Verwaltungsrecht

Keine Gruppenverfolgung der Ahmadis in Pakistan

Aktenzeichen  M 1 K 16.35606

Datum:
21.9.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG GG Art. 16a
AsylG AsylG § 3, § 3e, § 4
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1

 

Leitsatz

1 Von einer Gruppenverfolgung der geschätzt etwa 600.000 bis 4 Millionen Personen zählenden Ahmadis in Pakistan kann nach Auswertung von Erkenntnisquellen nicht ausgegangen werden. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
2 In den Städten Pakistans -vor allem in den Großstädten- leben potentiell Verfolgte aufgrund der dortigen Anonymität und des nicht funktionierenden Meldewesens sicherer als auf dem Land. Für Angehörige der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft bietet das spirituelle Zentrum Chenab Nagar Schutz vor Repressionen; 95% der dort lebenden Einwohner sind Ahmadis. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
3 Ein erwachsener jüngerer erwerbsfähiger Mann kann in den Städten durch Geschäfte auf kleiner Basis ein ausreichendes Einkommen finden. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die Klage bleibt ohne Erfolg.
Der streitgegenständliche Bescheid des Bundesamtes ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Der Kläger hat weder einen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter nach Art. 16a GG, noch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 3 AsylG, noch auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes im Sinne des § 4 AsylG, noch auf die Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 oder nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Die Abschiebungsandrohung findet ihre Rechtsgrundlage in den §§ 34 und 38 AsylG, die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots in § 11 AufenthG.
Im Klageverfahren haben sich keine neuen Gesichtspunkte gegenüber dem Verfahren vor dem Bundesamt ergeben. Das Gericht folgt der zutreffenden Begründung des streitgegenständlichen Bescheids und sieht gemäß § 77 Abs. 2 AsylG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab.
Die Klage hat schon deshalb keinen Erfolg, weil der Kläger seine Behauptung, in Pakistan Angehöriger der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft gewesen zu sein, nicht hinreichend belegt hat. Der Kläger hat keinerlei Unterlagen über seine Identität vorgelegt, obwohl er nach seinen Worten in Pakistan einen Reisepass und einen Personalausweis besessen hat. Diese Dokumente hätte ihm – so ein sehr oft gehörter Vortrag von Asylklägern – der Schleuser weggenommen. Schon deshalb ist die dem Gericht vorgelegte Bestätigung der Ahmadiyya Muslim Jamaat Deutschland vom …5.2017 ohne Wert, weil unklar ist, ob die dort genannte Person tatsächlich der Kläger ist; davon abgesehen nimmt die Bestätigung allein Bezug zu einem unbekannten „Bericht unserer Zentrale in Pakistan“. Das Gericht glaubt dem Kläger nicht, in Pakistan Ahmadi gewesen zu sein.
Aber selbst wenn der Kläger als pakistanischer Ahmadi anzusprechen wäre, hätte die Klage keinen Erfolg. Für die Anerkennung politischer Verfolgung auf Grund im Heimatland drohender religiöser Verfolgung ist maßgeblich, dass der Asylbewerber eine bestimmte Glaubensbetätigung lebt und ihm deshalb Verfolgung oder erhebliche Diskriminierung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht (siehe hierzu etwa BayVGH, B.v. 9.11.2017 – 9 ZB 17.30771 – juris). Der Asylbewerber muss darlegen, dass die verfolgungsträchtige Glaubensbetätigung für ihn persönlich nach seinem Glaubensverständnis ein zentrales Element seiner religiösen Identität bildet und in diesem Sinne unverzichtbar ist (BayVGH aaO.; vgl. auch BVerwG, B.v. 25.8.2015 – 1 B 40.15 – juris Rn. 11). Die Tatsache, dass er die unterdrückte religiöse Betätigung seines Glaubens für sich selbst als verpflichtend empfindet, um seine religiöse Identität zu wahren, muss der Asylbewerber zur vollen Überzeugung des Gerichts nachweisen (BayVGH aaO.; BVerwG, u.v. 20.2.2013 – 10 C 23.12 – juris Rn. 30). Es liege keinerlei Anhaltspunkte dafür vor, die beim Kläger auf eine derartige identitätsprägende religiöse Überzeugung schließen lassen. Schon der eigene Vortrag des Klägers über seine religiöse Betätigung in Pakistan weist in eine andere Richtung. Dort hat der Kläger nach seinen Worten seine Religion nur zu Hause und nicht nach außen hin wahrnehmbar betätigt. Entscheidend aber ist die Glaubensbetätigung des Klägers hier in Deutschland, wo er ihm Rahmen der für alle geltenden Gesetze seinen Glauben auch nach außen hin frei leben kann. Der Kläger hat dem Gericht keineswegs den Eindruck vermittelt, dass es ihm ein unabdingbares inneres Bedürfnis ist, seinen Glauben intensiv zu leben und nach außen zu bezeugen, so dass er auch bei einer Rückkehr nach Pakistan diesen Glauben sichtbar praktizieren werde oder in einen unzumutbaren inneren Konflikt geriete, wenn er dort von einer religiösen Betätigung absehen müsste. Der Kläger hat sich hier in Deutschland sehr zurückhaltend religiös betätigt, obwohl die Möglichkeit, seinen Glauben hier frei zu leben, der behauptete Grund für seine Flucht aus Pakistan gewesen ist. Der Kläger nimmt die Gebete in der Moschee in N. keineswegs regelmäßig war (so auch die erwähnte Mitgliedsbestätigung). Er habe Probleme mit der großen Entfernung von seinem Wohnort in H. nach N. Wenn dem Kläger seine Religion wirklich wichtig wäre, so läge in der nur ca. 30 km großen Entfernung sicher kein unüberwindliches Hindernis, auch kostenmäßig nicht. Die zum religiösen Engagement des Klägers vorgelegten Belege bestehen hauptsächlich in einigen Fotos, die ihn bei der Begegnung mit einem höheren Geistlichen der Ahmadiyya-Gemeinschaft oder im Kreise anderen Ahmadis zeigen. Das allein besagt wenig über das hier erforderliche Engagement. Vor diesem Hintergrund wirkt die Aussage des Klägers in der mündlichen Verhandlung, für ihn sei das Freitagsgebet in der Moschee und das Predigthören wichtig, und überhaupt sei ihm die Religion so wichtig wie das tägliche Essen, aufgesetzt.
Eine politische Verfolgung des Klägers allein wegen seiner – behaupteten – Zugehörigkeit zur pakistanischen Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft kommt nicht in Betracht. Nach den vom Bundesamt zutreffend ausgewerteten Erkenntnisquellen (siehe auch die gerichtliche Erkenntnismittelliste) kann nicht von einer Gruppenverfolgung der in Pakistan geschätzt etwa 600.000 bis vier Millionen Personen zählenden Ahmadis ausgegangen werden.
Davon abgesehen kann der Kläger den von ihm befürchteten Gefahren in seinem Heimatstaat ausweichen, § 3e AsylG (inländische Fluchtalternative). Ihm wäre ein Ausweichen auf andere Landesteile Pakistans möglich, was einer Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG und gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 3e Abs. 1 AsylG einer Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG entgegensteht.
Nach § 3e Abs. 1 AsylG wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung hat und er sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt. Damit wird die Nachrangigkeit des Schutzes verdeutlicht. Der Ausländer muss am Zufluchtsort eine ausreichende Lebensgrundlage vorfinden, d.h. es muss zumindest (in faktischer Hinsicht) das Existenzminimum gewährleistet sein, das er unter persönlich zumutbaren Bemühungen sichern können muss. Dies gilt auch, wenn im Herkunftsgebiet die Lebensverhältnisse gleichermaßen schlecht sind. Unerheblich ist, ob eine Gefährdung am Herkunftsort in gleicher Weise besteht (vgl. BT-Drs. 17/13063 S. 20; VG München, U.v.12.6.2015 – M 23 K 13.31345 – juris Rn. 21 ff.).
Unter Berücksichtigung obiger Vorgaben und Grundsätze ist davon auszugehen, dass der Kläger in anderen Teilen Pakistans, insbesondere in den größeren Städten, eine interne Schutzmöglichkeit i.S.v. § 3e Abs. 1 Nr. 1 AsylG finden kann.
In den Städten Pakistans – vor allem in den Großstädten Rawalpindi, Lahore, Karachi, Peshawar oder Multan – leben potentiell Verfolgte aufgrund der dortigen Anonymität sicherer als auf dem Lande. Selbst Personen, die wegen Mordes von der Polizei gesucht werden, könnten in einer Stadt, die weit genug von ihrem Heimatort entfernt liegt, unbehelligt leben (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der islamischen Republik Pakistan – Lagebericht –, Stand Mai 2016, S. 21). In einem flächen- und bevölkerungsmäßig großen Land wie Pakistan (Fläche 880.254 qkm, ca. 200 Millionen Einwohner) ohne funktionierendem Meldewesen ist es nach den Erkenntnissen grundsätzlich möglich, bei Aufenthaltnahme in einer der größeren Städte dauerhaft der Aufmerksamkeit der lokalen Behörden oder eines Verfolgers zu entgehen (Auswärtiges Amt, Stellungnahme an VG Leipzig vom 15.1.2014; vgl. allgemein zur Annahme einer inländischen Fluchtalternative in Pakistan VG München, U.v.12.6.2015 – M 23 K 13.31345 – juris Rn. 23 m.w.N.). Angehörigen der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft bietet sich insbesondere ein Umzug nach Rabwah an, das offiziell in Chenab Nagar umbenannt wurde. Chenab Nagar ist das spirituelle Zentrum der Ahmadis. 95 Prozent der dort lebenden Einwohner sind Ahmadis. Der Aufenthalt in Chenab Nagar bietet Ahmadis einen erheblichen Schutz vor Repressionen, weil sie dort weitgehend unter sich sind.
Der Kläger kann in Chenab Nagar oder den Großstädten und in anderen Landesteilen als erwachsener jüngerer erwerbsfähiger Mann auch ein ausreichendes Einkommen finden. Zwar ist das Leben in den Großstädten teuer, allerdings haben viele Menschen kleine Geschäfte oder Kleinstunternehmen. Es gibt aufgrund der großen Bevölkerung viele Möglichkeiten für Geschäfte auf kleiner Basis. Es kann somit vom Kläger erwartet werden, dass er sich in einem dieser Landesteile niederlässt, wo ihm die behaupteten Gefahren nicht drohen.
Bei dieser Sachlage bestehen auch keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5, Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

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