Verwaltungsrecht

Keine Gruppenverfolgung der Jesiden in der Region Kurdistan

Aktenzeichen  B 3 K 16.31048

Datum:
13.12.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 131231
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3b Abs. 1 Nr. 2, § 3e Abs. 1

 

Leitsatz

Jesiden unterliegen in der Autonomen Region Kurdistan keiner Gruppenverfolgung durch den IS, andere Gruppierungen oder die kurdische Regierung. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Das Gericht konnte im vorliegenden Fall über die Klage entscheiden, ohne dass die Beklagte an der mündlichen Verhandlung am 12.12.2016 teilgenommen hat. Auf den Umstand, dass beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann, wurden die Beteiligten bei der Ladung ausdrücklich hingewiesen (§ 102 Abs. 2 VwGO).
Die zulässige Klage bleibt ohne Erfolg. Der Kläger hat im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 AsylG) keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG sowie des subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 AsylG. Es liegen keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor. Die Abschiebungsandrohung sowie die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes sind ebenfalls nicht zu beanstanden. Der angefochtene Bescheid ist somit rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO).
1. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG liegen nicht vor.
Nach § 3 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 AsylG besteht ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft dann, wenn sich der Ausländer aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt oder dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will und er keine Ausschlusstatbestände erfüllt. Eine solche Verfolgung kann nicht nur vom Staat ausgehen (§ 3c Nr. 1 AsylG), sondern auch von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (§ 3c Nr. 2 AsylG) oder nicht staatlichen Akteuren, sofern die in Nrn. 1 und 2 genannten Akteure einschl. internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage sind oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (§ 3c Nr. 3 AsylG). Allerdings wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (§ 3e Abs. 1 AsylG).
Für die richterliche Überzeugungsbildung im Sinne von § 108 Abs. 1 VwGO gilt folgendes: Das Gericht muss sich die volle Überzeugung von der Wahrheit des behaupteten Verfolgungsschicksals und der Wahrscheinlichkeit der Verfolgungsgefahr bilden. Eine bloße Glaubhaftmachung in der Gestalt, dass der Vortrag lediglich wahrscheinlich sein muss ist nicht ausreichend (vgl. grundlegend BVerwG, U.v. 16.4.1985, 9 C 109.84, juris). Es ist vielmehr der asylrechtliche Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zu Grunde zu legen. Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhaltes die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Hierbei darf das Gericht jedoch hinsichtlich der Vorgänge im Verfolgerland, die zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder der Feststellung eines Abschiebungsverbotes führen sollen, keine unerfüllbaren Beweisanforderungen stellen, sondern muss sich in tatsächlich zweifelhaften Fragen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit begnügen, auch wenn Zweifel nicht völlig auszuschließen sind (BVerwG, U.v. 16.4.1985 a.a.O.). Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. BVerwG, U.v. 20.2.2013, 10 C 23/12, juris; VG Augsburg, U.v. 11.7.2016, Au 5 K 16.30604, juris).
Nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 ist hierbei die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweise darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung und einem solchen Schaden bedroht wird. Diese Regelung privilegiert den von ihr erfassten Personenkreis bei einer Vorverfolgung durch eine Beweiserleichterung, nicht aber durch einen herabgestuften
Wahrscheinlichkeitsmaßstab. Die Vorschrift begründet für die von ihr begünstigten Antragsteller eine widerlegbare Vermutung dafür, dass sie erneut von einem ernsthaften Schaden bei einer Rückkehr in ihr Heimatland bedroht werden. Dadurch wird der Antragsteller, der bereits einen ernsthaften Schaden erlitten hat oder von einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die einen solchen Schaden begründenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland erneut realisieren werden.
Als vorverfolgt gilt ein Schutzsuchender dann, wenn er aus einer durch eine eingetretene oder unmittelbar bevorstehende politische Verfolgung hervorgerufenen ausweglosen Lage geflohen ist. Die Ausreise muss das objektive äußere Erscheinungsbild einer unter dem Druck dieser Verfolgung stattfindenden Flucht aufweisen. Das auf dem Zufluchtsgedanken beruhende Asyl- und Flüchtlingsrecht setzt daher grundsätzlich einen nahen zeitlichen (Kausal-) Zusammenhang zwischen der Verfolgung und der Ausreise voraus. Es obliegt aber dem Schutzsuchenden, sein Verfolgungsschicksal glaubhaft zur Überzeugung des Gerichts darzulegen. Er muss daher die in seine Sphäre fallenden Ereignisse, insbesondere seine persönlichen Erlebnisse, in einer Art und Weise schildern, die geeignet ist, seinen geltend gemachten Anspruch lückenlos zu tragen. Dazu bedarf es – unter Angabe genauer Einzelheiten – einer stimmigen Schilderung des Sachverhalts. Daran fehlt es in der Regel, wenn der Schutzsuchende im Lauf des Verfahrens unterschiedliche Angaben macht und sein Vorbringen nicht auflösbare Widersprüche enthält, wenn seine Darstellungen nach der Lebenserfahrung oder auf Grund der Kenntnis entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe nicht nachvollziehbar erscheinen, und auch dann, wenn er sein Vorbringen im Laufe des Verfahrens steigert, insbesondere wenn er Tatsachen, die er für sein Begehren als maßgeblich bezeichnet, ohne vernünftige Erklärung erst sehr spät in das Verfahren einführt (VGH BW, U.v. 27.8.2013, A 12 S 2023/11, juris; HessVGH, U.v. 4.9.2014, 8 A 2434/11.A, juris).
Gemessen an diesen Maßstäben hat der Kläger eine an den Merkmalen des § 3 Abs. 1 Asyl ausgerichtete Verfolgung nicht glaubhaft gemacht. Das Gericht folgt den insoweit zutreffenden Feststellungen im angefochtenen Bescheid (§ 77 Abs. 2 AsylG). Auch nach Durchführung der mündlichen Verhandlung kann nicht von einer individuellen Verfolgung des Klägers ausgegangen werden.
a) Der Kläger ist im November 2015 aus dem Ort Baadre in der Autonomen Region Kurdistan nicht als individuell verfolgte Person im Sinne des § 3 AsylG ausgereist. Die Ortschaft Baadre, welche zum Distrikt Shekhan gehört, liegt im Nordosten der Provinz Ninawa (andere Schreibweise Ninive) in unmittelbarer Nachbarschaft zur Provinz Dohuk. Obwohl der Heimatort des Klägers der Provinz Ninawa zuzuordnen ist, gehört dieser gleichwohl zur Autonomen Region Kurdistan, da die Grenzen der Autonomen Region Kurdistans nicht überall parallel mit den Provinzgrenzen Iraks verlaufen (vgl. hierzu eingehend VG München, U.v. 13.5.2016, M 4 K 16.30558, juris; VG München, U.v. 15.2.2011, M 4 K 10.30868, juris).
Sowohl bei der Anhörung am 23.06.2016 beim … als auch in der mündlichen Verhandlung am 12.12.2016 vor dem Verwaltungsgericht Bayreuth gab der Kläger an, dass ihm in Baadre individuell nichts passiert sei. Er erklärte zwar, als Jeside Angst zu haben, da die Sicherheitslage immer schlechter gewesen sei. Zudem berichtete der Kläger von Erzählungen über das Schicksal anderer Jesiden. Weiterhin führt der Kläger aus, er habe kein Vertrauen zu irgendwelchen Sicherheitskräften und es habe immer wieder Terrorgruppen gegeben die gegen die Jesiden gewesen seien. Im Übrigen waren nach Angaben des Klägers die Lebensverhältnisse in Baadre sehr schlecht.
Aus dem dargestellten Sachvortrags ist für das Gericht keine individuell flüchtlingsrelevante Verfolgungshandlung gegenüber dem Kläger i.S.d. § 3 AsylG ersichtlich.
Im Übrigen weist das Gericht ergänzend darauf hin, dass die kurdischen Autonomiegebiete von den Kämpfen in den westlichen und südlichen Nachbarprovinzen nicht unmittelbar betroffen sind, wenn auch die Sicherheitslage dort weiterhin angespannt ist. Der Kläger kann sich daher auch nicht auf eine politische Verfolgung durch nichtstaatliche Dritte berufen. Zwar besteht in weiten Teilen des Iraks seit Mitte 2014 eine Bedrohung durch nichtstaatliche Akteure in Gestalt des IS, jedoch sind nach den Erkenntnissen des Gerichts und des Auswärtigen Amtes (vgl. Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak vom 18.02.2016) die kurdischen Autonomiegebiete davon nicht betroffen. Vielmehr leben dort in großer Anzahl Flüchtlinge, die vor den Umtrieben des IS geflohen sind. Dies hat zur Folge, dass der Kläger an dem von ihm auch schon bewohnten Ort Baadre zurückkehren kann. Mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ist prognostisch auch in Zukunft mit einer politischen Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure dort nicht zu rechnen. Es besteht derzeit keine Verfolgungswahrscheinlichkeit in den Autonomiegebieten, die von der kurdischen Regionalregierung beherrscht werden (so auch VG München, U.v. 30.9.2016, M 4 K 16.32118, juris). Dabei verkennt das Gericht nicht, dass Baadre am Rand der Autonomen Region Kurdistan liegt und die Entfernung zu den umkämpften Gebieten nicht besonders groß ist. Der Kläger führt aber selbst an, dass es bislang keine Angriffe des IS auf Baadre gegeben habe und die Gegend durch die kurdische Armee gesichert sei, so dass der IS – der im Übrigen derzeit immer weiter zurückgedrängt wird – erst an der Armee vorbeiziehen müsste. Nichts anderes ergibt sich aus den vorgelegten Medienberichten, die sich überwiegend mit den Ereignissen rund um Mossul und außerhalb der Autonomen Region Kurdistan befassen.
b) Entgegen des Vortrags der Bevollmächtigen des Klägers unterliegt der Kläger als Jeside in der Autonomen Region Kurdistan, wo er die letzten ca. 9 Jahre lebte, nicht der sogenannten Gruppenverfolgung. Die Gefahr eigener Verfolgung für einen Ausländer, der die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft begehrt, kann sich nicht nur aus gegen ihn selbst gerichteten Maßnahmen ergeben, sondern auch aus gegen Dritte gerichteten Maßnahmen, wenn diese Dritten wegen eines asylerheblichen Merkmals verfolgt werden, das er mit ihnen teilt, und wenn er sich mit ihnen in einer nach Ort, Zeit und Wiederholungsträchtigkeit vergleichbaren Lage befindet (sogenannte Gruppenverfolgung). Dabei ist je nach den tatsächlichen Gegebenheiten auch zu berücksichtigen, ob die Verfolgung allein an ein bestimmtes unverfügbares Merkmal wie die Religionszugehörigkeit anknüpft oder ob für die Bildung der verfolgten Gruppe und die Annahme einer individuellen Betroffenheit weitere Umstände oder Indizien hinzutreten müssen. Die Annahme einer alle Gruppenmitglieder erfassten gruppengerichteten Verfolgung setzt ferner eine bestimmte Verfolgungsdichte voraus, welche die Regelvermutung eigener Verfolgung rechtfertigt. Hierfür ist die Gefahr einer so großen Vielzahl von Eingriffshandlungen in flüchtlingsrechtlich geschützten Rechtsgütern erforderlich, dass es sich dabei nicht mehr um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder um eine Vielzahl einzelner Übergriffe handelt. Die Verfolgungshandlungen müssen vielmehr im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht. Voraussetzung für die Annahme einer Gruppenverfolgung ist ferner, dass die festgestellten Verfolgungsmaßnahmen die von ihnen Betroffenen gerade in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale treffen. Ob eine in dieser Weise spezifische Zielrichtung vorliegt, die Verfolgung mithin wegen eines in § 3b AsylG genannten Merkmale erfolgt, ist anhand ihres inhaltlichen Charakters nach der erkennbaren Gerichtetheit der Maßnahme selbst zu beurteilen, nicht nach den subjektiven Gründen oder Motiven, die den Verfolgenden dabei leiten. Für die Gruppenverfolgung gilt weiter, dass sie mit Rücksicht auf den allgemeine Grundsatz der Subsidiarität des Flüchtlingsrechts den Betroffenen einen Schutzanspruch im Ausland nur vermittelt, wenn sie im Herkunftsland landesweit droht, das heißt, wenn keine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative besteht, die auch vom Zufluchtsland aus erreichbar sein muss (VGH Baden-Württemberg, U.v. 5.10.2016, A 10 S 332.12, juris m.w.N.).
Gemessen an den vorstehenden Grundsätzen liegen keine Anhaltspunkte für eine Gruppenverfolgung der Jesiden in der Region Kurdistan durch den IS oder anderen Gruppierungen, geschweige denn durch die kurdische Regierung, vor (VG München, U.v. 13.5.2016, M 4 K 16.30558, juris; VG München, U.v. 30.9.2016, M 4 K 16.32118, juris; SächsOVG, U.v. 29.4.2014, A 4 A 104/14, juris, VG Bayreuth, U.v. 11.11.2016, B 3 K 16.31186, juris).
c) Dem Kläger steht auch kein Flüchtlingsschutz im Hinblick auf sein Schicksal im Raum Telkef (Provinz Ninawa) zu.
Der Kläger hat nach eigenen Angaben bereits im Jahr 2006 oder 2007 seinen Geburtsort Doghata, Distrikt Telkef, zusammen mit seiner Familie verlassen. Im Hinblick auf die vorgetragenen Umstände in Doghata besteht schon kein zeitlicher Zusammenhang zwischen der vorgetragenen Verfolgung und der Ausreise in die Bundesrepublik Deutschland. Im Übrigen weist das Gericht daraufhin, dass der Kläger mit seiner Großfamilie in Baadre nicht in einem Flüchtlingslager gelebt hat. Zwar soll die Familie zunächst in einer Art Zelt untergekommen seien. Später wurde jedoch ein Haus mit vier Zimmern angemietet, welches nunmehr den Lebensmittelpunkt der Familie seit mehreren Jahren bildet. Der Kläger ist in Baadre zur Schule gegangen, Vater und Bruder gehen dort ihrer Arbeit nach. Daher ist davon auszugehen, dass der Kläger zusammen mit der Großfamilie seinen Lebensmittelpunkt bereits vor fast zehn Jahren in die Autonome Region Kurdistan verlagert hat.
Selbst wenn man auf die Verhältnisse in Doghata abstellen würde, wurde der Kläger auch dort nicht individuell verfolgt. Doghata hat der Kläger mit seiner Familie wegen der allgemeinen Sicherheitslage sowie aus Angst vor der Al-Qaida und anderen Terrorgruppen verlassen. Eine individuelle Bedrohung hat es auch dort nie gegeben.
Im Übrigen ist – ohne dass es entscheidungserheblich darauf ankäme – darauf hinzuweisen, dass selbst im Raum Telkef nicht ohne weiteres von einer Gruppenverfolgung der Jesiden auszugehen ist. Zwar gehört diese Gegend nicht zur Autonomen Region Kurdistan, jedoch ist der Nordwesten der Provinz Ninawa von Kurden beanspruchtes Gebiet und steht somit „de facto“ unter kurdischer Verwaltung (vgl. Sächsisches OVG, U.v. 29.4.2014, A 4 A104/14, juris; vgl. auch VG München U.v. 13.5.2016, M 4 K 16.30558, juris).
d) Letztlich kann dahinstehen, ob der Kläger als Jeside individuell oder als Gruppe verfolgt wurde, denn dem Kläger steht jedenfalls ein interner Schutz im Sinne von § 3e AsylG offen. Einem Ausländer wird gemäß § 3e Abs. 1 AsylG die Flüchtlingseigenschaft aufgrund internen Schutzes nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslands keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3 AsylG hat (Nr. 1) und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt. Vor diesem Hintergrund ist jedenfalls davon auszugehen, dass sich der Kläger als jesidischer Kurde sich in der Autonomen Region Kurdistan niederlassen kann. Dies gilt im vorliegenden Fall umso mehr, da der Kläger bereits acht oder neun Jahre vor der Ausreise in Baadre gelebt hat. Entgegen den Ausführungen der Klägerbevollmächtigten war er dort nicht nur (dauerhaft) in einer Lehmhütte untergebracht, sondern bewohnte dort zuletzt sogar ein Haus. Auch die Großfamilie des Klägers lebt in Baadre, so dass eine gegenseitige Unterstützung innerhalb der Großfamilie nach Rückkehr des Klägers weiterhin möglich ist. Im Übrigen ist der Kläger jung und erwerbsfähig und kann im gewissen Umfang zur Versorgung der Familie beitragen. Dass es sich bei der Region Kurdistan um eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative aus seinem Geburtsort Doghata handelt, hat der Kläger bereits dadurch bewiesen, indem er dort mehrere Jahre seit dem Wegzug aus Doghata gelebt hat.
Die Voraussetzungen für die Gewährung von Flüchtlingsschutz liegen somit im Ergebnis nicht vor.
2. Dem Kläger steht auch kein Anspruch auf subsidiären Schutz gem. § 4 AsylG zur Seite. Er kann sich weder auf § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 2 AsylG berufen, noch auf § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG.
Es gibt keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass ihm bei einer Rückkehr in den Irak ein ernsthafter Schaden (Todesstrafe, Folter, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung) im Sinne des § 4 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 AsylG droht.
Dem Kläger steht der subsidiäre Schutz auch nicht aus § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG zu. Nach dieser Vorschrift gilt als ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson in Folge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts. Der Begriff des internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konfliktes in § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG ist unter Berücksichtigung des humanitären Völkerrechts auszulegen (vgl. BVerwG, U.v. 24.6.2008, 10 C 43/07, juris). Danach müssen die Kampfhandlungen von einer Qualität sein, wie sie unter anderem für Bürgerkriegssituationen kennzeichnend sind und über innere Unruhen und Spannungen wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und ähnliche Handlungen hinausgehen. Bei innerstaatlichen Krisen, die zwischen diesen beiden Erscheinungsformen liegen, scheidet die Annahme eines bewaffneten Konfliktes im Sinne des Art. 15 c QualRL nicht von vornherein aus. Der Konflikt muss aber jedenfalls ein bestimmtes Maß an Intensität und Dauerhaftigkeit aufweisen, wie sie typischerweise in Bürgerkriegsauseinandersetzungen und Guerillakämpfen zu finden sind. Ein solcher innerstaatlicher bewaffneter Konflikt kann landesweit oder regional bestehen und muss sich nicht auf das gesamte Staatsgebiet erstrecken (vgl. BVerwG, U.v. 24.6.2008 a.a.O.).
Danach rechtfertigt die derzeitige Situation in der KAR und damit auch in Baadre, nicht die Annahme eines Bürgerkrieges im oben genannten Sinne und damit eines landesweit oder auch nur regional bestehenden bewaffneten Konfliktes im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG. Der für eine Schutzgewährung nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG erforderliche Gefährdungsgrad ist dort bei Weitem nicht erreicht (VG München, U.v. 30.9.2016, M 4 K 16.32118, juris; VG München, U.v. 13.5.2016, M 4 K 16.30558, juris; VG Bayreuth, U.v. 11.11.2016, B 3 K 16.31186, juris). An dieser Sichtweise ändern auch die in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Medienberichte nichts, zumal sich diese weitgehend auf die Regionen außerhalb Kurdistans beziehen und diese – soweit sie sich auf Kurdistan beziehen – nach Auffassung des Gerichts nicht geeignet sind, den oben dargestellten und notwendigen Gefährdungsgrad zu begründen.
Im Übrigen ist nach § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG die Vorschrift des § 3e AsylG (interne Fluchtalternative) entsprechend anzuwenden, so dass vollumfänglich auf die vorstehenden Ausführungen unter 1d) verwiesen werden kann.
3. Nationale Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 AufenthG oder § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG sind ebenfalls nicht gegeben. Insoweit wird zunächst auf den streitgegenständlichen Bescheid Bezug genommen. Hervorzuheben ist insbesondere, dass eine Abschiebung trotz schlechter humanitärer Verhältnisse nur in sehr außergewöhnlichen Einzelfällen als unmenschliche oder erniedrigende Behandlung bewertet werden kann und die Voraussetzung des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK erfüllt. Aufgrund des klägerischen Vortrags ist die Schwelle zu einer Verletzung der Werte des Art. 3 EMRK bei nicht erreicht. Die schlechten humanitären Verhältnisse im Umfeld des Klägers gehen nicht über das Maß dessen hinaus, was alle Bewohner in der vergleichbaren Situation hinnehmen müssen. Allein der Wunsch nach besseren Lebensverhältnissen bzw. wirtschaftlicher Verbesserung kann kein Abschiebungsverbot begründen, zumal auch eine Unterstützung durch die Großfamilie weiterhin als wahrscheinlich erscheint.
Dem Kläger droht auch keine individuelle Gefahr für Leib oder Leben, die zur Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG führen würde. Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Der Kläger hat zwar bei der Anhörung angegeben, er habe seit 15 Jahren Rückenschmerzen und niemand könne eine richtige Diagnose stellen. Aktuelle deutschsprachige Atteste sind jedoch bislang nicht vorgelegt worden. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung hat er sogar angegeben, in Deutschland noch nicht einmal beim Arzt gewesen zu sein.
Nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG sind im Übrigen Gefahren, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Beruft sich der Ausländer demzufolge auf allgemeine Gefahren, kann er Abschiebungsschutz regelmäßig nur durch einen generellen Abschiebestopp nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG erhalten. Allgemeine Gefahren in diesem Sinne sind alle Gefahren, die der Bevölkerung des Irak auf Grund der derzeit dort bestehenden Sicherheits- und Versorgungslage allgemein drohen. Dazu zählen neben der Gefahr, Opfer terroristischer Übergriffe zu werden und Gefahren durch die desolate Versorgungslage auch Gefahren krimineller Aktivitäten und Rachebestrebungen von Privatpersonen. Das Bayerische Staatsministerium des Inneren hat im Erlasswege mit Rundschreiben vom 3. Juli 2008 (Az. IA-2086.10-439), welches nach wie vor Gültigkeit beansprucht, verfügt, dass irakische Staatsangehörige, die nicht Straftäter sind oder unter Sicherheitsaspekten vordringlich abzuschieben sind, nicht abgeschoben werden und Duldungen bis auf Weiteres auf der Grundlage des § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG bis zur Dauer von sechs Monaten erteilt bzw. verlängert werden. Es ist daher davon auszugehen, dass die Erlasslage hinsichtlich allgemeiner Gefahren derzeit einen wirksamen Schutz vor der Abschiebung vermittelt, so dass es keines zusätzlichen Schutzes in verfassungskonformer Auslegung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG bedarf (vgl. BVerwG, U.v. 12.7.2001, 1 C 2/01, juris; VG Augsburg, U.v. 11.7.2016, Au 5 K 16.30604, juris).
4. Es bestehen auch gegen die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung einschl. der Zielstaatbestimmung im Hinblick auf § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG keine Bedenken.
5. Gründe, die gegen die Rechtmäßigkeit der von der Beklagten festgesetzten Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots sprechen, liegen nicht vor.
6. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gem. § 83b AsylG nicht erhoben. Der Gegenstandswert bestimmt sich nach § 30 RVG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit stützt sich auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff ZPO.

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