstverständlich gegeben angesehen wird, kommt es nicht an, da im Rahmen des ordre public gerade inländische Maßstäbe anzulegen sind.
Soweit durch die Verweigerung der Anerkennung in Deutschland ein „hinkendes“ Rechtsverhältnis entsteht, weil die Wirksamkeit der Eheschließung im Heimatstaat der Beteiligten davon unberührt bleibt, wird dies durch den hinreichenden Inlandsbezug der Beteiligten gerechtfertigt. Diese leben seit September 2015 dauerhaft gemeinsam in Deutschland. Mit einer Rückkehr nach Syrien ist auf absehbare Zeit nicht zu rechnen.
Die Beteiligten haben auch kein schützenswertes Vertrauen in den Bestand ihrer Ehe. Die Antragstellerin war nach ihrem Heimatrecht nicht ehemündig. Dies war jedenfalls dem Antragsgegner auch bewußt. Er hat in der Anhörung nicht nur bestätigt, daß das die Schwangerschaft der Antragstellerin bestätigende ärztliche Attest falsch war, sondern auch, daß dessen Vorlage dem Umstand geschuldet war, daß man andernfalls eine Strafe zu gegenwärtigen gehabt hätte. Die Registrierung der Ehe in Syrien wurde durch Falschangaben erschlichen. Kinder, deren Interessen durch die fehlende Anerkennung der Ehe in Deutschland berührt sein könnten, sind aus ihr nicht hervorgegangen. Die Beteiligten haben die Ehe auch nicht mehr nach Eintritt der Volljährigkeit der Antragstellerin gelebt. Vielmehr haben sie sich im Dezember 2016, als die Antragstellerin noch 16 Jahre alt war, voneinander getrennt. Beide Beteiligte haben auf persönlicher Ebene auch kein Interesse mehr an ihrer Ehe.
Soweit der Antragsteller meint, in Syrien bereits die Scheidung durchgesetzt zu haben, kommt es hierauf nicht an. Soweit die Eheschließung in Deutschland nicht anzuerkennen ist, ist für deren Scheidung im Inland bzw. die Anerkennung einer etwaigen ausländischen Scheidung kein Raum.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 150 Abs. 1 FamFG, die Festsetzung des Verfahrenswerts auf § 43 Abs. 1 FamGKG.

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