Aktenzeichen M 18 S 16.50527
Leitsatz
Litauen ist für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig (Art. 12 Abs. 4 Dublin III-VO), wenn litauische Behörden einem Asylsuchenden ein Visum für die Einreise in die Bundesrepublik Deutschland erteilen. (redaktioneller Leitsatz)
Es bestehen keine systemischen Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen in Litauen, insbesondere auch nicht die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung (vgl. VG Ansbach BeckRS 2015, 55906). (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Die Antragsteller haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gründe
I.
Die Antragsteller zu 1) und 2) sind miteinander verheiratet, die Antragstellerin zu 3) ist ihre gemeinsame Tochter. Sie sind mit einem von den litauischen Behörden erteilten Schengen-Visum im November 2015 mit dem Flugzeug in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Am 18. April 2016 stellten sie förmliche Asylanträge.
Aufgrund des Visums lagen Anhaltspunkte für die Zuständigkeit eines anderen Staates der Europäischen Union, nämlich Litauens vor.
Die Antragsteller gaben im Rahmen ihrer Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am 18. April 2016 an, sie seien am 16. November 2015 aus der Ukraine ausgereist und über Weißrussland und Litauen nach Deutschland gekommen. In Litauen, wo sie auf der Durchreise gewesen seien, seien ihre Fingerabdrücke abgenommen worden.
In der Anhörung nach § 25 Abs. 4 AsylG am 19. April 2016 gaben sie an, sie seien in der Ukraine von Rechtsradikalen bedroht und geschlagen worden, weil sie Landsleuten im Donbass geholfen hätten.
Am 28. April 2016 richtete das Bundesamt ein Aufnahmegesuch bezüglich der Antragsteller an Litauen. Die dortigen Behörden erklärten mit Schreiben vom 1. Juni 2016 ihre Bereitschaft hierzu.
Mit Bescheid vom 8. Juli 2016 lehnte das Bundesamt die Asylanträge als unzulässig ab (Ziffer 1), ordnete die Abschiebung der Antragsteller nach Litauen an (Ziffer 2) und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 des AufenthG auf sechs Monate ab dem Tag der Abschiebung.
Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die Asylanträge unzulässig seien, da Litauen aufgrund der erteilten Visa gemäß Art. 12 Abs. 4 Dublin III-VO für die Behandlung der Asylanträge zuständig sei. Die Antragsteller hätten sich im persönlichen Gespräch dagegen gewandt, in einen anderen Staat der Europäischen Union, insbesondere nach Litauen, überstellt zu werden, da sie sich dort nicht sicher fühlen würden. Litauen erfülle jedoch gegenüber Ausländern, die dort einen Asylantrag stellen würden, die Mindeststandards. Da es sich um einen Staat der Europäischen Union handle, sei auch davon auszugehen, dass deren Standards eingehalten würden. Es sei nicht erkennbar, dass den Antragstellern in Litauen eine verfahrenswidrige Abschiebung in ihr Herkunftsland drohe. Asylbewerber würden dort hinreichend auch vor politisch motivierten und sonstigen Übergriffen geschützt.
Die Antragsteller erhoben durch ihren Bevollmächtigten mit Schriftsatz vom 19. Juli 2016 Klage (M 18 K 16.50526) und beantragten gleichzeitig,
im Wege der einstweiligen Anordnung gemäß § 80 Abs. 5 VwGO die aufschiebende Wirkung ihrer Klage gegen die Anordnung der Abschiebung nach Litauen in Ziffer 2 des Bescheides vom 8. Juli 2016 anzuordnen.
Zur Begründung wurde ausgeführt, die Antragsteller hätten aufgrund der Kriegsereignisse in der Ukraine ihr Heimatland verlassen und seien über Litauen mit dem Schengen-Visum weiter nach Deutschland gereist. Sie hätten von vornherein die Bundesrepublik Deutschland als Ziel für einen Asylantrag gehabt. In Litauen seien sie unter Verstoß gegen ihre Menschenwürde gezwungen worden, ihre Personalien abzugeben und sich einen Fingerabdruck abnehmen zu lassen. Bei einer Abschiebung nach Litauen sei davon auszugehen, dass die Antragsteller dort nicht ordnungsgemäß behandelt würden, da sie aus der Ukraine kämen und russische Wurzeln hätten. Litauen weise erhebliche systemische Mängel des Asylverfahrens auf. Es müsse auch mit Folter gerechnet werden.
Die Vertreter der Beklagten übersandten mit Schreiben vom 20. Juli 2016 die Asylakte und stellten im Übrigen keinen Antrag.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag bleibt in der Sache ohne Erfolg.
Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage anordnen. Der Antrag hat Erfolg, wenn das private Aussetzungsinteresse des Betroffenen, bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts von dessen Vollziehung verschont zu bleiben, das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts überwiegt. Maßgebend sind hierfür vor allem die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens. Ergibt eine Prüfung der Sach- und Rechtslage, dass die Anfechtungsklage voraussichtlich erfolglos sein wird, tritt das Interesse des Antragstellers regelmäßig zurück. Erweist sich dagegen der angefochtene Bescheid nach summarischer Prüfung als rechtswidrig, wird die Anfechtungsklage voraussichtlich Erfolg haben, so dass das öffentliche Interesse hinter die Belange des Antragstellers zurücktritt, da es kein schutzwürdiges Interesse am Sofortvollzug eines rechtswidrigen Verwaltungsakts geben kann. Sind die Erfolgsaussichten offen, verbleibt es bei der reinen Interessenabwägung.
Vorliegend ist nach summarischer Überprüfung die nach § 34 Abs. 1 AsylG erlassene Abschiebungsanordnung rechtmäßig. Voraussetzung dafür ist nach dieser Vorschrift, dass ein Ausländer in einen sicheren Drittstaat oder einen zur Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat abgeschoben werden soll.
Die Ablehnung der Asylanträge der Antragsteller als unzulässig mit der Folge, dass sie nach Litauen abgeschoben werden sollen, ist bei summarischer Prüfung rechtmäßig.
Nach § 27a AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrags für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Zuständig ist vorliegend Litauen, gemäß Art. 12 Abs. 4 Dublin III-VO, da die litauischen Behörden das Visum für die Antragsteller ausgestellt haben, mit dem sie in die Bundesrepublik Deutschland einreisen konnten.
Es liegen keine Gründe vor, die ein Selbsteintrittsrecht der Bundesrepublik Deutschland erforderlich machen könnten, insbesondere ist nicht von systemischen Mängeln des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen in Litauen auszugehen.
Dem gemeinsamen europäischen Asylsystem, zu dem insbesondere die Dublin-Verordnungen gehören, liegt die Vermutung zugrunde, dass jeder Asylbewerber in jedem Mitgliedsstaat gemäß den Anforderungen der Charta der Grundrechte der Europäischen Union sowie der Europäischen Menschenrechtskonvention behandelt wird. Es gilt daher die Vermutung, dass Asylbewerbern in jedem Mitgliedsstaat eine Behandlung entsprechend den Erfordernissen der Charta der Grundrechte im Sinne von Art. 6 Abs. 1 EUV, der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention zukommt. Die dem „Prinzip des gegenseitigen Vertrauens“ bzw. dem „Konzept der normativen Vergewisserung“ zugrunde liegende Vermutung ist nur dann als widerlegt zu betrachten, wenn in Mitgliedsstaaten nicht unbekannt sein kann, also ernsthaft zu befürchten ist, dass dem Asylverfahren einschließlich seiner Aufnahmebedingungen in einem Mitgliedsstaat derart grundlegende, systemische Mängel anhaften, dass für dorthin überstellte Asylbewerber die Gefahr besteht, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 EuGRCh ausgesetzt zu werden. Der Asylbewerber kann einer Überstellung in den an sich zuständigen Mitgliedsstaaten damit nur mit dem Einwand sogenannter systemischer Mängel entgegentreten.
An die Feststellung systemischer Mängel sind hohe Anforderungen zu stellen. Sie sind nicht schon bei einzelnen Regelverstößen der zuständigen Mitgliedsstaaten zu bejahen, sondern nur dann, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber regelhaft so defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (vgl. BVerwG, B. v. 19.3.2014 – 10 B 6.14 – juris).
Ausgehend von diesen Maßstäben ist im gegenwärtigen Zeitpunkt nicht davon auszugehen, dass die Antragsteller bei einer Abschiebung nach Litauen Gefahr laufen würden, dort einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein (vgl. VG Ansbach, B. v. 30.11.2015 – AN 14 S 15.50479, VG Düsseldorf, Gerichtsbescheid v. 27.4.2015 – 8 K 1778/15.A). Allein die Vermutung der Antragsteller, sie würden als russischstämmige Flüchtlinge nicht entsprechend den Maßstäben der Europäischen Union behandelt, rechtfertigt nicht die Annahme systemischer Mängel. Für die Beurteilung der Situation in einem Mitgliedsstaat und der für Asylbewerber dort bestehenden Risiken im Fall einer Rückführung sind beispielsweise Stellungnahmen des UNHCR oder Berichte von internationalen Nicht-Regierungs-organisationen oder sonstige Berichte von Institutionen oder einzelnen Mitgliedsstaaten heranzuziehen. Substantiierte Beschreibungen systemischer Mängel liegen für Litauen nicht vor. Auch in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung werden systemische Mängel in Litauen nicht bejaht (VG Ansbach a. a. O. m. w. N.). Das Gericht schließt sich dieser Rechtsprechung an.
Da sich der Bescheid des Bundesamtes somit voraussichtlich als rechtmäßig erweisen wird, war der Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Das Verfahren ist gemäß § 83b AsylG gerichtskostenfrei.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).