Aktenzeichen 9 ZB 18.32531
Leitsatz
Erscheint ein Antrag auf Zulassung der Berufung im Gewande einer Grundsatzrüge gegen die Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung, liegt kein im Asylverfahrensrecht vorgesehener Zulassungsrund vor. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
M 30 K 17.44113 2018-08-14 Urt VGMUENCHEN VG München
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
1. Die Berufung ist nicht wegen der geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG).
Die Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache setzt voraus, dass eine konkrete noch nicht geklärte Rechts- oder Tatsachenfrage aufgeworfen wird, deren Beantwortung sowohl für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war als auch für die Entscheidung im Berufungsverfahren erheblich sein wird und die über den konkreten Fall hinaus wesentliche Bedeutung für die einheitliche Anwendung oder für die Weiterentwicklung des Rechts hat. Zur Darlegung dieses Zulassungsgrundes ist eine Frage auszuformulieren und substantiiert anzuführen, warum sie für klärungsbedürftig und entscheidungserheblich (klärungsfähig) gehalten und aus welchen Gründen ihr Bedeutung über den Einzelfall hinaus zugemessen wird (vgl. BayVGH, B.v. 31.10.2018 – 9 ZB 18.32733 – juris Rn. 3 m.w.N.). Dem wird das Zulassungsvorbringen nicht gerecht.
a) Die als grundsätzlich klärungsbedürftig aufgeworfene Fragestellung, ob für den Kläger aufgrund seines Vorbringens in Sierra Leone eine innerstaatliche Fluchtalternative gegeben sei, ist mangels Entscheidungserheblichkeit nicht klärungsfähig. Das Verwaltungsgericht hat hinsichtlich des vom Kläger geltend gemachten Anspruches auf subsidiären Schutz (§ 4 AsylG) nicht nur auf die Möglichkeit des Ausweichens auf eine inländische Fluchtalternative abgestellt, sondern hat umfänglich ausgeführt, dass dem Kläger die behauptete Bedrohungslage im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AsylG schon nicht zu glauben sei. Nur entscheidungserhebliche Fragen können aber eine grundsätzliche Bedeutung begründen (BayVGH, B.v. 26.9.2018 – 9 ZB 18.32071 – juris Rn. 8).
b) Die Entscheidungserheblichkeit fehlt demnach auch hinsichtlich der für den Fall der Annahme einer Fluchtalternative aufgeworfenen Frage: „Muss somit davon ausgegangen werden, dass sich der Kläger zumindest sein Existenzminimum sichern kann oder muss davon ausgegangen werden, dass angesichts der Gesamtumstände und auch den speziellen Umstände beim Kläger bei einer Rückkehr davon ausgegangen werden muss, dass er unter dem Existenzminimum (und somit unter den inländischen Maßstäben unter Verstoß eines selbstbestimmten würdevollen Lebens) bleiben muss.“
Soweit diese Frage darauf gestützt wird, dass Sierra Leone zu den ärmsten Ländern der Welt zählt, Wohnraum nach dem Länderinformationsblatt des Bundesamtes von 2014 schwer zu finden sowie staatliche Unterstützung für Rückkehrer nicht zu erhalten sei, und man hieraus eine gewisse Grundsätzlichkeit der Fragestellung in Bezug auf den vom Kläger zusätzlich angeführten § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ableiten wollte, genügt das Zulassungsvorbringen ebenfalls nicht den Anforderungen. Es ist nicht dargelegt, dass und in welcher Weise die Beantwortung der Frage über den Einzelfall des Klägers hinaus wesentliche Bedeutung für die einheitliche Anwendung oder für die Weiterentwicklung des Rechts hat und somit klärungsbedürftig wäre. Der Kläger setzt sich nicht – wie es erforderlich wäre – mit der Begründung des angefochtenen Bescheids auseinander, auf die das Verwaltungsgericht nach § 77 Abs. 2 AsylG insoweit Bezug genommen hat, sondern weist auf die schwierigen Lebensumstände in Sierra Leone hin. Diese hat allerdings auch schon das Bundesamt für … (im Folgenden: Bundesamt) seiner Überzeugungsbildung zugrunde gelegt (s. Bescheid vom 31.5.2017, S. 6 ff.). Der Kläger hat somit nicht anhand konkreter Anhaltspunkte, etwa mittels entsprechender Auskünfte, Stellungnahmen, Gutachten, Presseberichte oder anderer Gerichtsentscheidungen, dargetan, warum die aufgeworfene Frage im Berufungsverfahren zu einer vom angefochtenen Urteil abweichenden Entscheidung führen könnte (vgl. BayVGH, B.v. 13.8.2018 – 9 ZB 18.50044 – juris Rn. 14 m.w.N.; B.v. 15.10.2018 – 15 ZB 18.32644 – juris Rn. 3 m.w.N.). Vielmehr versucht er im Gewand einer Grundsatzrüge gegen die Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung vorzugehen. Damit wird jedoch kein im Asylverfahrensrecht vorgesehener Zulassungsgrund angesprochen (vgl. BayVGH, B.v. 26.9.2018 – 9 ZB 18.32071 – juris Rn. 7).
c) Soweit der Kläger anführt, es sei grundsätzlich klärungsbedürftig, ob der Kläger bei Bekanntwerden der Asylantragstellung mit politischer Verfolgung rechnen muss, kann der Antrag ebenfalls keinen Erfolg haben. Unabhängig davon, dass dieser (neue) Sachvortrag weder im Verfahren der Anhörung vor dem Bundesamt noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren vom Kläger thematisiert wurde und damit im Zulassungsverfahren nicht mehr zu berücksichtigen sein dürfte (vgl. BayVGH, B.v. 27.8.2018 – 1 ZB 17.31272 – juris Rn. 10), genügt dieses Vorbringen jedenfalls auch nicht den Darlegungsanforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG. Es fehlt hier jede Ausführung zur Klärungsbedürftigkeit oder Klärungsfähigkeit.
2. Die behauptete Versagung rechtlichen Gehörs liegt nicht vor.
Das Verwaltungsgericht hat in Bezug auf die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots in Nr. 6 des angefochtenen Bescheids des Bundesamts die erhobene Anfechtungsklage als unzulässig abgewiesen. Es sei ein Verpflichtungsantrag zu stellen gewesen. Die Klägerbevollmächtigte macht in ihrer Begründung zum Antrag auf Zulassung der Berufung insoweit geltend, das Gericht sei gemäß § 88 VwGO auch bei einem anwaltlich vertretenen Kläger gehalten, auf sachdienliche Anträge hinzuwirken. Hierin ist kein Gehörsverstoß zu sehen.
Das rechtliche Gehör als prozessuales Grundrecht (Art. 103 Abs. 1 GG) sichert den Parteien ein Recht auf Information, Äußerung und Berücksichtigung mit der Folge, dass sie ihr Verhalten eigenbestimmt und situationsspezifisch gestalten können, insbesondere dass sie mit ihren Ausführungen und Anträgen gehört werden (vgl. BayVGH, B.v. 27.3.2018 – 9 ZB 18.30057 – juris Rn. 21 m.w.N.).
§ 88 VwGO erlegt den Verwaltungsgerichten zwar die Aufgabe auf, das Rechtsschutzziel des Klägers zu ermitteln und stellt zugleich klar, dass es auf das wirkliche Begehren und nicht auf die Fassung der Anträge ankommt. In diesem Rahmen muss das Gericht eine ausdrücklich gewählte Klageart umdeuten oder gemäß § 86 Abs. 3 VwGO darauf hinwirken, dass Unklarheiten bei Anträgen beseitigt werden (vgl. BVerfG, B.v. 23.10.2007 – 2 BvR 542.07 – NVwZ 2008, 417; B.v. 29.10.2015 – 2 BvR 1493.11 – NVwZ 2016, 238). Indes folgt aus dem Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs auch in der Ausprägung, den er in § 86 Abs. 3 VwGO gefunden hat, keine Pflicht des Gerichts zu umfassender Erörterung sämtlicher entscheidungserheblicher Gesichtspunkte. Das Tatsachengericht ist nicht verpflichtet, die Beteiligten schon in der mündlichen Verhandlung auf seine Rechtsauffassung oder die beabsichtigte Würdigung des Prozessstoffes hinzuweisen und offenzulegen, wie es seine Entscheidung im Einzelnen zu begründen beabsichtigt (vgl. BVerwG, B.v. 30.3.2016 – 5 B 11.16 – juris Rn. 20 m.w.N.; B.v. 21.5.2008 – 6 C 13.07 – juris Rn. 35). Nach diesem Maßstab bestand für das Verwaltungsgericht keine Verpflichtung, die Zulässigkeit des unzweifelhaft auf Aufhebung der Nr. 6 des Bundesamtsbescheids vom 31. Mai 2017 gerichteten Klagebegehrens im Vorfeld seiner Entscheidung näher zu erörtern.
3. Inwieweit – wie der Kläger noch behauptet – die angefochtene Entscheidung von obergerichtlicher Rechtsprechung abweichen soll (vgl. § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG), wird nicht ausreichend dargelegt (§ 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG). Es ist schon kein abstrakter Rechtssatz des angefochtenen Urteils herausgearbeitet, der von einem Rechtssatz eines genannten Divergenzgerichts abweichen soll (vgl. BayVGH, B.v. 8. Mai 2018 – 9 ZB 18.31509 – juris Rn. 7).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).