Verwaltungsrecht

Keine Verletzung rechtlichen Gehörs durch Ablehnung eines in der mündlichen Verhandlung hilfsweise gestellten Beweisantrags

Aktenzeichen  21 ZB 16.30187

Datum:
6.7.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 16828
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG Art. 103 Abs. 1
AsylG § 78 Abs. 3 Nr. 3
AufenthG § 60 Abs. 7
VwGO § 86 Abs. 1

 

Leitsatz

1 Es kann dahinstehen, ob die behauptete prozessordnungswidrige Ablehnung eines in der mündlichen Verhandlung hilfsweise gestellten Beweisantrags eine Verletzung rechtlichen Gehörs iSv Art. 103 Abs. 1 GG begründet (vgl. BVerfG BeckRS 2009, 39522) oder unter Wahrung der Darlegungsanforderungen an eine Gehörs- und Aufklärungsrüge einen Verstoß gegen die Sachaufklärungspflicht iSv § 86 Abs. 1 VwGO darstellt (vgl. BVerwG BeckRS 2014, 52744). (Rn. 3) (red. LS Clemens Kurzidem)
2 Die Anforderungen an die Substantiierung eines Beweisantrags ergeben sich aus der Pflicht der Beteiligten, an der Erforschung des Sachverhalts mitzuwirken, die insbesondere für Umstände aus der Sphäre des Betroffenen Geltung beansprucht. Wird das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) auf traumatisierende Erlebnisse im Heimatland gestützt und werden die Symptome erst längere Zeit nach der Ausreise aus dem Heimatland vorgetragen, so ist in der Regel auch eine Begründung dafür erforderlich, warum die Erkrankung nicht früher geltend gemacht worden ist (wie BVerwG BeckRS 2016, 47723). (Rn. 5) (red. LS Clemens Kurzidem)

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

1. Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Der geltend gemachte Zulassungsgrund eines in § 138 VwGO bezeichneten Verfahrensmangels in Form der Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO) liegt nicht vor.
Der Bevollmächtigte der Klägerin rügt, der Klägerin sei durch verfahrensfehlerhafte Ablehnung eines in der mündlichen Verhandlung hilfsweise gestellten Beweisantrags das rechtliche Gehör versagt worden. Das Gericht habe den hilfsweise gestellten Beweisantrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens zum Beweis der Tatsache, dass die Klägerin unter einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) und einer mittelschweren depressiven Episode leide, die Klägerin dringend psychiatrisch bzw. psychotherapeutisch behandlungsbedürftig sei und der Abbruch der Behandlung zu einer wesentlichen Verschlechterung des Gesundheitszustands bis hin zur Lebensbedrohlichkeit führe, in rechtsfehlerhafter Weise abgelehnt.
Das rechtfertigt nicht die Zulassung der Berufung. Dabei kann dahinstehen, ob die behauptete prozessordnungswidrige Ablehnung eines in der mündlichen Verhandlung hilfsweise gestellten Beweisantrags eine Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) begründet (vgl. BVerfG, B.v. 22.9.2009 – 1 BvR 3501/08 – juris Rn. 13) oder unter Wahrung der Darlegungsanforderungen an eine Gehörs- und Aufklärungsrüge einen Verstoß gegen die Sachaufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) darstellt (so etwa BVerwG, B.v. 30.5.2014 – 10 B 34/14 – juris Rn. 7).
Die Ablehnung des hilfsweise in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrags findet eine Stütze im Prozessrecht. Das Verwaltungsgericht hat den Hilfsbeweisantrag mit der selbständig tragenden Begründung abgelehnt, dass die vorgelegten ärztlichen und psychologischen Stellungnahmen nicht den nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (U.v. 11.9.2007 – 10 C 17/07 – juris) erforderlichen Mindestanforderungen zur Substantiierung eines Sachverständigenbeweisantrags, der das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung zum Gegenstand hat, genügen. Insbesondere fehle es an der Glaubhaftigkeit des traumaauslösenden Ereignisses.
Die Anforderungen an die Substantiierung ergeben sich aus der Pflicht des Beteiligten an der Erforschung des Sachverhalts mitzuwirken (§ 86 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 VwGO), die in besonderem Maße für Umstände gilt, die in die eigene Sphäre des Beteiligten fallen. Wird das Vorliegen einer PTBS auf traumatisierende Erlebnisse im Heimatland gestützt und werden die Symptome erst längere Zeit nach der Ausreise aus dem Heimatland vorgetragen, so ist in der Regel auch eine Begründung dafür erforderlich, warum die Erkrankung nicht früher geltend gemacht worden ist (BVerwG, U.v. 11.9.2007 – 10 C 17/07 – juris Rn. 15).
Das Verwaltungsgericht hat in diesem Zusammenhang ausgeführt:
„Sowohl die psychologische Stellungnahme 15. Oktober 2014 als auch der fachärztlich psychotherapeutische Befundbericht 6. August 2015 gehen nicht darauf ein, dass die Klägerin erst nach rechtskräftiger Ablehnung des Asylantrags und mehr als drei Jahre nach ihrer Einreise ihre Erkrankung geltend gemacht hat. Des Weiteren setzen sie sich nicht mit den Ausführungen im rechtskräftigen Urteil vom 31. März 2014 auseinander, wonach das Vorbringen der Klägerin hinsichtlich der vorgebrachten Vergewaltigung nicht glaubhaft ist.“ (UA S. 8).
Das Verwaltungsgericht lehnte mit Urteil vom 31. März 2014, rechtskräftig seit 17. Juli 2014, den Asylantrag der Klägerin ab. In den Urteilsgründen ist insbesondere ausgeführt, das Vorbringen der Klägerin zur Entführung durch unbekannte Dritte sei nicht glaubhaft. Die Klägerin habe ihre Gefangenschaft und Vergewaltigung nur dürftig und ohne nähere Details im Wesentlichen emotionslos geschildert. Zu den Umständen der Entführung habe sie sich mit Angaben in der mündlichen Verhandlung in Widerspruch zu den Aussagen in ihrer Anhörung gesetzt. Zur Überzeugung des Gerichts stehe fest, dass das Vorbringen erfunden sei. Für das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung gebe es keinerlei Anhaltspunkte. Ein den Anforderungen der Rechtsprechung genügendes fachärztliches Attest liege nicht vor.
Einen im November 2014 gestellten Asylfolgeantrag (im Hinblick auf den Wiederaufgreifensgrund des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG) begründete die Klägerin unter Vorlage einer psychologischen Stellungnahme vom 15. Oktober 2014 (LMU München) damit, dass sie seit August 2014 in psychologischer Behandlung sei und eine posttraumatische Belastungsstörung sowie eine depressive Störung diagnostiziert sei. Weitere Stellungnahmen wurden vorgelegt (insbesondere Refugio München: Fachärztlich-Psychotherapeutischer Befundbericht v. 6.8.2015, Psychologisch-Psychotherapeutischer Befundbericht v. 30.5.2016).
Da im Asylerstverfahren die Verfolgungsgeschichte der Klägerin als nach der Überzeugung des Gerichts frei erfunden bewertet wurde, weil die Umstände der geltend gemachten Entführung und Vergewaltigung – soweit überhaupt Angaben gemacht wurden – in wesentlichen Punkten widersprüchlich waren, und im Folgeverfahren hierzu keine weiteren Erkenntnisse vorgetragen wurden, konnte das Verwaltungsgericht davon ausgehen, dass ein traumaauslösendes Ereignis im Heimatland nicht nachvollziehbar dargelegt wurde. Auch wenn bei Opfern von Traumatisierungen Aussagediskrepanzen aufgrund von Konzentrations- und Gedächtnisstörungen sowie komplexe Verdrängungsvorgänge vorliegen können, hat die Klägerin nichts dergleichen vorgetragen. Auch verhalten sich die vorgelegten ärztlichen und psychologischen Berichte nicht dazu, warum die Krankheit nicht früher geltend gemacht wurde, bzw. nicht früher aufgetreten ist und die Klägerin von ihrer Einreise im Juli 2011 bis August 2014 keiner psychologischen bzw. psychiatrischen Behandlung bedurfte. Im Fachärztlich-Psychotherapeutischen Befundbericht vom 6. August 2015 (unter VII. Prognose) heißt es in diesem Zusammenhang beispielsweise unverständlich zum „Zeitkriterium“: „Die Symptome traten innerhalb von 6 Monaten nach dem Trauma auf und bestehen seither fort“.
Das Verwaltungsgericht hat den Hilfsbeweisantrag mit zwei selbständig tragenden Gründen abgelehnt. Da der genannte Ablehnungsgrund eine tragfähige Grundlage im Prozessrecht findet, hat der Zulassungsantrag keinen Erfolg ohne dass Ausführungen zum weiter vom Verwaltungsgericht herangezogenen Ablehnungsgrund der „Wahrunterstellung“ noch veranlasst sind.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 8. Juni 2016 rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).

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