Aktenzeichen 20 ZB 17.30440
AufenthG § 60 Abs. 7 S. 2, S. 4
AsylG § 78 Abs. 3 Nr. 3
GG Art. 103 Abs. 1
Leitsatz
1 Das Erstgericht ist grundsätzlich nicht verpflichtet, seine der Schlussberatung vorbehaltene Beurteilung der vorgelegten ärztlichen Atteste dem Kläger vorab zur Kenntnis zu bringen. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
2 Hat der Kläger in seinem Zulassungsantrag nicht dargelegt, inwiefern die geltend gemachten Folgen des Arbeitsunfalls eine lebensbedrohliche oder schwerwiegende Erkrankung darstellen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde, ist ein Verstoß gegen das rechtliche Gehör durch die Verneinung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 S. 2 AufenthG wegen der Erkrankungen des Klägers im Urteil nicht gegeben. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
W 4 K 15.30634 2017-02-10 Urt VGWUERZBURG VG Würzburg
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Antragsverfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 10. Februar 2017 (Az. W 4 K 15.30634) bleibt ohne Erfolg, weil der geltend gemachte Zulassungsgrund nicht vorliegt.
Der Kläger macht eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) sowie einen Verstoß gegen die richterliche Hinweispflicht (§ 86 Abs. 3 VwGO) geltend. Der damit geltend gemachte Zulassungsgrund eines oder mehrerer Verfahrensmängel i.S.v. § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 VwGO liegt jedoch nicht vor.
1. Soweit der Kläger vorträgt, das Erstgericht habe dadurch gegen seine Verpflichtung zur Gewährung rechtlichen Gehörs sowie gegen seine richterliche Hinweispflicht verstoßen, dass es nicht darauf hingewiesen habe, dass die vorgelegten Stellungnahmen des Herrn Dr. med. B. vom November 2015, März 2016 und Februar 2017 als nicht ausreichende Beweise für die schwerwiegende psychische Erkrankung des Klägers erachtet werden, liegt darin weder ein Gehörsverstoß noch eine Überraschungsentscheidung.
Zum Grundsatz des rechtlichen Gehörs gehört auch das Verbot von Überraschungsentscheidungen. Das Gericht darf einen bisher nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt nicht ohne einen Hinweis zur Grundlage seiner Entscheidung machen, wenn dieser dem Prozess eine so überraschende Wendung gibt, dass auch ein sorgfältiger Prozessbeteiligter damit nicht rechnen muss (Berlit in GK-AsylG, § 78 Rn. 283 ff.). Allerdings muss das Gericht nicht vorab auf seine Rechtsauffassung oder die von ihm beabsichtigte Würdigung des Prozessstoffs hinweisen. Falls es jedoch eine vorläufige Einschätzung der Rechtslage zu erkennen gegeben hat, muss es deutlich machen, wenn es hiervon wieder abweichen will (vgl. zum Ganzen Kraft in Eyermann, VwGO, § 138 Rn. 33 m.w.N.). Gemessen daran war das Erstgericht nicht verpflichtet, seine der Schlussberatung vorbehaltene Beurteilung der vorgelegten ärztlichen Atteste dem Kläger vorab zur Kenntnis zu bringen. Im Übrigen hat das Verwaltungsgericht ausweislich der Entscheidungsgründe (UA S 7/8) die in ständiger Rechtsprechung anerkannten Kriterien zur Substantiierung einer schweren psychischen Erkrankung, insbesondere einer PTBS, angewendet. Mit deren Anwendung musste der Kläger schon deshalb rechnen, weil ihm mit Schreiben des Gerichts vom 28. Oktober 2016, also geraume Zeit vor der mündlichen Verhandlung am 10. Februar 2017, anheim gegeben wurde, ein „detaillierteres ärztliches Attest“ mit genauer Diagnose, aktueller Behandlung und Medikation sowie geplantem Behandlungsverlauf vorzulegen. Dass die genannten Kriterien in seinem Falle nicht zur Anwendung kommen könnten, hat der Kläger nicht dargelegt.
2. Zum anderen sieht der Kläger einen Gehörsverstoß darin, dass sich das Verwaltungsgericht nicht mit dem Umstand auseinander gesetzt habe, dass er aufgrund eines Arbeitsunfalles am 23. Dezember 2010 eine Femurfraktur/Oberschenkelbruch erlitten habe und an den Folgen des Unfalls noch heute leide.
Auch darin liegt jedoch kein Gehörsverstoß. Zum Anspruch auf rechtliches Gehör gehört zum einen, dass der Beteiligte Gelegenheit hat, das aus seiner Sicht für seine Rechtsverfolgung oder -verteidigung Notwendige in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht vorzutragen. Zum anderen hat das Gericht diesen Vortrag zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Wird in dem schriftlichen Urteil tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten nicht verarbeitet, so lässt sich daraus nicht automatisch auf eine Gehörsverletzung schließen. Denn § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO verpflichtet nur zur Angabe der die richterliche Überzeugung leitenden Gründe. Deshalb muss nicht jedes Vorbringen der Beteiligten ausdrücklich beschieden werden. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass ein Gericht das von ihm entgegengenommene Vorbringen auch in seine Erwägungen einbezogen hat, sodass nur bei Vorliegen deutlich gegenteiliger Anhaltspunkte ein Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör angenommen werden kann (Kraft in Eyermann, VwGO, § 138 Rn. 31/32 m.w.N.). Derartige Mängel sind hier weder dargelegt noch erkennbar. Das Verwaltungsgericht hat in seiner Entscheidung (vgl. UA S. 5-7) auf die durch das Gesetz zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom 11. März 2017 (BGBl. I, S. 390 – sog. Asylpaket II), in Kraft getreten am 17. März 2016, zumindest präzisierten Kriterien für die Feststellung eines krankheitsbedingten zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG abgestellt. Unter Anwendung dieser Kriterien ist es zu dem Ergebnis gekommen, dass die von dem Kläger geltend gemachten Erkrankungen die Feststellung eines Abschiebungsverbotes nicht rechtfertigen. Der Kläger hat in seinem Zulassungsantrag nicht dargelegt, inwiefern die geltend gemachten Folgen des Arbeitsunfalls eine lebensbedrohliche oder schwerwiegende Erkrankung darstellen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde (vgl. dazu auch die Gesetzesbegründung zu § 60 Abs. 7 Satz 2 bis 4 AufenthG n.F., BT-Drs. 18/7538, Seite 18). Eine entsprechende Darlegung wäre aber insbesondere vor dem Hintergrund erforderlich gewesen, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat nicht mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig sein muss (§ 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG) und dass eine ausreichende medizinische Versorgung in der Regel auch dann vorliegt, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist (§ 60 Abs. 7 Satz 4 AufenthG).
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).