Aktenzeichen M 17 S 16.31249
Leitsatz
Die Anerkennung als Asylberechtigter scheidet aus, wenn die Einreise auf dem Landweg – also aus einem sicheren Drittstaat – in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland erfolgt. (redaktioneller Leitsatz)
Der Senegal ist ein sicherer Drittstaat. Bei einer Gefahr für Leib und Leben durch nichtstaatliche Dritte kann auf die Hilfe durch die zuständigen Behörden im Senegal verwiesen werden. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gründe
Der Antragsteller ist Staatsangehöriger des Senegal. Er reiste nach eigenen Angaben am … Oktober 2015 auf dem Landweg unter anderem über Italien in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 4. April 2016 Asylantrag.
Bei der Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am … April 2016 gab der Antragsteller im Wesentlichen an, dass seine wirtschaftliche Situation im Senegal durchschnittlich gewesen sei. Er habe eine Freundin gehabt, deren Eltern einer Heirat jedoch nicht zugestimmt hätten. Sie sei dann schwanger geworden und habe solche Probleme mit ihrer Familie gehabt, dass sie sich das Leben genommen habe. Ihre Familie habe ihn daraufhin mit dem Tod bedroht. Sie hätten schwarze Magie angewandt und ihn geschlagen, so dass er eine Platzwunde am Kopf gehabt habe. Er habe nicht daran gedacht, sich an die Polizei zu wenden. Bei der senegalesischen Polizei sei es so, dass, wenn die Familie mächtiger sei als er, er sich nicht wehren könne.
Mit Bescheid vom 23. Mai 2016, zur Post gegeben am 27. Mai 2016, lehnte das Bundesamt die Anträge auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Nr. 1) und auf Asylanerkennung (Nr. 2) als offensichtlich unbegründet ab, lehnte den Antrag auf subsidiären Schutz ab (Nr. 3) und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes nicht vorliegen (Nr. 4). Es forderte den Antragsteller auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen, anderenfalls wurde ihm die Abschiebung nach Senegal oder in einen anderen Staat, in den er einreisen darf oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist, angedroht (Nr. 5). Zudem wurde das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 7 des Aufenthaltsgesetzes angeordnet und auf zehn Monate ab dem Tag der Ausreise befristet (Nr. 6) sowie das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 7).
Zur Begründung führte das Bundesamt insbesondere aus, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und die Anerkennung als Asylberechtigter offensichtlich nicht vorlägen. Bei einem Ausländer, der aus einem sicheren Herkunftsstaat stamme, werde vermutet, dass er nicht verfolgt werde, solange er nicht Tatsachen vortrage, die die Annahme begründeten, dass er entgegen dieser Vermutung verfolgt werde. Aus dem Sachvortrag des Antragstellers sei weder eine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgungshandlung noch ein flüchtlingsrechtlich relevantes Anknüpfungsmerkmal ersichtlich. Der Antragsteller habe nichts glaubhaft vorgetragen oder vorgelegt, was zu der Überzeugung gelangen ließe, dass, entgegen der Einschätzung der allgemeinen Lage in seinem Herkunftsstaat, in seinem Falle die vorgenannten Voraussetzungen für die Annahme einer begründeten Furcht vor Verfolgung oder die Gefahr eines ernsthaften Schadens erfüllt seien. Er hätte die Möglichkeit gehabt, die Hilfe der senegalesischen Polizei zu suchen. Der senegalesische Staat sei nach Auskunftslage bereit und in der Lage, seine Bürger vor rechtswidrigen Übergriffen zu schützen. Es bleibe ihm unbenommen, innerhalb des Senegals in eine andere Stadt oder in einen anderen Landesteil zu gehen, wo ihn niemand kenne. Die Zuerkennung subsidiären Schutzes gemäß § 4 AsylG sei ebenfalls abzulehnen. Es seien keinerlei Anhaltspunkte erkennbar, welche die Annahme rechtfertigten, dass dem Antragsteller bei Rückkehr in den Senegal, gegebenenfalls in einen anderen Ort, ein ernsthafter Schaden drohe. Abschiebungsverbote lägen ebenfalls nicht vor. Insgesamt sei festzustellen, dass die Lebensumstände im Senegal sehr schwierig seien. Dennoch sei nicht davon auszugehen, dass der Antragsteller im Falle seiner Rückkehr in sein Heimatland dort einer Extremgefahr ausgesetzt wäre. Der Antragsteller sei jung und gesund, so dass keine Anhaltspunkte dafür bestünden, dass ihm im Herkunftsland ein ernsthafter Schaden drohe. Eine individuelle Gefahr für Leib oder Leben drohe ebenfalls nicht.
Hiergegen erhob die Prozessbevollmächtigte des Antragstellers mit Schriftsatz vom 1. Juni 2016, beim Bayerischen Verwaltungsgericht München eingegangen am selben Tag, Klage (M 17 K 16.31248) und beantragte gleichzeitig,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 23. Mai 2016 anzuordnen bzw. wiederherzustellen.
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass ein Übernahmeersuchen nach Italien wohl nicht gestellt worden sei. Zumindest sei die Frist des Übernahmeersuchens nicht abgelaufen, so dass die Beklagte nach wie vor ein entsprechendes Übernahmeersuchen stellen könne, hilfsweise, sich für das Asylbegehren des Klägers zuständig zu erachten. Ohne weitere Voraussetzungen könne über das Asylbegehren des Klägers nicht entschieden werden.
Die Antragsgegnerin stellte keinen Antrag.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte in diesem Verfahren und im Verfahren M 17 K 16.31248 sowie auf die übermittelte Behördenakte verwiesen.
II.
Der Antragsteller möchte erreichen, dass die kraft Gesetzes (§ 75 AsylG) ausgeschlossene aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen den Bescheid vom 23. Mai 2016 nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO i. V. m. § 36 Abs. 3 AsylG angeordnet wird.
I. Der Antrag ist unzulässig, soweit die aufschiebende Wirkung der Klage gegen Nr. 7 des Bescheids beantragt wird.
In dieser Nummer wird lediglich das sich unmittelbar aus dem Gesetz ergebende Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG gemäß § 11 Abs. 2 AufenthG zeitlich befristet. Der Antrag ist insoweit mangels Rechtsschutzbedürfnis unzulässig. Denn die schlichte Aufhebung der Nr. 7 des Bescheids aufgrund einer Anfechtungsklage bzw. die Anordnung der aufschiebenden Wirkung beträfen lediglich die getroffene Befristungsentscheidung als solche, so dass ein erfolgreiches Rechtsmittel zur Folge hätte, dass das – unmittelbar kraft Gesetz geltende – Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG unbefristet gelten würde. Die Rechtsstellung der Antragsteller wäre somit nicht verbessert. Das Ziel einer kürzeren Befristung der gesetzlichen Sperrwirkung nach § 11 Abs. 2 AufenthG müsste, ebenso wie die (vorläufige) Erteilung einer Betretenserlaubnis gemäß § 11 Abs. 8 AufenthG, im Wege der Verpflichtungsklage bzw. im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes über einen Antrag nach § 123 VwGO erstritten werden (vgl. NdsOVG, B. v. 14.12.2015 – 8 PA 199/15 – juris Rn. 5; VG München, B. v. 12.1.2016 – M 21 S 15.31689 – UA S. 8; VG Ansbach, B. v. 20.11.2015 – AN 5 S 15.01667 – juris Rn. 2; B. v. 18.11.2015 – AN 5 S 15.01616 – UA S. 2; VG Aachen, B. v. 30.10.2015 – 6 L 807/15.A – juris Rn. 8; Funke/Kaiser in Gemeinschaftskommentar zum Aufenthaltsgesetz, Stand Dezember 2015, § 11 Rn. 183, 190, 193, 196).
II. Im Übrigen ist der Antrag zulässig (vgl. insbesondere zu Nr. 6 des streitgegenständlichen Bescheids Gemeinschaftskommentar zum Aufenthaltsgesetz, Stand Dezember 2015, § 11 Rn. 189), aber unbegründet, da keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen (vgl. Art. 16a Abs. 4 GG, § 36 Abs. 4 AsylG).
1. Gemäß Art. 16a GG, § 36 Abs. 4 AsylG kann das Verwaltungsgericht auf Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO die Aussetzung der Abschiebung anordnen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen. Im Rahmen der Entscheidung über einen solchen Antrag ist im Hinblick auf den durch Art. 19 Abs. 4 GG gebotenen effektiven Rechtsschutz zu prüfen, ob das Bundesamt zu Recht davon ausgegangen ist, dass der geltend gemachte Anspruch auf Asylanerkennung bzw. auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG offensichtlich (vgl. §§ 29a, 30 AsylG) nicht besteht – wobei eine nur summarische Prüfung nicht ausreicht – und ob dieser weiterhin Bestand haben kann (BVerfG, B. v. 2.5.1984 – 2 BvR 1413/83 – BVerfGE 67, 43). Offensichtlich unbegründet ist ein Asylantrag dann, wenn die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigter (Art. 16a GG) und die Voraussetzungen des § 3 AsylG offensichtlich nicht vorliegen (§ 30 Abs. 1 AsylG). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts liegen ernstliche Zweifel i. S. v. Art. 16a Abs. 4 Satz 1 GG vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (BVerfG, U. v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – BVerfGE 94, 166 ff.), was nach ständiger Rechtsprechung aber nicht anzunehmen ist, wenn an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen vernünftigerweise keine Zweifel bestehen, und sich bei einem solchen Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung die Abweisung geradezu aufdrängt (vgl. BVerfG, B. v. 5.2.1993 – 2 BvR 1294/92 – Inf-AuslR 1993, 196).
2. An der Rechtmäßigkeit der insoweit seitens des Bundesamts getroffenen Entscheidungen bestehen hier keine derartigen ernstlichen Zweifel.
2.1 Die Beklagte war befugt, über den Asylantrag des Antragstellers zu entscheiden. Zwar ist gemäß Art. 13 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (sog. Dublin III-VO) grundsätzlich Italien für die Antragsprüfung zuständig, da der Antragsteller wohl dessen Grenze illegal überschritten hat. Art. 17 Abs. 1 Unterabs. 1 Dublin III-VO regelt aber, dass jeder Mitgliedstaat abweichend von Art. 3 Abs. 1 Dublin III-VO beschließen kann, einen bei ihm gestellten Antrag zu prüfen. In diesem Fall wird er zum zuständigen Mitgliedstaat (Art. 17 Abs. 1 Unterabs. 2 Satz 1 Dublin III-VO). Eine Verpflichtung der Beklagten, ein Übernahmeersuchen an Italien zu stellen, besteht daher nicht.
2.2 Die Anerkennung als Asylberechtigter scheidet bereits deswegen aus, weil der Antragsteller auf dem Landweg und damit aus einem sicheren Drittstaat in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland eingereist ist (Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG i. V. m. § 26a Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 AsylG).
2.3 Aber auch ein Verfolgungs- oder Lebensschicksal, das die Zuerkennung einer Rechtsstellung als Flüchtling rechtfertigen würde, ist vorliegend aus dem Vortrag des Antragstellers nicht erkennbar.
Das Heimatland des Antragstellers, Senegal, ist ein sicherer Herkunftsstaat (vgl. § 29a Abs. 2 AsylG und Anlage II zu § 29a AsylG). Die Gerichte sind an diese Einstufung gebunden, es sei denn, sie sind der Überzeugung, dass sich die Einstufung als verfassungswidrig erweist (BVerfG, U. v. 14.5.1996 – 2 BvR 1507/93 – juris Rn. 65). Verfassungs- oder europarechtliche Bedenken gegen die Einstufung Senegals als sicherer Herkunftsstaat bestehen jedoch nicht.
Der Antragsteller hat die durch § 29a AsylG normierte Nichtverfolgungsvermutung auch nicht durch den schlüssigen Vortrag von individuellen Verfolgungstatsachen erschüttern können. Er hat sich auf Morddrohungen der Familie seiner verstorbenen Freundin berufen. Dies begründet aber bereits mangels Anknüpfung an die dort genannten Merkmale keine Verfolgung im Sinne von Art. 16a GG oder § 3 AsylG. Das Gericht folgt daher der zutreffenden Begründung der Antragsgegnerin im angegriffenen Bescheid, auf die verwiesen wird (§ 77 Abs. 2 AsylG).
2.4 Das Bundesamt hat auch zu Recht die Zuerkennung subsidiären Schutzes (§ 4 AsylG) abgelehnt und das Vorliegen von Abschiebungsverboten gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG verneint. Das Gericht nimmt auch insoweit vollumfänglich auf die Begründung des Bundesamts im streitgegenständlichen Bescheid Bezug (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Ergänzend wird auf Folgendes hingewiesen:
Abgesehen davon, dass der Vortrag des Antragstellers zu den Bedrohungen durch die Familie seiner Freundin sehr pauschal und unsubstantiiert ist, hätte er bei einer Rückkehr die Möglichkeit, die Hilfe staatlicher Stellen in Anspruch zu nehmen bzw. sich in einem anderen Landesteil niederzulassen, wo ihn die Familie nicht findet (vgl. z. B. VG Aachen, B. v. 18.7.2014 – 9 L 424/14.A – juris Rn. 10; VG Gelsenkirchen, U. v. 30.5.2012 – 7a K 646/12.A – juris Rn. 20; VG Würzburg, B. v. 29.11.2010 – W 1 S 10.30287 – juris Rn. 20). Von einer allgemein mangelnden Schutzfähigkeit oder -willigkeit des senegalesischen Staates kann nicht ausgegangen werden (vgl. VG Augsburg, U. v. 22.5.2013 – Au 7 K 13.30106 – juris Rn. 16).
2.5 Nach alledem ist auch die vom Bundesamt nach Maßgabe der §§ 34, 36 Abs. 1 Satz 1 AsylG i. V. m. § 59 AufenthG erlassene Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung nicht zu beanstanden.
2.6 Schließlich stellt sich das auf § 11 Abs. 7 AufenthG gestützte befristete Einreise- und Aufenthaltsverbot nach der insoweit im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmenden summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage als rechtmäßig dar.
Die Ermessenserwägungen der Antragsgegnerin sind im Rahmen der auf den Maßstab des § 114 Satz 1 VwGO beschränkten gerichtlichen Überprüfung nicht zu beanstanden, zumal der Antragsteller gegen das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 7 AufenthG keine substantiierten Einwendungen vorgebracht und insbesondere kein fehlerhaftes Ermessen gerügt hat.
Der (gerichtskostenfreie, § 83b AsylG) Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylG unanfechtbar.
…