Verwaltungsrecht

Keine Aussetzung der Abschiebung nach Afghanistan wegen offensichtlicher Unbegründetheit

Aktenzeichen  M 2 S 17.49614

Datum:
18.12.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 80 Abs. 5
AsylG AsylG § 3 ff.
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 5, § 60 Abs. 7
AsylG AsylG § 36 Abs. 3, § 36 Abs. 4

 

Leitsatz

1. An der Richtigkeit der Feststellungen des Bundesamtes der offensichtlichen Unbegründetheit nach § 30 Abs. 3 Nr. 1 AsylG bestehen vernünftigerweise keine Zweifel, wenn sich das Vorbringen des Antragstellers in wesentlichen Punkten als unsubstantiiert und widersprüchlich erweist. (Rn. 12 – 14) (redaktioneller Leitsatz)
2. Es ist weiterhin davon auszugehen, dass weder in der Zentralregion noch in der Nordostregion Afghanistans die Voraussetzungen einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der körperlichen Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts nach § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 AsylG vorliegen. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Die Antragsteller ist afghanischer Staatsangehörige. Eigenen Angaben zufolge reiste er im September 2013 in die Bundesrepublik Deutschland ein; er stellte hier am 10. Oktober 2013 einen Asylantrag.
Der Antragsteller wurde vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am 3. November 2016 angehört. Mit Bescheid vom 28. August 2017 lehnte das Bundesamt die Anträge auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Nr. 1), Asylanerkennung (Nr. 2) und Gewährung von subsidiärem Schutz (Nr. 3) als offensichtlich unbegründet ab und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 4). Es forderte den Antragsteller auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen, anderenfalls wurde ihm die Abschiebung nach Afghanistan oder in einen anderen Staat, in den er einreisen darf oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist, angedroht (Nr. 5). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 36 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 6).
Der Antragsteller ließ durch seine nunmehrige Bevollmächtigte am 24. November 2017 Klage erheben und beantragt dabei, die Antragsgegnerin unter Aufhebung des Bescheids vom 28. August 2017 zu verpflichten, festzustellen, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, hilfsweise die des subsidiären Schutzstatus, und weiter hilfsweise, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG vorliegen. Über die Klage, die unter M 2 K 17.49613 anhängig ist, wurde bislang noch nicht entschieden.
Zudem wird beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Die Antragsgegnerin hat die Behördenakten elektronisch vorgelegt; sie stellt keinen Antrag.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten in diesem Verfahren und im Verfahren M 2 K 17.49613 sowie auf die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
II.
Es kann offenbleiben, ob der vorliegend statthafte Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO und § 75 Abs. 1 AsylG in der Wochenfrist des § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG erhoben wurde (vgl. § 4 Abs. 2 VwZG), da er jedenfalls unbegründet ist.
Der Antrag ist unbegründet, da keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen (vgl. Art. 16a Abs. 4 GG, § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG).
1. Nach Art. 16a GG, § 36 AsylG kann das Verwaltungsgericht auf Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO die Aussetzung der Abschiebung anordnen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen. Tatsachen und Beweismittel, die von den Beteiligten nicht angegeben worden sind, bleiben unberücksichtigt, es sei denn, sie sind gerichtsbekannt oder offenkundig (vgl. § 36 Abs. 4 Satz 1 und 2 AsylG). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts liegen ernstliche Zweifel i.S.d. Art. 16a Abs. 4 Satz 1 GG (und sodann auch § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG) vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – BVerfGE 94, 166 ff.).
Im Rahmen der Entscheidung über einen Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO ist im Hinblick auf den durch Art. 19 Abs. 4 GG gebotenen effektiven Rechtsschutz sonach zu prüfen, ob das Bundesamt zu Recht davon ausgegangen ist, dass der geltend gemachte Anspruch auf Asylanerkennung und auf Zuerkennung des internationalen Schutzes offensichtlich nicht besteht – wobei eine nur summarische Prüfung nicht ausreicht – und ob diese Ablehnung weiterhin Bestand haben kann (BVerfG B.v. 2.5.1984 – 2 BvR 1413/83– juris Rn. 40). Offensichtlich unbegründet ist ein Asylantrag gemäß § 30 Abs. 1 AsylG dann, wenn die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigter und die Voraussetzungen für die Zuerkennung des internationalen Schutzes offensichtlich nicht vorliegen. Nach § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG ist zudem vom Bundesamt in seiner Entscheidung über einen Asylantrag auch festzustellen, ob die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG vorliegen.
Nach ständiger Rechtsprechung ist eine offensichtliche Unbegründetheit einer Asylklage dann anzunehmen, wenn an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen vernünftigerweise keine Zweifel bestehen, und bei einem solchen Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung sich die Abweisung geradezu aufdrängt (vgl. BVerfG, B.v. 5.2.1993 – 2 BvR 1294/92 – juris).
2. Gemessen an diesen Grundsätzen bestehen hier keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Entscheidungen des Bundesamts für die vorliegend allein noch streitige Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, hilfsweise des subsidiären Schutzes und der Feststellung des Vorliegens von Abschiebungsverboten. An der Richtigkeit der Feststellungen des Bundesamtes bestehen vernünftigerweise keine Zweifel. Bei dem zur Entscheidung gestellte Sachverhalt drängt sich dem erkennenden Gericht die Abweisung des Rechtsschutzbegehrens des Antragstellers auf.
Zur Vermeidung von Wiederholungen wird zunächst auf die Ausführungen im Bescheid des Bundesamts vom 28. August 2017 verwiesen (vgl. § 77 Abs. 2 AsylG). Zusammenfassend ist Folgendes festzustellen:
Für das Gericht ist es nach Aktenlage offensichtlich, dass dem Antragsteller der geltend gemachte Anspruch auf Zuerkennung von internationalem Schutz nach § 1 Abs. 1 Nr. 2, §§ 3 ff. AsylG nicht zusteht. Auch die Voraussetzungen für die Feststellung von nationalen Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG liegen bei ihm nach Lage der Akten offensichtlich nicht vor. Das Vorbringen des Antragstellers erweist sich in wesentlichen Punkten als unsubstantiiert und widersprüchlich (vgl. § 30 Abs. 3 Nr. 1 AsylG). Nach Aktenlage erweist sich die Feststellung des Bundesamts, der Vortrag des Antragstellers sei fernab einer glaubhaften Sachverhaltsdarstellung, als gut nachvollziehbar. Sein Vorbringen zur Verfolgungssituation ist auch nach Auffassung des Gerichts in erheblicher Weise unsubstantiiert und widersprüchlich. Es liegt nach allgemeiner Lebenserfahrung gänzlich fern, dass die Taliban bei ihrer Rekrutierungspraxis von Koranschülern in der Weise agieren, wie dies vom Antragsteller vorgebracht wird. Das Bundesamt weist nach Aktenlage gut nachvollziehbar darauf hin, dass es lebensfremd ist, anzunehmen, dass der Antragsteller einerseits eine Woche lang in einem dunklen Zimmer gefangen gehalten und dort dschihadistisch indoktriniert wurde, sodann aber die Erlaubnis erhielt, mit seiner Familie Rücksprache zu halten, um sich gegebenenfalls mit deren Erlaubnis den Taliban anzuschließen. Dieser Vortrag ist, wie das Bundesamt nach Aktenlage ebenfalls nachvollziehbar feststellt, auch deswegen erheblich in sich widersprüchlich und folglich unglaubhaft, weil der Antragsteller ausführt, ein Freund habe ihn angerufen und von einer Bombardierung am Ort seiner Gefangennahme berichtet. Wenn allerdings eine entsprechende telefonische Erreichbarkeit in den Gebieten Pakistans bzw. Afghanistans, in denen sich der Antragsteller und sein Freund aufhielten, bestand, so liegt es gänzlich fern, dass die Taliban den Antragsteller zur Rücksprache mit seiner Familie freigelassen haben, ohne zuvor selbst den Versuch zu unternehmen, den Vater des Antragstellers unmittelbar telefonisch zu erreichen. Die Unsubstantiiertheit des Vortrags des Antragsstellers folgt zudem – selbständig entscheidungstragend – gerade auch daraus, dass die Taliban nach dem Vortrag des Antragstellers besonders konspirativ agierten, indem sie ihren potentiellen Rekruten die Augen verbunden hatten, sie in einem dunklen Raum einsperrten und sich diesen auch nicht zu erkennen gaben. Eine Freilassung des Antragstellers mit dem Ziel der Einholung einer Erlaubnis der Familie, um sich den Taliban anzuschließen, würde damit in diametralem Widerspruch stehen, da mit einer Freilassung für die Taliban stets auch das Risiko verbunden gewesen wäre, sich und ihren geheim zu haltenden Standort angreifbar zu machen. Die Freilassung des Antragstellers kann folglich zur Überzeugung des Gerichts im Verfahren des einstweiligen Rechtschutzes nicht im Ansatz in schlüssiger und widerspruchsfreier Weise mit dem im Übrigen beschriebenen konspirativen Verhalten der Taliban im Rahmen der Gefangenhaltung des Antragstellers in Deckung gebracht werden. Diese Widersprüchlichkeit wiegt gerade deshalb besonders schwer, weil sie den Kern der Schilderung des Antragstellers zu seiner Vorverfolgung bildet.
Damit dürften nach Aktenlage die Voraussetzungen nach § 30 Abs. 3 Nr. 1 AsylG mit hoher Wahrscheinlichkeit vorliegen, sodass sich die tatsächlichen Feststellungen und rechtlichen Bewertungen des Bundesamts im streitbefangenen Bescheid als zutreffend erweisen und sich die Abweisung der Klage für das Gericht aufdrängt.
Zudem sind die Voraussetzungen nach § 3e Abs. 1 AsylG für den Antragsteller nach Aktenlage zumindest in Kabul offenkundig erfüllt. Aufgrund der dort bestehenden Gebietsgewalt des afghanischen Staates, der Anonymität der Großstadt sowie mit Blick auf den Umstand, dass der Antragsteller sich mittlerweile eine erhebliche Zeit lang im Ausland aufgehalten hat, besteht mit großer Wahrscheinlichkeit keine beachtliche Gefahr, dass der Kläger dort von den Taliban aufgespürt werden könnte. Dem Antragsteller als jungen und arbeitsfähigen Mann ist nach Überzeugung des Gerichts eine Rückkehr in eine größere afghanische Stadt im Sinne einer innerstaatlichen Fluchtalternative auch nach seinen individuellen Verhältnissen zumutbar. Es bestehen keine durchgreifenden Zweifel daran, dass der Antragsteller bei einer Rückkehr in sein Heimatland Afghanistan in der Lage wäre, insbesondere in Kabul einen Lebensunterhalt oberhalb des Existenzminimums durch „seiner Hände Arbeit“ zu verdienen. Dabei ist Kabul entgegen der Auffassung des Antragstellers auch im Hinblick auf die allgemeine Sicherheitslage als inländische Fluchtalternative derzeit geeignet. Das Risiko, dort durch Anschläge Schaden an Leib oder Leben zu erleiden, bewegt sich unterhalb der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. aktuell BayVGH, B.v. 4.8.2017 – 13a ZB 17.30791 – juris). Dieser Rechtsprechung, die auf der umfänglichen Auswertung aktueller Erkenntnismittel beruht, folgt das erkennende Gericht.
Das Gericht folgt schließlich auch der aktuellen Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (vgl. B.v. 21.8.2017 – 13a ZB 17.30529 – juris), wonach auch weiterhin davon auszugehen ist, dass weder in der Zentralregion noch in der Nordostregion Afghanistans die Voraussetzungen einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG vorliegen und dass auch die Lage in Afghanistan insgesamt nicht derart ist, dass eine Abschiebung ohne weiteres eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde.
Sonach scheidet sowohl die Anerkennung als Flüchtling nach §§ 3 ff. AsylG, die Gewährung von subsidiärem Schutz nach § 4 Abs. 1 AsylG als auch die Annahme eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG beim Antragsteller offenkundig aus. Schließlich ist in der vorgenannten Rechtsprechung auch in Bezug auf § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG geklärt, dass für aus dem europäischen Ausland zurückkehrende afghanische Staatsangehörige angesichts der aktuellen Auskunftslage im allgemeinen derzeit nicht von einer extremen Gefahrenlage auszugehen ist, die zu einem entsprechenden Abschiebungsverbot führen würde. Ein relevanter Umstand, der diese Regelbewertung für den Antragsteller ausnahmsweise nicht zuließe, ist nicht ersichtlich.
Nach alledem fehlt es offenkundig an den Voraussetzungen sowohl der internationalen als auch der nationalen Schutzgewährung nach § 1 Abs. 1 Nr. 2, §§ 3 ff. AsylG und § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG.
Der Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei (§ 83b AsylG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).

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