Verwaltungsrecht

Keine Bewilligung von Prozesskostenhilfe wegen bedingter Klageerhebung

Aktenzeichen  M 24 E 17.4488, M 24 KO 17.4487

Datum:
24.10.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 138368
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 123
VwGO § 75
AufenthG § 60a Abs. 2
AufenthG § 25 Abs. 3
AufenthG § 26 Abs. 1 Satz 4
VwGO § 166; ZPO §§ 114 ff.

 

Leitsatz

Die unter dem Vorbehalt der Bewilligung von Prozesskostenhilfe erhobene Klage ist unwirksam, da sie an eine außerprozessuale Bedingung geknüpft ist. Wegen der Bedingungsfeindlichkeit der Klageerhebung ist bei der Prüfung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe von der unwirksam erhobenen Klage als noch zu erhebender Klage auszugehen. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Verfahren M 24 E 17.4488 und M 24 KO 4487 werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.
II. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe im Verfahren M 24 KO 17.4487 wird abgelehnt.
III. Der Antrag im Verfahren M 24 E 17.4488 wird abgelehnt.
IV. Die Antragsteller des Verfahrens M 24 E 17.4488 haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.
V. Der Streitwert wird im Verfahren M 24 E 17.4488 auf 12.500,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragsteller sind nigerianische Staatsangehörige. Die Antragstellerin zu 1 (Ast 1) ist die Mutter der Antragsteller zu 2 bis 5 (Ast 2-5). Die Ast 2-5 wurden in Italien geboren; für diese wurden der Antragsgegnerin (Ag) jeweils eine Carta d’ Identitä der Republik Italien und eine Permesso di Soggiorno mit unbefristeter Gültigkeitsdauer („NNminata“) und als Titelart „Soggiornante di Lungo Periodo-CE“ vorgelegt.
Die Ast reisten am … September 2016 in das Bundesgebiet ein und stellten am 11. Oktober 2016 Asylanträge. Mit Bescheid vom 28. Juni 2017 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) die Asylanträge als unzulässig gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG ab, da die Asylanträge als Zweitanträge nach § 71a AsylG zu keiner Durchführung eines weiteren Asylverfahrens führten. Zugleich stellte es ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG hinsichtlich Nigeria fest. Insoweit ergibt sich die Bezeichnung des Staates, auf den sich das im Tenor ausgesprochene Abschiebungsverbot bezieht, aus der Begründung des Bescheides. Die Ast hätten in Belgien laut dortiger Mitteilung sowie zuvor in Italien ein erfolgloses Asylverfahren durchgeführt. Der Bescheidsbegründung ist weiter zu entnehmen, dem BAMF lägen für alle Ast italienische Ausweispapiere, Permesso die Soggiorno: „motivi umanitari“ im Original vor. Der BAMF-Bescheid ist bestandskräftig. Das BAMF übersandte der Ag die Abschlussmitteilung am 30. August 2017.
Die Ag erteilte den Ast erstmals am 5. Januar 2017 Duldungen, die nach entsprechender Beantragung zuletzt bis 5. Oktober 2017 verlängert wurden. Ein Antrag der Ast auf weitere Verlängerung der Duldungen ist der Behördenakte nicht zu entnehmen. Über den email-Kontakt einer Mitarbeiterin der Caritas teilte die Ag zu einer Nachfrage mit, dass den Ast keine Duldung mehr erteilt werde, nachdem die Asylanträge als unzulässig abgelehnt worden seien und kein Duldungsgrund vorliege, denn die Ast hätten in Italien Aufenthalt und sie könnten dorthin zurückkehren.
Die Bevollmächtigte der Ast beantragte beim Ag mit Schreiben vom … Juli 2017 (Eingang 12. Juli 2017) die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Den Ast stehe eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 AufenthG zu, da das BAMF im Bescheid vom 28. Juni 2017 entschieden habe, dass ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 Auf-enthG vorliege. Die Ag hörte die Ast zur beabsichtigten Ablehnung der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis mit Schreiben vom 7. September 2017 an. Nach Aktenlage äußerten sich die Ast. nicht. Nach Aktenlage erging bislang kein Ablehnungsbescheid.
Mit Eingang am … September 2017 beim Verwaltungsgericht München erhob die Bevollmächtigte der Ast, Klage (M 24 KO 17.4487) mit dem Antrag,
die Beklagte zu verurteilen, den Klägern eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 26 Abs. 3 [richtig wohl § 25 Abs. 3], § 26 Abs. 1 Satz 4 AufenthG zu erteilen unter der Bedingung, dass den Ast Prozesskostenhilfe gewährt wird.
Zugleich stellte die Bevollmächtigte der Ast einen Antrag nach § 123 VwGO (M 24 E 17.4488) mit dem Antrag:
Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, die Duldung der Antragsteller bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zu verlängern und Abschiebungsmaßnahmen gegen die Antragsteller wieder (sic!) einzuleiten, noch durchzuführen.
Die Bevollmächtigte legte nur die erste Seite des in Bezug genommenen BAMF-Bescheides vor und verwies in ihren Ausführungen nicht darauf, dass das Abschiebungsverbot nur für den Zielstaat Nigeria festgestellt wurde. Die Abschlussmitteilung des BAMF, aus der im Übrigen hervorgeht, dass das Abschiebungsverbot nur für den Zielstaat Nigeria festgestellt wurde, wurde nach Erhalt ebenfalls vorgelegt. Die Formblatterklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Ast wurde am … September 2017, der Kontostandsbeleg wurde am *. Oktober 2017 bei Gericht eingereicht. Die Bevollmächtigte legte am … Oktober 2017 ein Schreiben des Schulleiters sowie ein Schreiben der Klassenleiterin der Klasse … und hierzu eine Unterstützungsunterschriftsliste des Kollegiums der Grund- und Mittelschule … vor. Zur Begründung des Antrags auf Gewährung von Prozesskostenhilfe wurde ausgeführt, der Abschiebeschutz sei vom BAMF gewährt worden, obschon die italienischen Aufenthaltspapiere vorgelegt worden seien. Die Antragsteller hätten einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis für mindestens ein Jahr. Als Anspruchsgrundlage wurden §§ 25 Abs. 3 und 26 Abs. 1 Satz 4 AufenthG benannt. Den Antragstellern sei eine Rückkehr nach Italien weder möglich noch zumutbar.
Zur Begründung des Antrags nach § 123 VwGO wurde schriftsätzlich am *. Oktober 2017 unter Vorlage einer Krankenhausaufenthaltsbescheinigung (ohne Datum) der … Kliniken … ausgeführt, dass sich die Ast1 seit 2. Oktober 2017 bis auf Weiteres im Krankenhaus befinde.
Die Ag legte die Behördenakten vor, stellte im Verfahren M 24 KO 17.4487 keinen Antrag und beantragte im Verfahren M 24 E 17.4488, den Antrag abzulehnen.
In der Antragserwiderung im Verfahren M 24 E 17.4488 wird ausgeführt, zu dem Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 AufenthG werde in Kürze ein ablehnender Bescheid ergehen. Auf die Anhörung vom 7. September 2017 zur beabsichtigten Antragsablehnung sei bislang nicht geantwortet worden. Der Antrag nach § 123 VwGO sei nicht begründet; es sei kein Grund ersichtlich, warum den Ast eine Duldung erteilt werden müsste, noch sei von der Bevollmächtigten der Ast ein Grund dargelegt worden. Das BAMF habe ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG hinsichtlich Nigeria und nicht hinsichtlich Italien festgestellt. Ein rechtliches Abschiebehindernis hinsichtlich Italien liege nicht vor. Für ein tatsächliches Abschiebungshindernis hinsichtlich Italien sei weder vorgetragen, noch ein solches vorliegend. Es sei den Ast rechtlich und tatsächlich möglich, nach Italien auszureisen, da sie von Italien erteilte gültige Aufenthaltspapiere auf humanitärer Basis besäßen. Der Ag sei kein Hinweis bekannt, die die Einreise der Ast nach Italien unzumutbar erscheinen ließen. Vielmehr habe die Ast1 vor ihrer Einreise in die Bundesrepublik bereits 26 Jahre in Italien gelebt und die Ast 2-5 seien dort geboren.
Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten M 24 KO 17.4487 und M 24 E 17.4488 und die beigezogenen Behördenakten verwiesen.
II.
1. Die Verfahren werden zur gemeinsamen Entscheidung gemäß § 93 VwGO verbunden.
Für die Entscheidung über die Prozesskostenhilfe und über den Antrag nach § 123 VwGO ist im insoweit maßgeblichen Zeitpunkt der Antragstellung das Verwaltungsgericht München insbesondere örtlich zuständig, denn die begehrten Verwaltungsakte – Aufenthaltserlaubnis und Duldung – sollen von der im Gerichtsbezirk ansässigen Ag und damit im Gerichtsbezirk München erlassen werden (§ 52 Nr. 3 Satz 5, 1, Nr. 5 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – i.V.m. Art. 1 Abs. 2 Nr. 1 des Gesetzes zur Ausführung der Verwaltungsgerichtsordnung – AGVwGO – i.V.m. § 83 Satz 1 VwGOi. V.m. § 17 Abs. 1 Satz 1 Gerichtsverfassungsgesetz – GVG i.V.m. § 123 Abs. 2 VwGO).
2. Die unter dem Vorbehalt (Bedingung) der Bewilligung von Prozesskostenhilfe erhobene Klage ist unwirksam, da sie an eine außerprozessuale Bedingung geknüpft ist. Die Klageerhebung ist als Prozesshandlung bedingungsfeindlich. Wegen der Bedingungsfeindlichkeit der Klageerhebung ist bei der Prüfung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe von der unwirksam erhobenen Klage als noch zu erhebender Klage auszugehen (BVerwG, U.v. 17.1.1980 – 5 C 32/79 – juris; VG München, B.v. 8.8.2002 – M 6b KO 02.1879 – juris; Geiger in Eyermann, VwGO Kom. 14. Aufl. 2014, § 82 Rn. 11).
3. Die (noch zu erhebende) Verpflichtungsklage – nach Maßgabe der unwirksam erhobenen Verpflichtungsklage – hat keine hinreichenden Erfolgsaussichten i.S.v. § 166 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO).
3.1. Nach § 166 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder -verteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
Eine hinreichende Erfolgsaussicht ist dabei bereits dann gegeben, wenn ein Obsiegen der Partei ebenso wahrscheinlich ist wie ihr Unterliegen. Die Erfolgsaussichten des gerichtlichen Verfahrens müssen im Zeitpunkt der Bewilligungsreife als offen zu beurteilen sein (BayVGH, B.v. 23.10.2005 – 10 C 04.1205 – juris).
3.2. Die noch zu erhebende Verpflichtungsklage ist unbegründet.
Die (noch zu erhebende) Verpflichtungsklage – nach Maßgabe der unwirksam erhobenen – Verpflichtungsklage ist unbegründet. Ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach der Soll-Regelung des § 25 Abs. 3 Satz 1 AufenthG i.V.m. § 26 Abs. 1 Satz 4 AufenthG ist in Anbetracht des vorliegenden Ausschlussgrundes nach § 25 Abs. 3 Satz 2 1. Alt. AufenthG, einer möglichen und zumutbaren Ausreise in einen anderen Staat (d.h. Drittstaat, da für den Herkunftsstaat des Ausländers ein Abschiebungsverbot festgestellt ist; vgl. Burr in GK AufenthG, Bd. 1, § 25 Rn. 35), nicht gegeben. Die Ag hat die Ast auf die Ausreise nach Italien verwiesen und hinreichend dargelegt, dass den Ast die Ausreise nach Italien und dortige Aufenthaltnah-me möglich und zumutbar ist. Hierbei hat die Ag auf die bisherige Aufenthaltnahme der Ast1 in Italien über 26 Jahre, die Geburt und nachfolgende Aufenthaltnahme der Ast2-5 in Italien sowie deren italienischen Aufenthaltspapieren verwiesen (vgl. Burr in GK AufenthG, Bd. 1, § 25 Rn. 35ff.; Hailbronner, Ausländerrecht, Kom, Bd. 1 § 25 Rn. 64ff.).
Das dafür zuständige BAMF (§ 24 Abs. 2, § 42 AsylG) hat (nur) ein zielstaatsbezo-genes Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG hinsichtlich Nigeria auf der Grundlage nationalen Rechts (nicht jedoch auf unionsrechtlicher Grundlage) festgestellt. Dementsprechend findet der Versagungsgrund nach § 25 Abs. 3 Satz 2 Auf-enthG in richtlinienkonformer Weise zur Qualifikationsrichtline (RL 2004/83/EG, nachfolgend RL 2011/95) Anwendung.
Die Antragsteller sind vollziehbar ausreisepflichtig, da ihr Aufenthalt im Bundesgebiet nicht erlaubt ist und auch nicht nach § 81 Abs. 3 AufenthG als erlaubt gilt (§ 50 Abs. 1, 2 AufenthG, § 58 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG).
Die bloße Behauptung der Bevollmächtigten der Ast, den Ast sei die Rückkehr nach Italien weder möglich noch zumutbar, entkräftet nicht den Ausschlussgrund nach § 25 Abs. 3 Satz 2 1. Alt. AufenthG und die hierzu erfolgte Darlegung der Ag.
Der Krankenhausaufenthalt der Ast1 als solcher, sollte er noch andauern, genügt bereits nicht, um ein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis zu begründen. Zudem wurde auch kein Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG gestellt.
3.3. Die Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag ergeht kostenfrei. 4. Der Antrag nach § 123 VwGO bleibt erfolglos.
Die Ast haben für die antragsgemäß begehrte Duldung nach § 60a Abs. 2 AufenthG und die Unterlassung der Einleitung und Durchführung von Abschiebungsmaßnahmen weder einen Anordnungsanspruch noch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht i.S.v. § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Zivilprozessordnung (ZPO).
4.1. Eine hinreichende Eilbedürftigkeit (Anordnungsgrund) ist nicht glaubhaft gemacht, zumal Abschiebungsanordnungen oder Abschiebungsandrohungen, auf deren Grundlage die Ast nach Italien abzuschieben wären, derzeit (noch) nicht existieren.
4.2. Ein Anordnungsanspruch ist schon nicht „bezeichnet“ i.S.v. § 920 Abs. 1 ZPO (i.V.m. § 123 Abs. 3 VwGO), jedenfalls aber nicht derart glaubhaft gemacht, dass eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür anzunehmen ist, dass ein solcher Anordnungsanspruch auf Erteilung der begehrten Duldung bestehen könnte.
Der bescheinigte Krankenhausaufenthalt der Ast1 als solcher, sollte er noch andauern, genügt bereits nicht, um ein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis zu begründen. Wie oben bereits ausgeführt, sind die Ast vollziehbar ausreisepflichtig. Die Grundlage der bislang erteilten Duldung – Durchführung des Asylzweitantragsverfah-rens – ist entfallen.
4.3. Die im vorliegenden Eilverfahren vollständig unterlegenen Ast haben gemäß § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Eilverfahrens zu tragen.
4.4. Der Streitwert ergibt sich aus § 53 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz (GKG) i.V.m. Nr. 1.5 und 8.1 entspr. des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit, da nicht nur die Erteilung einer Duldung, sondern auch die Unterlassung der Einleitung und Durchführung von Abschiebungsmaßnahmen begehrt wird.

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