Aktenzeichen AN 4 K 16.30318
Leitsatz
1 Nach der Rechtsprechung des BVerwG muss der Asylsuchende unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt schildern, aus dem sich – als wahr unterstellt – ergibt, dass ihm bei verständiger Würdigung Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht, sodass ihm nicht zuzumuten ist, im Herkunftsstaat zu bleiben oder dorthin zurückzukehren (BVerwG BeckRS 1977, 00821). Vage und widersprüchliche Angaben genügen nicht. (redaktioneller Leitsatz)
2 Im Irak besteht eine innerstaatliche Fluchtalternative. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
Die zulässige, insbesondere fristgerecht erhobene Klage ist unbegründet, weil der Kläger keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylG (1.), auf Feststellung des subsidiären Schutzstatus im Sinne von § 4 AsylG (2.) und auf Feststellung des Vorliegens von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG (3.) hat. Auch die in Ziffern 5) und 6) getroffenen Nebenentscheidungen begegnen keinen rechtlichen Bedenken (4.). Der ablehnende Bescheid des Bundesamtes vom 15. März 2016 ist daher rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in eigenen Rechten, § 113 Abs. 1 und 5 VwGO.
Die in Ziffer 2) des angefochtenen Bescheides erfolgte Ablehnung der Anerkennung als Asylberechtigter im Sinne von Art. 16a GG durch Ziffer 2) des Bescheides vom 15. März 2016 ist nicht Gegenstand der vorliegenden Klage. Denn gemäß dem in der mündlichen Verhandlung am 28. September 2016 gestellten Klageantrag ist dieser allein auf die Aufhebung der Ziffer 1) sowie der Ziffern 3) bis 6) des ablehnenden Bescheids vom 15. März 2016 und auf die – insoweit – positive Verbescheidung gerichtet.
Maßgeblich für die Beurteilung ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung, § 77 Abs. 1 AsylG.
Das Gericht nimmt zur Begründung dieses Urteils vorab Bezug auf den ausführlichen und zutreffend begründeten streitgegenständlichen Bescheid des Bundesamtes, § 77 Abs. 2 AsylG.
Ergänzend wird, auch unter Berücksichtigung des Ergebnisses der mündlichen Verhandlung am 28. September 2016, noch ausgeführt:
1.
Der Kläger ist kein Flüchtling im Sinne von § 3 Abs. 1 AsylG.
Danach ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II, S. 559, 560), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung
oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb seines Herkunftslandes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will, oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.
Der Kläger hat eine Verfolgung aufgrund seiner Zugehörigkeit zur muslimischsunnitischen Glaubensrichtung nicht glaubhaft gemacht:
Bei der Glaubhaftmachung im behördlichen Asylverfahren und im anschließenden Verwaltungsgerichtsverfahren kommt dem persönlichen Vorbringen des Asylsuchenden hinsichtlich der vor Ausreise entstandenen Fluchtgründe naturgemäß eine besondere Bedeutung zu. Hinsichtlich der objektiven Nachprüfbarkeit dürfen daher keine überzogenen Anforderungen gestellt werden.
Gemäß § 86 Abs. 1 Satz 1, 2. Hs. VwGO i. V. m. § 25 Abs. 1 AsylG muss der Ausländer zunächst selbst die Tatsachen vorbringen, die seine Furcht vor Verfolgung oder die Gefahr eines ihm drohenden Schadens begründen, und die insoweit erforderlichen Angaben machen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts muss der Asylsuchende unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt schildern, aus dem sich – als wahr unterstellt – ergibt, dass ihm bei verständiger Würdigung Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht, so dass ihm nicht zuzumuten ist, im Herkunftsstaat zu bleiben oder dorthin zurückzukehren (BVerwG, U.v. 29.11.1977 – I C 33.71 -, BVerwGE 55, 82-86).
Die vom Kläger geschilderten Probleme, die er als Sunnit angeblich gehabt habe, bleiben auch nach dem persönlichen Vortrag in der mündlichen Verhandlung vage und widersprüchlich.
Der Kläger behauptet zum einen, als Sunnit und aus Al-Ani nahe der irakischsyrischen Grenze stammend in seinem schiitischen Wohnviertel dem Vorwurf ausgesetzt gewesen zu sein, den Islamischen Staat (IS) unterstützt zu haben. Worin aber die Probleme, die er aufgrund dessen gehabt habe, bestanden haben sollen, erklärt der Kläger nicht. Ebenso wenig wird vorgetragen, inwiefern diese Probleme eine asylrelevante Verfolgungshandlung dargestellt haben könnten.
Die vom Kläger zum anderen genannten Drohungen wegen seiner Teilnahme an mehreren regierungskritischen Demonstrationen bleiben ebenfalls vage und widersprüchlich. Gegenüber dem Bundesamt hatte der Kläger erklärt, an insgesamt zwei Demonstrationen im Juli 2015 teilgenommen zu haben. In der mündlichen Verhandlung behauptete er nun, er habe drei Demonstrationen im Zeitraum von Mitte Juli bis Anfang August 2015 besucht.
Außerdem schilderte der Kläger, dass an den Demonstrationen 5000 bis 6000 Menschen – auf dem … – teilgenommen hätten, die sich unter anderem gegen den Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten gewandt haben sollen, und dass er deswegen von einem ihm unbekannten schiitischen Milizionär bzw. Angehörigen einer schiitischen Partei angesprochen und bedroht worden sei. In der mündlichen Verhandlung stellte der Kläger auf Nachfrage klar, dass der Mann ihn erst am Tage nach der – dritten – Demonstration in seinem Stadtviertel bedroht habe. Der Mann habe ihn als Sunniten erkannt, weil seine Religionszugehörigkeit in seinem Stadtviertel aufgrund seiner Herkunft und Zugehörigkeit zum Stamm der Al-Ani bekannt sei. Dieser Zusammenhang ist jedoch angesichts der Anzahl der Demonstrationsteilnehmer und der Tatsache, dass der Milizionär bzw. Parteigänger den Kläger erkannt haben soll, umgekehrt der Kläger ihn jedoch nicht gekannt haben will, wenig wahrscheinlich. In der mündlichen Verhandlung äußerte der Kläger darüber hinaus die Vermutung, dass sich die Schiiten über ihn erkundigt hätten und ihn daraufhin angesprochen hätten. Doch auch dieser Erklärungsversuch ist nicht geeignet, die Zweifel an der Plausibilität des klägerischen Vortrages zu entkräften.
Der Kläger äußert zudem, Beleidigungen auf offener Straße aufgrund seiner Zugehörigkeit zur sunnitischen Glaubensrichtung ausgesetzt gewesen zu sein. Darüber hinaus habe er eine schiitische Frau heiraten wollen, was deren Familie aus demselben Grund abgelehnt habe. Außerdem sei er nicht in den öffentlichen Dienst aufgenommen worden, weil er Sunnit sei.
Selbst wenn man diese Probleme des Klägers aufgrund seiner Zugehörigkeit zur sunnitischen Glaubensrichtung als wahr unterstellte, überschreiten sie jedenfalls nicht die in § 3a AsylG zum Ausdruck kommende Erheblichkeit der geltend gemachten Verfolgungshandlung, um einen Fluchtgrund im Sinne von § 3 AsylG zu begründen:
Die – vermutlich verbal geäußerten – Beleidigungen von Menschen aus dem persönlichen Umfeld des Klägers mögen unangenehm gewesen sein, sind jedoch nicht so gravierend, wie dies § 3a AsylG vorsieht. Genauso verhält es sich mit der für den Kläger möglicherweise emotional belastenden Ablehnung des Ehewunsches durch den Vater der schiitischen Frau. Die versagte Einstellung in den öffentlichen Dienst scheint nach dem Vortrag des Klägers wohl eher an der von ihm verweigerten Zahlung von Bestechungsgeld gescheitert zu sein, was zwar eine kriminelle Handlung seitens der Behörde darstellte, aber keine verfahrensrelevante Verfolgungshandlung. Hinzu kommt, dass er nach seinem eigenen Vorbringen offenbar die Möglichkeit gehabt hätte, zu einer anderen – sunnitisch beherrschten – Behörde zu gehen. Dass er dafür Mitglied einer sunnitischen Partei werden müsste, wie der Kläger in der mündlichen Verhandlung behauptet hat, vermag jedoch auch keine verfahrensrelevante Verfolgungshandlung zu begründen.
Dass der Kläger im gesamten Gebiet des Irak in Anknüpfung an seine sunnitische Religionszugehörigkeit verfahrensrelevante Verfolgungsmaßnahmen zu befürchten hätte, macht der Kläger nicht – hinreichend konkret und substantiiert – geltend.
2.
Ein Anspruch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzes im Sinne von § 4 AsylG besteht ebenfalls nicht.
Denn nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist ein Ausländer nur dann subsidiär schutzberechtigt, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt gemäß Satz 2: Die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Nr. 1), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Nr. 3).
Das Gericht bezieht sich insoweit auf die Feststellungen und die Begründung des angefochtenen Bescheids, da der Kläger auch im Rahmen des Gerichtsverfahrens keine darüber hinausgehenden, maßgeblichen Gesichtspunkte vorgetragen hat und das Gericht den Ausführungen des Bundesamtes folgt, § 77 Abs. 2 AsylG.
3.
Dasselbe gilt für die begehrte Feststellung des Vorliegens von Abschiebungshindernissen gemäß § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG.
4.
Die in Ziffer 5 des Bescheids vom 15. März 2016 angedrohte Abschiebung beruht auf § 34 Abs. 1 AsylG i. V. m. § 59 AufenthG und ist rechtmäßig, weil die entsprechenden gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen.
Die im Rahmen von § 11 Abs. 3 AufenthG zu treffende Ermessensentscheidung über die Dauer des Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG (hier festgesetzt auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung) ist nicht zu beanstanden (§ 114 Satz 1 VwGO).
Nach alledem ist der angefochtene Bescheid rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in eigenen Rechten. Die Klage ist daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO als unbegründet abzuweisen. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben.