Verwaltungsrecht

Keine Unvereinbarkeit des Beschäftigungsverbots für Asylbewerber aus sicheren Herkunftsstaaten mit Unionsrecht

Aktenzeichen  10 ZB 16.906

Datum:
29.11.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 55679
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
RL 2013/33/EU Art. 15 Abs. 1
AsylG § 29a, § 61 Abs. 1, Abs. 2

 

Leitsatz

Dass der nationale Gesetzgeber durch § 61 Abs. 2 S. 1 AsylG die unionsrechtliche Verpflichtung nach Art. 15 Abs. 1 RL 2013/33/EU, innerhalb einer Frist von 9 Monaten nach Stellung des Antrags auf internationalen Schutz Zugang zum Arbeitsmarkt zu gewähren, richtlinienkonform erfüllt, ergibt sich bereits aufgrund des Wortlauts der Bestimmungen mithilfe der üblichen Auslegungsregeln, ohne dass es dafür der Durchführung eines Berufungsverfahrens bedarf. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

12 K 15.2933 2016-03-17 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II.
Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger, der sich im Besitz einer Aufenthaltsgestattung aufgrund seines am 29. Januar 2014 gestellten Asylantrags befindet, seine in erster Instanz erfolglose Klage auf Verpflichtung des Beklagten weiter, ihm eine Erlaubnis für die Ausübung einer Beschäftigung – Aufnahme einer Ausbildung zum Konditor – zu erteilen.
Der zulässige Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet, weil die vom Kläger allein geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung der aufgeworfenen Rechtsfrage (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) schon nicht hinreichend dargelegt ist (§ 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG) und nicht vorliegt. Die Darlegung dieses Zulassungsgrundes erfordert, dass der Rechtsmittelführer eine für die erstrebte Berufungsentscheidung erhebliche konkrete Tatsachen- oder Rechtsfrage formuliert und aufzeigt, weshalb diese Frage entscheidungserheblich und klärungsbedürftig ist und der Frage eine allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt. Hierfür ist erforderlich, dass sich der Zulassungsantrag mit den Erwägungen des angefochtenen Urteils, auf die sich die aufgeworfene Frage von angeblich grundsätzlicher Bedeutung bezieht, substantiiert, d. h. in einer Weise auseinandersetzt, die verdeutlicht, dass die Entscheidung des Verwaltungsgerichts dem Klärungsbedarf nicht gerecht wird (vgl. z. B. BayVGH, B. v. 21.6.2016 – 10 ZB 16.444 – juris Rn. 3; zum Zulassungsgrund des § 132 Abs. 1 Nr. 1 VwGO vgl. etwa BVerwG, B. v. 1.3.2016 – 5 BN 1.15 – juris Rn. 2; Happ in Eyermann, VwGO, Kommentar, 14. Aufl. 2014, § 124a Rn. 72 m. w. N.). Gemessen daran kommt die Zulassung der Berufung vorliegend nicht in Betracht.
Der Kläger hält für klärungsbedürftig, ob die von ihm begehrte Beschäftigungserlaubnis für Asylsuchende auch aus sicheren Herkunftsstaaten aufgrund der unmittelbaren Wirkung des Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2013/33/EU vom 26. Juni 2013 (ABl. L 180 v. 29.6.2013, S. 96) zu erteilen ist. Dabei geht der Kläger davon aus, dass der deutsche Staat trotz Ablaufs der Umsetzungsfrist der Richtlinie diese in einer das Richtlinienziel gemäß Art. 15 Richtlinie 2013/33/EU verfehlenden Weise umgesetzt hat. Eine Verletzung der Umsetzungspflicht sieht der Kläger zum einen in der Regelung des § 61 Abs. 2 Satz 3 (richtig: Satz 4) AsylG, wonach einem Ausländer aus einem sicheren Herkunftsstaat gemäß § 29a, der nach dem 31. August 2015 einen Asylantrag gestellt hat, während des Asylverfahrens die Ausübung einer Beschäftigung nicht erlaubt werden darf. Zum anderen liegt nach Auffassung des Klägers die mangelhafte Umsetzung auch darin, dass der Erlass des Bayerischen Staatsministeriums des Innern, für Bau und Verkehr vom 31. März 2015 (IA2-2081-1-8) bezüglich Beschäftigung und Berufsausbildung von Asylbewerbern und Geduldeten (im Folgenden: IMS vom 31. März 2015) die Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis für Asylbewerber aus sicheren Herkunftsstaates grundsätzlich ausschließt (dort: Nr. 2.1). Dadurch würden die Ausländerbehörden dazu angehalten, dieses Recht unter anderem Asylsuchenden aus sicheren Herkunftsstaaten grundsätzlich zu verweigern. Bezüglich der aufgeworfenen Rechtsfrage sei der Verwaltungsgerichtshof letztinstanzliches Gericht und somit gemäß Art. 267 AEUV zur Vorlage der Frage an den Gerichtshof der Europäischen Union verpflichtet.
Demgegenüber ist das Verwaltungsgericht in der angefochtenen Entscheidung davon ausgegangen, dass die maßgebliche Rechtsgrundlage des § 61 Abs. 2 Satz 1 AsylG als nationaler Umsetzungsakt nicht gegen Art. 15 Richtlinie 2013/33/EU verstoße, sondern durch die auf drei Monate verkürzte Sperrfrist die Richtlinienvorgaben insoweit sogar überobligatorisch umgesetzt worden seien. Durch die in § 61 Abs. 2 Satz 1 AsylG eingeräumte Möglichkeit, einem Asylbewerber, der sich seit drei Monaten gestattet im Bundesgebiet aufhalte, abweichend von § 4 Abs. 3 AufenthG die Ausübung einer Beschäftigung (aufgrund einer Ermessensentscheidung) zu erlauben, werde die für den nationalen Gesetzgeber nach Art. 15 Richtlinie 2013/33/EU maßgebliche Verpflichtung (Zielvorgabe, s. Art. 288 Abs. 3 AEUV), für einen effektiven Arbeitsmarktzugang zu sorgen, beachtet und dem Effizienzgebot (effet utile, s. Art. 4 Abs. 3 EUV) des Unionsrechts genügt. Aufgrund dieser ordnungsgemäßen Umsetzung der Unionsrichtlinie in deutsches Recht scheide ein Anspruch in unmittelbarer Anwendung von Art. 16 UAbs. 2 in Verbindung mit Art. 15 Abs. 1 Richtlinie 2013/33/EU aus. Die von der Behörde nach § 61 Abs. 2 Satz 1 AsylG getroffene Ermessensentscheidung sei (ebenfalls) rechtlich nicht zu beanstanden (§ 114 Satz 1 VwGO). Dabei habe sich die Behörde zu Recht auf die ermessenslenkende Weisung im IMS vom 31. März 2015 stützen dürfen, weil die sich aus Verfassungs- und Unionsrecht (konkret: Art. 15 Abs. 1 und 2 Richtlinie 2013/33/EU) ergebenden Grenzen des Ermessens eingehalten seien. Die Behörde habe im konkreten Fall die ermessenslenkende Weisung ohne Rechtsfehler angewendet und Gründe für ein mögliches Abweichen von der Weisung verneint.
Die erhobene Grundsatzrüge scheitert zunächst schon daran, dass sie den Darlegungsanforderungen nicht genügt. Denn der Kläger hat sich nicht hinreichend substantiiert mit der die Entscheidung des Erstgerichts tragenden Begründung auseinandergesetzt, der nationale Gesetzgeber habe mit § 61 Abs. 2 Satz 1 AsylG auch durch die Ausgestaltung als Ermessensvorschrift die verbindlichen Zielvorgaben (Art. 288 Abs. 3 AEUV) nach Art. 15 Richtlinie 2013/33/EU unionsrechtskonform umgesetzt. Dass der nationale Gesetzgeber durch diese Bestimmung die unionsrechtliche Verpflichtung nach Art. 15 Abs. 1 Richtlinie 2013/33/EU, innerhalb einer bestimmten Frist (von 9 Monaten) nach Stellung des Antrags auf internationalen Schutz Zugang zum Arbeitsmarkt zu gewähren, richtlinienkonform erfüllt, ergibt sich im Übrigen bereits aufgrund des Wortlauts der Bestimmungen mithilfe der üblichen Auslegungsregeln, ohne dass es dafür der Durchführung eines Berufungsverfahrens bedarf.
Die in diesem Zusammenhang aufgeworfene Frage, ob das bei nach dem Stichtag 31. August 2015 gestellten Asylanträgen normierte umfassende Beschäftigungsverbot ohne Ermessensspielraum (§ 61 Abs. 2 Satz 4 AsylG) für die Ausländerbehörden mit den Zielvorgaben des Art. 15 Richtlinie 2013/33/EU vereinbar ist (vgl. auch Neundorf in Beck‘scher Online-Kommentar Ausländerrecht, Stand: 15.8.2016, AsylG § 61 Rn. 18), ist vorliegend schon nicht entscheidungserheblich und damit auch nicht grundsätzlich klärungsbedürftig. Denn der Kläger fällt unstreitig nicht unter diese Stichtagsregelung.
Auch die vom Kläger aufgeworfene Frage, ob Art. 15 Richtlinie 2013/33/EU als unmittelbar anwendbare Bestimmung des Gemeinschaftsrechts insbesondere auch dem im IMS vom 31. März 2015 bestimmten Ausschluss der Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis für Asylbewerber aus sicheren Herkunftsstaaten (mit Anwendungsvorrang) entgegensteht, führt nicht zur Zulassung der Berufung. Denn die Zulassungsbegründung genügt auch insoweit nicht dem Darlegungserfordernis des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG. So fehlt die erforderliche Auseinandersetzung mit der tragenden Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts, dass es sich dabei nicht etwa um eine nationale Umsetzungsregelung (des Gesetzgebers), sondern um eine – auf der Rechtsfolgenseite der (richtlinienkonformen) Umsetzungsregelung des § 61 Abs. 2 Satz 1 AsylG ansetzende – ermessenslenkende Weisung des (zuständigen) Ministeriums handelt. Damit hat sich für das Verwaltungsgericht die vom Kläger als grundsätzlich klärungsbedürftig erachtete Frage einer diesbezüglichen unmittelbaren Anwendbarkeit des Art. 15 Richtlinie 2013/33/EU schon gar nicht gestellt.
Mit den eingehenden Erwägungen des Verwaltungsgerichts zur Einhaltung der gesetzlichen, verfassungsrechtlichen und unionsrechtlichen Grenzen des durch die Rechtsgrundlage in § 61 Abs. 2 Satz 1 AsylG eingeräumten Ermessens bei der konkreten Einzelfallentscheidung setzt sich der Zulassungsantrag ebenfalls nicht in der gebotenen Weise auseinander.
Aus den oben dargelegten Gründen führen schließlich auch die Ausführungen in der Zulassungsbegründung zur erforderlichen Auslegung des Gemeinschaftsrechts (Art. 15 Richtlinie 2013/33/EU) und der diesbezüglichen Vorlagepflicht des Verwaltungsgerichtshofs gemäß Art. 267 Abs. 3 AEUV nicht zur Zulassung der Berufung.
Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.
Da Gerichtskosten gemäß § 83b AsylG nicht erhoben werden, erübrigt sich auch die Festsetzung eines Streitwerts.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 17. März 2016 rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).

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