Aktenzeichen M 15 K 16.31762
Leitsatz
1 In Albanien gibt es auch derzeit noch Fälle von Blutrache. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
2 Im Hinblick auf die Novellierung des albanischen Strafgesetzbuchs im Jahre 2012, durch die die vorsätzliche Tötung im Kontext mit Blutrache oder Blutfehde unter Strafe gestellt wurde, ist eine Strafanzeige bei der Polizei nicht von vornherein aussichtslos, um eine Verfolgung zu verhindern. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
Das Gericht konnte trotz Ausbleibens eines Vertreters der Beklagten über die Sache verhandeln und entscheiden, das die Beklagte ordnungsgemäß geladen und in der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden war (§ 102 Abs. 2 VwGO).
Die Klage ist zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg. Da sich die Klage vom … Juli 2016 nur gegen die Nummern 3 und 4 des Bescheids richtet, ist der Bescheid im Übrigen bestandskräftig geworden.
Der Bescheid vom 29. Juni 2016 ist jedoch auch in Nummer und 3 und 4 rechtmäßig und verletzt den Kläger damit nicht in eigenen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 Satz 1 VwGO). Das Bundesamt hat zu Recht die Zuerkennung des subsidiä-ren Schutzes (§ 4 AsylG) und das Vorliegen von Abschiebungshindernissen (§ 60 Abs. 5 und 7 AufenthG) abgelehnt.
Nach § 4 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer subsidiärer Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt dabei die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG). Für die Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 AsylG gelten nach § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG die §§ 3c bis 3e AsylG entsprechend. Damit werden die dortigen Bestimmungen über den Vorverfolgungsmaßstab, Nachfluchtgründe, Verfolgungsund Schutzakteure und internen Schutz als anwendbar auch für die Zuerkennung subsidiären Schutzes erklärt. Der Kläger muss also die Umstände und Tatsachen, die für die von ihm befürchtete Gefahr von Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung maßgeblich sind, von sich aus konkret in sich stimmig und erschöpfend vortragen (Art. 4 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Buchstabe c Richtlinie 2011/95/EU, § 25 Abs. 2 AsylG). Auch insofern trifft ihn die Darlegungslast (vgl. Marx, Handbuch zur Qualifikationsrichtlinie, 2009, S. 762).
Hinsichtlich der Glaubhaftmachung einer erheblichen Gefährdung aufgrund Blutrache kommt dem persönlichen Vorbringen des Asylsuchenden und dessen Würdigung eine besondere Bedeutung zu. Dabei müssen dessen Behauptungen unter Berücksichtigung aller sonstigen Umstände in dem Sinne glaubhaft sein, dass das Gericht die volle Überzeugung von der Wahrheit – und nicht etwa nur von der Wahrscheinlichkeit – des behaupteten individuellen Schicksals sowie von der Richtigkeit der Prognose der drohenden Gefährdung gewinnt.
Die Gefahr, Opfer einer Blutrachetat zu werden, kann in den Anwendungsbereich des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG fallen. Das Gericht erkennt an, dass es in Albanien auch derzeit noch Fälle von Blutrache gibt. Dies ist den vorliegenden Erkenntnismitteln (Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Albanien des Auswärtigen Amts vom 10. Juni 2015, S. 10; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Albanien: Blutrache, vom 13. Juli 2016, S. 8, Bundesamt, Blickpunkt Albanien Blutrache, April 2014, S. 7 ff.) zu entnehmen. Das Gericht geht auch davon aus, dass es zwischen den Familien … und S. einen Grundkonflikt gibt, der auf die Tat aus den 1940er Jahren zurückzuführen ist. Hierfür sprechen die vorgelegten Bestätigungen und die Ausführungen im Schreiben des Auswärtigen Amts vom 22. Januar 2015. Auch die Angaben des Klägers und seines als Zeugen vernommenen Bruders A. …, sprechen hierfür.
Das Gericht ist allerdings sowohl nach Aktenlage als auch nach dem Eindruck des Ergebnisses der mündlichen Verhandlung nicht abschließend davon überzeugt, dass dem Kläger bei einer Rückkehr eine ernstzunehmende konkrete Gefahr einer Blutrachetat droht. Nach Angaben des Klägers, die durch die Aussage seines Bruders bestätigt wurde, beschränkt sich die Bedrohungslage auf verbale Drohungen des V. S., dem Neffen des Opfers, im Jahr 1997 und 2003 und die Beobachtung des Hauses der klägerischen Familie im Jahr 2004.
Persönliche Aufeinandertreffen oder Bedrohungen konkreterer Art oder gar körperliche Übergriffe hat es in Bezug auf den Kläger nie gegeben. Es ist für das Gericht nicht nachgewiesen, dass die behauptete Bedrohung hinreichend konkret ist. Ob der Kläger, der seit 1999 nicht mehr in Albanien lebt, das Land aus Angst vor V. S. oder aus anderen Gründen verlassen hat, ist nicht erkennbar. Nach den Erkenntnissen des Lageberichts des Auswärtigen Amts vom 10. Juni 2015 zögen sich von Blutrache bedrohte Familien oft zurück ohne hierzu gezwungen oder konkret bedroht worden zu sein. Sie täten dies vielmehr aus freiem Willen aus Tradition und Respekt vor den Familien der Opfer sowie aus einer unbestimmten Angst, die jedoch nicht aus einer konkreten Bedrohung herrührt. Dies scheint vorliegend der Fall zu sein. Gegen eine konkrete gesundheits- oder gar lebensgefährdende Bedrohung spricht, dass der Kläger nach der Bedrohung durch V. S. im Jahr 1997 noch weitere zwei Jahre unbehelligt in seinem Heimatdorf lebte. Denn er gab an, erst im Jahr 1999 nach M. ausgereist zu sein. Ferner spricht dagegen, dass auch der Vater des Klägers bis zum Jahr 2013 unbehelligt dort lebte. Sein Umzug nach T. sei, so der Bruder des Klägers in der mündlichen Verhandlung vom 26. September 2016, vor allem den gesundheitlichen Einschränkungen geschuldet. Auch dort lebt der Vater nun völlig unbehelligt, obwohl auch Mitglieder der Familie S. in T. lebten Ob die behauptete Gefahr, Opfer einer Blutrachetat zu werden, hinreichend konkret ist, kann jedoch im Ergebnis dahinstehen, denn jedenfalls ergibt sich aus den dem Gericht vorliegenden Erkenntnismitteln (Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Albanien des Auswärtigen Amts vom 10. Juni 2015, S. 10; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Albanien: Blutrache, vom 13. Juli 2016, S. 8, Bundesamt, Blickpunkt Albanien Blutrache, April 2014, S. 7 ff.), dass der albanische Staat die Blutrache ablehnt, sie bekämpft und Schutz vor ihr gewähren kann. Aufgrund seiner begrenzten Kapazitäten und der langsamen und korruptionsanfälligen Justiz jedoch nur mit eingeschränktem Erfolg. Daraus lässt sich für das Gericht entgegen den vom Bevollmächtigten des Klägers vorgelegten Urteilen des VG Bremen vom 11.8.2016 – 5 K 1170/16 und des VG Magdeburg vom 16.7.205 – 3 A 240/1 4MD schließen, dass die albanischen Sicherheitsbehörden trotz nach wie vor bestehender Defizite generell fähig und willig sind, vor einem ernsthaften Schaden durch nichtstaatliche Akteure Schutz zu gewähren (vgl. § 3 d Abs. 1 und 2 AsylG). Im Juni 2014 wurde Albanien der Status des Beitrittskandidaten zur Europäischen Union verliehen. Die Entscheidung des Europäischen Rats war Anerkennung der von Albanien unternommenen Reformmaßnahmen und gleichzeitig eine Ermutigung, notwendige Reformen weiter voranzutreiben. Aus den sich auf den Zeitraum Oktober 2013 bis September 2014 beziehenden Fortschrittsberichten der EU-Kommission ergibt sich, dass Albanien, auch wenn in vielen Bereichen noch Mängel festzustellen sind, u.a. Reformmaßnahmen im Bereich der Justiz und der öffentlichen Verwaltung umgesetzt und Fortschritte im Kampf gegen die Korruption und die organisierte Kriminalität erreicht hat (OVG Nordrhein-Westfalen, B.v. 23.2.2015 – 11 A 334/14.A -, juris Rn. 8 m.w.N.). Der albanische Staat hat spezielle Rechtsvorschriften erlassen bzw. auf den Weg gebracht. So wurde im Zuge der Novellierung des albanischen Strafgesetzbuchs im Jahre 2012 die vorsätzliche Tötung im Kontext mit Blutrache oder Blutfehde mit nunmehr 30 Jahren Freiheitsstrafe unter Strafe gestellt. Selbst die Androhung von Blutrache wird mit einer Geldstrafe oder Inhaftierung bis zu drei Jahren bestraft (vgl. Bundesamt, Blickpunkt Albanien – Blutrache, April 2014, S. 18).
Vor diesem Hintergrund kann nicht festgestellt werden, dass ein Schutzersuchen des Klägers bzw. eine Strafanzeige bei der Polizei von vornherein aussichtslos (gewesen) wäre. Dies gilt zumindest heute. Etwas Abweichendes hat der Kläger auch nicht vorgetragen, insbesondere ist nicht nachvollziehbar dargelegt, weshalb er gegen die behauptete drohende Verfolgung nicht die Polizei eingeschaltet hat bzw. sie zum jetzigen Zeitpunkt einschalten kann. Es ist nicht ersichtlich, dass ihm jeglicher Schutz sicher verweigert worden wäre bzw. wird. Damit steht für das Gericht nicht erwiesenermaßen fest, dass die albanischen Sicherheitsbehörden nicht willens oder in der Lage sind, dem Kläger Schutz vor einem ernsthaften Schaden durch nichtstaatliche Akteure zu gewähren, § 4 Abs. 3 AsylG i.V.m. § 3c Nr. 3, § 3d AsylG (vgl. BayVGH, B.v. 3.3.2016 – 10 ZB 14.844; OVG Saarland, B.v.18.12.2015 – 2 A 128/15; VG München, GB v. 28.6.2016 – M 17 K 16.30705; VG Düsseldorf, U. v. 12.03.2015 – 6 K 8197/14.A; VG Oldenburg, U. v. 4.11.2015 – 5 A 3694/15; VG Osnabrück, U.v.. 31. August 2015 – 5 A 94/15 – alle juris)
Selbst im Fall einer unterstellten Bedrohung des Klägers durch Blutrache ist die Zuerkennung subsidiären Schutzes gem. § 3e AsylG i.V.m. § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG ausgeschlossen, weil sich der Kläger im hier zu entscheidenden Einzelfall auf internen Schutz verweisen lassen muss (vgl. VG München, GB v. 28.6.2016 – M 17 K 16.30705; VG Düsseldorf, U. v. 12.3.2015 – 6 K 8197/14.A; VG Oldenburg, B.v. 18.01.2016 – 5 B 4568/15 – juris). Es ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass die behauptete Gefahr für den Kläger landesweit besteht. Er kann sich einem drohenden Konflikt durch Umzug in einen entfernt liegenden Landesteil zu entziehen (innerstaatliche Fluchtalternative). In Albanien sind für potentielle Blutracheopfer -wenn auch begrenzt – inländische Fluchtalternativen vorhanden. So bieten die Hauptstadt Tirana und andere urbane Zentren eine gewisse Anonymität (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Albanien, Stand: Mai 2015, Seite 11). Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, seinen Vornamen geändert zu haben. Mit dieser Maßnahme und vor dem Hintergrund der Tatsache, dass der Familienname „…“ in Albanien recht verbreitet ist (1.665 Personen trugen im Jahr 2014 in Albanien den Familiennahmen …, vgl. http://forebears.io/de/surnames/ …*) ist ein gewisses Maß an Anonymität gewährleistet. Dafür dass die behauptete Verfolgung durch v. s. derart hartnäckig sein soll, dass zu befürchten wäre, dass er versucht, den Kläger aufzuspüren, gibt es keinerlei Anhaltspunkte.
Bezüglich des Nichtvorliegens von Abschiebungshindernissen gemäß § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG verweist das Gericht auf den zwischen den Beteiligten ergangenen Beschluss vom 2. August 2016 im Eilverfahren sowie den angegriffenen Bescheid (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Das Verfahren ist gemäß § 83b AsylG gerichtskostenfrei. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.