Verwaltungsrecht

Keine Verfolgung wegen Mitgliedschaft in einer Geheimgesellschaft in Sierra Leone

Aktenzeichen  Au 4 K 16.32061

Datum:
22.3.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 3, § 3b, § 3e Abs. 1, § 4, § 34 Abs. 1, § 38 Abs. 1
AufenthG AufenthG § 59, § 60 Abs. 5, § 60 Abs. 7
StPO StPO § 244 Abs. 4 S. 2 Hs. 2

 

Leitsatz

1 Im Bereich des Aberglaubens wurzelnde Bedrohungen stellen keine asylrelevanten Verfolgungs- oder Gefährdungstatbestände dar. (redaktioneller Leitsatz)
2 Geheimgesellschaften wie die „Poro-Society“ sind in Sierra Leone landesweit tätig; Personen, die die Mitgliedschaft in einer dieser Gesellschaften ablehnen, können insbesondere in den größeren Städten ohne Probleme leben. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der Kläger hat zu dem nach § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung keinen Anspruch auf die Anerkennung als Asylberechtigter, die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, die Gewährung subsidiären Schutzes und die Feststellung von Abschiebungsverboten. Der streitgegenständliche Bescheid des Bundesamts vom 19. September 2016 (Gz.: *) ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
1. Nach § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Ein Ausländer ist nach § 3 Abs. 1 AsylG Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560 – Genfer Flüchtlingskonvention), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb seines Herkunftslandes befindet. Eine Verfolgung i.S.d. § 3 AsylG kann nach § 3c Nr. 3 AsylG auch von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen, sofern der Staat oder ihn beherrschende Parteien oder Organisationen einschließlich internationale Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor der Verfolgung zu bieten.
Ein Flüchtling muss unter Angabe genauer Einzelheiten einen schlüssigen und in sich stimmigen Sachverhalt schildern, aus dem sich ergibt, dass ihm mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit im Heimatland (politische) Verfolgung droht. Zwar dürfen hinsichtlich asylbegründender Vorgänge im Verfolgerland keine unerfüllbaren Beweisanforderungen gestellt werden, sondern es genügt in tatsächlich zweifelhaften Fällen ein für das praktische Leben brauchbarer Grad der Gewissheit, auch wenn Zweifel nicht völlig auszuschließen sind. In der Regel kommt deshalb dem persönlichen Vorbringen des Asylbewerbers, seiner Persönlichkeit und Glaubwürdigkeit sowie der Art seiner Einlassung besondere Bedeutung zu (vgl. BayVGH, U.v. 26.1.2012 – 20 B 11.30468 m.w.N.).
Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens ist davon auszugehen, dass der Kläger sein Heimatland nicht aus begründeter Furcht vor Verfolgung im o.g. Sinne verlassen hat. Der Kläger konnte nicht glaubhaft machen, dass ihm (politische) Verfolgung im Sinne des § 3 AsylG bzw. ein ernsthafter Schaden gemäß § 4 AsylG droht.
a) Das Vorbringen des Klägers bezüglich seiner Verletzung durch „Vodoo“ ist bereits in sich derart unsubstantiiert und unschlüssig, dass kein Anknüpfen an ein asylrelevantes Merkmal erkannt werden kann. Insbesondere können im Bereich des Aberglaubens wurzelnde Bedrohungen keine asylrelevanten Verfolgungs- bzw. Gefährdungstatbestände i.S.v. Art. 16 a Abs. 1 GG oder §§ 3, 4 AsylG darstellen (vgl. VG München B.v. 14.5.2014 – M 21 S. 14.30667 – juris Rn. 17; VG Augsburg, B.v. 2.2.2016 – Au 4 S. 16.30068 – juris Rn. 18).
b) Der Vortrag des Klägers zum Verhalten seines Onkels ihm gegenüber (Wegnahme der Bücher; Drohung, den Kläger von zu Hause rauszuwerfen) stellt eine lediglich private Schwierigkeit dar. Dies stellt offenkundig weder eine politische Verfolgung nach Art. 16a GG dar noch sind die Voraussetzungen der §§ 3 ff. AsylG erfüllt. Verfolgungsgründe gem. §§ 3 Abs. 1 Nr. 1, 3b AsylG sind nicht dargetan. Ebenso wenig handelt es sich um einen nach § 3c AsylG beachtlichen Akteur; insbesondere ist nichts für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 3c Nr. 3 AsylG erkennbar.
c) Das Gericht ist zudem zu der klaren Überzeugung gelangt, dass dem Kläger auch keine landesweite Verfolgung durch einen Akteur nach § 3 c AsylG aus Gründen des § 3 b AsylG droht, etwa einer Geheimgesellschaft wie der „Poro-Society“ droht.
aa) Soweit der Kläger auf Frage des Gerichts in der mündlichen Verhandlung angab, dass auch sein Onkel in der „Poro-Society“ tätig und dort Teil des Ältestenrats sei, ist dieses Vorbringen zunächst als gesteigert und damit unglaubwürdig zu erachten, da hierzu in der Anhörung vor dem Bundesamt in der Anhörung keine Angaben gemacht wurden, obwohl der Kläger hierzu Gelegenheit gehabt hätte. Der Kläger trug dort lediglich vor, dass seine Freunde dort Mitglied seien und dass sein Onkel nur mit dem Landverkauf unzufrieden gewesen sei und deshalb seinen Schulbesuch habe sabotieren wollen. Dass der Onkel des Klägers möglicherweise in der „Poro-Society“ sei, gab der Kläger erst in der mündlichen Verhandlung und auf Nachfrage an. Zur Stellung seiner Freunde in der Society hat der Kläger keine Angaben gemacht.
Selbst wenn man aber das Vorbringen des Klägers zur Mitgliedschaft seines Onkels in der Society als wahr unterstellen würde, droht dem Kläger deshalb nach Überzeugung des Gerichts keine landesweite Verfolgung, sondern es stünde ihm eine innerstaatliche zumutbare Fluchtalternative nach § 3 e AsylG zur Verfügung. Der Kläger konnte nämlich nicht glaubhaft machen, dass er durch seinen Onkel landesweit gefährdet ist. Nach der Auskunftslage (Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 27. Dezember 2007 an das Verwaltungsgericht Freiburg) wäre eine landesweite Verfolgung unter Umständen lediglich dann in Betracht zu ziehen, wenn ein Sohn sich weigert, den Vorsitz der Society von seinem Vater zu übernehmen, wenn dieser der Anführer ist. Anders als in der Entscheidung des VG Freiburg vom 7. Mai 2008 konnte der Kläger einen solchen Nachweis nicht erbringen. Sein Onkel sei lediglich Teil des Ältestenrates, nicht jedoch ein Anführer.
bb) Doch auch eine von seinem Onkel unabhängige Verfolgung durch eine zwangsweise Zuführung und Misshandlung durch die „Poro-Society“ oder eine andere Geheimgesellschaft in Sierra-Leone, gleichsam als landesweit tätiger „nichtstaatlicher Akteur“ im Sinne des § 3 c AsylG, der dem Kläger gegenüber physische Gewalt im Sinne des § 3 a Abs. 2 Nr. 1 AsylG bzw. (im Arbeitsleben) diskriminierende Maßnahmen nach § 3 a Abs. 2 Nr. 2 AsylG anwenden würde, ist nach der Auskunftslage nicht anzunehmen. Der Kläger war nach Überzeugung des Gerichts durch seine Nichtmitgliedschaft in einer Geheimgesellschaft keiner Bedrohung wegen Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe nach § 3 b Abs. 1 Nr. 4 AsylG ausgesetzt.
Zwar sind nach der Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 27. Dezember 2007 die Geheimgesellschaften landesweit tätig und werden Mitglieder, die Informationen preisgeben, mit dem Tode bedroht. In der Regel geschieht dies jedoch nicht, um Menschen zwangsweise der „Poro-Society“ zuzuführen. Die Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 9. Januar 2017 an das VG Augsburg hat bestätigt, dass es in Sierra-Leone viele Menschen gibt, die keine Mitglieder in einer Geheimgesellschaft sind. Sie könnten insbesondere in größeren Städten ohne Probleme leben. Es ist nach den Erkenntnissen des Auswärtigen Amtes sehr unwahrscheinlich, dass jemand gefoltert wird oder seinen Arbeitsplatz verliert, wenn er offen bekennt, dass er die Mitgliedschaft in einer Geheimgesellschaft ablehnt. Diese Einschätzung trifft auf das ganze Land zu. Zudem gewährt die Verfassung von Sierra-Leone Religionsfreiheit. Diese erstreckt sich auch auf traditionelle Glaubensvorstellungen. Die Verfassung erlaubt ausdrücklich auch den Wechsel der Religion oder des Glaubens. Über Zwangsmaßnahmen sei nur sehr selten etwas bekannt geworden. Diese Fälle betreffen nach der Auskunftslage ausschließlich Frauen, die gegen ihren Willen beschnitten wurden.
Somit steht zur Überzeugung des Gerichts (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) fest, dass der Kläger sein Herkunftsland nicht wegen begründeter Furcht vor Verfolgung verlassen hat. Der Aussagewert beider Stellungnahmen des Auswärtigen Amtes steht nicht in Zweifel. Die Einholung weiterer Gutachten bzw. die in der mündlichen Verhandlung geäußerte Kritik am vorgelegten Gutachten wäre analog § 244 Abs. 4 Satz 2 Hs. 2 StPO nur dann in Betracht zu ziehen, wenn das Gutachten vollkommen ungeeignet wäre, von unzutreffenden sachlichen Voraussetzungen ausgehen würde, bessere Forschungsmittel verfügbar wären, sich die Bedeutung der zu klärenden Fragen verändert hat oder Zweifel an der Sachkunde oder der Unparteilichkeit des Gutachters sprechen würden (vgl. nur Vierhaus, Beweisrecht im Verwaltungsprozess, Rn. 204). Davon kann keine Rede sein. Auch das Institut für Afrikanistik der Universität Leipzig konnte keine tiefergehenden Angaben als die Existenz der „Societies“ liefern. Bessere Forschungsmittel waren demnach nicht greifbar. Zweifel an der Unparteilichkeit wurden nicht geäußert, ebenso sind in den Auskünften keine Widersprüche erkennbar. Der vom Kläger in der mündlichen Verhandlung vorgelegte Pressebericht aus dem Jahre 2016 ist wegen seiner Thematik (gewaltsames Eindringen von Gesellschaftsmitgliedern in eine Militärbasis) nicht geeignet, das Beweisergebnis in Frage zu stellen, weil sich die Auskunft auf eine landesweite Verfolgung einfacher Bürger bezogen hat und im Übrigen aus dem Bericht keine Verfolgungskausalität für den Kläger nach § 3 b AsylG i.V.m. § 3 a AsylG herausgelesen werden kann.
Es sind keine tragfähigen Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass dem Kläger bei einer Rückkehr nach Sierra-Leone mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine landesweit Verfolgung i.S.v. § 3 Abs. 1 AsylG drohen würde. Damit kann die begehrte Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht in Betracht kommen.
Das Gericht geht nach § 3 e Abs. 1 Nr. 2 AsylG überdies davon aus, dass der Kläger als alleinstehender, gesunder junger Mann seinen Lebensunterhalt in einer größeren Stadt auch außerhalb seines Heimatdorfes (etwa in Freetown) sicherstellen könnte. Insofern ist darauf zu verweisen, dass es dem Kläger nach seinen Angaben in Kenema gelungen ist, über eine Arbeit auf der Baustelle genug Geld für seine Ausreise zu verdienen. Es ist deshalb vernünftigerweise zu erwarten, dass der Kläger in seinem Heimatland, mit dessen Gepflogenheiten und Sprache er vertraut ist, seinen Lebensunterhalt erneut sicherstellen kann. Zudem verfügt nach eigenen Angaben über Verwandtschaft in Sierra-Leone und hat auch noch Kontakt zu seiner Mutter.
2. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf die Gewährung subsidiären Schutzes i.S. des § 4 Abs. 1 AsylG. Auf die oben genannten Auskunftslage für die Prüfung im Rahmen des § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG i.V.m. §§ 3c bis 3e AsylG wird verwiesen. Er hat keine stichhaltigen Gründe für die Annahme vorgebracht, dass ihm bei einer Rückkehr nach Sierra-Leone ein ernsthafter Schaden i.S. des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 1 bis 3 AsylG droht. Hiergegen spricht bereits, dass auch seine Mutter offenbar unbehelligt weiterhin am selben Ort wohnhaft ist. Weiter kann auch ein Anspruch auf Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht erkannt werden. Auch insoweit wird auf die Ausführungen im angefochtenen Bescheid Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG).
3. Schließlich erweisen sich auch die Abschiebungsandrohung nach § 34 Abs. 1, § 38 Abs. 1 AsylG, § 59 AufenthG sowie die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 1 AufenthG als rechtmäßig.
Die Klage ist damit insgesamt als unbegründet abzuweisen.
Die Entscheidung über die Kosten ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

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