Aktenzeichen 19 CE 18.1725
Leitsatz
Das „Bevorstehen konkreter Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung“ iSd § 60a Abs. 2 S. 2 AufenthG erfasst auch vorbereitende Maßnahmen, die nach typisierender Betrachtung prognostisch bereits in einem engen sachlichen und zeitlichen Zusammenhang mit der Abschiebung selbst stehen. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
W 7 E 18.824 2018-07-26 Bes VGWUERZBURG VG Würzburg
Tenor
I. Unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts vom 26. Juli 2018 in den Nrn. I und II wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt.
II. Der Antragssteller trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500 Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Gegenstand des Rechtsstreits ist die (vorläufige) Erteilung einer Erlaubnis zur Aufnahme einer Berufsausbildung als Bäcker, wozu der Antragsgegner mit Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 26. Juli 2018 verpflichtet wurde.
Der Antragsteller, ein im Mai 2015 als Minderjähriger eingereister afghanischer Staatsangehöriger, ist nach erfolgloser Durchführung eines Asylverfahrens seit dem 16. Dezember 2016 vollziehbar ausreisepflichtig und wurde wegen fehlender Ausreisedokumente geduldet. Im Rahmen des Asylverfahrens wurden keine Personalpapiere oder Identitätsnachweise vorgelegt. Mit Schreiben vom 19. Januar 2017 übersandte die Zentrale Ausländerbehörde der Regierung von U. an die Regierung von O. eine Anmeldung zur Sammelabschiebung sowie einen Antrag auf Ausstellung eines „Transit Pass for Returning to Afghanistan“ (TPR). Eine Vorlage dieses Antrags seitens der Regierung von O. beim afghanischen Generalkonsulat ist nicht aktenkundig.
Am 7. Dezember 2017 beantragte der Antragsteller bei der Zentralen Ausländerbehörde U. die Erlaubnis für eine am 5. Februar 2018 zu beginnende Berufsausbildung zum Bäcker bei einem Betrieb, bei dem der Antragsteller nach erfolgreichem Abschluss der Mittelschule im Juli 2017 auf Vermittlung der Handwerkskammer ein Praktikum absolviert hatte. Mit Schreiben vom 8. Januar 2018 teilte die Zentrale Ausländerbehörde U. dem Antragsteller mit, dass wegen der bestehenden Ausreisepflicht und wegen ungeklärter Identität die Ablehnung beabsichtigt sei. Daraufhin teilte der Antragsteller mit Schreiben vom 2. Februar 2018 mit, dass er sich um eine Identitätsklärung bemühen wolle, dies wegen fehlenden Kontaktes zur Familie im Heimatland jedoch schwierig sei.
Mit Bescheid vom 24. Mai 2018 lehnte der Antragsgegner die Erteilung einer Erlaubnis für eine Berufsausbildung des Antragstellers zum Bäcker mit der Begründung ab, die Ermessensentscheidung falle wegen der geringen Bleibeperspektive und den fehlenden Identitätsnachweisen zu Lasten den Antragstellers aus. Der Antragsteller sei vollziehbar ausreisepflichtig und halte sich nur noch zur Vorbereitung der Ausreise im Bundesgebiet auf. Die Beschränkung (auf bestimmte Personenkreise) der Abschiebungen nach Afghanistan sei vorläufiger Natur bis zum Vorliegen eines aktuellen Lageberichts und beinhalte nicht die Aussage, dass eine Abschiebung für den übrigen Personenkreis auf unabsehbare Zeit ausgeschlossen sei. § 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG sei nicht einschlägig, da mit der Meldung zur Sammelabschiebung am 19. Januar 2017 bereits aufenthaltsbeendende Maßnahmen eingeleitet worden seien. Da der Vollzug der Aufenthaltsbeendigung absehbar sei, sei der Durchsetzung der Ausreisepflicht Vorrang vor integrierenden Maßnahmen einzuräumen. Im Übrigen sei die Identität des Antragstellers nicht geklärt und es lägen keine Identitätspapiere oder Reisedokumente vor. Der Antragsteller habe keine Nachweise für seine Bemühungen zur Identitätsklärung erbracht.
Mit Schreiben vom 20. Juni 2018 hat die Zentrale Ausländerbehörde U. den Antragsteller erneut gegenüber der Regierung von O. zur Sammelrückführung angemeldet und die Beschaffung von Heimreisedokumenten veranlasst.
Der Antragsteller hat am 21. Juni 2018 gegen den Bescheid vom 24. Mai 2018 Klage erhoben und Eilantrag gestellt. Im Klageverfahren legte der Antragsteller mit Schriftsatz des Bevollmächtigten vom 11. Juli 2018 eine Kopie seiner Tazkira und der seines Vaters vor.
Das Verwaltungsgericht hat dem Eilantrag des Antragstellers mit der Begründung stattgegeben, ein Anordnungsgrund liege wegen des bevorstehenden Beginns der Ausbildung am 1. September 2018 vor und ein Anordnungsanspruch sei glaubhaft gemacht, weil das Ermessen zur Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis wegen Vorliegens der Voraussetzungen einer Ausbildungsduldung nach § 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG auf Null reduziert sei. Zum Zeitpunkt der Beantragung der Ausbildungserlaubnis hätten keine konkreten Maßnahmen der Aufenthaltsbeendigung bevorgestanden. Die Anmeldung zur Sammelabschiebung vom 19. Januar 2017 sei wegen der vorübergehenden Aussetzung bzw. Beschränkung der Abschiebungen nach Afghanistan nach dem dortigen Anschlag auf die Deutsche Botschaft ins Leere gegangen. Das von der Behörde eingeleitete Verfahren auf Ausstellung von Passersatzpapieren vom 21. Juni 2018 sei erst nach Beantragung der Ausbildungserlaubnis erfolgt. Der Ausschlusstatbestand des § 60a Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 AufenthG könne dem Antragsteller nicht (mehr) entgegen gehalten werden, da es darauf ankomme, dass aufenthaltsbeendende Maßnahmen aktuell nicht vollzogen werden könnten. Gründe, die in der Vergangenheit den Vollzug verzögert oder behindert hätten, seien unbeachtlich. Da der Antragsteller mittlerweile seine Tazkira vorgelegt habe, könne ihm eine unzureichende Mitwirkung nicht entgegen gehalten werden. Eine unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache liege nicht vor, da es dem Antragsteller nicht zumutbar sei, ein ganzes Ausbildungsjahr oder sogar seinen Ausbildungsplatz zu verlieren.
Gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts hat der Antragsgegner Beschwerde erhoben. Zur Begründung wird ausgeführt, das Ermessen zur Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis sei nicht auf Null reduziert, da der Antragsteller wegen Bevorstehens konkreter Maßnahmen der Aufenthaltsbeendigung zum maßgeblichen Zeitpunkt der Beantragung keinen Anspruch auf Ausbildungsduldung gehabt habe. Die damalige Vollzugspraxis, Rückführungen nach Afghanistan auf der Basis einer zuvor erfolgten Einzelfallprüfung auf die drei Personengruppen „Straftäter“, „Gefährder“ und „Ausreisepflichtige, die ihre Mitwirkung an der Identitätsfeststellung verweigern“, zu beschränken, habe unter Vorbehalt (bis zur Vorlage einer neuen Lagebeurteilung des Auswärtigen Amtes und bis zur Wiederherstellung der vollen Funktionsfähigkeit der Deutschen Botschaft in Kabul) gestanden. Die Beschränkung der Rückführungen habe daher von vornherein nur für einen überschaubaren Zeitraum gelten sollen. Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt für das Bestehen eines Anordnungsanspruchs sei die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung. An ein Bevorstehen konkreter Maßnahmen der Aufenthaltsbeendigung seien keine zu hohen Maßstäbe anzulegen. Der Antragsteller sei bereits am 19. Januar 2017 zur Sammelabschiebung angemeldet worden. Der Antragsteller könne deshalb kein schutzwürdiges Vertrauen in den weiteren Verbleib im Bundesgebiet geltend machen. Nach der aktuellen Vollzugspraxis bezüglich Abschiebungen nach Afghanistan seien nach dem Vorliegen eines neuen Lageberichts gemäß der Auffassung der Bundesregierung die Beschränkung der Rückführung auf die genannten drei Personengruppen entfallen. Dementsprechend könne und solle der Antragsteller in absehbarer Zeit nach Afghanistan abgeschoben werden. Im Rahmen der Ermessensentscheidung überwögen die für eine Ablehnung sprechenden Gründe. Im Übrigen liege eine unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache vor, da die wirtschaftliche Existenz des Antragstellers nicht gefährdet sei und der Ausbildungsplatz dem Antragsteller weiterhin freigehalten werde. Es drohten daher keine irreparablen Nachteile. Der Antragsgegner beantragt,
den Beschluss des Verwaltungsgerichts abzuändern und den Antrag abzulehnen.
Der Antragsteller beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Zur Begründung wird ausgeführt, zum Zeitpunkt der Antragstellung einer Beschäftigungserlaubnis am 7. Dezember 2017 habe ein Abschiebungsstopp gegolten. Der Antragsteller habe zu keiner der drei Ausnahmegruppen gehört, er sei kein hartnäckiger Identitätsverweigerer gewesen. Die bloße Anmeldung zur Sammelabschiebung am 19. Januar 2017 sei in Anbetracht der Vielzahl der für Sammelabschiebung gemeldeten Personen und der geringen Zahl der tatsächlich seit November 2017 durchgeführten monatlichen Abschiebungen noch keine konkrete Maßnahme zur Aufenthaltsbeendigung gewesen. Ein Anordnungsgrund bestehe im möglichen Verlust des Ausbildungsplatzes.
II.
Die zulässige Beschwerde des Antragsgegners ist begründet. Aufgrund der dargelegten Gründe ist der stattgebende Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 26. Juli 2018 in den Nrn. I und II abzuändern und der Antrag auf einstweilige Anordnung abzulehnen.
Dahinstehen kann, ob ein Anordnungsgrund mit Blick auf den drohenden Verlust eines Ausbildungsplatzes zu bejahen ist (vgl. BayVGH, B.v. 29.11.2018 – 10 CE 18.2109 – juris Rn. 8; B.v. 29.3.2018 – 19 CE 17.2317 -; HessVGH, B.v. 15.2.2018 – 3 B 2137/17 – juris Rn. 2). Der Antragsteller hat jedenfalls das Bestehen eines Anordnungsanspruches nicht glaubhaft gemacht. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts war die Ablehnung der Erlaubnis zur Berufsausbildung vom 24. Mai 2018 zutreffend und das Ermessen im Rahmen der Erteilung der Beschäftigungserlaubnis nach § 4 Abs. 2 Satz 3 AufenthG i.V.m. § 32 BeschV nicht auf Null reduziert, da für den Antragsteller zum Zeitpunkt der Beantragung der Erlaubnis zur Aufnahme einer Berufsausbildung wegen konkret bevorstehenden aufenthaltsbeendenden Maßnahmen und wegen der zu diesem Zeitpunkt nicht geklärten bzw. nicht belegten Identität die Voraussetzungen zur Erteilung einer Ausbildungsduldung nach § 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG nicht vorlagen.
Nach § 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG ist eine Duldung wegen dringender persönlicher Gründe im Sinne von § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG zu erteilen, wenn der Ausländer eine qualifizierte Berufsausbildung in einem staatlich anerkannten oder vergleichbar geregelten Ausbildungsberuf in Deutschland aufnimmt oder aufgenommen hat, die Voraussetzungen nach Absatz 6 dieser Vorschrift nicht vorliegen und konkrete Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung nicht bevorstehen.
Mit der Tatbestandsvoraussetzung, dass konkrete Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung nicht bevorstehen, sollen – wie der Senat mehrfach entschieden hat (vgl. BayVGH, B.v. 22.1.2018 – 19 CE 18.51 -; B.v. 31.7.2017 – 19 CE 17.1032 – juris) – die Fälle aus dem Anwendungsbereich des Rechtsanspruchs auf Ausbildungsduldung ausgenommen werden, in denen die Abschiebung bereits konkret vorbereitet wird. Die Gesetzesbegründung selbst führt insoweit die Beantragung eines Pass(ersatz) papiers, die Terminierung der Abschiebung oder den Lauf eines Verfahrens zur Dublin-Überstellung als Beispiele an (BT-Drs. 18/9090, S. 25; vgl. auch BayVGH, B.v. 24.7.2017 – 19 CE 17.1079 – juris Rn. 8; B.v. 15.12.2016 – 19 CE 16.2025 – juris Rn. 19). In den Fällen, in denen die Abschiebung, Zurückschiebung oder Überstellung „absehbar“ ist, soll daher der Durchsetzung der Ausreisepflicht Vorrang eingeräumt werden (BT-Drs. 18/9090, S. 25). Die Gesetzformulierung „Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung“ ist bewusst weiter gefasst als die eigentliche Aufenthaltsbeendigung durch Abschiebung, Zurückschiebung oder Überstellung; andernfalls hätte die Verwendung des Begriffs Aufenthaltsbeendigung als gemeinsamer Oberbegriff genügt (vgl. BayVGH, B.v. 15.12.2016 – 19 CE 16.2025 – juris Rn. 19). Konkrete Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung stehen bevor, sobald die für den jeweiligen Ausländer zuständige Ausländerbehörde erstmals zielgerichtet und konkret tätig geworden ist, um die grundsätzlich mögliche Abschiebung einzuleiten, ohne dass bereits ein bestimmter Zeitpunkt für die Abschiebung feststehen muss (BayVGH, B.v. 3.9.2018 – 10 CE 18.1800 – Rn. 7), bzw. wenn sie die Abschiebung „auf den Weg gebracht“ hat (BayVGH, B.v. 20.11.2018 – 10 CE 18.2159 – juris Rn. 9; B.v. 15.12.2016 – 19 CE 16.2025 – juris Rn. 19). Das „Bevorstehen konkreter Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung“ im Sinne dieser Bestimmung erfordert nicht, dass die Abschiebungsmaßnahme selbst bereits terminiert ist oder zeitlich unmittelbar bevorsteht (vgl. BayVGH, B.v. 24.9.2018 – 10 CE 18.1825 – juris Rn. 6; NdsOVG, B.v. 30.8.2018 – 13 ME 298/18 – juris Rn. 13). Vielmehr fallen hierunter auch vorbereitende Maßnahmen, die nach typisierender Betrachtung prognostisch bereits in einem engen sachlichen und zeitlichen Zusammenhang mit der Abschiebung selbst stehen (vgl. VGH BW, B.v. 13.10.2016 – 11 S 1991/16 – juris Rn. 21). Dies können etwa die Kontaktaufnahme mit der deutschen Auslandsvertretung im Abschiebezielstaat zur Vorbereitung der Abschiebung, die Beantragung eines Pass(ersatz) papiers zum Zwecke der Abschiebung, die Erstellung eines Rückübernahmeersuchens, das Abschiebungsersuchen der Ausländerbehörde gegenüber der für die Durchführung der Abschiebung zuständigen Behörde, die Bestimmung eines Abschiebetermins, die Veranlassung einer erforderlichen ärztlichen Untersuchung zur Feststellung der Reisefähigkeit oder die Beantragung von Abschiebungshaft sein (vgl. NdsOVG, B.v. 30.8.2018, a.a.O., juris Rn. 10 m.w.N.). Maßnahmen zur Vorbereitung der Aufenthaltsbeendigung variieren zwangsläufig in Abhängigkeit vom Zielstaat der Rückführung und den Einzelfallumständen, beispielsweise davon, ob es sich um zentral organisierte Sammel- oder Einzelabschiebungen handelt (vgl. BayVGH, B.v. 14.5.2018 – 19 CS 18.815 und 19 CE 18.818 – Rn. 18). Der Vollzug aufenthaltsbeendender Maßnahmen erfordert behördliche Abstimmungen im Bundesgebiet (z.B. § 71 Abs. 5 AufenthG) sowie mit den jeweiligen Auslandsvertretungen, rechtliche Prüfungen wie beispielsweise eine Veranlassung ärztlicher Untersuchungen und eine Vielzahl weiterer organisatorischer Schritte wie etwa die Bereitstellung von Begleitpersonen oder medizinischer Betreuung. Aus § 58 Abs. 1 Satz 1 AufenthG resultiert ein Gebot zur unverzüglichen Erfüllung der vollziehbaren Ausreisepflicht (vgl. Bauer/Dollinger in Bergmann/Dienelt, AuslR, 12. Aufl. 2018, § 58 Rn. 12). Vor allem wegen der Vielfalt von Vorbereitungsmaßnahmen und notwendigen Schritten lassen sich keine einheitlichen zeitlichen Grenzen festlegen.
Mit der Ausbildungsduldung, die im Gegensatz zu sonstigen Duldungen darauf angelegt ist, in einen längerfristigen Aufenthalt zu münden und letztlich vollziehbar Ausreisepflichtigen eine Brücke in die Erwerbsmigration baut, sollen nicht Aufenthaltsbeendigungen verhindert werden, die in absehbarer Zeit möglich sind. Nach der Entwurfsbegründung des Integrationsgesetzes (beschlossen am 1.7.2016 m.W.v. 6.6.2016), durch das die Ausbildungsduldung neu konzipiert worden ist, ist bei der Integration mittels Aufnahme einer qualifizierten Beschäftigung die Bleibeperspektive zu berücksichtigen, so dass die integrationsfördernden Maßnahmen in erster Linie denjenigen mit „guter Bleibeperspektive“ zugutekommen sollen (vgl. BT-Drucks. 18/8615, S. 1, 2, 22, 23, 26), während auf Maßnahmen mit dem Ziel der Integration verzichtet werden soll, wenn individuell eine geringe Bleibewahrscheinlichkeit besteht (vgl. BT-Drucks. 18/8615, S. 22, betreffend Ausländer aus sicheren Herkunftsstaaten). Ausweislich der durch den Ausschuss für Arbeit und Soziales eingebrachten Beschlussempfehlung wird mit dem Ausschlusstatbestand in § 60a Abs. 2 Satz 4 letzter Halbsatz AufenthG das Ziel verfolgt, in den Fällen, in denen die Abschiebung, Zurückschiebung oder Überstellung „absehbar“ ist, der Durchsetzung der Ausreisepflicht den Vorrang einzuräumen (vgl. BT-Drucks. 18/9090, S. 25). Mit der Voraussetzung, dass nicht bereits konkrete Maßnahmen der Aufenthaltsbeendigung bevorstehen (§ 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG) macht der Gesetzgeber deutlich, dass der Durchsetzung der Ausreisepflicht Vorrang zukommt, was es rechtfertigt, an ein Bevorstehen konkreter Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung keine zu hohen Maßstäbe anzulegen. Durch die Vorlage eines Ausbildungsvertrags oder die Aufnahme einer Berufsausbildung soll eine (vorrangige) Durchsetzung der Ausreisepflicht nicht konterkariert werden (vgl. BayVGH, B.v. 26.11.2018 – 19 C 18.54 – juris Rn. 12). Muss die Ausländerbehörde zur Vorbereitung einer Abschiebung beispielsweise wegen Passlosigkeit zunächst die Identität eines Ausländers klären, kann bereits die aktenkundige Vorladung des Ausländers zur Vorsprache bei der Ausländerbehörde zum Zwecke eines Ausreisegesprächs oder der Aufforderung, bei der Auslandsvertretung seines Herkunftsstaates persönlich zu erscheinen und einen Pass oder ein Passersatzpapier zu beantragen, die erste konkrete Maßnahme zur bevorstehenden Aufenthaltsbeendigung im vorgenannten Sinn darstellen.
Für die Beurteilung der Frage, ob konkrete Maßnahmen der Aufenthaltsbeendigung entgegenstehen, ist maßgeblich auf den Zeitpunkt der Beantragung einer zeitnah aufzunehmenden, konkret bezeichneten Berufsausbildung unter Vorlage geeigneter Nachweise abzustellen (vgl. BayVGH, B.v. 24.9.2018 – 10 CE 18.1825 – juris Rn. 4; B.v. 22.1.2018 – 19 CE 18.51 -; B.v. 31.7.2017 – 19 CE 17.1032 – jew. juris). Dies setzt jedoch voraus, dass zu diesem Zeitpunkt auch die übrigen Anspruchsvoraussetzungen zur Entstehung gelangen, insbesondere Zweifel über die Person, das Lebensalter oder die Staatsangehörigkeit des Ausländers nicht (mehr) bestehen (vgl. Fleuß, Die Ausbildungsduldung im Sinne des § 60a Abs. 2 Sätze 4 bis 12 AufenthG, VerwArch 2018, 261/284 m.w.N.).
Nach diesen Maßgaben kann sich der Antragsteller nicht darauf berufen, er habe zum Zeitpunkt der Beantragung der Erlaubnis zur Aufnahme einer Berufsausbildung am 7. Dezember 2017 einen Anspruch auf Erteilung einer Ausbildungsduldung nach § 60a Abs. 2 Satz 4, Abs. 6 AufenthG gehabt, da zu diesem Zeitpunkt bereits mit der Anmeldung des Antragstellers zur Sammelrückführung durch Schreiben der Ausländerbehörde vom 19. Januar 2017 gegenüber der Regierung von O. unter Beifügung eines Antrags auf Passersatzpapiere konkrete Maßnahmen der Aufenthaltsbeendigung bevorstanden und die Identität des Antragstellers durch keinerlei Dokumente belegt war.
In dem an die Zentrale Ausländerbehörde der Regierung von O. als zum damaligen Zeitpunkt zuständige Stelle für die zentrale Passbeschaffung Bayern (vgl. § 3 Abs. 3 ZustVAuslR i.d.F.v. 9.12.2014, nunmehr Landesamt für Asyl und Rückführungen, vgl. §§ 1 Nr. 3, 4 Abs. 2 Nr. 2 ZustVAuslR i.d.F.v. 27.8.2018) gerichteten Ersuchen zur Beschaffung von Heimreisedokumenten vom 19. Januar 2017 ist jedenfalls die Einleitung bzw. eine vorbereitende Maßnahme zur Durchführung der Abschiebung zu sehen. Soweit der Ausländerbehörde kein gültiger Nationalpass des Ausländers vorliegt, ist die Ausstellung eines zur Rückführung berechtigenden Passersatzpapiers die erste Voraussetzung, um eine Abschiebung vollziehen zu können. Selbst wenn – wie der Antragsteller vorträgt – einer Vielzahl von für Sammelabschiebungen gemeldeten Personen lediglich eine geringe Zahl von tatsächlich durchgeführten Abschiebungen gegenüber stehen sollte, lässt dies den Charakter als konkrete Vorbereitungsmaßnahme für aufenthaltsbeendende Maßnahmen im Einzelfall nicht entfallen.
Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts ging diese einleitende Maßnahme nicht ins Leere. Die Absehbarkeit aufenthaltsbeendender Maßnahmen ist vorliegend nicht aufgrund der im Zeitraum zwischen Juni 2017 und Mai 2018 thematisierten vorläufigen Beschränkung der Rückführungen nach Afghanistan infolge eines Anschlags auf die dortige Botschaft entfallen. Nach Mitteilung des Bundesministeriums des Innern (BMI) und des Auswärtigen Amtes (AA) vom 1. Juni 2017 sollte bis zur Vorlage einer neuen Lagebeurteilung des AA und bis zur vollen Funktionsfähigkeit der Deutschen Botschaft in Kabul die Rückführung von afghanischen Staatsangehörigen auf der Basis einer zuvor erfolgten Einzelfallprüfung auf die Personengruppen Straftäter, Gefährder und Ausreisepflichtige, die hartnäckig ihre Mitwirkung an der Identitätsfeststellung verweigern, beschränkt werden. Auf eine Landtagsanfrage hin hat das Bayerische Staatsministerium des Innern im Juli 2017 unter Bezugnahme auf diese Verständigung der Bundesminister mitgeteilt, Rückführungen von afghanischen Staatsangehörigen auf der Basis einer zuvor erfolgten Einzelfallprüfung auf Straftäter, Gefährder und Ausreisepflichtige, die hartnäckig ihre Mitwirkung an der Identitätsfeststellung verweigern, zu beschränken. Diese Beschränkung entfiel nach Erstellung eines aktuellen Lageberichts durch das AA gemäß der Erklärung der Bundeskanzlerin am 6. Juni 2018 und der darauf folgenden Mitteilung des Bundesministeriums des Innern an die jeweiligen Landesbehörden wieder.
Die Verständigung der Bundesminister war der anschlagsbedingten Funktionsbeeinträchtigung der Deutschen Botschaft in Kabul geschuldet; sie erfolgte außerhalb der Form des § 23 AufenthG und hatte keine bindende Wirkung gegenüber den Bundesländern, sondern stellte sich als Empfehlung für die Vollzugspraxis der Bundesländer dar (vgl. BayVGH, B.v. 22.1.2018 – 19 CE 18.51 – juris Rn. 30). Wegen des Föderalismusprinzips konnte diese Vollzugspraxis durchaus – insbesondere im Hinblick auf die Auslegung des Begriffs „hartnäckiger Identitätsverweigerer“ – differieren.
Aufgrund der Vorläufigkeit der getroffenen Beschränkung in der Vollzugspraxis und des lediglich empfehlenden Charakters dieser Beschränkung wurde der Vollzug der Aufenthaltsbeendigung des Antragstellers damit nicht in einen völlig ungewissen zeitlichen Rahmen verschoben. Vielmehr handelte es sich um eine zeitliche Verzögerung, die der vorübergehenden Funktionseinschränkung der deutschen Auslandsvertretung geschuldet war.
Darüber hinaus konnte der Antragsteller, der bereits im Rahmen der asylrechtlichen Anhörung am 27. April 2016 auf seine Mitwirkungsverpflichtung nach § 15 AsylG sowie nachfolgend auch durch Schreiben der Ausländerbehörde vom 8. Januar auf seine ungeklärte Identität hingewiesen worden war, und der bis zum Juli 2018 keinerlei Identitätspapiere oder Nachweise über Bemühungen, solche zu beschaffen, vorgelegt hatte, aufgrund der offenkundigen Vorläufigkeit der Beschränkung in der Vollzugspraxis der Rückführungen nach Afghanistan und seiner nicht nachgewiesenen Identität zum Zeitpunkt der Beantragung einer Beschäftigungserlaubnis nicht in schutzwürdiger Weise darauf vertrauen, auf unabsehbare Dauer von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen verschont zu werden. Die Einleitung aufenthaltsbeendender Maßnahmen in Form der Anmeldung zur Sammelabschiebung und der Initiierung eines Passersatzpapierverfahrens steht – trotz der Verzögerung des Abschiebungsvollzugs – der Begründung eines schutzwürdigen Vertrauens auf Durchführung einer dreijährigen Berufsausbildung im Wege der Ausbildungsduldung entgegen. Lediglich vorübergehend wirkende Umstände, die die Maßnahmen der Aufenthaltsbeendigung zwar verzögern, sie jedoch nicht in einen zeitlich nicht mehr überschaubaren, ungewissen Rahmen verlagern, was ein Bedürfnis für die vom Gesetzgeber angestrebte Rechtssicherheit für Geduldete und Ausbildungsbetriebe hervorrufen könnte, vermögen die Absehbarkeit aufenthaltsbeendender Maßnahmen nicht zu beseitigen (vgl. VG Schleswig, B.v. 12.1.2018 – 1 B 2/18 – juris Rn. 14). Der sachliche und zeitliche Zusammenhang einleitender oder vorbereitender Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung lässt sich nicht absolut bestimmen, sondern ist unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls und den jeweiligen Notwendigkeiten eines Vollzugs in Abhängigkeit vom Zielstaat der Rückführung zu beurteilen. Finden Rückführungen in den Zielstaat wegen anschlagsbedingt nicht voll gewährleisteter Funktionsfähigkeit der dortigen Auslandsvertretung zeitweilig nur bei bestimmten Fallgruppen statt, ist dies nicht geeignet, eine bereits eingeleitete Aufenthaltsbeendigung „ins Leere laufen zu lassen“. Dies gilt vorliegend umso mehr, als der Antragsteller, der zum Zeitpunkt der Beantragung der Beschäftigungserlaubnis keine Bemühungen zur Identitätsklärung nachweisen konnte, nicht darauf vertrauen konnte, trotz der Beschränkung der Rückführung auf die drei genannten Personengruppen nicht mit einer Aufenthaltsbeendigung konfrontiert zu werden (insoweit abweichend zu BayVGH, B.v. 20.11.2018 – 10 CE 18.1598 – juris Rn. 15). Die Tazkira des Antragstellers wurde erst mit Schriftsatz vom 11. Juli 2018 in Kopie vorgelegt.
Die Ermessensentscheidung ist daher auch unter Beachtung der Integrationserfolge des Antragstellers nicht zu beanstanden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3, § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1 und § 52 Abs. 2 GKG. Die wirtschaftliche Bedeutung einer Ausbildungsduldung rechtfertigt den Ansatz des Auffangwertes (vgl. etwa BayVGH, B.v. 20.11.2018 – 10 CE 18.1598 – juris Rn. 19; VGH BW, B.v. 16.7.2018 – 11 S 1298/18 – juris Rn. 21; BayVGH, B.v. 22.1.2018 – 19 CE 18.51 – juris Rn. 31; a.A. OVG NW, B.v. 23.04.2018 – 18 B 110/18 – juris) und nicht nur des hälftigen Auffangwertes (vgl. Nr. 8.3 Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit: „Abschiebung“). Dem Antrag auf Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis zur Aufnahme einer Berufsausbildung kommt bei der vorliegenden Fallkonstellation keine eigenständige wirtschaftliche Bedeutung zu. Der Streitwert war gemäß Nr. 1.5. des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes auf die Hälfte zu reduzieren. Auf eine Vorwegnahme der Hauptsache – die dieser Reduktion entgegenstünde – ist das Eilrechtsschutzbegehren nicht gerichtet. Im Falle eines Misserfolgs im Hauptsacheverfahren müsste eine einstweilig zugelassene Ausbildung abgebrochen werden.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).