Verwaltungsrecht

Keine Verfolgung einfacher Parteimitglieder von Exilparteien in Äthiopien

Aktenzeichen  M 12 K 17.42218

Datum:
16.8.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 151039
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3b Abs. 1 Nr. 5, § 28
AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1

 

Leitsatz

1 Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft kommt nach § 3 Abs. 1 AsylG iVm Art. 1a Nr. 2 GFK nur bei Verfolgung im Staat der Staatsangehörigkeit oder – bei de jure Staatenlosen – im Staat des gewöhnlichen Aufenthalts in Betracht (BVerwG BeckRS 2009, 33330). (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
2 Die äthiopische Regierung lässt die Aktivitäten der äthiopischen Diaspora durch die Auslandsvertretungen beobachten, sodass Spitzenpolitiker von Exilparteien, die der Regierung missliebig sind, im Falle einer Rückkehr nach Äthiopien mit Verfolgung rechnen müssen. (Rn. 40) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Über die Verwaltungsstreitsache konnte aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 16. August 2017 entschieden werden, obwohl außer dem Kläger mit seiner Prozessbevollmächtigten niemand erschienen ist. Die Parteien wurden zur mündlichen Verhandlung ordnungsgemäß geladen und in der Ladung darauf hingewiesen, dass auch ohne sie verhandelt und entschieden werden kann, § 102 Abs. 2 VwGO.
Verfahrensgegenstand ist die Frage, ob der Bescheid des Bundesamtes vom 5. Mai 2017 rechtswidrig und deshalb aufzuheben ist und ob der Kläger einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, auf Asylanerkennung, auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus und hilfsweise auf Feststellung von Abschiebungsverboten gem. § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG hat (vgl. Antrag des Prozessbevollmächtigten im Schriftsatz vom 31. 5. 2017 und in der mündlichen Verhandlung).
Die Klage ist bezüglich der Asylanerkennung unzulässig, da die Klage insoweit kein Rechtsschutzbedürfnis hat. Der Kläger hat in der persönlichen Anhörung beim Bundesamt auf die Prüfung der Asylanerkennung verzichtet (Bl. 101 BA).
Im Übrigen ist die Klage zulässig, aber unbegründet. Der Bescheid der Beklagten ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 und 5 VwGO.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 3 AsylG. Zudem liegen beim Kläger keine Gründe für die Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG vor. Auch liegen beim Kläger keine nationalen Abschiebungsverbote gem. § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gem. § 3 AsylG.
Gemäß § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, wenn er Flüchtling im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG ist. Danach ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juni 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Flüchtlingskonvention – GK), wenn er sich wegen begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischer Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will (Nr. 1) oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will (Nr. 2).
Als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG gelten Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten – EMRK – keine Abweichung zulässig ist, oder Handlungen, die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher Weise betroffen ist (vgl. § 3a Abs. 1 AsylG). Als Verfolgung in diesem Sinne können unter anderem die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt oder unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung gelten (vgl. § 3a Abs. 2 Nr. 1 und 3 AsylG). Gemäß § 3a Abs. 3 AsylG muss zwischen den Verfolgungsgründen und den als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen eine Verknüpfung bestehen. Eine nähere Umschreibung der Verfolgungsgründe enthält § 3b AsylG. Demnach ist unter dem Begriff der politischen Überzeugung insbesondere zu verstehen, dass der Ausländer in einer Angelegenheit, die die in § 3c AsylG genannten potenziellen Verfolger sowie deren Politiken oder Verfahren betrifft, eine Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung vertritt, wobei es unerheblich ist, ob er aufgrund dieser Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung tätig geworden ist (vgl. § 3b Abs. 1 Nr. 5 AsylG). Unerheblich ist, ob der Ausländer tatsächlich die politischen Merkmale aufweist, sofern ihm diese Merkmale von seinen Verfolgern zugeschrieben werden (§ 3b Abs. 2 AsylG).
Eine Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG kann ausgehen von dem Staat, von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebietes beherrschen, oder nichtstaatlichen Akteuren, sofern die vorgenannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor der Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (vgl. § 3c AsylG). Der Schutz vor Verfolgung muss wirksam sein und darf nicht nur vorübergehender Art sein. Generell ist ein solcher Schutz gewährleistet, wenn die genannten Akteure geeignete Schritte einleiten, um die Verfolgung zu verhindern, beispielsweise durch wirksame Rechtsvorschriften zur Ermittlung, Strafverfolgung und Ahndung von Handlungen, die eine Verfolgung darstellen, und wenn der Ausländer Zugang zu diesem Schutz hat (vgl. § 3d Abs. 2 AsylG).
Gemäß § 3e AsylG wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslands keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (sog. „interner Schutz“, vgl. § 3e Abs. 1 AsylG).
Nach Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU ist die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde bzw. von solcher Verfolgung unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung bedroht wird. Diese Regelung privilegiert den von ihr erfassten Personenkreis durch eine Beweiserleichterung, nicht aber durch einen herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab, wie er in der deutschen asylrechtlichen Rechtsprechung entwickelt worden ist. Die Vorschrift begründet für die von ihr begünstigten Antragsteller eine widerlegbare Vermutung dafür, dass sie erneut von einer solchen Verfolgung bedroht sind. Dadurch wird der Vorverfolgte von der Notwendigkeit erfasst, stichhaltige Gründe dafür dazulegen, dass sich die verfolgungsbegründeten Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland erneut realisieren werden (vgl. BVerwG, U.v. 19.1.2009 – 10 C 5/09, juris Rn. 23).
Die Beweiserleichterung nach Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU kommt dem vorverfolgten Antragsteller dabei auch bei der Prüfung zugute, ob für ihn im Gebiet einer internen Schutzalternative keine begründete Furcht vor Verfolgung besteht (vgl. BVerwG, U.v. 5.5.2009 – 10 C 21/08 -, juris Rn. 24 f).
Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft setzt überdies voraus, dass zwischen der Verfolgungshandlung und der späteren Ausreise („Flucht“) ein objektiver Zusammenhang besteht. Zwar ist nicht nur derjenige i.S.d. Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG verfolgt ausgereist, der noch während der Dauer eines Pogroms oder individueller Verfolgung seinen Herkunftsstaat verlässt. Dies kann vielmehr auch bei einer Ausreise erst nach dem Ende einer Verfolgung der Fall sein. Die Ausreise muss dann aber unter Umständen geschehen, die bei objektiver Betrachtungsweise noch das äußere Erscheinungsbild einer unter dem Druck der erlittenen Verfolgung stattfindenden Flucht ergeben. Nur wenn ein durch die erlittene Verfolgung hervorgerufenes Trauma in einem solchen äußeren Zusammenhang eine Entsprechung findet, kann es als beachtlich angesehen werden. In dieser Hinsicht kommt der zwischen dem Abschluss der Verfolgung und der Ausreise verstrichenen Zeit eine entscheidende Bedeutung zu. Je länger der Ausländer nach erlittener Verfolgung in seinem Heimatland unbehelligt verbleibt, umso mehr schwindet der objektive äußere Zusammenhang mit seiner Ausreise dahin. Daher kann allein schon bloßer Zeitablauf dazu führen, dass eine Ausreise den Charakter einer unter dem Druck einer früheren Verfolgung stehenden Flucht verliert. Daraus folgt, dass ein Ausländer, dessen Verfolgung in der Vergangenheit ihr Ende gefunden hat, grundsätzlich nur dann als verfolgt ausgereist angesehen werden kann, wenn er seinen Heimatstaat in nahem zeitlichen Zusammenhang mit der Beendigung der Verfolgung verlässt. Das bedeutet nicht, dass er zwangsläufig stets sofort oder unmittelbar danach ausreisen müsste. Es ist ausreichend, aber auch erforderlich, dass die Ausreise zeitnah zur Beendigung der Verfolgung stattfindet. Welche Zeitspanne in dieser Hinsicht maßgebend ist, hängt von den Umständen der jeweiligen Verhältnisse ab (vgl. BVerwG, U.v. 30.10.1990 -9 C 60/89 – juris; VGH BW, U.v. 7.3.2013 – A 9 S 1873/12 -, juris; Marx, Handbuch zum Flüchtlingsschutz, 2. Aufl. 2012, § 29 Rn. 59 ff.).
Bei der individuellen Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz sind alle mit dem Herkunftsland verbundenen Tatsachen zu berücksichtigen, die zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag relevant sind, einschließlich der Rechts- und Verwaltungsvorschriften des Herkunftslandes und der Weise, in der sie angewandt werden, sowie die maßgeblichen Angaben des Antragstellers und die von ihm vorgelegten Unterlagen, einschließlich Informationen zu der Frage, ob er verfolgt worden ist bzw. verfolgt werden könnte (Art. 4 Abs. 3 Buchst. a und b RL 2011/95/EU). Weiterhin sind zu berücksichtigen die individuelle Lage und die persönlichen Umstände des Antragstellers, einschließlich solcher Faktoren wie familiärer und sozialer Hintergrund, Geschlecht und Alter, um bewerten zu können, ob in Anbetracht seiner persönlichen Umstände die Handlungen, denen er ausgesetzt war oder ausgesetzt sein könnte, einer Verfolgung gleichzusetzen sind (vgl. Art. 4 Abs. 3 Buchst. c RL 2011/95/EU).
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts muss auch in Asylstreitigkeiten das Gericht die volle Überzeugung von der Wahrheit – und nicht etwa nur der Wahrscheinlichkeit – des vom Kläger behaupteten individuellen Schicksals erlangen, aus dem er seine Furcht vor politischer Verfolgung herleitet. Wegen der häufig bestehenden Beweisschwierigkeiten des Asylbewerbers kann schon allein sein eigener Sachvortrag zur Asylanerkennung führen, sofern sich das Tatsachengericht unter Berücksichtigung aller Umstände von dessen Wahrscheinlichkeit überzeugen kann (BVerwG, B.v. 21.7.1989 – 9 B 239/89 – juris Rn. 3).
Das Tatsachengericht darf dabei berücksichtigen, dass die Befragung von Asylbewerbern aus anderen Kulturkreisen mit erheblichen Problemen verbunden ist (vgl. BVerwG, B.v. 21.7.1989 a.a.O. Rn. 4). Der Asylbewerber befindet sich typischerweise in Beweisnot. Er ist als „Zeuge in eigener Sache“ zumeist das einzige Beweismittel. Auf die Glaubhaftigkeit seiner Schilderung und die Glaubwürdigkeit seiner Person kommt es entscheidend an (vgl. BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – juris Rn. 121). Demgemäß setzt ein Asylanspruch bzw. die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft gem. § 3 AsylG voraus, dass der Asylsuchende den Sachverhalt, der seine Verfolgungsfurcht begründen soll, schlüssig darlegt. Dabei obliegt es ihm, unter genauer Angabe von Einzelheiten und gegebenfalls unter Ausräumung von Widersprüchen und Unstimmigkeiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, der geeignet ist, das Asylbegehren lückenlos zu tragen (BVerwG, U.v. 8.5.1984, Buchholz § 108 VwGO Nr. 147).
An der Glaubhaftmachung von Verfolgungsgründen fehlt es in der Regel, wenn der Asylsuchende im Laufe des Verfahrens unterschiedliche Angaben macht und sein Vorbringen nicht auflösbare Widersprüche enthält, wenn seine Darstellung nach der Lebenserfahrung oder aufgrund der Kenntnis entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe unglaubhaft erscheint, sowie auch dann, wenn er sein Asylvorbringen im Laufe des Asylverfahrens steigert, insbesondere wenn er Tatsachen, die er für sein Asylbegehren als maßgeblich bezeichnet, ohne vernünftige Erklärung erst sehr spät in das Verfahren einführt (vgl. BVerfG, B.v. 29.11.1990, InfAuslR 1991, 94, 95; BVerwG, U.v. 30.10.1990, Buchholz 402.25 § 1 AsylG Nr. 135; B.v. 21.7.1989, Buchholz a.a.O., Nr. 113).
In Anwendung dieser Grundsätze ist bei dem Kläger keine Flüchtlingseigenschaft gem. § 3 AsylG festzustellen. Es lässt sich nicht feststellen, dass der Kläger vor seiner Ausreise aus Äthiopien oder im Falle einer Rückkehr nach Äthiopien landesweit von politischer Verfolgung betroffen war bzw. bedroht sein würde. Darüber hinaus hat der Kläger keinen Sachverhalt geschildert, der auf seine Verfolgung schließen würde.
Der Kläger macht zwar Asyl- und Flüchtlingsschutz hinsichtlich einer auf Eritrea bezogenen Verfolgungsfurcht geltend; das Gericht geht aber davon aus, dass der Kläger nicht Eritreer, sondern Äthiopier ist. Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft kommt nach § 3 Abs. 1 AsylG i.V.m. Art. 1A Nr. 2 GFK nur bei Verfolgung im Staat der Staatsangehörigkeit oder – bei de jure Staatenlosen – im Staat des gewöhnlichen Aufenthalts in Betracht (vgl. BVerwG, U.v. 26.2.2009 – 10 C 50/07 – juris; U.v. 8.2.2005 – 1c 29.03 – juris). Ist der Kläger aber äthiopischer Staatsangehöriger, ist die Flüchtlingseigenschaft bei ihm nicht gegeben, da er in Äthiopien keiner flüchtlingsrelevanten Bedrohung ausgesetzt ist, so dass es auf seinen Eritrea betreffenden Vortrag nicht ankommen kann.
Die Frage, welche Staatsangehörigkeit eine Person innehat, bestimmt sich nach dem Staatsangehörigkeitsrecht des in Frage kommenden Staates, weil Erwerb und Verlust der Staatsangehörigkeit grundsätzlich durch innerstaatliche Rechtsvorschriften geregelt werden. Im Rahmen der Prüfung der Staatsangehörigkeit findet der Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung Anwendung (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Dementsprechend gibt es keine Beweisregel des Inhalts, dass der Nachweis der Staatsangehörigkeit eines Staates nur durch Vorlage entsprechender Papiere dieses Staates geführt werden kann. Es ist nämlich gerade Sinn und Zweck der freien Beweiswürdigung, das Gericht nicht an starre Regeln zu binden, sondern ihm zu ermöglichen, den jeweiligen besonderen Umständen des Einzelfalles gerecht zu werden (BVerwG, U.v. 8.2.2015 – 1 C 29/03 – juris). Im Rahmen der Prüfung der Staatsangehörigkeit verpflichtet § 173 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 293 ZPO das erkennende Gericht, ausländisches Recht unter Ausnutzung aller ihm zugänglichen Erkenntnisquellen von Amts wegen zu ermitteln.
Dass der Kläger mit Blick auf die geltend gemachte Verfolgungsfurcht tatsächlich eritreischer Staatsangehöriger ist, hat der darlegungs- und nach Kräften beweisbelastete Kläger nicht zur Überzeugung des Gerichts glaubhaft machen können.
Der Kläger selbst trägt vor, als Kind einer äthiopischen Mutter in Eritrea geboren worden zu sein (Bl. 102 BA). Damit hat der Kläger auf jeden Fall die äthiopische Staatsangehörigkeit erworben, Art. 3 Abs. 1 des äthiopischen Staatsangehörigkeitsgesetzes (Proklamation Nr. 1/1995 in Federal Negarit Gazeta I Nr.1 v. 21.8.1995).
Der Kläger trägt darüber hinaus vor, sein Vater sei Eritreer gewesen (Bl. 102 BA). Der Kläger legte kein Personaldokument vor, aus dem sich seine eritreische Staatsangehörigkeit ergeben würde. Seine Einlassung, er habe einen Personalausweis gehabt, den er im Sudan gelassen habe, überzeugt nicht. Es ist kein vernünftiger Grund erkennbar, warum jemand, der sich auf den Weg nach Europa macht, seinen Personalausweis im Sudan zurücklässt. Auch die Einlassung, er habe ihn bei einem Bekannten vergessen, ist nicht überzeugend.
Da der Kläger nach eigenen Angaben im Jahr 1992 geboren wurde, hat er durch die Geburt jedenfalls die eritreische Staatsangehörigkeit nicht erwerben können, da der eritreische Staat mit eigener Staatsangehörigkeit erst am 24. Mai 1993 gegründet wurde. Die eritreische Staatsangehörigkeit hätte der Kläger nur erwerben können, wenn sein Vater die eritreische Staatsangehörigkeit zum Zeitpunkt seiner Geburt hatte. Gem. Art. 2 der Proklamation Nr. 21/1992 über die eritreische Staatsangehörigkeit vom 6.4.1992 ist eritreischer Staatsbürger durch Geburt, wer in Eritrea oder im Ausland als Kind eines Vaters oder einer Mutter eritreischer Abstammung geboren ist. Dass der Vater des Klägers eritreischer Abstammung war, wurde nicht glaubhaft gemacht. „Eritreischer Abstammung“ ist, wer 1933 seinen Aufenthalt in Eritrea hatte, Art. 2 Abs. 2 der vorgenannten Proklamation. Dafür, dass dies auf den Vater oder die Eltern seines Vaters zutrifft, hat der Kläger nichts vorgetragen.
Insgesamt spricht nichts dafür, dass der Kläger eritreischer Staatsangehöriger ist. Das Gericht geht daher davon aus, dass der Kläger äthiopischer Staatsangehöriger ist.
Für die Ausreise aus Eritrea als Fünfjähriger hat der Kläger keinen Grund vorgetragen, der irgendwas mit einer asylrechtlichen Verfolgung zu tun hätte. Er trug nur vor, der Vater sei infolge eines Unfalls gestorben, die Mutter sei dann allein gewesen (Bl. 102 BA). In der mündlichen Verhandlung trug er vor, die Mutter habe gedacht, die Grenze werde geschlossen. Bei Rückkehr habe der Kläger Angst vor einer Haftstrafe; die Angst hat der Kläger aber nicht konkretisiert. Seine Einlassung, er könne als Spion behandelt werden. entbehrt jeder Grundlage.
Bezüglich Äthiopiens hat der Kläger keine Verfolgungsgründe vorgetragen, die die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft rechtfertigen würden. Sein Vortrag, die Nachbarn hätten „böse Worte“ gesagt, er sei Eritreer und müsse raus und der Kläger habe dort nicht ruhig leben können, erreicht nicht die Schwelle einer asylrechtlich relevanten Vorverfolgung. Dies kann dem Kläger überall passieren, dass seine Nachbarn nicht gut über ihn sprechen und hat mit einer politischen Vorverfolgung nichts zu tun. Auch ist es nicht Aufgabe des Asylrechts, dem Kläger ein ruhiges Leben zu ermöglichen (Bl. 101 BA).
Im Übrigen ist der Vortrag des Klägers auch unglaubhaft, so dass das Gericht nicht davon ausgeht, dass sich der Sachverhalt tatsächlich ereignet hat. Er trug in der mündlichen Verhandlung vor, im Jahr 2005/2006 der gregorianischen Zeitrechnung habe man ihm als Eritreer die Mitschuld für eine Schießerei auf dem Markt gegeben, an dem seine Mutter Handel betrieben habe. Davon hat der Kläger beim Bundesamt nichts erwähnt. Es handelt sich dabei um eine erhebliche Steigerung des Vorbringens, die den gesamten Sachverhalt unglaubhaft macht. Im Übrigen fehlt es an der Kausalität zwischen diesem angeblichen Vorfall und der fünf oder sechs Jahre späteren Ausreise des Klägers. Die Einlassung des Klägers hierzu, er habe dann in einem Grenzort zum Sudan gelebt, ist völlig abwegig. Zum einen hätte er auch dort ohne Probleme von der Polizei erreicht werden können, wäre er denn irgendwie verfolgt worden, zum anderen trug er beim Bundesamt vor, bis zur Ausreise in der Stadt Nazeret, Kreis Wenji gelebt zu haben (Bl. 100 BA). Die Stadt Nazret ist eine Stadt in Zentral Äthiopien und nicht an der Grenze zum Sudan. Der Kläger hat insoweit völlig unglaubhafte Angaben gemacht, die den gesamten geschilderten Sachverhalt unglaubhaft machen.
Warum der Kläger nicht im Sudan bleiben konnte, ist unerheblich, da er dorthin auch nicht zurückkehren soll und er nicht die sudanesische Staatsangehörigkeit hat.
Die exilpolitische Betätigung des Klägers führt nicht zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft. Er trug vor, an Versammlungen der Eriteran democratic Party teilzunehmen, bei denen über die politische Lage berichtet werde.
Es gibt in Äthiopien zahlreiche politische Exilgruppen mit sehr unterschiedlichen Hintergründen und „Agenden“. Dem Auswärtigen Amt liegen keine Erkenntnisse darüber vor, dass allein die Betätigung für eine oppositionelle Partei im Ausland bei Rückkehr nach Äthiopien zu staatlichen Repressionen führt. Grundsätzlich kommt es auf den Einzelfall an, d.h. z.B. darauf, ob eine Organisation von der äthiopischen Regierung als Terrororganisation angesehen wird oder um welche politische Tätigkeit es sich handelt (z.B. nachweisliche Mitgliedschaft, führende Position, Organisation gewaltsamer Aktionen). Von Bedeutung ist auch, ob und wie sich die zurückgeführte Person anschließend in Äthiopien politisch betätigt (Lagebericht vom 6. 3. 2017, II.1.9.).
Insgesamt ist den verfahrensgegenständlichen Erkenntnisquellen zu entnehmen, dass die äthiopische Regierung die Aktivitäten der äthiopischen Diaspora genau beobachtet bzw. durch die Auslandsvertretungen beobachten lässt. Spitzenpolitiker von Exilparteien, die der Regierung missliebig sind, müssen deshalb im Falle einer Rückkehr nach Äthiopien mit Verfolgung rechnen. Aktivitäten einfacher Parteimitglieder werden hingegen von der äthiopischen Regierung nicht registriert, da den Behörden hierzu die Ressourcen fehlen. Es sind zahlreiche Fälle von Mitgliedern von Exilparteien bekannt, die bei Rückkehr nach Äthiopien nicht belangt worden sind. Grundsätzlich kommt es – wie oben dargestellt – darauf an, ob eine Organisation von den äthiopischen Stellen als terroristisch eingestuft wird und welche Art exilpolitischer Aktivität festgestellt wird (führende Position, Organisation gewaltsamer Aktionen; Lagebericht vom 6. 3. 2017, II.1.9.; BayVGH, B.v. 14.7.2015 – 21 B 15.30119 – juris).
Dass der Kläger eine führende Position in der Ogadenischen Gemeinde bekleidet, wurde nicht vorgetragen. Er trug vor, Mitglied zu sein. Äthiopischen Stellen ist bekannt, dass abgelehnte Asylbewerber mit der exilpolitischen Betätigung versuchen, sich in Deutschland ein Bleiberecht zu sichern. Dies gilt umso mehr, als der Kläger voraussichtlich nicht an eine politische Betätigung in Äthiopien anknüpft, sondern unverfolgt ausgereist ist und nunmehr alles versucht (u.a. als Mitläufer in der ogadenischen Gemeinde), um in Deutschland bleiben zu können. Dass äthiopische Stellen dieses taktische Verhalten besonders ernst nehmen und den Kläger als ernsthaften Regimegegner einstufen, ist nicht anzunehmen und ergibt sich nicht aus der vorliegenden Erkenntnislage. Die Stellung eines Asylantrags bleibt bei Rückkehr nach Äthiopien ohne staatliche Verfolgung (o.g. Lagebericht, a.a.O.).
Insgesamt hat der Kläger keinen Sachverhalt vorgetragen, der auf irgendeine Verfolgung schließen lässt. Er ist offenbar aus Äthiopien ausgereist, um sich in eine bessere wirtschaftliche Lage zu bringen. Die behauptete eritreische Staatsangehörigkeit hat er nicht glaubhaft machen können.
Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG. Ein unionsrechtliches Abschiebungsverbot zugunsten des Klägers ist nicht ersichtlich. Insbesondere ist – auch nach den Angaben des Klägers – nicht ersichtlich, dass ihm bei einer Rückkehr in sein Herkunftsland Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (§ 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG; § 60 Abs. 2 AufenthG a.F.) drohen könnte.
Ein Abschiebungsverbot gem. § 60 Abs. 5 AufenthG liegt offensichtlich nicht vor.
Bei dem Kläger ist auch kein Abschiebungsverbot gem. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG festzustellen.
Der Kläger kann keinen Abschiebungsschutz wegen der harten Existenzbedingungen in Äthiopien beanspruchen. Dies wäre nur dann der Fall, wenn er bei seiner Rückkehr einer extremen Gefahrenlage dergestalt ausgesetzt wäre, dass er im Falle der Abschiebung dorthin gleichsam „sehenden Auges“ dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert sein würde (vgl. BVerwG, U. v. 12.7.2001, InfAuslR 2002, 52/55). Davon ist jedoch nicht auszugehen. Die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln ist in Äthiopien nicht in allen Landesteilen und zu jeder Zeit gesichert. Die Existenzbedingungen in Äthiopien, einem der ärmsten Länder der Welt, sind für große Teile insbesondere der Landbevölkerung äußerst hart und, bei Ernteausfällen, potentiell lebensbedrohend. In diesen Fällen ist das Land auf die Unterstützung internationaler Hilfsorganisationen angewiesen. 7.9 Menschen sind auf ein staatliches Sozialprogramm zur Ernährungssicherung angewiesen (Lagebericht vom 6. 3. 2017, IV.1.1.). Anhaltspunkte dafür, dass Rückkehrer keine Nahrungsmittelhilfe erhalten, bestehen nicht. Für Rückkehrer bieten sich schon mit geringem Startkapital Möglichkeiten zur bescheidenen Existenzgründung. Es sind keine Fälle bekannt, dass zurückgekehrte Äthiopier (56 Äthiopier sind aufgrund eines Rückführungsabkommens mit Norwegen freiwillig in ihr Heimatland zurückgekehrt) Benachteiligungen oder gar Festnahmen oder Misshandlungen ausgesetzt gewesen wären (Lagebericht, IV.2.). Nach dem Lagebericht (IV.1.1.) besteht ein hoher Bedarf an humanitärer Versorgung im Rahmen der Dürrehilfe mit einem Volumen von 948 Mio. USD.
Es ist für den Kläger sicher nicht leicht, in Äthiopien wieder Fuß zu fassen. Der Kläger hat aber in Äthiopien 7 Jahre lang die Schule besucht. Im Bundesgebiet wird er etwas Deutsch lernen können, so dass ihm als Rückkehrer ein Neustart in einem einfachen Beruf gelingen kann.
Die nach Maßgabe des § 34 Abs. 1 und des § 36 Abs. 1 AsylG erlassene Abschiebungsandrohung ist nicht zu beanstanden. Der Kläger besitzt keine Aufenthaltsgenehmigung und ist auch nicht als Asylberechtigter anerkannt.
Soweit sich der Kläger mit seiner Klage gegen die im angefochtenen Bescheid ausgesprochene Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbotes auf 30 Monate wendet, hat die Klage ebenfalls keinen Erfolg. Die Beklagte war nach § 11 Abs. 2 Satz 3 i.V.m. § 75 Nr. 12 AufenthG zur Entscheidung über die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots (§ 11 Abs. 1 AufenthG) berufen. Die Entscheidung, das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung zu befristen, ist auch ermessensfehlerfrei getroffen worden. Das Vorliegen besonderer Umstände ist vom Kläger weder vorgetragen noch ersichtlich. Die vorgenommene Befristung auf 30 Monate begegnet keinen Bedenken.
Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i. V.m. §§ 708 ff. ZPO.

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