Verwaltungsrecht

Keine Versetzung eines Soldaten in den einstweiligen Ruhestand

Aktenzeichen  M 21 E 17.5665

Datum:
22.12.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 143100
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 123
SKPersStruktAnpG § 2

 

Leitsatz

1 Eine Versetzung in den einstweiligen Ruhestand ist mit der Formstrenge des Soldatenrechts unvereinbar und kann auch nicht etwa durch Rechtsschutzerwägungen gerechtfertigt werden; ein entsprechender Eilantrag ist unzulässig, weil er auf ein rechtswidriges Rechtsschutzziel gerichtet ist. (Rn. 11 – 13) (redaktioneller Leitsatz)
2 Ein auf die uneingeschränkte Versetzung in den Ruhestand nach § 2 SKPersStruktAnpG gerichteter Eilantrag eines Soldaten würde zu einer „echten“ Vorwegnahme der Hauptsache führen, die voraussetzt, dass sie zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes geboten ist und ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass der mit der Hauptsache verfolgte Anspruch begründet ist. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
3 Bei der Rechtskontrolle durch die Verwaltungsgerichte wird bei der Geltendmachung eines Anspruchs nach § 2 SKPersStruktAnpG nur geprüft, ob über die Bekundung des Interesses des Soldaten auf Versetzung in den Ruhestand unter Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes nach sachlich unzulässigen, willkürlichen Gesichtspunkten entschieden worden ist. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 20.993,52 € festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller steht als Berufssoldat (A) im Dienst der Antragsgegnerin. Mit seinem Eilantrag begehrt er, bis spätestens 31. Dezember 2017 vorläufig in den Ruhestand versetzt zu werden.
Er beantragte mit Schreiben vom … Mai 2017 beim BAPersBw, nach § 2 des Gesetzes zur Anpassung der personellen Struktur der Streitkräfte (kurz: SKPers-StruktAnpG) zum 31. Oktober 2017 in den Ruhestand versetzt zu werden.
Diesen Antrag lehnte das BAPersBw mit Bescheid vom 3. November 2017 ab.
Soweit ersichtlich wurde gegen diesen Bescheid keine Beschwerde erhoben.
Am … Dezember 2017 ließ der Antragsteller beim Bayerischen Verwaltungsgericht München beantragen,
die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihn spätestens vor Ablauf des 31. Dezember 2017 vorläufig gemäß § 2 SKPers-StruktAnpG vorzeitig in den Ruhestand zu versetzen.
Zur Begründung wurde durch Schriftsatz vom … Dezember 2017 im Wesentlichen ausgeführt, der Antragsteller befinde sich in seinem 50. Lebensjahr und leide an einer psychischen Erkrankung. Gemäß Mitteilung des Herrn Dr. G. vom … August 2017 sei eine vorzeitige Zurruhesetzung aus psychiatrischer Sicht als zielführend erachtet worden. Auch die Beurteilungen des Herrn Dr. R. vom … November 2017 und des Herrn Oberfeldarzts Dr. M. vom … November 2017 kämen zu diesem Ergebnis. Allein deshalb sei die Ablehnung des Antrags ermessensfehlerhaft gewesen. Soweit die Antragsgegnerin in ihrem Bescheid vom 3. November 2017 darauf abstelle, es bestehe weiterhin Bedarf, den Antragsteller als Berufssoldaten zu verwenden, müsse dieser Aussage entgegengetreten werden. Der Antragsteller sei mit Versetzungsverfügung vom 20. Juni 2017 noch auf einen anderen Dienstposten versetzt worden, für welchen er eine Umschulung vorzunehmen habe. Daher könne nicht verstanden werden, warum die Antragsgegnerin Herrn Stabsfeldwebel M. im Januar 2016 und Herrn Stabsfeldwebel O. im November 2014 gemäß § 2 SKPersStruktAnpG vorzeitig in den Ruhestand versetzt habe. Diese Soldaten hätten ohne Umschulung auf diesem Posten verwendet werden können. Zudem litten diese an keinen gesundheitlichen Beeinträchtigungen. Damit stehe fest, dass die Antragsgegnerin ihr Ermessen bei der Auswahl der Soldaten, welche vorzeitig in den Ruhestand versetzt werden, nicht ordnungsgemäß und gegen Art. 3 GG verstoßend und ausgeübt habe.
Zur weiteren Antragsbegründung wurde durch Schriftsatz vom … Dezember 2017 im Wesentlichen vorgetragen, die beiden genannten Soldaten hätten entgegen der Antragsschrift vom … Dezember 2017 auch nur mit einer Umschulung auf den entsprechenden Dienstposten verwendet werden können. Zudem sei Herr Stabsfeldwebel O. nicht im November 2014, sondern im November 2017 vorzeitig in den Ruhestand versetzt worden.
Die Antragsgegnerin beantragte,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung wurde durch Schreiben vom 19. Dezember 2017 im Wesentlichen ausgeführt, der Eilantrag sei unbegründet, weil die Ablehnung der vorzeitigen Versetzung in den Ruhestand aus den im Bescheid vom 3. November 2017 genannten Gründen rechtmäßig sei. Ein entsprechender Anspruch des Antragstellers bestehe nicht. Ob ein Berufssoldat bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 SKPersStruktAnpG in den vorzeitigen Ruhestand versetzt werde, stehe im pflichtgemäßen Ermessen der Antragsgegnerin. Sie habe sich bei ihrer Entscheidung allein an den Belangen der Bundeswehr, mithin ausschließlich an eigenen Interessen, zu orientieren. Private Interessen der Soldaten, vorzeitig in den Ruhestand zu treten, seien nicht zu berücksichtigen. Das wirke sich auf den gerichtlichen Prüfungsumfang aus. Das Ermessen könne im gerichtlichen Verfahren nur insoweit überprüft werden, als es sich auf die subjektive Rechtsstellung des Antragstellers auswirke. Der Antragsteller könne zwar geltend machen, über seine Interessenbekundung sei unter willkürlichen Gesichtspunkten entschieden worden. Er könne aber nicht zur Nachprüfung stellen, ob die Antragsgegnerin die Ziele des geltenden Personalstrukturmodells mit zutreffenden Mitteln angestrebt, erreicht oder verfehlt habe. Eine willkürliche Entscheidung liege nicht vor. Im Bereich der Ausbildungs- und Verwendungsreihe des Antragstellers liege die aktuelle Besetzung bei 307 Soldaten und somit unterhalb der geforderten 321. Diese Unterdeckung stehe einer Bescheidung zugunsten des Antragstellers entgegen. Auch mit Blick auf die vermeintliche Ungleichbehandlung mit den namentlich bezeichneten Soldaten ergebe sich kein anderes Ergebnis. Zum einen handle es sich nicht um vergleichbare Fälle. Zum anderen bestehe auch keine geänderte Verwaltungspraxis der Antragsgegnerin, die dem Antragsteller zu einem Anspruch verhelfen würde. Angesichts des dargestellten Zwecks des § 2 SKPers-StruktAnpG seien die vorgetragenen gesundheitlichen Belange des Antragstellers im Rahmen der Entscheidung über seine Interessenbekundung schon im Ansatz nicht zu berücksichtigen. Sinn und Zweck des § 2 SKPersStruktAnpG sei es nicht, dienstunfähige Berufssoldaten vorzeitig in den Ruhestand zu versetzen. Vielmehr sei hierfür die zwingende Bestimmung des § 44 Abs. 3 des Soldatengesetzes (kurz: SG) heranzuziehen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte zum Eilverfahren Bezug genommen.
II.
1. Der Eilantrag ist bereits unzulässig, weil er auf ein rechtswidriges Rechtsschutzziel gerichtet ist.
Das SKPersStruktAnpG sieht eine vorläufige Versetzung in den Ruhestand, wie sie durch den anwaltlich vertretenen Antragsteller eindeutig und damit nicht auslegungsfähig beantragt ist, nicht vor.
Eine Versetzung in den einstweiligen Ruhestand lässt das Gesetz nur in eng begrenzten Fällen zu, etwa bei politischen Beamten (§ 54 BBG) und bei Beamten in einem Amt der Besoldungsgruppe B im Fall bestimmter organisatorischer Veränderungen und unter näher bezeichneten Voraussetzungen (§ 55 BBG). Zu diesen Gruppen zählt der Antragsteller nicht. Die allgemeinen gesetzlichen Ruhestandsregelungen, wie namentlich auch die hier inmitten stehende Vorruhestandsregelung des § 2 SKPersStruktAnpG, sehen eine „vorläufige“ oder „einstweilige“ Zurruhesetzung nicht vor. Eine solche wäre mit Blick auf den statusändernden Charakter dieser Maßnahme und die einzelnen Rechtsfolgen – ebenso wie eine „vorläufige“ Ernennung (dazu BayVGH, B.v. 12.5.2016 – 6 CE 16.371 – juris Rn. 6) – mit der Formstrenge des Soldatenrechts unvereinbar und kann auch nicht etwa durch Rechtsschutzerwägungen gerechtfertigt werden (vgl. BayVGH, B.v. 28.12.2016 – 6 CE 16.2584 – juris Rn. 13 m.w.N.).
Selbst wenn man den Eilantrag als auf ein gesetzmäßiges Ziel gerichtet, nämlich auf die – uneingeschränkte – Versetzung in den Ruhestand nach § 2 SKPersStruktAnpG, verstehen könnte, müsste er in der Sache erfolglos bleiben. Ein solcher Eilantrag würde zu einer „echten“ Vorwegnahme der Hauptsache führen, für die kein Grund besteht.
Eine Regelungsanordnung (§ 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO) mit einer solchen Zielrichtung kommt nur ausnahmsweise in Betracht. Sie setzt voraus, dass die Vorwegnahme der Hauptsache zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes geboten ist und ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass der mit der Hauptsache verfolgte Anspruch auf vorzeitige Zurruhesetzung begründet ist (vgl. BayVGH, B.v. 28.12.2016 – 6 CE 16.2584 – juris Rn. 15 m.w.N.). Das ist nicht der Fall.
Bereits der Gebrauch der Worte „können“ und „kann“ in § 2 SKPersStruktAnpG belegt, dass grundsätzlich kein Anspruch auf Versetzung in den Ruhestand nach dieser Vorschrift besteht. Für eine etwaige Ermessensreduzierung auf Null zugunsten des Antragstellers ist nichts ersichtlich, zumal ihm von vornherein nicht einmal ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über seine Versetzung in den Ruhestand nach § 2 SKPersStruktAnpG zusteht. Im Einzelnen:
Selbst wenn im Fall des Antragstellers – was mangels Entscheidungserheblichkeit nicht zu prüfen ist – die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 2 SKPers-StruktAnpG erfüllt wären, ergäbe sich daraus für ihn vor allem nach dem Sinn und Zweck dieser Vorschrift kein Anspruch auf Versetzung in den Ruhestand oder entsprechende Neuverbescheidung.
Nach dem Willen des Gesetzgebers sollten unter anderem durch § 2 SKPers-StruktAnpG – in Ergänzung zum Personalanpassungsgesetz vom 20. Dezember 2001 (PersAnpassG) – die rechtlichen Voraussetzungen für die Umsetzung der Strukturreform der Bundeswehr und den in deren Rahmen beabsichtigten Umbau des Personalkörpers geschaffen werden, und zwar mit den Zielen Einsatzausrichtung, Effizienzsteigerung sowie Verschlankung und Verjüngung (vgl. OVG NW, U.v. 14.12.2016 – 1 A 1681/14 – juris Rn. 29 f. m.w.N.).
Dies zugrunde gelegt, ist die Entscheidung nach § 2 SKPersStruktAnpG – entsprechend derjenigen nach dem Personalanpassungsgesetz – allein öffentlichen Interessen zu dienen bestimmt; sie verlangt lediglich die Zustimmung des betroffenen Soldaten, kann also nicht gegen seinen Willen ergehen. Liegt diese Zustimmung wie hier vor, hat sich die Antragsgegnerin allein an den (in dem angewandten Gesetz zum Ausdruck kommenden) Belangen der Bundeswehr zu orientieren. Private Interessen der Soldaten daran, vorzeitig in den Ruhestand zu treten, sind nicht zu berücksichtigen (vgl. OVG NW, U.v. 14.12.2016 – 1 A 1681/14 – juris Rn. 31 f. m.w.N; VG München, U.v. 28.3.2017 – M 21 K 15.2485 – juris Rn. 26 m.w.N.).
Das hat zugleich Auswirkungen für den Umfang einer von Soldaten initiierten Rechtskontrolle durch die Verwaltungsgerichte. Die gerichtliche Überprüfung reicht nur so weit, wie sich die Rechtsanwendung und namentlich die Ausübung des Ermessens auf die subjektive Rechtsstellung des jeweiligen Antragstellers ausgewirkt hat. Ein Antragsteller kann somit zwar gegebenenfalls geltend machen, dass die Antragsgegnerin über die Bekundung seines Interesses auf Versetzung in den Ruhestand unter Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes nach sachlich unzulässigen, will kürlichen Gesichtspunkten entschieden hat. Er kann aber nicht zur Nachprüfung durch das Gericht stellen, ob die Antragsgegnerin die für die Personalanpassung bestehenden Ziele mit zutreffenden Mitteln angestrebt, erreicht oder verfehlt hat, ob sie also insofern richtige/zulässige (Ermessens-)Erwägungen angestellt hat (vgl. OVG NW, U.v. 14.12.2016 – 1 A 1681/14 – juris Rn. 33 f. m.w.N.).
Somit kann der Antragsteller etwa nicht mit Erfolg geltend machen, die Antragsgegnerin habe in rechtsfehlerhafter Weise auf Tatbestandsebene einen fortbestehenden Bedarf für seine weitere Verwendung bei der Bundeswehr bejaht.
Ob der Antragsteller diesbezüglich eine Willkürprüfung verlangen kann, kann dahinstehen, weil sich ein willkürliches, in keiner Weise mehr durch sachliche Gesichtspunkte getragenes Verhalten der Antragsgegnerin nicht feststellen lässt. Inwiefern in Bezug auf den Antragsteller unter Mitberücksichtigung seiner Restdienstzeit und (verwendungsbezogener) gesundheitlicher Einschränkungen ein weiterer Einsatz in der Bundeswehr – und dies nicht nur bezogen auf einen bestimmten Einsatzbereich -noch als sinnvoll erschienen ist, war aufgrund der Organisationshoheit der bewertenden Einschätzung seines Dienstherrn oblegen (vgl. OVG NW, U.v. 14.12.2016 – 1 A 1681/14 – juris Rn. 41).
Dafür, dass die Antragsgegnerin bezogen auf die weitere Verwendung des Antragstellers objektiv die Grenze des Zumutbaren nicht beachtet hat, gibt es keinen Anhaltspunkt.
Ebenso wenig kann sich der Antragsteller mit Erfolg auf eine Verletzung des Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) im Übrigen berufen. Die von ihm ohne Details angeführten Vergleichsfälle wären nicht geeignet, eine gleichheitssatzwidrige Verwal tungspraxis der Antragsgegnerin zu Versetzungen in den Ruhestand nach § 2 SKPersStruktAnpG zu belegen.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
3. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 52 Abs. 6 Satz 4 GKG und der einschlägigen Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, die eine Halbierung des danach maßgeblichen Werts (6 x 3.498,92 €) mit Blick auf den Charakter des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens zutreffend für nicht angezeigt hält, wenn das Rechtsschutzbegehren – wie hier – auf eine Vorwegnahme der Hauptsache zielt (vgl. nur BayVGH, B.v. 28.12.2016 – 6 CE 16.2584 – juris Rn. 21).

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