Verwaltungsrecht

Keine Verfolgungsgefahr für zum Christentum konvertierte Personen aus dem Irak

Aktenzeichen  20 ZB 17.30454

Datum:
19.6.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 116478
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AslyG § 71, § 78 Abs. 3 Nr. 1
VwGO § 95, § 138 Nr. 3
VwVfG § 51
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1

 

Leitsatz

1. Die Frage, ob die glaubhafte Konversion vom muslimischen zum evangelisch-christlichen Glauben in Deutschland für kurdische Iraker aus dem Nordirak zur Flüchtlingsanerkennung, zum subsidiären Rechtsschutz oder zu Abschiebungshindernissen nach § 60 Abs. 5 und 7 S. 1 AufenthG führt, ist wegen fehlender Entscheidungserheblichkeit nicht grundsätzlich bedeutsam iSd § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG , wenn das Verwaltungsgericht den Glaubenswechsel gerade nicht als glaubhaft eingestuft hat. (Rn. 6 – 8) (redaktioneller Leitsatz)
2. Das Verwaltungsgericht hat zwar gem. § 95 VwGO die Möglichkeit, im Interesse der Amtsermittlungspflicht das persönliche Erscheinen des Klägers zur Sachverhaltsaufklärung anzuordnen, ist aus dem Grundsatz des rechtlichen Gehörs jedoch nicht dazu verpflichtet. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

AN 2 K 16.30444 2017-02-16 Urt VGANSBACH VG Ansbach

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Zulassungsverfahrens.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 16. Februar 2017 hat keinen Erfolg, da kein Zulassungsgrund nach § 78 Abs. 3 Asylgesetz vorliegt.
Der Kläger erachtet als grundsätzlich bedeutsam im Sinne von § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG die folgende Frage:
Ist eine (die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens ablehnende) Bundesamtsentscheidung deshalb rechtswidrig, weil sie zwar erkennt, dass neue relevante Tatsachen vorliegen und die Klagepartei deswegen sogar anhört aber daraufhin nicht in der Sache entscheidet sondern fälschlich die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens ablehnt?
Insoweit ist bereits fraglich, ob die Anforderungen an die ordnungsgemäße Darlegung des Zulassungsgrundes nach § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG gewahrt wurden. Denn für die Darlegung des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung ist neben der hier formulierten konkreten Rechts- oder Tatsachenfrage auch auszuführen, weshalb diese Frage für den Rechtsstreit entscheidungserheblich ist, zu erläutern, weshalb die formulierte Frage klärungsbedürftig ist und schließlich darzulegen, weshalb der Frage eine über die einzelfallbezogene Rechtsanwendung hinausgehende Bedeutung zukommt (Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124a Rn. 72). Zweifelhaft ist bereits, ob die Entscheidungserheblichkeit der Rechtsfrage dargelegt wurde. Denn letztendlich führt der Zulassungsantrag nur aus, warum die Entscheidung des Verwaltungsgerichts insoweit unzutreffend ist, jedoch nicht, warum es auf diese Frage im Rahmen der vorliegenden Streitigkeit überhaupt ankommt. Was die Klärungsbedürftigkeit der Rechtsfrage angeht, findet sich hier nur der knappe Hinweis, dass die Rechtsfrage „obergerichtlich noch nicht geklärt“ sei. Auch die Bedeutung der Rechtsfrage für eine Vielzahl vergleichbarer Fälle wird allenfalls angerissen.
Letztendlich kann diese Frage jedoch dahingestellt bleiben, da die behauptete grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache jedenfalls nicht vorliegt. Der Begriff der grundsätzlichen Bedeutung erfordert, dass für die angefochtene Entscheidung des Verwaltungsgerichts die im Zulassungsantrag dargelegte konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage von Bedeutung war, ihre Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten ist (Happ in Eyermann, VwGO, § 124 Rn. 36). Es fehlt hier bereits an der Entscheidungserheblichkeit der Rechtsfrage. Denn das Verwaltungsgericht ging entsprechend dem im Verfahren gestellten Klageantrag und der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (U.v. 10.2.1998 – 9 C 28/97 – BVerwGE 106, 171) davon aus, dass hier eine Verpflichtungsklage die statthafte Klageart ist und das Verwaltungsgericht, wenn es zu der Auffassung gelangt, dass ein Wiederaufgreifensgrund nach § 51 VwVfG vorliegt, verpflichtet ist, in der Sache durch zu entscheiden. Ob der die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens nach § 71 AsylG ablehnende Bescheid des Bundesamts rechtswidrig ist, war daher für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts nicht entscheidungserheblich. Die Klage konnte dagegen nur Erfolg haben, wenn neben den Voraussetzungen der §§ 71 AsylG und 51 VwVfG auch die Voraussetzungen für einen Anspruch nach § 3 AsylG oder 4 AsylG vorgelegen hätten. Mangels Entscheidungserheblichkeit ist daher eine Klärung der aufgeworfenen Frage im Berufungsverfahren nicht zu erwarten.
Hinsichtlich der daneben ebenfalls als grundsätzlich bedeutsam erachteten Frage,
ob die glaubhafte Konversion vom muslimischen zum evangelisch-christlichen Glauben in Deutschland für kurdische Iraker aus dem Nordirak zur Flüchtlingsanerkennung, zum subsidiären Rechtsschutz oder zu Abschiebungshindernissen nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG führt,
sind die Anforderungen an die Darlegung nach § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG zwar erfüllt. Allerdings liegt auch hier die grundsätzliche Bedeutung nicht vor. Denn auch diese Frage war tatsächlich aus der maßgeblichen Sicht des Verwaltungsgerichts (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, § 124, Rn. 37) nicht entscheidungserheblich. Denn entgegen der Antragsbegründung ist das streitgegenständliche Urteil auch selbstständig darauf gestützt, dass der Kläger nicht glaubhaft gemacht hat, aus Überzeugung zum Christentum übergetreten zu sein und den christlichen Glauben in einer Art und Weise zu praktizieren, die ihm in seinem Heimatland verwehrt ist, die für ihn nach seiner religiösen Überzeugung aber unabdingbar ist. Die Ausführungen des Verwaltungsgerichts zur fehlenden Glaubhaftmachung sind vom Verwaltungsgericht mitnichten „quasi als obiter dictum“ neben die Entscheidung gesetzt. Dies ergibt sich daraus, dass das Verwaltungsgericht auf Seite 7 des Urteils einleitend vor der Prüfung des Flüchtlingsstatus nach § 3 AsylG ausführt, dass weder allgemein noch speziell beim Kläger von einer Verfolgungsgefahr für zum Christentum konvertierte Personen im Irak, insbesondere in der Autonomieregion Kurdistans auszugehen sei. Im Anschluss daran führt das Verwaltungsgericht zunächst aus, dass eine Verfolgung von Christen durch die kurdische Regionalregierung nicht erfolge. Danach geht das Verwaltungsgericht in bei Weitem umfangreicherer Weise auf den konkreten Fall des Klägers und dessen Glaubensüberzeugung ein. Schon aufgrund des Umfangs der diesbezüglichen Ausführungen kann die Behauptung in der Antragsbegründung, dass es sich dabei um ein obiter dictum handle, nicht nachvollzogen werden. Das Verwaltungsgericht hat den Glaubenswechsel des Klägers damit gerade nicht als glaubhaft eingestuft, weshalb die auf einen glaubhaften Glaubenswechsel abzielende Rechtsfrage tatsächlich nicht entscheidungserheblich ist.
Soweit im Antragsschriftsatz gerügt wird, dass das Verwaltungsgericht die Glaubwürdigkeit des Glaubenswechsels des Klägers ohne eine Anordnung des persönlichen Erscheinens des Klägers und damit ohne eine Anhörung des Klägers in der mündlichen Verhandlung bewertet hat, liegt darin – ungeachtet der Tatsache, dass dieser Zulassungsgrund nicht explizit geltend gemacht wurde – kein zur Zulassung der Berufung führender Verfahrensmangel nach § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG, § 138 Nr. 3 VwGO. Denn dadurch wurde nicht gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs verstoßen.
Der Anspruch auf rechtliches Gehör verlangt zum einen, dass der Beteiligte Gelegenheit hat, das aus seiner Sicht für seine Rechtsverfolgung oder -verteidigung Notwendige sowohl im Tatsächlichen als auch im Rechtlichen vorzutragen. Zum anderen hat das Gericht diesen Vortrag zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (Kraft in Eyermann, VwGO, § 138, Rn. 31 und 32 m.w.N.). Der Kläger hatte im vorliegenden Fall Gelegenheit, die aus seiner Sicht maßgeblichen Aspekte vorzutragen. Insbesondere wurde er auch über seinen Bevollmächtigten zu der mündlichen Verhandlung geladen. Wenn er, was die Bevollmächtigte in der mündlichen Verhandlung nicht ausschließen konnte, tatsächlich von seinem Bevollmächtigten nicht über den Verhandlungstermin informiert wurde, so führt dies nicht zu einem Verstoß des Gerichts gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör. Aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör folgt auch keine Pflicht des Verwaltungsgerichts, nach § 95 VwGO das persönliche Erscheinen des Klägers anzuordnen. Denn dabei handelt es sich um eine im Interesse der Amtsermittlungspflicht des Verwaltungsgerichts stehende Möglichkeit zur Sachaufklärung (Geiger in Eyermann, VwGO, § 95 Rn. 3). Das Verwaltungsgericht hat zwar die Möglichkeit, das persönliche Erscheinen des Klägers anzuordnen, ist aus dem Grundsatz des rechtlichen Gehörs jedoch nicht dazu verpflichtet. Schließlich folgt ein Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs auch nicht aus dem Aspekt der Überraschungsentscheidung. Danach ist es dem Gericht grundsätzlich verwehrt, die Beteiligten mit nicht zu erwartenden tatsächlichen oder rechtlichen Gesichtspunkten zu überraschen (Kraft in Eyermann, VwGO, § 138 Rn. 33 m.w.N.). Eine Überraschungsentscheidung drohte hier bereits aus dem Grunde nicht, da bereits im Bundesamtsbescheid ausführlich die Frage, ob die Konversion des Klägers zum christlich-protestantischen Glauben ernsthaft erfolgt ist, thematisiert wurde.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.
Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das verwaltungsgerichtliche Urteil rechtskräftig, § 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG.

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