Verwaltungsrecht

Keine Aufenthaltserlaubnis für ausländischen Ehegatten nach Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft

Aktenzeichen  Au 6 K 15.1467

Datum:
24.2.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG AufenthG § 7 Abs. 2 S. 1, S. 2, § 27 Abs. 1, § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 31 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, Abs. 2 S. 1, S. 2
VwGO VwGO § 114
EMRK EMRK Art. 8 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Ist eine für die Erteilung, Verlängerung oder Bestimmung der Geltungsdauer einer Aufenthaltserlaubnis wesentliche Voraussetzung entfallen, so ist es für die Rechtmäßigkeit der Ermessensentscheidung der Ausländerbehörde, ob sie die Geltungsdauer der Aufenthaltserlaubnis nachträglich verkürzt, unerheblich, ob ein Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aufgrund einer anderen Rechtsgrundlage besteht. (redaktioneller Leitsatz)
2. Das Vertrauen auf den Fortbestand einer Aufenthaltserlaubnis ist bei einem Fortfall einer wesentlichen Voraussetzung grundsätzlich nicht geschützt. (redaktioneller Leitsatz)
3. Ein Festhalten an der ehelichen Lebensgemeinschaft kann von einem ausländischen Ehepartner nicht mehr erwartet werden, wenn die Lage des Ehegatten durch eine Situation der Angst vor physischer oder psychischer Gewalt geprägt ist und daher die Fortsetzung der Gemeinschaft als unzumutbar erscheint. In diesen Fällen ist eine besondere Härte zu bejahen. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Die Kosten des Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.
III.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet. Die nachträgliche Verkürzung der Geltungsdauer der Aufenthaltserlaubnis zum Zweck der Führung der ehelichen Lebensgemeinschaft ist nicht rechtswidrig (§ 113 Abs. 1 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO). Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Erteilung der begehrten Aufenthaltserlaubnis (§ 113 Abs. 5 VwGO). Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.
1. Rechtsgrundlage für die in Nr. 1 des angegriffenen Bescheides verfügte Verkürzung der Geltungsdauer der – zunächst bis 4. September 2017 verlängerten -Aufenthaltserlaubnis der Klägerin auf den 30. September 2015 ist § 7 Abs. 2 Satz 2 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG). Dieser Zeitpunkt ist für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblich (vgl. BVerwG, U. v. 22.5.2013 – 1 B 25/12 – BayVBl 2014, 56 Ls. 2).
§ 7 Abs. 2 Satz 1 AufenthG regelt, dass die Aufenthaltserlaubnis unter Berücksichtigung des beabsichtigten Aufenthaltszwecks zu befristen ist. Nach Satz 2 der Vorschrift kann die Frist auch nachträglich verkürzt werden, wenn eine für die Erteilung, die Verlängerung oder die Bestimmung der Geltungsdauer wesentliche Voraussetzung entfallen ist. Demnach steht es im Ermessen der Ausländerbehörde, ob sie von der Möglichkeit der Verkürzung der Geltungsdauer der Aufenthaltserlaubnis Gebrauch macht. Für die Rechtmäßigkeit der damit verbundenen Ermessensentscheidung ist es unerheblich, ob ein Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aufgrund einer anderen Rechtsgrundlage besteht (sog. Trennungsprinzip, vgl. BVerwG, U. v. 9.6.2009 – 1 C 11/08 – BVerwGE 134, 124; Dienelt in Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 10. Aufl. 2013, AufenthG, § 7 Rn. 58; Maor in Kluth/Heusch, Beck´scher Online-Kommentar Ausländerrecht, Stand 1.1.2015, AufenthG, § 56 Rn. 6 und 17).
a) Die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Bestimmung sind vorliegend gegeben, weil die eheliche Lebensgemeinschaft der Klägerin seit 27. März 2015 nicht mehr bestand, da sie seit diesem Zeitpunkt auf Dauer von ihrem Ehemann getrennt lebt; dies ist vorliegend unstreitig. Trotz des formellen Bestehens einer Ehe ist die eheliche Lebensgemeinschaft beendet, wenn sich die Eheleute endgültig getrennt haben; die tatsächliche Trennung besteht in der Regel in der Aufgabe der häuslichen Gemeinschaft (vgl. BayVGH, B. v. 12.9.2007 – 24 CS 07.2053 – juris). Damit ist eine wesentliche Voraussetzung für die zum Zweck der Führung der ehelichen Lebensgemeinschaft erteilte Aufenthaltserlaubnis nach § 27 Abs. 1 AufenthG i. V. m. § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG entfallen.
b) Die getroffene Ermessensentscheidung des Beklagten ist im gerichtlichen Verfahren nicht zu beanstanden. Die gerichtliche Prüfungsdichte bemisst sich nach der Regelung des § 114 VwGO, was im Wesentlichen zur Folge hat, dass die Entscheidung lediglich daraufhin zu überprüfen ist, ob überhaupt eine Ermessensentscheidung getroffen wurde, ob in diese Ermessensentscheidung alle maßgeblichen und keine unzulässigen Erwägungen Eingang gefunden haben und ob einzelne Belange entgegen ihrer objektiven Wertigkeit in die Abwägung eingestellt worden sind.
Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe erweist sich die Ermessensentscheidung des Beklagten als ermessensfehlerfrei und angemessen. Das Vertrauen auf den Fortbestand einer Aufenthaltserlaubnis ist bei einem Fortfall einer wesentlichen Voraussetzung (grundsätzlich) nicht geschützt (vgl. Dienelt in Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, AufenthG, § 7 Rn. 44). Im Rahmen der nachträglichen Verkürzung der Geltungsdauer war (lediglich) das Interesse der Klägerin, bis zum Ablauf der ursprünglichen Geltungsdauer der Aufenthaltserlaubnis in Deutschland zu bleiben, und das öffentliche Interesse an der Beendigung eines materiell rechtswidrig gewordenen Aufenthalts gegeneinander abzuwägen (vgl. BVerwG, U. v. 9.6.2009 – 1 C 11/08 – BVerwGE 134, 124). Der Beklagte hat im angefochtenen Bescheid eine umfassende Abwägung vorgenommen und dargelegt, dass auch unter Berücksichtigung des Vorbringens der Klägerin, die erstmals am 23. Mai 2013 in das Bundesgebiet eingereist ist, keine schutzwürdigen überwiegenden Belange der Klägerin vorliegen. Insbesondere seien aus der Ehe der Klägerin mit ihrem deutschen Ehegatten keine gemeinsamen Kinder hervorgegangen; der ursprüngliche Zweck des Familiennachzugs sei entfallen. Zutreffend geht der Beklagte davon aus, dass auch der Umstand, dass die Klägerin einer Beschäftigung nachgeht, für sich genommen nicht bereits dazu führt, dass von der Verkürzung der Aufenthaltserlaubnis abzusehen ist (vgl. dazu BayVGH, B. v. 21.6.2010 – 10 ZB 09.2959 – juris). Zu den öffentlichen Interessen zählt auch das Interesse an der Einhaltung des Aufenthaltsrechts, um dem Hineinwachsen in einen vom Gesetz verwehrten Daueraufenthalt vorzubeugen. Ein Ermessensfehler liegt auch nicht im Hinblick auf Art. 8 EMRK vor; der Schutzbereich des Privat- und Familienlebens nach Art. 8 Abs. 1 EMRK ist für die Klägerin mangels schützenswerter familiärer Bindungen im Inland nicht eröffnet. Besondere Gründe für die Notwendigkeit eines weiteren, zeitlich beschränkten Verbleibs der Klägerin in Deutschland bis zum 4. September 2017, dem Ablauf der ursprünglichen Geltungsdauer der Aufenthaltserlaubnis, sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Insbesondere reichen allein die geltend gemachte Integration und der Umstand, dass die Klägerin nicht auf Sozialleistungen angewiesen ist oder ihr Scheidungsverfahren noch anhängig ist, hierfür nicht aus (vgl. dazu BayVGH, B. v. 21.6.2010 – 10 ZB 09.2959 – juris).
2. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf eine von der Führung der ehelichen Lebensgemeinschaft unabhängige Aufenthaltserlaubnis nach § 31 AufenthG. Maßgeblich ist dabei die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung. Ein entsprechender (konkludenter) Antrag auf Erteilung der begehrten Aufenthaltserlaubnis ist in der Stellungnahme der Klägerin vom 22. Juni 2015 gegenüber dem Landratsamt im Rahmen der Anhörung zu sehen (vgl. BVerwG, U. v. 9.6.2009 – 1 C 11/08 – BVerwGE 134, 124/129).
a) Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Neuerteilung oder Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nach § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG.
Nach § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG wird die Aufenthaltserlaubnis des Ehegatten im Falle der Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft als eigenständiges, vom Zweck des Familiennachzugs unabhängiges Aufenthaltsrecht für ein Jahr verlängert, wenn die eheliche Lebensgemeinschaft seit mindestens drei Jahren im Bundesgebiet bestanden hat. Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt. Die Klägerin hat am 9. August 2013 mit ihrem Ehemann die Ehe geschlossen. Am 27. März 2015 zog sie aus der gemeinsamen Ehewohnung aus (s.o. Nr. 1 a). Damit ist die erforderliche dreijährige Ehebestandszeit im Bundesgebiet nicht erfüllt.
b) Ein Anspruch auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis ergibt sich auch nicht aus § 31 Abs. 2 Satz 1 AufenthG.
Von der Voraussetzung des dreijährigen rechtmäßigen Bestandes der ehelichen Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet ist gem. § 31 Abs. 2 Satz 1 AufenthG abzusehen, soweit es zur Vermeidung einer besonderen Härte erforderlich ist. Eine besondere Härte liegt nach § 31 Abs. 2 Satz 2 AufenthG insbesondere vor, wenn dem Ehegatten wegen der aus der Auflösung der ehelichen Lebensgemeinschaft erwachsenden Rückkehrverpflichtung eine erhebliche Beeinträchtigung seiner schutzwürdigen Belange droht oder wenn dem Ehegatten wegen der Beeinträchtigung seiner schutzwürdigen Belange das weitere Festhalten an der ehelichen Lebensgemeinschaft unzumutbar ist; dies ist insbesondere anzunehmen, wenn der Ehegatte Opfer häuslicher Gewalt ist (§ 31 Abs. 2 Satz 2 2. Halbsatz AufenthG). Bei dem Begriff der besonderen Härte handelt es sich um einen gerichtlich voll überprüfbaren, unbestimmten Rechtsbegriff (vgl. Tewocht in Kluth/Heusch, Beck´scher Online Kommentar, AuslR, AufenthG, § 31 Rn. 16; VG München, U. v. 21.2.2013 – M 12 K 12.4701 – juris Rn. 33).
aa) Eine besondere Härte i. S. des § 31 Abs. 2 Satz 2 Alt. 1 AufenthG ist nicht gegeben. Von dieser Regelung sind nur ehebezogene Nachteile erfasst, also Beeinträchtigungen, die mit der ehelichen Lebensgemeinschaft oder ihrer Auflösung zumindest in mittelbarem Zusammenhang stehen, nicht aber sämtliche sonstigen, unabhängig davon bestehenden Rückkehrgefahren (s. dazu ausführlich BVerwG, U. v. 9.6.2009 – 1 C 11/08 – NVwZ 2009, 1432).
Derartige ehebezogene Nachteile hat die Klägerin bei einer Rückkehr nach Russland nicht zu befürchten. Diese ergeben sich insbesondere nicht daraus, dass die Klägerin im Fall des Abbruchs des Aufenthalts ihren Arbeitsplatz im Bundesgebiet verliert und dadurch ein Neubeginn im Heimatstaat erforderlich ist; denn dies trifft grundsätzlich alle Rückkehrer gleichermaßen und ist daher im Regelfall nicht geeignet, die Ausreisepflicht zu suspendieren (vgl. BayVGH B. v. 26.7.2010 – 10 ZB 10.75 – juris Rn. 15; B. v. 15.2.2010 – 19 CS 09.3105 – juris). Die Klägerin hat in … an der Universität am 3. Juni 2011 ein Studium mit einem Bachelorabschluss in Betriebswirtschaft und -management abgeschlossen; sie hat in Russland bereits zwei Jahre in diesem Beruf gearbeitet (s. Bl. 82 und 85 der Behördenakte). Es ist deshalb zu erwarten, dass es ihr nach ihrer Rückkehr gelingen wird, wieder eine Beschäftigung zu finden. Nach wie vor lebt auch die Familie der Klägerin in Russland. Das Problem, bei einer Rückkehr wirtschaftlich wieder neu Fuß fassen zu müssen, trifft die Klägerin in gleicher Weise wie jeden anderen Rückkehrer. Besondere ehebezogene Benachteiligungen sind darin nicht zu sehen.
Auch die vorgetragene gute Integration der Klägerin in der Bundesrepublik Deutschland begründet keine ehebezogene, erhebliche Beeinträchtigung schutzwürdiger Belange im Falle einer Rückkehr. Die Klägerin hat den Großteil ihres Lebens in Russland verbracht und ist erst im Mai 2013 in die Bundesrepublik Deutschland gekommen. Sie spricht ihre Heimatsprache und hat dort ihre Familie. Anhaltspunkte dafür, dass sie den Lebensverhältnissen in ihrer Heimat in einer Weise entfremdet wäre, die eine Rückkehr unzumutbar machen würden, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
bb) Der Klägerin war ein Festhalten an der ehelichen Lebensgemeinschaft auch nicht unzumutbar i. S. des § 31 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 AufenthG.
(1) Durch § 31 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 AufenthG soll vermieden werden, dass der nachgezogene Ehegatte „auf Gedeih und Verderb“ zur Fortsetzung einer untragbaren Lebensgemeinschaft gezwungen wird, weil er sonst Gefahr läuft, sein akzessorisches Aufenthaltsrecht zu verlieren (vgl. BayVGH, B. v. 13.8.2009 – 10 ZB 09.1020 – juris; VG Regensburg, B. v. 12.12.2012 – RO 9 S 12.1679 – juris Rn. 26). Der Gesetzgeber hatte dabei besondere Umstände, die es dem Ehegatten unzumutbar machen, zur Erlangung eines eigenständigen Aufenthaltsrechts an der ehelichen Lebensgemeinschaft festzuhalten, im Blick (vgl. BT-Drs. 14/2368 S. 4). Danach sollen solche Fälle beispielsweise vorliegen, wenn der nachgezogene Ehegatte wegen physischer oder psychischer Misshandlungen durch den anderen Ehegatten die Lebensgemeinschaft aufgehoben hat oder der andere Ehegatte das in der Ehe lebende Kind sexuell missbraucht oder misshandelt hat. Der vorgenannte Halbsatz des § 31 Abs. 2 Satz 2 AufenthG, welcher die häusliche Gewalt benennt, wurde durch das Gesetz zur Bekämpfung der Zwangsheirat eingeführt (vgl. Gesetz vom 23.6.2011, BGBl I S. 1266) und dient (nur) zur Klarstellung (vgl. Tewocht in Kluth/Heusch, Beck´scher Online Kommentar, AuslR, AufenthG, § 31 Rn. 21).
Bei der Beurteilung, ob dem Ehepartner ein Festhalten an der ehelichen Lebensgemeinschaft zumutbar war oder nicht, bedarf es einer Gesamtabwägung aller Umstände des Einzelfalls. Schutzwürdige Belange des ausländischen Ehegatten sind dabei vor allem die persönliche Selbstbestimmung, die körperliche Integrität und die persönliche Freiheit. Die Beeinträchtigung dieser Belange muss objektiv betrachtet eine gewisse Intensität aufweisen und sich aus Sicht des betroffenen Ehegatten mit Blick auf das Erreichen der Drei-Jahres-Frist als unzumutbar darstellen (vgl. BayVGH, B. v. 3.9.2014 – 10 AS 14.1838, 10 AS 14.1837 – NZFam 2014, 1113; B. v. 17.1.2014 – 10 ZB 13.1783 – juris Rn. 4; VG Augsburg, U. v. 23.7.2014 – Au 6 K 14.571 – juris). Die Störungen der ehelichen Lebensgemeinschaft müssen demnach das Ausmaß einer konkreten, über allgemeine Differenzen und Kränkungen in einer gestörten ehelichen Beziehung hinausgehenden psychischen Misshandlung erreicht haben. Gelegentliche Ehestreitigkeiten, Auseinandersetzungen, Meinungsverschiedenheiten, grundlose Kritik und Kränkungen, die in einer Vielzahl von Fällen trennungsbegründend wirken, machen für sich genommen noch nicht das Festhalten an der ehelichen Lebensgemeinschaft unzumutbar (vgl. BayVGH, B. v. 18.3.2008 – 19 ZB 08.259 – juris Rn. 24). Ein besonderer Härtefall ist dabei nicht erst bei schwersten Eingriffen in die persönliche Freiheit des Ehepartners gegeben, eine Beschränkung nur auf „gravierende Misshandlungen“ lässt sich nicht rechtfertigen (vgl. VG Augsburg, U. v. 30.11.2011 – 6 K 11.1339 – juris Rn. 25). Ausreichend ist, wenn die Lage eines Ehegatten durch eine Situation der Angst vor physischer oder psychischer Gewalt geprägt ist und daher die Fortsetzung der ehelichen Lebensgemeinschaft als unzumutbar erscheint (vgl. VG München, U. v. 21.2.2013 – M 12 K 12.4701 – juris Rn. 33; Göbel-Zimmermann in Huber, Aufenthaltsgesetz, 1. Aufl. 2010, § 31 Rn.14). Der nachgezogene Ehegatte – hier die Klägerin – ist insoweit darlegungspflichtig (vgl. OVG NRW, B. v. 21.2.2007 – 18 B 690/06 – juris Rn. 8 m. w. N.; VG Augsburg, U. v. 28.6.2010 – Au 6 K 09.1233 – juris Rn. 26).
(2) Nach diesen Maßstäben hat die Klägerin kein eigenständiges Aufenthaltsrecht nach § 31 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 AufenthG erworben. Aus der Gesamtschau aller vorgetragenen Umstände ergibt sich nach Überzeugung des Gerichts nicht, dass der Klägerin das Festhalten an der Ehe unzumutbar gewesen wäre.
Das Gericht ist nach Durchführung der mündlichen Verhandlung mit der Befragung der Klägerin und Zeugeneinvernahme ihres Ehemannes und ihrer ehemaligen Arbeitskollegen sowie unter Berücksichtigung der beigezogenen Behördenakte der Überzeugung, dass eine besondere Härte i. S. des § 31 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 AufenthG nicht vorliegt. Aus den Schilderungen der Klägerin ergibt sich das Bild einer Ehe, die offensichtlich von unterschiedlichen Erwartungen über das gemeinsame Leben in Deutschland geprägt war. Ausgehend von den vorgenannten Maßgaben hat die Klägerin eine Beeinträchtigung ihrer schutzwürdigen Belange im vorgenannten Sinne jedoch nicht zur Überzeugung des Gerichts darlegen können; insbesondere verbleiben in der Gesamtschau erhebliche Widersprüche der Aussagen hinsichtlich der geltend gemachten häuslichen Gewalt nicht nur zwischen der Klägerin und ihrem Ehemann, sondern auch zwischen ihrer Darstellung und den Zeugenaussagen.
Die Klägerin hat bei ihrer informatorischen Befragung nach dem konkreten Trennungsanlass (Vorfall vom 27.3.2015, Niederschrift S. 6 f.) angegeben, ihr Mann habe an einer zweiwöchigen Umschulung/Weiterbildung teilgenommen und ihr in der zweiten Woche nur noch eine SMS gesendet und fast nichts mehr geschrieben. Da sie ihn auch an einem Abend nicht erreicht habe, obwohl sie vorher gebeten habe, ihn anrufen zu können, sei für sie klar gewesen, dass er nicht allein im Zimmer gewesen sei und sich nicht mehr für sie interessiere. Als er nach Hause gekommen sei, habe sie ihm Vorwürfe gemacht, die SMS dieses Abends, er sei beim Lesen eingeschlafen, stimme nicht. Nachdem er alles abgestritten habe, habe sie angekündigt zu gehen, ihr Mann habe ihr daraufhin u. a. angedroht, sie zu schlagen. Demgegenüber hat der Ehemann der Klägerin insoweit geschildert (Niederschrift S. 12), als er nach Hause gekommen sei, sei u. a. bereits ein Koffer mit einigen Sachen in der Wohnung gestanden; vorab hätte es schon „SMS-Terror“ gegeben, die Klägerin habe geschrieben, er habe andere Frauen, sie werde weggehen. Beim Eintreffen der Klägerin habe es ein kurzes Wortgefecht gegeben, es habe ihm „dann gereicht“ und er sei zu seinen Eltern gegangen. Die geschilderten Streitigkeiten und Kränkungen mögen für die Klägerin zwar belastend gewesen sein, sie überschreiten jedoch objektiv betrachtet noch nicht die Schwelle der Zumutbarkeit. Der Ehemann vermittelte durchaus den Eindruck, dass ihm an einem guten Zusammenleben gelegen war, wenngleich er letztlich einräumte, angesichts der Streitigkeiten überfordert gewesen zu sein. Die behaupteten Drohungen sind nicht zur Überzeugung des Gerichts dargelegt; die Widersprüche in den Darstellungen der Eheleute tragen nicht die Annahme physischer und psychischer Misshandlungen.
Zwar hat die Klägerin bei ihrer informatorischen Befragung auch angegeben, dass ihr Mann sie anlässlich eines geschilderten Vorfalls im September 2014 an den Haaren gepackt und ins Bad unter die Dusche gezerrt habe, infolgedessen sei sie an der Schulter etwas verletzt und ihr Knie blau gewesen (Niederschrift S. 3 f.). Ihr Ehemann hat demgegenüber bestritten, dass dieser Vorfall im September 2014 gewesen sei (Niederschrift S. 9 f.). Er hat vielmehr berichtet, dass ihn die Klägerin 2011 besucht und am …montag zu viel getrunken habe; da für die Klägerin alles neu gewesen sei, habe er auf sie „aufpassen müssen“. Daher seien sie nach Hause gefahren, dort sei die Klägerin ausgerastet und er habe sie beruhigen wollen. Die Klägerin sei dann freiwillig ins Bad gegangen. Ein als Zeuge vernommener Arbeitskollege (Zeugenaussage …, Niederschrift S. 16) hat zwar erklärt, zwei blaue Flecken an der Schulter der Klägerin wahrgenommen zu haben, hat dies jedoch zeitlich nachvollziehbar den Monaten April/Mai 2014 zugeordnet. Zudem hat die Klägerin geltend gemacht, ihr Mann habe sie im Dezember 2014 anlässlich des Besuchs eines Rockkonzertes so fest am Hals gepackt, dass sie keine Luft mehr bekommen habe. Ihr anwesender Trauzeuge … habe ihn gewaltsam gestoppt, als er sie habe schlagen wollen (Niederschrift S. 5). Der Ehemann der Klägerin hat demgegenüber dargelegt, er habe sie an der Hand gefasst und mit ihr nach Hause gehen wollen, seine Frau habe sich aber losgerissen (Niederschrift S. 10 f.). Ein als Zeuge vernommener Arbeitskollege (Zeugenaussage …, Niederschrift S. 14) hat zwar erklärt, im Dezember 2014 zwei blaugrüne Flecken am Hals der Klägerin wahrgenommen zu haben; er könne jedoch nichts über die Ursache sagen, da er mit der Klägerin nicht darüber gesprochen habe.
Auch in der eigenen Darstellung der Klägerin ist eine deutliche Steigerung in der Wiedergabe der Vorfälle erkennbar, die ihre Glaubwürdigkeit zusätzlich mindert: Körperliche Übergriffe hat die Klägerin im Verwaltungsverfahren zunächst selbst nicht geltend gemacht. Vielmehr hat sie in ihrer ersten Stellungnahme (s. Bl. 51 f. der Behördenakte) u. a. angegeben, „schlagen lassen will ich mich nicht“, wenngleich sie die geschilderten Vorfälle als traumatisch bzw. beängstigend bezeichnet und ausgeführt hat, ihr Ehemann habe ihr sogar Schläge angedroht. Demgegenüber spricht die Klägerin in ihrer weiteren Stellungnahme vom 22. Juni 2015 gegenüber dem Landratsamt davon, dass sich ihr Ehemann wiederholt körperlich an ihr „vergangen“ habe (Behördenakte Bl. 80 f.). Im Rahmen der Klagebegründung wird schließlich ausgeführt, das Zusammenleben sei von häuslicher Gewalt, resultierend aus dem Drogenkonsum und der krankhaften Eifersucht ihres Mannes, geprägt gewesen; die Klägerin habe wegen der körperlichen Übergriffe Strafanzeige gegen ihren Mann erstattet. Aus der zeitlichen Abfolge des Vortrags der Klägerin wird deutlich, dass diese ihr Vorbringen hinsichtlich der nunmehr geltend gemachten körperlichen Übergriffe gesteigert hat. Im Übrigen hat die Klägerin die geltend gemachten Vorkommnisse zunächst auch nicht zur Anzeige gebracht, sondern dies erst auf Anraten ihrer Bevollmächtigten getan. Die Klägerin nahm die geschilderten ehelichen Streitigkeiten auch nicht zum Anlass, deswegen professionellen Rat bei Dritten, etwa einer Beratungsstelle zu suchen.
Bei dieser Sachlage konnte die Klägerin zur Überzeugung des Gerichts nicht darlegen, dass ihr wegen der Beeinträchtigung ihrer schutzwürdigen Belange das weitere Festhalten an der ehelichen Lebensgemeinschaft unzumutbar geworden ist. Die häusliche Situation bzw. Lage der Klägerin war demnach, wie eine Gesamtschau ergibt, nicht durch Angst vor physischer und psychischer Gewalt ihres Ehemannes, sondern von häufigen Streitigkeiten, gegenseitigem Unverständnis und Kränkungen geprägt. Nach einer Gesamtabwägung aller Umstände des Einzelfalles war der Klägerin demnach ein Festhalten an der ehelichen Lebensgemeinschaft nicht unzumutbar, eine besondere Härte im Sinne des § 31 Abs. 2 Satz 1 AufenthG liegt daher nicht vor.
3. Steht der Klägerin danach kein Anspruch auf Verlängerung oder Neuerteilung einer Aufenthaltserlaubnis im Anschluss an die – nach Verkürzung der ursprünglichen Geltungsdauer – am 30. September 2015 abgelaufene Aufenthaltserlaubnis zu, ist auch die Androhung der Abschiebung nach Russland, die an die Bestandskraft des streitgegenständlichen Bescheides anknüpft, rechtlich nicht zu beanstanden (§ 59 AufenthG).
4. Nach alldem war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. der Zivilprozessordnung (ZPO).
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zugelassen wird. Die Zulassung der Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils beim Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg,
Hausanschrift: Kornhausgasse 4, 86152 Augsburg, oder
Postfachanschrift: Postfach 11 23 43, 86048 Augsburg,
schriftlich zu beantragen.
Der Antrag muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof,
Hausanschrift in München: Ludwigstr. 23, 80539 München, oder
Postfachanschrift in München: Postfach 34 01 48, München,
Hausanschrift in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach
einzureichen. Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn
1. ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
2. die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
3. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
4. das Urteil von einer Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, des Bundesverwaltungsgerichts, des gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
5. wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Bevollmächtigte sind die in § 67 Absatz 2 Satz 1 und Absatz 2 Satz 2 Nr. 3 bis 7 VwGO bezeichneten Personen und Organisationen zugelassen. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich auch durch die in § 67 Abs. 4 Satz 4 VwGO genannten Personen vertreten lassen.
Der Antragsschrift sollen 4 Abschriften beigefügt werden.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf 5.000 Euro festgesetzt (§ 52 Abs. 2 GKG i. V. m. Ziffer 8.1 des Streitwertkatalogs).
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands 200,- EUR übersteigt oder die Beschwerde zugelassen worden ist.
Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg,
Hausanschrift: Kornhausgasse 4, 86152 Augsburg, oder
Postfachanschrift: Postfach 11 23 43, 86048 Augsburg,
schriftlich einzureichen oder zu Protokoll der Geschäftsstelle einzulegen; § 129a der Zivilprozessordnung gilt entsprechend. Der Mitwirkung eines Bevollmächtigten bedarf es hierzu nicht.
Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde auch noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
Der Beschwerdeschrift sollen 4 Abschriften beigefügt werden.

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