Aktenzeichen 1 ZB 18.257
VwGO § 116 Abs. 2
Leitsatz
1 Es ist unschädlich, wenn ein Verfahrensmangel unter dem Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung erörtert wird. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
2 Mit dem am Ende der mündlichen Verhandlung ergehenden Beschluss, dass die Entscheidung gemäß § 116 Abs. 2 VwGO zugestellt werde, nicht jedoch vor einem bestimmten Termin, wird den Beteiligten keine Schriftsatzfrist eingeräumt. (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)
3 Das Verwaltungsgericht ist nicht gehalten, seine Entscheidung zurückzustellen, um es den Klägern zu ermöglichen, die Zulässigkeit einer Klage herzustellen bzw. den Klageantrag zu erweitern. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
M 11 K 16.3137 2017-05-04 Urt VGMUENCHEN VG München
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Kläger tragen die Kosten des Zulassungsverfahrens als Gesamtschuldner. Die Beigeladenen tragen ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 7.500‚- Euro festgesetzt.
Gründe
Die Kläger wenden sich gegen eine auf dem Nachbargrundstück errichtete Grenzgarage. Das Verwaltungsgericht wies den im Klageverfahren gestellten Antrag auf Verpflichtung des Beklagten zum Erlass einer Beseitigungsanordnung mit Urteil vom 4. Mai 2017 als unzulässig ab, da sich die Kläger nicht zuvor mit ihrem Begehren an die Bauaufsichtsbehörde gewandt hätten. Weitere Anträge wurden in der mündlichen Verhandlung zurückgenommen.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung, der im Hinblick auf den klageabweisenden Teil des Urteils gestellt wurde, hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe, auf deren Prüfung der Senat beschränkt ist, liegen nicht vor oder werden nicht dargelegt (§ 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO).
Die Kläger rügen die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG). Das Gericht habe in der mündlichen Verhandlung eine Entscheidung nicht vor dem 17. Mai 2017 angekündigt und hierdurch allen Parteien (konkludent) eine Schriftsatzfrist gewährt. Der Klägerbevollmächtigte habe am 10. Mai 2017 einen Antrag auf Baubeseitigung beim Landratsamt gestellt und dies dem Gericht am selben Tag mitgeteilt. Weiter sei ein Antrag an das Verwaltungsgericht gestellt worden mit dem Inhalt, den Beklagten zu verpflichten, die Beigeladenen aufzufordern eine Baugenehmigung für die Errichtung einer Garage mit Satteldach zu stellen. Das Gericht hätte diese Anträge bei seiner Entscheidung berücksichtigen müssen. Auch wenn man davon ausgehe, dass keine Schriftsatzfrist gewährt worden sei, müssten Schriftsätze, welche vor Zustellung des Urteils ergehen, berücksichtigt werden. Zum Zeitpunkt der Zustellung des Urteils sei die Dreimonatsfrist des § 75 VwGO abgelaufen gewesen.
Der geltend gemachte Verfahrensmangel (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) liegt nicht vor. Dabei ist es unschädlich, dass der Verfahrensmangel unter dem Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung erörtert wurde (vgl. BVerfG, B.v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – NVwZ 2011, 546). Das Verwaltungsgericht hat den Anspruch der Kläger auf rechtliches Gehör aber nicht verletzt.
Mit dem am Ende der mündlichen Verhandlung ergangenen Beschluss „Eine Entscheidung wird den Beteiligten gemäß § 116 Abs. 2 VwGO zugestellt, jedoch nicht vor dem 17. Mai 2017“ wurde den Parteien keine Schriftsatzfrist eingeräumt, vielmehr sollte den Klägern, die bei dem Termin nicht persönlich anwesend waren, die Möglichkeit gegeben werden, ihre Klage mit der Folge ermäßigter Gerichtsgebühren zurückzunehmen. § 116 Abs. 2 VwGO gilt nur für aufgrund mündlicher Verhandlung ergehende Urteile, die Zustellung des Urteils erfolgt anstelle der Verkündung. Hätte das Gericht den Beteiligten eine Schriftsatzfrist einräumen wollen, hätte es das zum einen in der Niederschrift zum Ausdruck gebracht, zum anderen wäre ein Übergang in das schriftliche Verfahren mit Einverständnis der Beteiligten angezeigt gewesen. Beides ist jedoch nicht erfolgt; hingegen hat die Beklagtenvertreterin ihr Einverständnis zu einer eventuellen Klagerücknahme erklärt (§ 92 Satz 1 und 2 VwGO).
Das Verwaltungsgericht war auch nicht verpflichtet, den Vortrag der Kläger in dem Schriftsatz vom 10. Mai 2017 zu berücksichtigen. Zum einen wurde bereits kein Antrag auf Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung gestellt (vgl. BVerfG, B.v. 21.2.2001 – 2 BvR 62/01 – juris Rn. 3). Zum anderen lagen auch keine Gründe für eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung vor. Den Klägern war im Klageverfahren ausreichend rechtliches Gehör gewährt worden und das Gericht hatte den Sachverhalt in einer § 86 Abs. 1 VwGO genügenden Weise ermittelt (vgl. BVerwG, B.v. 19.3.1991 – 9 B 56.91 – NVwZ-RR 1991, 587). Das Verwaltungsgericht war nicht gehalten, seine Entscheidung zurückzustellen, um es den Klägern zu ermöglichen, die Zulässigkeit der Klage herzustellen bzw. den Klageantrag zu erweitern. Das Urteil wurde mit Übergabe der von den mitwirkenden Richtern unterschriebenen Entscheidungsformel am 17. Mai 2017 an die Geschäftsstelle – im Sinn einer Unabänderbarkeit – wirksam (vgl. BVerwG, B.v. 24.6.1971 – I CB 4.69 – BVerwGE 38, 220; B.v. 27.4.2005 – 5 B 107.04 u.a. – juris Rn. 7; BayVGH, B.v. 24.7.1998 – 25 ZB 98.32972 – BayVBl 1998, 733; OVG Lüneburg, B.v. 28.5.2015 – 5 LA 195/14 – juris Rn. 95; Schmidt in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 116 Rn. 14). Es ist daher nicht entscheidungserheblich, dass die Dreimonatsfrist (§ 75 Satz 2 VwGO) vor Zustellung des vollständigen Urteils an die Beteiligten (entsprechend § 117 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 VwGO) abgelaufen war.
Soweit der Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit an der Entscheidung genannt wird (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), wird kein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt (vgl. BVerfG, B.v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – NVwZ 2011, 546). Der Vortrag, dass das Verwaltungsgericht die mit Schriftsatz vom 10. Mai 2015 genannten bzw. gestellten Anträge in seiner Entscheidung hätte berücksichtigen müssen, ist nicht zutreffend (vgl. oben).
Die Kläger haben die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen‚ da ihr Rechtsmittel erfolglos geblieben ist (§ 154 Abs. 2‚ § 159 Satz 2 VwGO). Es entspricht der Billigkeit, dass die Beigeladenen ihre außergerichtlichen Kosten‚ soweit solche überhaupt angefallen sind‚ selbst tragen‚ da sie im Zulassungsverfahren keine Stellungnahme abgegeben haben (§ 162 Abs. 3 VwGO). Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3‚ § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).