Aktenzeichen 11 ZB 17.30821
VwGO § 82 Abs. 1, § 84 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 3, § 86 Abs. 3, § 88, § 101 Abs. 2, § 124 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 3, § 138 Nr. 3
GG Art. 19 Abs. 4, Art. 103 Abs. 1
Leitsatz
Weist das Gericht nicht auf die fehlende Statthaftigkeit der vom anwaltlich vertretenen Kläger gewählten Klageart hin und erklären sich die Prozessbevollmächtigten mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden, so liegt in der Abweisung der Klage als unzulässig keine den Anspruch auf rechtliches Gehör verletzende Überraschungsentscheidung. (Rn. 5 – 10) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
RO 9 K 17.32502 2017-05-26 Urt VGREGENSBURG VG Regensburg
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
1. Nach § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG sind im Zulassungsantrag die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Prozessbevollmächtigten der Kläger machen in ihrer Antragsbegründung ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) geltend. Wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils kann die Berufung in asylrechtlichen Streitigkeiten jedoch nicht zugelassen werden. Die Zulassungsgründe sind in § 78 Abs. 3 AsylG abschließend aufgezählt. Danach ist die Berufung nur zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG), das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts bzw. Verwaltungsgerichtshofs, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht (§ 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG) oder wenn ein in § 138 VwGO bezeichneter Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG). Darauf hat das Verwaltungsgericht in der dem angefochtenen Urteil beigefügten Rechtsmittelbelehrungzutreffend hingewiesen.
2. Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung nach § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG setzt voraus, dass eine konkrete, bisher höchstrichterlich oder obergerichtlich nicht beantwortete Rechts- oder Tatsachenfrage formuliert wird, die für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war, deren Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder Weiterentwicklung des Rechts geboten ist und der eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124a Rn. 72). Bei einer auf tatsächliche Verhältnisse gestützten Grundsatzrüge muss der Rechtsmittelführer Erkenntnisquellen zum Beleg dafür angeben, dass die Feststellungen, Erkenntnisse und Einschätzungen des Verwaltungsgerichts unzutreffend oder zumindest zweifelhaft sind (vgl. OVG NW, B.v. 12.12.2016 – 4 Abs. 2939/15.A – juris m.w.N.).
Die Prozessbevollmächtigten der Kläger haben zwar als weiteren Zulassungsgrund die Vorschrift des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO (grundsätzliche Bedeutung) angegeben, aber in der Antragsbegründung keine klärungsbedürftige Rechts- oder Tatsachenfrage formuliert und auch nicht dargelegt, warum eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung vorliegen soll (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG). Daher genügt die Begründung nicht den Darlegungsanforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG für eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache.
3. Schließlich ist die Berufung auch nicht gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG wegen eines in § 138 VwGO bezeichneten Verfahrensmangels zuzulassen. Selbst wenn die Antragsbegründung, die diesen Zulassungsgrund nicht ausdrücklich benennt, dahingehend zu verstehen wäre, dass ein Verfahrensfehler geltend gemacht werden sollte, wären die Voraussetzungen für die Zulassung der Berufung wegen einer (allein in Betracht kommenden) Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO) nicht erfüllt.
a) Die bereits erstinstanzlich anwaltlich vertretenen Kläger haben gegen den Ablehnungsbescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 24. April 2017 Klage erhoben mit dem Antrag, den Bescheid aufzuheben. Das Verwaltungsgericht hat mit Einverständnis der Klägerbevollmächtigten ohne mündliche Verhandlung entschieden und die Klage hinsichtlich der Abschiebungsandrohung unter Bezugnahme auf die Gründe des Bescheids als unbegründet und im Übrigen als unzulässig abgewiesen, weil eine isolierte Anfechtungsklage nicht statthaft sei, zumindest aber hierfür das Rechtsschutzbedürfnis fehle. Das Begehren hätte im Wege der Verpflichtungsklage verfolgt werden müssen. Die Klägerbevollmächtigten machen in ihrer Begründung des Antrags auf Zulassung der Berufung insoweit geltend, aus der Klage und der Begründung sei klar zu erkennen gewesen, dass die Kläger ihre Anerkennung als Flüchtlinge hätten erreichen wollen. Das Verwaltungsgericht hätte die gestellten Anträge gemäß § 88 VwGO entsprechend auslegen oder auf einen sachdienlichen Antrag gemäß § 86 Abs. 3 VwGO hinweisen müssen. Dies habe das Verwaltungsgericht jedoch unterlassen.
b) Richtig ist zwar, dass die Gerichte Rechtsschutz suchenden Bürgern durch die Art und Weise der Handhabung verfahrensrechtlicher Vorschriften den Anspruch auf gerichtliche Durchsetzung des materiellen Rechts nicht unzumutbar verkürzen oder erschweren dürfen. Vielmehr gebietet die Garantie effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG), das Verfahrensrecht so anzuwenden, dass den erkennbaren Interessen des Rechtsschutzsuchenden bestmöglich Rechnung getragen wird. § 88 VwGO erlegt den Verwaltungsgerichten die Aufgabe auf, das Rechtsschutzziel des Klägers zu ermitteln und stellt zugleich klar, dass es auf das wirkliche Begehren und nicht auf die Fassung der Anträge ankommt. In diesem Rahmen muss das Gericht eine ausdrücklich gewählte Klageart umdeuten oder – auch bei anwaltlich vertretenen Prozessbeteiligten – gemäß § 86 Abs. 3 VwGO darauf hinwirken, dass Unklarheiten bei Anträgen beseitigt werden (vgl. BVerfG, B.v. 23.10.2007 – 2 BvR 542.07 – NVwZ 2008, 417; B.v. 29.10.2015 – 2 BvR 1493.11 – NVwZ 2016, 238). Entscheidet ein Gericht durch Prozessurteil anstatt durch Sachurteil, kann darin ein Verfahrensfehler liegen (BVerwG, B.v. 4.7.1968 – VIII B 110.67 – BVerwGE 30, 111/113; B.v. 7.3.2017 – 6 B 53.16 – NVwZ-RR 2017, 468 Rn. 14).
Allerdings begründet nicht jeder Verfahrensfehler eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör im Sinne von § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO (vgl. BayVGH, B.v. 10.5.2010 – 2 ZB 10.30135 – juris, B.v. 25.1.2011 – 2 ZB 09.30031 – juris; VGH BW, B.v. 9.7.1992 – A 12 S. 1416.92 – juris; Kraft in Eyermann, VwGO, § 138 Rn. 30; Kopp/Schenke, VwGO, 23. Auflage 2017, § 86 Rn. 22). Die Hinweispflicht des § 86 Abs. 3 VwGO konkretisiert den Anspruch der Verfahrensbeteiligten auf Gewährung rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103 Abs. 1 GG und zielt mit dieser Funktion insbesondere auf die Vermeidung von Überraschungsentscheidungen. Eine solche Überraschungsentscheidung liegt aber nur vor, wenn das Gericht einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung macht und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen braucht (BVerfG, B.v. 19.5.1992 –1 BvR 986.91 – BVerfGE 86, 133 = juris Rn. 36; B.v. 31.5.1995 – 2 BvR 736.95 – juris Rn. 27; BVerwG, B.v. 1.2.1999 – 10 B 4.98 – juris Rn. 6; B.v. 26.2.2013 – 4 B 53.12 – juris Rn. 4; B.v. 1.7.2013 – 8 BN 1.13 – juris Rn. 10; B.v. 15.5.2014 – 9 B 57.13 – NVwZ-RR 2014, 657 Rn. 19).
c) Zwar hätte das Verwaltungsgericht das anhand der Ausführungen auf S. 6 f. der Klagebegründung vom 8. Mai 2017 erkennbare Begehren der Kläger, die Voraussetzungen für die Anerkennung als Flüchtlinge, für subsidiären Schutz und für ein Abschiebehindernis zu bejahen, ungeachtet der lediglich auf Aufhebung des Bescheids gerichteten Antragstellung als Verpflichtungsklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 2, § 113 Abs. 5 VwGO) behandeln oder aber zumindest auf die Unzulässigkeit einer isolierten Anfechtungsklage hinweisen müssen (§ 86 Abs. 3, § 88 VwGO). Gleichwohl liegt in der verfahrensrechtlich fragwürdigen Vorgehensweise des Verwaltungsgerichts mit der Folge der Abweisung der Klage als unzulässig trotz des erkennbaren primären Klageziels keine den Anspruch auf rechtliches Gehör verletzende Überraschungsentscheidung.
Das Verwaltungsgericht hat das Vorbringen der Kläger im Tatbestand des angefochtenen Urteils ausführlich wiedergegeben und somit zur Kenntnis genommen, aber als nicht entscheidungserheblich angesehen. Es hat die Klage hinsichtlich ihres Hauptbegehrens als unzulässig abgewiesen, da lediglich die Aufhebung des Bescheids, nicht jedoch die Verpflichtung der Beklagten zum Erlass eines stattgebenden Bescheids beantragt war. Die Prozessbevollmächtigten der Kläger haben sich mit Schriftsatz vom 24. Mai 2017 gemäß § 101 Abs. 2 VwGO mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt. Bei einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren kommt es auf die schriftsätzlich formulierten Anträge an (Geiger in Eyermann, VwGO, § 101 Rn. 11). Bei anwaltlich vertretenen Prozessbeteiligten kommt der Antragsformulierung ungeachtet der richterlichen Pflichten gemäß § 86 Abs. 3, § 88 VwGO gesteigerte Bedeutung für die Ermittlung des tatsächlich Gewollten zu (BVerwG, B.v. 13.1.2012 – 9 B 56.11 – NVwZ 2012, 375 Rn. 8). Die Anhörung zum Verzicht auf mündliche Verhandlung hätte für die Klägerbevollmächtigten daher Anlass sein müssen, ihr Vorbringen einschließlich des Klageantrags (§ 82 Abs. 1 VwGO) nochmals einer kritischen Prüfung zu unterziehen. Die Anhörung des Verwaltungsgerichts vom 17. Mai 2017 zum Verzicht auf mündliche Verhandlung und zur Entscheidung durch Gerichtsbescheid enthält auch keine Ausführungen, die bei den Klägerbevollmächtigten den Eindruck erwecken konnten, das Verwaltungsgericht halte die Klage für zulässig (vgl. insoweit BVerfG, B.v. 31.5.1995 – 2 BvR 736.95 – juris Rn. 28 a.E.; ThürOVG, B.v. 13.11.2002 – 3 ZKO 259/99 – juris Ls. 1 und Rn. 5). Hätten die Klägerbevollmächtigten nicht ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt, hätten sie im Fall einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid die Möglichkeit gehabt, mündliche Verhandlung zu beantragen und auf die Auffassung des Verwaltungsgerichts durch eine Klarstellung des Klageziels zu reagieren (vgl. § 84 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 3 VwGO). In der Abweisung der Klage als unzulässig liegt daher keine Wendung, mit der auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen brauchte. Vielmehr hätten die Klägerbevollmächtigten bei Anwendung der von ihnen zu verlangenden Sorgfalt die Möglichkeit in Betracht ziehen müssen, dass das Verwaltungsgericht seiner Entscheidung den ausdrücklich nur auf Aufhebung des Bescheids gerichteten Klageantrag zugrunde legt.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.
5. Mit der unanfechtbaren (§ 80 AsylG) Ablehnung des Zulassungsantrags ist das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).