Aktenzeichen 8 ZB 19.32389
RL 2013/32/EU Art. 9
Leitsatz
1 Es besteht keine Gefahr, dass im Rahmen des Vollzugs des EU-Rückübernahmeabkommen mit Äthiopien auf Regierungsgegner aufmerksam gemacht wird, da die Übermittlung von Daten Betroffener an die äthiopischen Behörden voraussetzt, dass deren Asylanträge unanfechtbar abgelehnt wurden; dann steht rechtskräftig fest, dass ihnen bei einer Rückkehr nach Äthiopien nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung droht. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
M 12 K 17.38327 2019-03-15 Urt VGMUENCHEN VG München
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Gründe
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
1. Der allein geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) ist nicht in einer Weise dargetan, die den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG genügt.
Einer Rechtssache kommt grundsätzliche Bedeutung gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG zu, wenn für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts eine konkrete, jedoch fallübergreifende Tatsachen- oder Rechtsfrage von Bedeutung war, deren noch ausstehende obergerichtlich Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zu einer bedeutsamen Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint (vgl. BayVGH, B.v. 5.12.2017 – 11 ZB 17.31711 – juris Rn. 2; BVerwG, B.v. 21.11.2017 – 1 B 148.17 u.a. – juris Rn. 4 zu § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Dementsprechend verlangt die Darlegung der rechtsgrundsätzlichen Bedeutung nach § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG, dass eine konkrete Tatsachen- oder Rechtsfrage formuliert und aufgezeigt wird, weshalb die Frage im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts klärungsbedürftig und entscheidungserheblich (klärungsfähig) ist. Ferner muss dargelegt werden, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung dieser Frage besteht (vgl. BayVGH, B.v. 5.12.2017 – 11 ZB 17.31711 – juris Rn. 2; BVerwG, B.v. 30.9.2015 – 1 B 42.15 – juris Rn. 3). Darzulegen sind mithin die konkrete Frage sowie ihre Klärungsbedürftigkeit, Klärungsfähigkeit und allgemeine Bedeutung (vgl. OVG NRW, B.v. 15.12.2017 – 13 A 2841/17.A – juris Rn. 3 ff.).
Stützt sich das Verwaltungsgericht bei seiner Entscheidung auf bestimmte Erkenntnismittel oder gerichtliche Entscheidungen, genügt es den Darlegungsanforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG in Bezug auf die grundsätzliche Bedeutung einer Tatsachenfrage nicht, wenn lediglich die Behauptung aufgestellt wird, die für die Beurteilung maßgeblichen tatsächlichen Verhältnisse stellten sich anders dar als vom Verwaltungsgericht angenommen (vgl. BayVGH, B.v. 25.1.2018 – 8 ZB 17.31884 – juris Rn. 4). Vielmehr bedarf es in diesen Fällen zumindest eines überprüfbaren Hinweises auf andere Gerichtsentscheidungen oder auf vom Verwaltungsgericht nicht berücksichtigte sonstige Tatsachen- und Erkenntnisquellen (z.B. Gutachten, Auskünfte, Presseberichte), die zumindest eine gewisse Wahrscheinlichkeit aufzeigen, dass die aufgeworfene Tatsachenfrage anders als in der angefochtenen Entscheidung zu beantworten ist (vgl. BayVGH, B.v. 18.1.2018 – 8 ZB 17.31372 – juris Rn. 5; OVG NRW, B.v. 12.12.2016 – 4 A 2939/15.A – juris Rn. 4 f., jeweils m.w.N.).
Diesen Anforderungen wird das klägerische Vorbringen nicht gerecht.
1.1 Die vom Zulassungsantrag für grundsätzlich bedeutsam gehaltenen Rechtsfrage,
ob das im Februar 2018 in Kraft getretene Rückübernahmeabkommen zwischen der Europäischen Union und der Demokratischen Bundesrepublik Äthiopien gegen höherrangiges Recht, insbesondere Völkerrecht, verstößt,
ist nicht klärungsbedürftig. EU-Rückübernahmeabkommen betreffen nur Ausländer, die sich ohne Aufenthaltsrecht in einem EU-Mitgliedstaat aufhalten (vgl. auch BT-Drs. 19/2610 S. 14). Hat eine Person – wie der Kläger – internationalen Schutz beantragt, so ist sie nach EU-Recht (vgl. Art. 9 Richtlinie 2013/32/EU) und nationalem Asylrecht (vgl. § 55 Abs. 1, § 67 AsylG) berechtigt, im Hoheitsgebiet des jeweiligen Mitgliedstaats zu bleiben, bis über den Antrag entschieden ist. Erst nach Ablehnung des Antrags kann eine Rückführung vollzogen werden, sodass eine Person, die Anspruch auf internationalen Schutz hat, niemals von einer Maßnahme nach einem Rückübernahmeabkommen betroffen sein kann, da ihr Aufenthalt nicht unrechtmäßig ist (vgl. auch Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat – Evaluierung der EU-Rückübernahmeabkommen, KOM(2011) 76 endgültig = BR-Drs. 112/11 S. 12). Die laut dem im Zulassungsantrag angeführten Pressebericht (taz vom 16.1.2018: „EU-Abkommen für Abschiebungen – Äthiopien soll kooperieren“) von Amnesty International geäußerte Befürchtung, der äthiopische Geheimdienst könnte im Rahmen des Vollzugs des Rückübernahmeabkommens auf Regierungsgegner aufmerksam werden und diese verfolgen, ist somit unbegründet. Die Übermittlung von Daten Betroffener an die äthiopischen Behörden setzt voraus, dass deren Asylanträge unanfechtbar abgelehnt wurden; dann steht rechtskräftig fest, dass ihnen bei einer Rückkehr nach Äthiopien nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung droht.
1.2 Mit den im Zulassungsantrag aufgeworfenen Tatsachenfragen,
ob ein Rückkehrer nach Äthiopien, der in Eritrea geboren ist und als Kind ohne Eltern von Eritrea nach Äthiopien geflüchtet ist, in der Lage ist, in Äthiopien ohne familiäre Unterstützung eine ausreichende Existenzgrundlage zu finden,
ob ein Rückkehrer, der in Eritrea geboren ist und als Kind ohne Eltern von Eritrea nach Äthiopien geflüchtet ist, in Äthiopien Zugang zu Arbeit, Wohnung, Wasser und Lebensmitteln hat,
zeigt der Kläger keinen Klärungsbedarf auf. Das Verwaltungsgericht hat das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG unter Zugrundelegung äußerst harter Lebensbedingungen in Äthiopien verneint (vgl. Urteilsabdruck S. 15). Es hat angenommen, dass der Kläger den Lebensunterhalt für sich und seinen Sohn sowie dessen Mutter (vgl. BVerwG, U.v. 21.9.1999 – 9 C 12.99 – BVerwGE 109, 305 = juris Rn. 10) durch Arbeit erwirtschaften kann. Seiner Prognose hat es insbesondere die vierjährige Schulbildung des Klägers, seine bisherige Tätigkeit als Reinigungskraft im Sudan und etwas Deutschkenntnisse zugrunde gelegt (vgl. Urteilsabdruck S. 16). Diese Wertung wird vom Kläger nicht durch aktuelle Erkenntnisquellen oder Gerichtsentscheidungen infrage gestellt. Die Auskunft der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 29. Januar 2013 („Äthiopien: Gemischt eritreisch-äthiopische Herkunft – Auskunft aus der SFH-Länderanalyse“), mit der der Kläger eine in Äthiopien drohende Diskriminierung aufgrund seiner eritreischen Herkunft belegen will, ist im Hinblick auf die seit Juni 2018 erfolgte Versöhnung Äthiopiens und Eritreas überholt. Der Zulassungsantrag zeigt nicht auf, inwiefern die früheren Aussagen in der Auskunft vom 29. Januar 2013 trotzdem fortgelten sollten. Abgesehen davon lässt sich auch dieser Auskunft nicht entnehmen, dass es zurückkehrenden Äthiopiern mit eritreischer Herkunft mit hoher Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – BVerwGE 146, 12 = juris Rn. 38; U.v. 8.8.2018 – 1 B 25.18 – NVwZ 2019, 61 = juris Rn. 9) unmöglich sein könnte, dort eine noch ausreichende Existenzgrundlage sicherzustellen.
1.3 Die vom Kläger weiter aufgeworfene Tatsachenfrage,
welchen Einfluss die Bildung der jeweiligen Person auf die Chance hat, eine Beschäftigung zu finden,
ist einer grundsätzlichen Klärung im Sinne von § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG nicht zugänglich, weil sie viel zu allgemein gefasst ist und sich somit in dieser Allgemeinheit in einem Berufungsverfahren nicht stellen würde.
1.4 Auch die vom Kläger als grundsätzlich bedeutsam erachtete Tatsachenfrage,
ob aktuell für Zivilpersonen im gesamten Staatsgebiet Äthiopiens ein solches Gewaltniveau besteht, dass allein aufgrund ihrer Anwesenheit aktuell oder in naher Zukunft die Gefahr besteht, einen ernsthaften Schaden hinsichtlich des Lebens oder der körperlichen Unversehrtheit zu erleiden,
weist keinen Klärungsbedarf auf, weil sie auf der Grundlage der aktuellen Rechtsprechung des Senats auch ohne Durchführung eines Berufungsverfahrens beantwortet werden kann. Der Senat hat festgestellt, dass es nach aktueller Erkenntnislage in keiner Region Äthiopiens bürgerkriegsähnliche Zustände gibt mit der Folge, dass sich nicht feststellen lässt, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass jede Zivilpersonen im Fall einer Rückkehr allein durch ihre Anwesenheit tatsächlich Gefahr liefe, eine ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit ausgesetzt zu sein (vgl. nur BayVGH, U.v. 29.3.2019 – 8 B 18.30276 – juris Rn. 50; U.v. 12.3.2019 – 8 B 18.30252 – juris Rn. 53). Der Putschversuch mit der Tötung des amharischen Regionalpräsidenten und hochrangiger Armeeangehöriger am 23. Juni 2019 rechtfertigt nach den bisher hierzu veröffentlichten Presseberichten keine andere Einschätzung. Der Rechtsprechung des Senats liegt zugrunde, dass sich der Konflikt zwischen Regierung und militanten Gruppierungen in Äthiopien bereits seit Monaten verschärft hat und es immer wieder zu gewalttätigen Zusammenstößen gekommen ist (vgl. U.v. 13.2.2019 – 8 B 17.31645 – juris Rn. 45). Der jüngste Putschversuch fügt sich in dieses Lagebild ein. Konkrete Anhaltspunkte, dass sich die innenpolitische Situation in Äthiopien seitdem erheblich verschlechtert hätte, werden vom Zulassungsantrag nicht aufgezeigt und sind auch sonst nicht erkennbar. Das vom Kläger angeführte Dossier Äthiopien der Bundeszentrale für politische Bildung vom 19. Februar 2018 gibt für eine aktuelle Lageeinschätzung nichts her.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG). Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 Abs. 1 Satz 1 RVG.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).