Verwaltungsrecht

Keine Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis

Aktenzeichen  10 CS 20.842

Datum:
7.5.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 14534
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 7 S. 2, § 146 Abs. 4 S. 3, S. 6
AufenthG § 31 Abs. 1, Abs. 4 S. 2
AufenthG § 2 Abs. 3, § 5 Abs. 1 Nr. 1
SGB V § 5

 

Leitsatz

Die Prognose einer dauerhaften Sicherung des Lebensunterhalts erfordert einen Vergleich des voraussichtlichen Unterhaltsbedarfs mit den nachhaltig zur Verfügung stehenden Mitteln; zu letzteren zählt für einen Ausländer, der demnächst aus dem Erwerbsleben ausscheiden wird, der Nachweis der Voraussetzungen für eine Krankenversicherung der Rentner oder der erforderlichen finanziellen Mittel für den Abschluss einer freiwilligen gesetzlichen oder privaten Krankenversicherung.  (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

Au 1 S 20.455 2020-03-23 Bes VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,- Euro festgesetzt.

Gründe

Die Antragstellerin, eine im März 1955 geborene russische Staatsangehörige, verfolgt mit ihrer Beschwerde ihren in erster Instanz erfolglosen Antrag nach § 80 Abs. 7 VwGO auf Abänderung eines Beschlusses des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 15. November 2019 weiter. Mit dem Beschluss vom 15. November 2019 hatte das Verwaltungsgericht (bestätigt durch den Beschluss des Senats vom 21.1.2020 im Beschwerdeverfahren 10 CS 19.2402) den Antrag der Antragstellerin auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen den ihren Antrag auf Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis ablehnenden Bescheid der Antragsgegnerin vom 18. September 2019 abgelehnt.
Gegenstand der Beschwerde ist nach dem Beschwerdeantrag im Schriftsatz vom 29. April 2020 lediglich die eigentliche Sachentscheidung des Verwaltungsgerichts im Abänderungsverfahren nach § 80 Abs. 7 VwGO (Ziffern I. bis III. des Beschlusses des Verwaltungsgerichts vom 23. März 2020). Die mit Ziffer IV. des Beschlusses des Verwaltungsgerichts erfolgte Ablehnung von Prozesskostenhilfe für das Abänderungsverfahren ist vom Beschwerdeantrag hingegen nicht erfasst.
Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Die dargelegten Gründe, auf die der Verwaltungsgerichtshof seine Prüfung nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO zu beschränken hat, rechtfertigen weder die Aufhebung noch eine Abänderung des angefochtenen Beschlusses.
Die Beschwerde ist schon deswegen zurückzuweisen, weil sie die Darlegungsanforderungen des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO nicht erfüllt. Das Verwaltungsgericht hat jeweils selbständig tragend ausgeführt, dass das Vorbringen zur Sicherung des Lebensunterhalts der Antragstellerin im Verfahren des § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO insgesamt präkludiert sei, jedenfalls aber zu keiner Abänderung des Beschlusses vom 15. November 2020 Anlass biete, weil der Lebensunterhalt der Antragstellerin auch unter Berücksichtigung der erstmals vorgetragen Umstände nicht gesichert sei. Im Falle einer solchen Mehrfachbegründung kann die Beschwerde nur Erfolg haben, wenn im Hinblick auf jeden der für das Verwaltungsgericht entscheidungserheblichen Gründe in der Beschwerde etwas vorgetragen wird (vgl. etwa BayVGH, B.v. 28.8.2006 – 24 CS 06.1049 – juris Rn. 16). Dies ist hier nicht der Fall. Die Beschwerdebegründung verhält sich nicht zu der selbständig tragenden Annahme des Verwaltungsgerichts, das Vorbringen zur Lebensunterhaltssicherung sei bereits präkludiert, weil insofern nur Umstände vorgetragen würden, die bereits im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO vorgebracht hätten werden können.
Unabhängig davon rechtfertigt das Beschwerdevorbringen zur Sicherung des Lebensunterhalts der Antragstellerin keine Abänderung der Entscheidung des Erstgerichts. Das Verwaltungsgericht hat über die Erwägungen zur Präklusion hinaus zu Recht angenommen, dass der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis das Fehlen der Regelerteilungsvoraussetzung der Sicherung des Lebensunterhalts nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG entgegenstehe. Auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens sind weder die Annahme, dass der Lebensunterhalt gesichert sein müsse, noch die Prognose, dass dies nicht dauerhaft der Fall sei, rechtlich zu beanstanden.
Wie der Senat bereits mit Beschluss vom 21. Januar 2020 im Beschwerdeverfahren 10 CS 19.2402 ausgeführt hat, kann sich die Antragstellerin für die der Sache nach nur noch in Betracht kommende weitere Verlängerung des Aufenthaltstitels (§ 31 Abs. 4 AufenthG) nach Ablauf des Verlängerungsjahres (§ 31 Abs. 1 AufenthG) weder auf die Erleichterung des § 31 Abs. 4 Satz 1 AufenthG hinsichtlich der Inanspruchnahme von Leistungen nach dem SGB II und XII berufen (vgl. auch BayVGH, B.v. 8.8.2019 – 10 C 18.1179 – juris Rn. 10 m.w.N.), noch ist sie von den allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen (§ 5 AufenthG) befreit (vgl. auch BayVGH, B.v. 7.8.2019 – 10 C 19.1351 – juris Rn. 4; Hailbronner, AuslR, Stand Oktober 2019, § 31 Rn. 38).
Nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG setzt die Erteilung eines Aufenthaltstitels in der Regel voraus, dass der Lebensunterhalt gesichert ist. Dies ist nach § 2 Abs. 3 Satz 1 AufenthG der Fall, wenn der Ausländer ihn einschließlich ausreichenden Krankenversicherungsschutzes ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bestreiten kann. Dabei bleiben die in § 2 Abs. 3 Satz 2 AufenthG aufgeführten öffentlichen Mittel außer Betracht. Erforderlich ist mithin die positive Prognose, dass der Lebensunterhalt des Ausländers in Zukunft auf Dauer ohne Inanspruchnahme anderer öffentlicher Mittel gesichert ist. Entsprechendes gilt gem. § 8 Abs. 1 AufenthG für die Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis.
Dabei ist entgegen der Auffassung der Antragstellerin auf die Gesamtdauer des Aufenthalts abzustellen. Maßgeblich hierfür ist der jeweilige Aufenthaltszweck (vgl. BayVGH, U.v. 1.10.2008 – 10 BV 08.256 – juris Rn. 23). Im Falle des grundsätzlich auf einen Daueraufenthalt angelegten selbständigen Aufenthaltsrechts des Ehegatten nach Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft (§ 31 AufenthG) erfordert die Verlängerung nach Ablauf des ersten Verlängerungsjahres die positive Prognose, dass der Lebensunterhalt dauerhaft gesichert ist. Hieran ändert auch der Hinweis der Antragstellerin, sie strebe tatsächlich nur noch einen Aufenthalt von etwa einem Jahr bis zum Abschluss einer Augenbehandlung an, weswegen hinsichtlich der Prognose der Lebensunterhaltssicherung nur auf diesen Zeitraum abzustellen sei, nichts. Mit diesem Vorbringen macht die Antragstellerin allenfalls einen Anspruch auf die Erteilung eines befristeten Aufenthaltstitels aus humanitären Gründen (§ 25 Abs. 4 AufenthG) geltend. Die Erteilung einer entsprechenden Aufenthaltserlaubnis hat sie bei der Antragsgegnerin bisher nicht beantragt. Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist aber allein das grundsätzlich auf einen Daueraufenthalt angelegte selbständige Aufenthaltsrecht des Ehegatten nach § 31 AufenthG.
Die Prognose einer dauerhaften Lebensunterhaltssicherung erfordert einen Vergleich des voraussichtlichen Unterhaltsbedarfs mit den nachhaltig zur Verfügung stehenden Mitteln. Bei Ausländern, bei denen ein Ausscheiden aus dem Erwerbsleben wegen alsbaldiger Überschreitung der Altersgrenze des § 7a SGB II (hier: 65 Jahre und 9 Monate) bevorsteht und die daher gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II keine Leistungen nach dem SGB II beanspruchen können, bemessen sich Einkommen und Unterhaltsbedarf – wie der Senat bereits mit Beschluss vom 21. Januar 2020 im Beschwerdeverfahren 10 CS 19.2402 ausgeführt hat – grundsätzlich nach den Bestimmungen des Sozialgesetzbuchs (SGB) Zwölftes Buch – Sozialhilfe – SGB XII. Dies gilt auch dann, wenn der Betroffene trotz Erreichens der Regelaltersgrenze gegenwärtig noch erwerbstätig ist oder wäre (Dienelt in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Aufl. 2020, § 2 AufenthG Rn. 45). Nach § 19 Abs. 2 Satz 1 SGB XII erhalten Personen, die die – mit § 7a SGB II korrespondierende – Altersgrenze nach § 41 Abs. 2 SGB XII erreicht haben, Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des SGB XII, sofern sie ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, insbesondere aus ihrem Einkommen und Vermögen, bestreiten können. Für Ausländer gelten insoweit keine anderen Regelungen (§ 23 Abs. 1 Satz 2 SGB XII). Unerheblich ist, ob Leistungen tatsächlich in Anspruch genommen werden; nach dem gesetzlichen Regelungsmodell kommt es nur auf das Bestehen eines entsprechenden Anspruchs an (BVerwG, U.v. 18.4.2013 – 10 C 10/12 – BVerwGE 146, 198 – juris Rn. 13).
Gemessen daran ist die vom Verwaltungsgericht angestellte Prognose zur nicht tragfähigen Finanzierung der Altersruhe ohne staatliche Sozialhilfe (vgl. BVerwG, U.v. 18.4.2013 – 10 C 10.12 – juris Rn. 13) mit dem Beschwerdevorbringen nicht durchgreifend in Frage gestellt. Über den Verweis auf die derzeitige (aufgrund des Erlöschens der Beschäftigungserlaubnis nur potentielle) Erwerbssituation der Antragstellerin hinaus behauptet das Beschwerdevorbringen Rentenbezüge von monatlich „sicheren“ 400 Euro. Selbst wenn man diese Angaben, die derzeit nicht vollständig belegt sind, zugrundelegen würde, wäre der Bedarf der Antragstellerin, die Ende des Jahres die Regelaltersgrenze erreichen wird, nicht nachhaltig gedeckt. Bereits der Regelbedarf der Grundsicherung im Alter beträgt 432 Euro (§ 42 Nr. 1 i.V.m. der Anlage zu § 28 SGB XII); hinzukommen die Kosten für die Unterkunft (§ 42 Nr. 4 i.V.m. § 42a SGB XII), die die Antragstellerin im Ausgangsverfahren mit ca. 100 Euro beziffert hat. Damit verbleibt bei der Antragstellerin perspektivisch ein nicht gedeckter Bedarf von monatlich mindestens 132 Euro. Die behauptete aber nicht glaubhaft gemachte Bereitschaft der Vermieterin der Antragstellerin, eine Verpflichtungserklärung abzugeben, kann dabei vor der tatsächlichen Abgabe der Erklärung nicht einkommenserhöhend oder bedarfsmindernd berücksichtigt werden, zumal nicht ansatzweise dargelegt ist, dass die Vermieterin, die nach eigenen Angaben (Bl. 16 der Akte des Verwaltungsgerichts) 85 Jahre alt ist und selbst eine Rente bezieht, entsprechend leistungsfähig wäre (vgl. zu den Anforderungen an den Nachweis der Leistungsfähigkeit BayVGH, B.v. 11.12.2017 – 10 ZB 17.1682 – juris Rn. 11).
Unabhängig davon wird mit der Beschwerde nicht dargelegt, dass die Antragstellerin nach dem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben und dem damit einhergehenden Wegfall des Krankenversicherungsschutzes für Arbeitnehmer (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V) als gesetzliches Pflichtmitglied krankenversichert sein oder die entsprechenden Mittel zum Abschluss einer freiwilligen (gesetzlichen oder privaten) Krankenversicherung aufbringen können wird. Es fehlt an jedem Vortrag oder gar Nachweis, dass sie die Voraussetzungen für eine Krankenversicherung der Rentner nach § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V (eine gesetzliche Krankenversicherung während 9/10 der zweiten Hälfte des Arbeitslebens) erfüllt. Eine Pflichtmitgliedschaft nach der Auffangvorschrift des § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB dürfte für die Antragstellerin nicht in Betracht kommen, denn sie erfüllt nicht die Voraussetzungen des § 5 Abs. 11 Satz 1 SGB V (Niederlassungserlaubnis oder Aufenthaltserlaubnis, für deren Erteilung keine Verpflichtung zur Sicherung des Lebensunterhalts nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG besteht). Vorbehaltlich nicht dargelegter sonstiger Möglichkeiten einer gesetzlichen Krankenversicherung, bliebe der Antragstellerin daher nur die Möglichkeit, eine freiwillige gesetzliche oder private Krankenversicherung abzuschließen. Dass ihr hierfür die erforderlichen finanziellen Mittel zur Verfügung stünden, ist nicht ersichtlich.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren folgt aus § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 und § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

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