Verwaltungsrecht

Keine Gruppenverfolgung wegen Zwangsrekrutierungen junger afghanischer Männer durch die Taliban

Aktenzeichen  W 1 K 16.32183

Datum:
20.11.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 3

 

Leitsatz

1 Personen, die von den Taliban zwangsrekrutiert werden sollen, gehören keiner sozialen Gruppe gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 4 AsylG an, die von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
2 Junge afghanische Männer sind nicht der Gefahr einer Gruppenverfolgung durch Zwangsrekrutierungen der Taliban ausgesetzt. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Über die Klage konnte ohne mündliche Verhandlung entschieden werden, nachdem der nunmehr volljährige Kläger mit Schreiben vom 30. Oktober 2017 und die Beklagte mit allgemeiner Prozesserklärung vom 27. Juni 2017 ihr Einverständnis hierzu erteilt haben, § 101 Abs. 2 VwGO.
Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Anerkennung als Asylberechtigter nach Art. 16a Abs. 1 GG und die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG. Der Bescheid des Bundesamtes vom 19. Oktober 2016 ist vielmehr rechtmäßig, § 113 Abs. 5 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Der Antrag des nicht juristisch vertretenen Klägers ist gemäß § 88 VwGO dahingehend auszulegen, dass der Kläger unter Aufhebung des Bundesamtsbescheides vom 19. Oktober 2016 die Verpflichtung der Beklagten zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und zur Anerkennung als Asylberechtigter beantragt, da er eine Aufenthaltserlaubnis von mindestens dreijähriger Dauer begehrt, § 26 Abs. 1 Satz 2 AufenthG (vgl. Schriftsatz vom 10. Dezember 2016).
1. Einer Anerkennung als Asylberechtigter steht vorliegend bereits Art. 16a Abs. 2 GG entgegen, wonach sich auf das Asylgrundrecht nicht berufen kann, wer aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften einreist. Da der Kläger entsprechend seiner eigenen Ausführungen vor dem Bundesamt auf dem Landweg in das Bundesgebiet eingereist ist und Deutschland ausschließlich von Ländern der Europäischen Gemeinschaften umgeben ist, kommt ein Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter nicht in Betracht.
2. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG.
Rechtsgrundlage der begehrten Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist vorliegend § 3 Abs. 4 und Abs. 1 AsylG. Danach wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, soweit er keinen Ausschlusstatbestand nach § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG erfüllt. Ein Ausländer ist Flüchtling i.S.d. Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Konvention – GK), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will. Nach § 77 Abs. 1 AsylG ist vorliegend das Asylgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. September 2008 (BGBl I S. 1798), das zuletzt durch Artikel 2 des Gesetzes vom 20. Juli 2017 (BGBl I S. 2780 ff.) geändert worden ist (AsylG), anzuwenden. Dieses Gesetz setzt in §§ 3 bis 3e AsylG – wie die Vorgängerregelungen in §§ 3 ff. AsylVfG – die Vorschriften der Art. 6 bis 10 der Richtlinie 2011/95/EU vom 28. August 2013 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Amtsblatt Nr. L 337, S. 9) – Qualifikationsrichtlinie (QRL) im deutschen Recht um. Nach § 3a Abs. 1 AsylG gelten als Verfolgung i.S.d. § 3 Abs. 1 AsylG Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 – EMRK (BGBl 1952 II, S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist (Nr. 1), oder die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nr. 1 beschriebenen Weise betroffen ist (Nr. 2). Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 AsylG muss die Verfolgung an eines der flüchtlingsrelevanten Merkmale anknüpfen, die in § 3b Abs. 1 AsylG näher beschrieben sind, wobei es nach § 3b Abs. 2 AsylG ausreicht, wenn der betreffenden Person das jeweilige Merkmal von ihren Verfolgern zugeschrieben wird. Nach § 3c AsylG kann eine solche Verfolgung nicht nur vom Staat, sondern auch von nicht-staatlichen Akteuren ausgehen.
Die Beklagte hat dem Kläger den subsidiären Schutzstatus zuerkannt und hierbei angenommen, dass dem Kläger bei seiner Rückkehr in sein Heimatland mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein ernsthafter Schaden droht. Dem folgend hat auch das Gericht keinen Zweifel daran, dass dem Kläger bei einer Rückkehr nach Afghanistan mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgungshandlungen i.S.d. § 3a Abs. 1, 2 AsylG durch die Taliban drohen. Allerdings fehlt es nach Überzeugung des Gerichts vorliegend an einer Verknüpfung i.S.d. § 3a Abs. 3 AsylG zwischen der Verfolgungshandlung und einem der Verfolgungsgründe nach § 3b AsylG. Der Kläger befindet sich nicht aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb seines Heimatlandes.
Vorliegend hat der Kläger erklärt, dass sein älterer Bruder von den Taliban gesucht worden sei, da dieser nicht mit den Taliban zusammengearbeitet habe. Bei seiner Festnahme hätten die Taliban ihn mit seinem Bruder verwechselt. Er selbst habe sich dann seiner vereinbarten eigenen Rekrutierung durch Flucht entzogen. Bei dieser Sachlage geht das Gericht nicht davon aus, dass der Kläger mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit wegen einem der in § 3b AsylG abschließend aufgezählten Gründe verfolgt wurde. Insbesondere kann nach Überzeugung des Gerichts nicht davon ausgegangen werden, dass die Taliban jedem, der einer Rekrutierung als Talibankämpfer nicht nachkommt, eine abweichende politische Überzeugung zuschreiben, § 3b Abs. 1 Nr. 5, Abs. 2 AsylG. Vielmehr ist es so, dass ein Kampfeinsatz für die Taliban aufgrund der kriegerischen Auseinandersetzungen mit den Regierungstruppen bis hin zu etwaigen Selbstmordanschlägen mit einem sehr hohen Gefahrenpotenzial für diese Kämpfer verbunden ist, so dass die (verständliche) Furcht vor einem solchen Kampfeinsatz die Motivation, einem Rekrutierungsversuch nicht Folge zu leisten, maßgeblich beeinflusst und regelmäßig nicht eine politische Opposition gegenüber den Taliban, zumindest solange – wie vorliegend – keine weitergehenden Anhaltspunkte in diese Richtung ersichtlich sind. Es bestehen auch keine greifbaren tatsächlichen Anknüpfungspunkte dafür, dass sich diese auf der Hand liegende Realität nicht auch den Taliban erschließen würde. Eine gegenteilige Einschätzung ist der Erkenntnismittellage derzeit nicht zu entnehmen. Die alleinige Nichtbeteiligung an der Organisation der Taliban, ohne dass hierfür die Beweggründe näher zutage treten oder auch nur vom Kläger benannt wurden, kann noch nicht zu der Annahme einer dem Kläger von Seiten der Taliban zugeschriebenen politischen Überzeugung gegen ihre Organisation führen. Es ist vielmehr nichts dafür ersichtlich, dass die Verfolgung des Klägers (wie auch seines Bruders) gerade aus Gründen einer diesem unterstellten politischen Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung gegen die Taliban erfolgt, was jedoch Voraussetzung für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft wäre. Die Ziele der Taliban sind überdies auch nicht eindeutig politischer Natur, sondern weisen eine diffuse Gemengelage aus politischen, religiösen und wirtschaftlich sozialen Motiven auf. Schließlich ist vorliegend zu berücksichtigen, dass es den Taliban hier um die Ergreifung des älteren Bruders des Klägers ging und der Kläger mit diesem verwechselt worden ist. Der Kläger ist damit nur versehentlich in die Hände der Taliban geraten. Das Merkmal des § 3 Abs. 1 Nr. 5 AsylG muss der Kläger jedoch in eigener Person aufweisen bzw. es muss ihm persönlich zugeschrieben werden.
Wenn der Kläger in seiner Klagebegründung vorträgt, dass in der Niederschrift über die Anhörung vor dem Bundesamt der Hinweis fehle, dass der Vater des Klägers bei der Kriminalpolizei tätig gewesen und aus diesem Grunde von den Taliban ermordet worden sei, so führt dies zu keinem anderen Ergebnis, da der Kläger insoweit nichts dafür vorgetragen hat, dass er aufgrund der lange zurückliegenden Tätigkeit seines Vaters für den Staat – die Wahrheit dieser Ausführung unterstellt – verfolgt worden ist. Eine derartige Verknüpfung stellt der Kläger auch im Rahmen seines Vorbringens vor Gericht nicht her. Soweit der Kläger allgemein geltend macht, dass einige seiner Ausführungen vom Dolmetscher beim Bundesamt falsch verstanden worden seien, so substantiiert er seinen Vortrag in keiner Weise, zumal ihm dieser bereits ohnehin nicht geglaubt werden kann, da er zum Ende der Bundesamtsanhörung bestätigt hat, dass es keine Verständigungsschwierigkeiten gegeben habe. Auch wurde ihm die verfasste Niederschrift rückübersetzt und sowohl der Kläger als auch sein Vormund haben unterschriftlich bestätigt, dass das Protokoll den klägerischen Angaben entsprochen habe; diese seien vollständig und entsprächen der Wahrheit.
Darüber hinaus gehören Personen, die von den Taliban zwangsrekrutiert werden sollen auch keiner sozialen Gruppe gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 4 AsylG an, die von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird. Dies bereits deshalb nicht, da grundsätzlich jeder – zumindest männliche – Jugendliche oder Mann im wehrfähigen Alter dieser Gruppe zuzurechnen wäre, so dass weder von einer deutlich abgegrenzte Identität noch von einer Betrachtung als andersartig durch die umgebende Gesellschaft ausgegangen werden kann. Es ist zudem nicht ersichtlich, worin der unveränderbare Hintergrund einer derartigen von Zwangsrekrutierung betroffenen Personengruppe liegen sollte. Der Kläger ist überdies auch nicht als Angehöriger seines Bruders von den Taliban gesucht worden, wie der Kläger selbst angegeben hat, sondern ist zufällig mit seinem Bruder verwechselt worden. Überdies weist der Begriff des „Angehörigen“ auch keine deutlich abgegrenzte Identität im Sinne der genannten Vorschrift auf, da der Kreis der in Frage kommenden Personen viel zu weit und unbestimmt wäre, als dass allein aufgrund dieses Merkmals noch abgrenzbar wäre, wer als der sozialen Gruppe zugehörig anzusehen ist.
Schließlich sind junge afghanische Männer auch nicht der Gefahr einer Gruppenverfolgung durch Zwangsrekrutierungen der Taliban ausgesetzt. Für die erforderliche Verfolgungsdichte finden sich in der Erkenntnismittellage aktuell keine hinreichenden Anhaltspunkte (vgl. UNHCR-Richtlinien vom 19.4.2016, S. 51 ff.; Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 19.10.2016, S. 12; vgl. auch VG Lüneburg, U.v. 6.2.2017 – 3 A 140/16).
Auch das weitere Vorbringen des Klägers zu seinen Erkrankungen, der Reisewarnung für Afghanistan sowie dem Erfordernis einer dreijährigen Aufenthaltserlaubnis für eine qualifizierte Berufsausbildung spielen im Rahmen des vorliegenden Streitgegenstandes keine Rolle. Dem klägerischen Verfolgungsschicksal ist mit der Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus nach § 4 AsylG rechtsfehlerfrei Rechnung getragen worden; ein weitergehender Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG besteht nicht.
Die Klage war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1, § 83b AsylG abzuweisen.

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