Aktenzeichen RO 4 S 16.1812
VwGO VwGO § 80 Abs. 5, § 166 Abs. 1 S. 1
ZPO ZPO § 114
Leitsatz
1. Die Unterbringung eines Obdachlosen nach dem Obdachlosenrecht setzt sowohl dessen Unterbringungsfähigkeit als auch dessen Unterbringungswilligkeit voraus, wobei kein kleinlicher Maßstab angelegt werden darf (ebenso VGH München BeckRS 2015, 50354). (redaktioneller Leitsatz)
2. Es ist nicht Aufgabe der Sicherheitsbehörden, für eine Unterbringung Rechnung zu tragen, die über die einfachen sicherheitsrechtlichen Maßstäbe nach Obdachlosenrecht hinaus einem besonderen Betreuungsbedarf genügt. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Herrn Rechtsanwalt … wird abgelehnt.
II. Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Bescheid der Gemeinde … vom 3.11.2016 wird abgelehnt.
III. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
IV. Der Streitwert wird auf 2.500,– € festgesetzt.
Gründe
Zur Begründung wird ausgeführt, die Obdachlosenunterbringung sei nur eine Behebung der vorübergehenden Notlage. Sie diene nicht der wohnungsmäßigen Versorgung. Es bestehe kein Anspruch auf unbefristete Zuweisung einer Unterkunft. Darauf sei der Betreuer des Antragstellers von der Antragsgegnerin immer wieder hingewiesen worden. Der Zuweisungsbescheid sei immer wieder verlängert worden. Der Betreuer des Antragstellers habe ausreichend Zeit gehabt, eine Wohnung für den Antragsteller zu finden. Der Betreuer sei dem nicht nachgekommen. Die Antragsgegnerin sei gemäß Art. 7 Abs. 2 Nr. 3 LStVG nicht nur verpflichtet, eine vorübergehende Obdachlosigkeit zu beseitigen, sondern auch dazu, Gefahren für Leben und Gesundheit von Menschen und Sachwerten, deren Erhaltung im öffentlichen Interesse geboten erscheint, abzuwehren. Die Aufrechterhaltung der Zuweisung sei aufgrund des vorliegenden Sachverhalts nicht verhältnismäßig. Aufgrund der polizeilich festgestellten Selbstgefährdung sei der Antragsteller am 30.10.2016 in ärztliche Behandlung und Fürsorge in das Bezirksklinikum … gebracht worden. Das Bezirksklinikum und die dort vorhandenen ärztlichen Möglichkeiten verhinderten, dass der Antragsteller sich weiterhin selbst in seiner Gesundheit gefährde. Das Ausschalten der Selbstgefährdung sei in der ihm zugewiesenen Unterkunft A. 2 nicht gewährleistet. Ferner gefährde das Verhalten des Antragstellers, insbesondere durch das Entzünden von Feuer in und vor der Unterkunft nicht nur ihn selbst, sondern auch die Gesundheit und das Eigentum der in der Nachbarschaft der Unterkunft lebenden Einwohner, als auch die Unterkunft A. 2 selbst. Der Antragsteller könne sich nicht an einem geordneten Zusammenleben mit Nachbarn mit dem dazu erforderlichen Verhalten beteiligen. Die Gefahr, dass der Antragsteller sich selbst und andere Menschen und Sachwerte durch seinen Aufenthalt in der Unterkunft gefährde, wiege höher, als das Bedürfnis, dem Antragsteller weiterhin Unterkunft zu geben. Dem Betreuer seien die Umstände bekannt. Seine eigene Aussage, dass der Antragsteller nicht wohnungsfähig sei, stütze diese. Es sei notwendig, dass der Antragsteller Wohnraum und Aufenthalt in einem seien gesundheitlichen Gesamtumständen entsprechenden Umfeld erhalte. Es bestehe eine besonderes Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts, weil bei der Fortführung der Zuweisung Nachteile für Leben, Gesundheit oder Eigentum für den Antragsteller selbst, die in der Nachbarschaft der Unterkunft lebenden Einwohner von A. als auch für die Unterkunft selbst drohten.
Der Antragsteller ließ mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 22.11.2016, bei Gericht eingegangen am 25.11.2016, Klage gegen den Bescheid vom 3.11.2016 erheben (RO 4 K 16.1813), sowie Anträge auf Gewährung von Prozesskostenhilfe und vorläufigen Rechtsschutz stellen. Vorgetragen wurde u.a., dass auf privatrechtlicher Basis für den Antragsteller keine Wohnung angemietet werden könne. Die Voraussetzungen für eine zivilrechtliche Unterbringung lägen nicht vor. Der Betreuer habe einen entsprechenden Antrag beim Betreuungsgericht gestellt. Der begutachtende Arzt habe unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass aus ärztlicher Sicht die Voraussetzungen einer betreuungsrechtlichen Unterbringung nicht vorlägen.
Der Antragsteller beantragt sinngemäß,
die aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 3.11.2016 anzuordnen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzuweisen.
Vorgetragen wird u.a., der Antragsteller sei weder unterbringungsfähig noch unterbringungswillig. Nur eine permanente Begleitung des Antragstellers verhindere weitere Selbstgefährdungen in der Unterkunft sowie auch eine nicht minder latente Gefährdungssituation für das Eigentum der Antragsgegnerin, vor allem aber auch für die unmittelbare Nachbarschaft. In der Unterkunft der Antragsgegnerin bestehe die Möglichkeit, dass es zu einem folgenschweren Schadensereignis komme.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte mit den eingereichten Schriftsätzen, sowie die am 1.12.2016 vorgelegte Behördenakte Bezug genommen. Die Gerichtsakte des Verfahrens RO 4 K 16.1813 wurde zum Verfahren beigezogen.
II.
1. Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe ist abzulehnen, da der Antrag keine hinreichenden Aussichten auf Erfolg bietet (§ 166 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) i.V.m. § 114 Zivilprozessordnung (ZPO)) (siehe dazu 2).
2. Der zulässige Antrag ist unbegründet.
Gemäß § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) haben Widerspruch und Klage grundsätzlich aufschiebende Wirkung. Diese entfällt allerdings dann, wenn die Behörde nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten angeordnet hat. Diese Anordnung ist gemäß § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO schriftlich zu begründen, wobei die Begründung eindeutig erkennen lassen muss, dass sich die Behörde bei ihrer Entscheidung hinreichend mit den Besonderheiten des konkreten Einzelfalls aus-einander gesetzt hat. Im streitgegenständlichen Bescheid wurde für die Ziffern I und II der Sofortvollzug angeordnet. Die Begründung dieser Anordnung entspricht den Vorgaben des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO. Die Antragsgegnerin hat dargelegt, dass hier ein besonderes öffentliches Interesse daran besteht, dass den streitgegenständlichen sicherheitsrechtlichen Anordnungen unverzüglich Folge geleistet wird, da nur so die Gefahren, die sich aus einer Fortführung der Zuweisung des Antragstellers in die Unterkunft ergäben, verhindert werden könnten.
Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung bei Anordnung der sofortigen Vollziehung nach § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO, wie sie hier für die Ziffern I und II des Bescheides erfolgt ist, ganz oder teilweise wiederherstellen. Das Gericht trifft insoweit eine eigene Ermessensentscheidung. Es hat bei der Entscheidung über die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung abzuwägen zwischen dem von der Behörde geltend gemachten Interesse an der sofortigen Vollziehung ihres Bescheids und dem Interesse der Antragsteller an der aufschiebenden Wirkung ihres Rechtsbehelfs. Bei dieser Abwägung sind auch die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Ergibt die im Rahmen des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO allein mögliche summarische Überprüfung, dass der Rechtsbehelf voraussichtlich erfolglos sein wird, tritt das Interesse des Antragstellers regelmäßig zurück. Erweist sich dagegen der angefochtene Bescheid schon bei summarischer Überprüfung als rechtswidrig, besteht kein öffent-liches Interesse an dessen sofortiger Vollziehung. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens dagegen nicht hinreichend absehbar, verbleibt es bei einer Interessenabwägung.
Die hier gebotene, aber auch ausreichende summarische Überprüfung der Sach- und Rechtslage zeigt, dass die Hauptsacheklage voraussichtlich nicht erfolgreich sein wird.
Mit der Ziffer I des streitgegenständlichen Bescheides wird die Zuweisung einer Obdachlosenunterkunft an den Antragsteller beendet. Dies ist aus Sicht des Gerichts nicht zu beanstanden, da seitens des Antragstellers kein Anspruch mehr auf Unterbringung in der ihm bisher von der Gemeinde zugewiesenen Obdachlosenunterkunft besteht. Die Unterbringung eines Obdachlosen nach dem Obdachlosenrecht setzt sowohl dessen Unterbringungsfähigkeit als auch dessen Unterbringungswilligkeit voraus. Dabei darf vor dem Hintergrund, dass die für die Unterbringung Obdachloser zuständigen Behörden auch oftmals mit schwierigen Persönlichkeiten umgehen müssen, gewiss kein kleinlicher Maßstab angelegt werden (BayVGH, Beschluss vom 6.8.2015, Az.: 4 C 15.1578-juris). Hier ist aufgrund der in der Behördenakte dokumentierten Gesamtumstände davon auszugehen, dass der Antragsteller nicht nach den einfachen sicherheitsrechtlichen Maßstäben nach Obdachlosenrecht untergebracht werden kann. Wie sich insbesondere aus dem Unterbringungsbericht der Polizeiinspektion … vom 30.10.2016 ergibt, ist nicht auszuschließen, dass der Antragsteller insbesondere im Umgang mit Feuer nicht die erforderliche Sorgfalt verwendet. Es besteht daher aus Sicht des Gerichts eine konkrete Gefahr für den Antragsteller selbst und die umliegende Nachbarschaft. Erschwerend kommt aus Sicht des Gerichts hinzu, dass der Antragsteller am 30.10.2016 auch stark alkoholisiert angetroffen wurde und sich aggressiv gegenüber den Polizeibeamten verhielt. Selbst der Betreuer des Antragstellers hat anlässlich der Besprechung am 2.11.2016 eingeräumt, dass der Antragsteller nicht wohnungsfähig sei. Die Antragsgegnerin hat die ihr als Obdachlosenbehörde obliegenden Aufgabe, dem Antragsteller eine einfach menschenwürdige Unterkunft zu verschaffen, genügt. Dies ist jedoch für die Person des Antragstellers nicht ausreichend. Vielmehr benötigt er wohl eine darüberhinausgehende Hilfe. Es ist aber nicht Aufgabe der Antragsgegnerin für eine dem Betreuungsbedarf des Antragstellers genügende Unterbringung Rechnung zu tragen (siehe dazu BayVGH a.a.O.).
Offenbleiben kann, ob Rechtsgrundlage für die Ziffer II des streitgegenständlichen Bescheides (Aufhebung des Verlängerungsbescheides über die Zuweisung vom 3.11.2016) Art. 48 Abs. 1 Satz 2 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz (BayVwVfG) oder Art. 49 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, Nr. 5 BayVwVfG ist. Die „Aufhebung“ der Zuweisung ist hier jedenfalls nicht zu beanstanden, da der Antragsteller -wie bereits oben ausgeführtnicht nach den Grundsätzen des Obdachlosenrechts untergebracht werden kann.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 2 GKG i.V.m. Ziffer 35.1, 1.5 des Streitwertkatalogs (Hälfte des Streitwerts der Hauptsache).