Verwaltungsrecht

Keine Existenzgefährdung bei Rückkehr eines voll erwerbsfähigen und weitgehend gesunden Rückkehrers nach Sierra Leone

Aktenzeichen  M 30 K 17.40077

Datum:
8.7.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 16514
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG §§ 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1, 2, § 60a Abs. 2c S. 1, 2, 3
EMRK Art. 3

 

Leitsatz

1 Die Überprüfung, ob die vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen den gesetzlichen Anforderungen des § 60 Abs. 2c AufenthG entsprechen, ist Aufgabe des erkennenden Gerichts. Die Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens ist insoweit nicht erforderlich (BayVGH BeckRS 2018, 1335). (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)
2 Trotz der schwierigen wirtschaftlichen und humanitären Verhältnisse in Sierra Leone ist nicht erkennbar, dass einem voll erwerbsfähigen und weitgehend gesunden Rückkehrer unter Berücksichtigung seiner individuellen Umstände (hier: beruflichen Tätigkeiten als Bauarbeiter), die Sicherung seines Existenzminimum nicht möglich sein sollte. (Rn. 37) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 27.04.2017 wird in Nr. 6 aufgehoben.
Die Beklagte wird verpflichtet, über die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Von den Kosten trägt der Kläger 5/6 und die Beklagte 1/6.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des jeweils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist hinsichtlich der Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots begründet (1.). Im Übrigen ist die ablehnende Entscheidung des Bundesamtes vom 27. April 2017 rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß §§ 3 ff. AsylG oder des subsidiären Schutzstatus nach § 4 AsylG (2.). Ebenso sind zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 AsylG) keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG bezüglich einer Rückkehr des Klägers nach Sierra Leone begründet (3.).
1. Die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 AufenthG auf 30 Monate in Nr. 6 des streitgegenständlichen Bescheids ist ermessensfehlerhaft und daher auf den entsprechenden Antrag hin aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, hierüber neu zu entscheiden.
Über die Länge der Frist nach § 11 Abs. 1, Abs. 2 AufenhG ist gemäß § 11 Abs. 3 AufenthG nach Ermessen zu entscheiden. Das Gericht hat daher nach § 114 VwGO auch zu überprüfen, ob das Bundesamt die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von dem Ermessen in einer nicht zweckgemäßen Weise Gebrauch gemacht hat.
Das Bundesamt hat ausweislich der Bescheidsbegründung die Berücksichtigung des Wohls des in … lebenden Kindes des Klägers als Ermessensgesichtspunkt benannt und den Gründen nach mit einer Festsetzung der Frist auf 18 Monate statt der im Regelfall üblichen 30 Monate berücksichtigen wollen. Allerdings hat dies in der Bescheidstenorierung keinen Niederschlag gefunden.
Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung glaubhaft gemacht und entsprechende Unterlagen vorgelegt, dass er regelmäßig Unterhaltsvorschuss an das Jugendamt i.H.v. … € zahlt und seinen Sohn in den Ferien in … besuchen will. Es erscheint daher auch für das Gericht ermessensgerecht, bei der Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbot das Wohl seines Kindes insoweit zu berücksichtigen, wie vom Bundesamt auch beabsichtigt war.
Eine Verkürzung der Frist auf 18 Monate statt der üblichen 30 Monate, wie vom Bundesamt an sich ausweislich der Bescheidsgründe beabsichtigt, erscheint dem Gericht ebenso ermessensgerecht. Gründe für eine weitergehende Verkürzung vermag das Gericht hingegen nicht zu erkennen.
2. Das Bundesamt hat zutreffend die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach §§ 3 ff. AsylG sowie des subsidiären Schutzstatus beim Kläger abgelehnt.
a. Nach § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischer Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will. Eine Verfolgung kann dabei gem. § 3c AsylG ausgehen von einem Staat, Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebietes beherrschen oder von nichtstaatlichen Akteuren, sofern die zuvor genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor der Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht. Weiter darf für den Ausländer keine innerstaatliche Fluchtalternative bestehen, § 3e AsylG, deren Inanspruchnahme zumutbar ist.
Subsidiärer Schutz ist einem Ausländer zuzuerkennen, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt gemäß § 4 Abs. 1 AsylG die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Nr. 1), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Nr. 3). Die §§ 3c bis 3e AsylG gelten entsprechend (§ 4 Abs. 3 AsylG).
Für die Prognose, die bei der Prüfung der Flüchtlingseigenschaft (sowie bei der des subsidiären Schutzes) anzustellen ist, ist der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zugrunde zu legen. Der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit setzt voraus, dass bei zusammenfassender Würdigung des zur Prüfung stehenden Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung vorzunehmen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23.12 – juris Rn. 32). Die Tatsache, dass ein Drittstaatsangehöriger bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ist gem. Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Ausländers vor Verfolgung begründet ist, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Betroffene erneut von solcher Verfolgung bedroht wird.
Hinsichtlich einer individuellen Verfolgung oder Bedrohung muss das Gericht die volle Überzeugung von der Wahrheit erlangen. Angesichts des sachtypischen Beweisnotstandes, in dem sich ein Ausländer insbesondere hinsichtlich individueller Gründe für einen asylrechtlichen Schutzstatus befindet, kommt dabei dem persönli-chen Vorbringen und dessen Würdigung für die Überzeugungsbildung eine ge-steigerte Bedeutung zu. Dabei obliegt es dem Ausländer, gegenüber dem Tatsachengericht einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, der geeignet ist, das Schutzbegehren lückenlos zu tragen. Der Ausländer muss die persönlichen Umstände seiner Verfolgung und Furcht vor einer Rückkehr hinreichend substantiiert, detailliert und widerspruchsfrei vortragen; er muss kohärente und plausible wirk-lichkeitsnahe Angaben machen (vgl. BVerwG, B.v. 21.7.1989 – 9 B 239/89 – NVwZ 1990, 171; BVerwG, U.v. 16.4.1985 – 9 C 109/84 – NVwZ 1985, 658; BVerwG, U.v. 8.5.1984 – 9 C 141/83 – juris Rn. 11). Bei erheblichen Widersprüchen oder Steigerungen im Sachvortrag kann dem Asylsuchenden in der Regel nur bei einer überzeugenden Auflösung der Unstimmigkeiten geglaubt werden (vgl. BVerwG, B.v. 21.7.1989 – 9 B 239/89 – NVwZ 1990, 171; BVerwG, U.v. 16.4.1985 – 9 C 109/84 – NVwZ 1985, 658).
b. In Anwendung dieser Maßstäbe liegen die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß §§ 3 ff AsylG oder des subsidiären Schutzstatus nach § 4 AsylG beim Kläger nicht vor.
(1) Wie das Bundesamt zutreffend ausgeführt hat, ist bei einer Rückkehr des Klägers nach Sierra Leone nicht zu erwarten, dass der Kläger sich dort als ehemaliger Kindersoldat einem Strafverfahren o.ä. stellen muss.
Es liegen keine Erkenntnisse darüber vor, dass zwangsrekrutierte Kindersoldaten, zumal nicht in dem jungen Alter von zehn bis dreizehn Jahren, in dem sich der Kläger damals befunden hat, nach dem Bürgerkrieg zur Rechenschaft gezogen wurden bzw. nunmehr – bezüglich des Klägers – zwanzig Jahre später noch würden.
Vielmehr ist auf die Generalamnestie aus dem Friedensabkommen von … im Jahre 1999 hinzuweisen. Wenn mit Ausnahme der Hauptverantwortlichen eine Amnestie für die Rebellen gilt, umfasst dies jedenfalls auch die Kindersoldaten.
Zudem wurde bei der Einrichtung des Sondergerichts für Sierra Leone das Mindestalter bei Tatbegehung für eine weitere Strafverfolgung auf fünfzehn Jahre festgesetzt und festgelegt, dass jugendliche Straftäter zwischen fünfzehn und achtzehn Jahren nicht mit Gefängnis bestraft, sondern mit dem Ziel der Resozialisierung und Wiedereingliederung an die Kommission für Wahrheit und Versöhnung verwiesen würden (BAMF-Länderinformation Sierra Leone, Mai 2010). Wie sich allgemein zugänglichen Quellen im Internet entnehmen lässt, hat die damalige Präsidentin des Sondergerichtshofs für Sierra Leone in einem Interview sogar Strafverfahren gegen Kindersoldaten ausdrücklich ausgeschlossen (www.ag-friedensforschung.de/themen/ kindersoldaten/ sierra-leone.html). Vielmehr gab es ein Rehabilitierungsprogramm in Sierra Leone für die Kindersoldaten (BAMF-Länderinformation Sierra Leone, Mai 2010). Nur in einigen Fällen seien Kinder von den Familien oder Dorfgemeinschaften nicht wieder aufgenommen worden, ansonsten sei die Reintegration der Kinder überwiegend erfolgreich verlaufen.
(2) Es ist auch nicht beachtlich wahrscheinlich, dass der Kläger bei einer Rückkehr nach Sierra Leone zwanzig Jahre später noch von den Familien, deren Häuser er damals in Brand stecke, gesucht wird. Wie das Bundesamt zurecht ausführt, kann der Kläger in seinen Angaben nur auf angebliche Berichte von seinen Freunden, u.a. über Flyer etc., zurückgreifen, hat aber keine eigenen Erkenntnisse. Die Befürchtungen des Klägers, die Familien würden ihn zwanzig Jahre später noch suchen, sind vielmehr Mutmaßungen, für dies zum heutigen Zeitpunkt, zwanzig Jahre später, keine tatsächlichen Anhaltspunkte mehr gibt.
(3) Jedenfalls stünde dem Kläger insoweit eine inländische Fluchtalternative i.S.v. i.S.v. § 4 Abs. 3 i.V.m. § 3e AsylG offen, die dem Kläger auch zumutbar wäre
Es ist bereits nicht erkennbar, wie der Kläger – trotz der verhältnismäßig geringen Landesgröße Sierra Leones – überhaupt aufgefunden werden sollte. Zum einen ist bereits nicht bekannt, ob oder wann der Kläger wieder nach Sierra Leone zurückkehrt bzw. ob er überhaupt noch lebt. Zum anderen existiert kein Melderegister in Sierra Leone (vgl. Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 17.10.2017). Dass der Kläger heute zwanzig Jahre später wiedererkannt würde, ist ebenso nicht beachtlich wahrscheinlich. Schließlich verändert sich das Aussehen eines Zehnjährigen zum Dreißigjährigen erheblich.
Mit Ausnahme ggf. in Städten wie … und … oder den Dörfern, in denen der Kläger Häuser in Brand steckte, wäre der Kläger somit vor einer Bedrohung sicher, falls sich überhaupt noch jemand konkret an erinnern würde.
(4) Soweit der Kläger vorträgt, auch von seiner damaligen Rebellengruppe gesucht zu werden, ist den Ausführungen des Bundesamtes folgend, § 77 Abs. 1 AsylG, der Vortrag des Klägers bereits nicht glaubhaft. Zudem wäre dem Kläger wiederum eine inländische Fluchtalternative möglich (s.o.).
3. Ein Abschiebungsverbot des Klägers nach Sierra Leone gemäß § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG liegt nicht vor.
a. Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Erfasst sind davon nur solche Gefahren‚ die in den spezifischen Verhältnissen im Zielstaat begründet sind‚ während Gefahren‚ die sich aus der Abschiebung als solcher ergeben‚ nur von der Ausländerbehörde als inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis berücksichtigt werden können. Nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG liegt eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde. Ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis kann sich auch aus der Krankheit eines Ausländers ergeben‚ wenn diese sich im Heimatstaat wegen unzureichender Behandlungsmöglichkeiten verschlimmert. Es ist aber nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist (§ 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG). Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist (§ 60 Abs. 7 Satz 4 AufenthG). Es kann sich darüber hinaus trotz an sich verfügbarer medikamentöser und ärztlicher Behandlung aber auch aus sonstigen Umständen im Zielstaat ergeben‚ die dazu führen‚ dass der betroffene Ausländer diese medizinische Versorgung tatsächlich nicht erlangen kann. Denn eine zielstaatsbezogene Gefahr für Leib und Leben besteht auch dann, wenn die notwendige Behandlung oder Medikation zwar allgemein zur Verfügung steht, dem betroffenen Ausländer individuell jedoch aus finanziellen oder sonstigen Gründen nicht zugänglich ist. In die Beurteilung miteinzubeziehen und bei der Gefahrenprognose zu berücksichtigen sind sämtliche zielstaatsbezogenen Umstände‚ die zu einer Verschlimmerung der Erkrankung führen können. Von einer konkreten Gefahr ist in Krankheitsfällen dann auszugehen, wenn die erhebliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes alsbald nach der Abschiebung in den Zielstaat eintreten würde, weil eine adäquate Behandlung dort nicht möglich ist (vgl. zum Ganzen: BayVGH, U.v. 17.3.2016 – 13a B 16.30007 – juris; BVerwG‚ U.v. 17.10.2006 – 1 C 18.05 – NVwZ 2007, 712).
Allerdings besteht nach § 60a Abs. 2c Satz 1 und Satz 2 AufenthG die gesetzliche Vermutung, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen, wenn nicht der Ausländer eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft macht. Nach § 60a Abs. 2c Satz 3 AufenthG soll diese ärztliche Bescheinigung insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten. Diese Anforderungen des § 60a Abs. 2c AufenthG an ein ärztliches Attest sind dabei auf die Substantiierung der Voraussetzungen an ein krankheitsbedingtes Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu übertragen (vgl. u.a. BayVGH, B.v. 24.1.2018 – 10 ZB 18.30105 – juris Rn 7 m.w.N.; B.v. 4.10.2018 – 15 ZB 18.32354 – beck-online; B.v. 26.4.2018 – 9 ZB 18.30178 – juris). Die Überprüfung, ob die vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen diesen Anforderungen entsprechen, ist dabei Aufgabe des erkennenden Gerichts. Die Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens ist insoweit nicht erforderlich (BayVGH, B.v. 24.1.2018 – 10 ZB 18.30105 – beck-online).
Das einzig von den Klägerbevollmächtigten vorgelegte Attest vom 11. März 2019 wird diesen Maßstäben nicht gerecht. Es wird nur bescheinigt, dass sich der Kläger aufgrund seiner Vorgeschichte in psychologisch/neurologischer Behandlung befinde und mehrmals vorstellig gewesen sei. Weder eine konkrete Diagnose, noch die genaue Ausprägung mit insbesondere dem Schweregrad der Erkrankung sowie die Folgen, die sich aus der Erkrankung ergeben, oder eine konkrete Behandlungserforderlichkeit sind auch nur ansatzweise erkennbar. Soweit die Klägerbevollmächtigten auf posttraumatische Belastungsstörungen beim Kläger hinweisen, sind diese somit in keiner Weise belegt.
Die Vermutung nach § 60a Abs. 2c AufenthG, dass gesundheitliche Gründe einer Abschiebung nicht entgegenstehen, ist somit nicht wiederlegt.
b. Auch ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK ist vorliegend nicht erkennbar. Eine Abschiebung würde den Kläger nicht in eine aussichtslose Lage schicken, dass er nicht im Stande wäre, sich zumindest sein Existenzminimum zu sichern.
(1) Dabei verkennt das Gericht die schwierigen wirtschaftlichen und humanitären Verhältnisse in Sierra Leone nicht.
Sierra Leone gehört zwar zu den ärmsten Staaten der Erde und belegt nach dem Human Development Index von 2017 Rang 184 der 189 untersuchten Länder. Ein Großteil der Bevölkerung (ca. 77%) lebt in absoluter Armut und hat weniger als 2 US-Dollar pro Tag zur Verfügung (vgl. Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ): LIPortal – Länder-Informations-Portal – Sierra Leone – Stand November 2018 (LIPortal); BFA Republik Österreich: Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Sierra Leone, 3.5.2017). Die Nachwirkungen des Bürgerkrieges, die weit verbreitete Korruption und die unzureichend ausgebaute Infrastruktur beeinflussen die wirtschaftliche Lage in Sierra Leone (vgl. LIPortal). Die Arbeitslosigkeit im Land ist sehr hoch (Bertelsmann Stiftung, Bertelsmann Stiftung’s Transformation Index (BTI) 2016 – Sierra Leone Country Report, Gütersloh, Bertelsmann Stiftung, 2016; BFA Republik Österreich a.a.O.). Es wird geschätzt, dass ungefähr zwei Drittel der Bevölkerung in der Landwirtschaft tätig sind (vgl. LIPortal; BFA Republik Österreich a.a.O.; Bundesamt für Migration und Flüchtlinge: Informationszentrum Asyl und Migration, Glossar Islamische Länder – Band 17 Sierra Leone, Mai 2010). Die Mehrheit der Bevölkerung versucht zudem mit Gelegenheitsjobs oder Handel ein Auskommen zu erwirtschaften. Dabei wird die Subsistenzwirtschaft in Familien oft parallel oder alternativ genutzt, um den Lebensunterhalt zu sichern (LIPortal; BFA Republik Österreich a.a.O.). Die medizinische Versorgung ist in Sierra Leone nach wie vor schwierig und es herrscht ein ausgeprägter Mangel an Fachärzten (vgl. BFA Republik Österreich a.a.O.; Bundesamt für Migration und Flüchtlinge: Informationszentrum Asyl und Migration, Glossar Islamische Länder – Band 17 Sierra Leone, Mai 2010). Im Übrigen wird auf die umfangreichen Ausführungen des Bundesamtes zu den Verhältnissen in Sierra Leone gemäß § 77 Abs. 2 AsylG Bezug genommen.
(2) Trotz der schwierigen wirtschaftlichen und humanitären Verhältnisse ist nicht erkennbar, dass dem voll erwerbsfähigen und weitgehend gesunden Kläger unter Berücksichtigung seiner individuellen Umstände, insbesondere seiner bisherigen beruflichen Tätigkeiten als Bauarbeiter in … nach entsprechender Ausbildung, als Fliesenleger in … und als Bauhelfer in Deutschland nicht möglich wäre, in Sierra Leone sein Existenzminimum zu sichern. Die Ausführungen des Bundesamtes im Bescheid vom 27. April 2017 sind insoweit zutreffend und nicht zu beanstanden.
Die Klage ist daher mit einer anteiligen Aufteilung der Kostentragungspflicht von 5/6 zu 1/6 i.S.v. § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO abzuweisen. Das Obsiegen in Bezug auf die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots fällt gegenüber dem übrigen Unterliegen nur mit ca. 1/6 ins Gewicht. Hierbei handelt es gerade noch nicht um einen geringen Teil i.S.v. § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG). Die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung und die Abwendungsbefugnis ergeben sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. Zivilprozessordung (ZPO).

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