Aktenzeichen L 5 KR 409/16 ER
SGB V SGB V § 188 Abs. 4
Leitsatz
Die Aussetzung der Vollziehung eines Beitragsbescheides hat nur dann zu erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. (redaktioneller Leitsatz)
Da der Gesetzgeber in § 86a Abs. 2 SGG insoweit ein Regel-Ausnahme-Verhältnis statuiert hat, wird im Zweifel grundsätzlich das öffentliche Interesse an der Vollziehung Vorrang haben. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit bestehen nur, wenn ein Erfolg im Hauptsacheverfahren wahrscheinlicher ist als ein Misserfolg, da eine gerichtliche Entscheidung das genannte Regel-Ausnahme-Verhältnis und die darin liegende gesetzliche Risikoverteilung zulasten des Betroffenen unterliefe, setzte sie die Vollziehung bereits dann aus, wenn der Erfolg des Rechtsbehelfs ebenso wahrscheinlich wie der Misserfolg, der Ausgang des Hauptsacheverfahrens also offen ist. (redaktioneller Leitsatz)
Gründe
I. Die Antragstellerin begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer in der zweiten Instanz befindlichen Klage gegen einen Beitragsbescheid.
Die 1951 geborene Antragstellerin bezieht aus medizinischen Gründen Leistungen nach dem SGB XI aus der Pflegestufe II. Sie macht mit der Klage vom 14.09.2015 gegen die Beitrags-Bescheide der Antragsgegnerin vom 01.10.2014 und 21.01.2015 jeweils in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.08.2015 geltend, sie sei nicht kranken- und pflegeversicherungspflichtig und deshalb nicht zur Zahlung von Beiträgen verpflichtet. Das Klageverfahren umfasst die in der Entscheidung der Antragsgegnerin erfasste Beitragszeit ab 01.01.2014 und die dort festgesetzten Beiträge iHv gerundet 160 EUR/Monat. Das Verfahren ist in der Berufungsinstanz (klageabweisendes Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 29.04.2016) anhängig.
Mit Antrag vom 07.08.2016 hat die Antragstellerin eine Vorladung zur Vermögensauskunft mit eidesstattlicher Versicherung der Gerichtsvollziehern B. vom 01.08.2016 vorgelegt in einem Zwangsvollstreckungsverfahren, welches die Antragsgegnerin wegen Beitragsforderungen iHv gesamt 26.802,21 EUR betreibt. Die Antragstellerin hat dazu vorgetragen, sie wende sich gegen die durch Rechtsänderung zum 01.04.2007 eingetretene Versicherungspflicht. Sie begehre einstweiligen Rechtsschutz, damit die Antragsgegnerin ihre Beitragsforderung bis Abschluss des Rechtsweges in der Hauptsache nicht beitreiben darf. Sie – die Antragstellerin – dürfe nicht zwangsweise in ein medizinisches System eingebunden werden, welches sie ablehne.
Die Antragstellerin beantragt sinngemäß, die die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Bescheide vom 01.10.2014 und 21.01.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.08.2015 anzuordnen.
Die Beklagte, die in der Hauptsache Klageabweisung begehrt, hat sich nicht geäußert.
Der Vorsitzende hat die Antragstellerin fernmündlich darauf hingewiesen, dass Gegenstand des vorliegenden Verfahrens Beitragsforderungen ab 01.01.2014 sind, die Zwangsvollstreckung über 26.802,21 EUR somit allenfalls zum geringen Teil dem vorliegenden Verfahren zuzuordnen ist.
II. Der statthafte und zulässige Antrag bleibt materiell ohne Erfolg. Nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage – wie hier gem. § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG – keine aufschiebende Wirkung haben, auf Antrag die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Das Gericht entscheidet nach summarischer Prüfung unter Abwägung der widerstreitenden Interessen sowie Berücksichtigung der in § 86a Abs. 3 Satz 2 SGG niedergelegten Grundsätze. Danach soll die Aussetzung der Vollziehung erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Da der Gesetzgeber in § 86a Abs. 2 SGG insoweit ein Regel-Ausnahme-Verhältnis statuiert hat, wird im Zweifel grundsätzlich das öffentliche Interesse an der Vollziehung Vorrang haben. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit bestehen daher nur, wenn ein Erfolg im Hauptsacheverfahren wahrscheinlicher ist als ein Misserfolg, da eine gerichtliche Entscheidung das genannte Regel-Ausnahme-Verhältnis und die darin liegende gesetzliche Risikoverteilung zulasten des Betroffenen unterliefe, setzte sie die Vollziehung bereits dann aus, wenn der Erfolg des Rechtsbehelfs ebenso wahrscheinlich wie der Misserfolg, der Ausgang des Hauptsacheverfahrens also offen ist (st.Rspr., vgl. Sächs. LSG v. 22.02.2016 – L 1 KR 217/15 B ER; Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer – Keller, SGG, 10. Aufl., § 86a Rn. 27a). Eine unbillige Härte liegt vor, wenn dem Betroffenen durch die Vollziehung Nachteile entstehen, die über die eigentliche Zahlung hinausgehen und nicht oder nur schwer wieder gutgemacht werden können (Keller, a. a. O., § 86a Rn. 27b).
Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist nicht die sofortige Vollziehbarkeit aller Beitragsansprüche, welche die Antragsgegnerin im Wege der Zwangsvollstreckung geltend macht. Denn der vorliegende Eilantrag zum Verfahren der Berufung, für welchen das Bayer. Landessozialgericht als Gericht der Hauptsache gem. § 86b Abs. 1 SGG zuständig ist und das wegen der geltend gemachten und aus der konkret stattfindenden Zwangsvollstreckung resultierenden Eilbedürftigkeit gem. § 155 Abs. 2 S. 2 SGG entscheidet, erfasst allein die Beiträge ab 01.01.2014. Dies entspricht somit weniger als einem Fünftel der Zwangsvollstreckungssumme. Einen entsprechenden gerichtlichen Hinweis hat die Antragstellerin erhalten.
Ungeachtet der Dringlichkeit, welche aus der stattfindenden Zwangsvollstreckung folgt, ist dem Antrag nicht stattzugeben, weil an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Beitragsentscheidung der Antragsgegnerin keine ernstlichen Zweifel bestehen. Nach Abwägung aller maßgeblichen Punkte und nach der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung ist die die Antragstellerin ab 01.01.2014 nach dem Ende des Bezuges von Leistungen aus dem SGB II und der dazu bestehenden Kranken- und Pflegeversicherungspflicht, gesetzlich krankenversichertes Mitglied der Antragsgegnerin gem. § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V oder gesetzlich freiwilliges Mitglied nach § 188 Abs. 4 SGB V. In der Folge besteht Pflegeversicherungspflicht, § 20 SGB XI. Die Antragstellerin hat glaubhaft angegeben, dass sie noch keinen Antrag auf Rente gestellt hat. Die festgesetzten Beiträge für die Zeit ab 01.01.2014 sind nach summarischer Prüfung in zutreffender Höhe festgesetzt. Die Zuständigkeit zur Festsetzung der Pflegeversicherungsbeiträge folgt aus §§ 48 SGB, 46 Abs. 2 S. 5 XI.
Anhaltspunkte für eine besondere Härte sind nicht geltend gemacht, sie sind auch sonst nicht ersichtlich.
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ist daher zurückzuweisen.
Kosten werden nicht erstattet, § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar und beendet das Verfahren auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes.