Verwaltungsrecht

Keine Widerlegung der Einstufung von Bosnien-Herzegowina als sicherer Herkunftsstaat

Aktenzeichen  M 2 S 17.48510

Datum:
26.10.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 80 Abs. 5
AsylG AsylG § 3, § 36 Abs. 3, § 36 Abs. 4, § 75 Abs. 1, § 77 Abs. 2, § 80, § 83
AufenthG AufenthG § 11 Abs. 1, § 60 Abs. 5, § 60 Abs. 7

 

Leitsatz

1 Die Gerichte sind an die Einstufung eines Staates als sicherer Herkunftsstaat gebunden, es sei denn, sie sind der Überzeugung, dass sich die Einstufung als verfassungswidrig erweist.  (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
2 Die Lebensbedingungen in Bosnien-Herzegowina erreichen nicht den einer unmenschlichen oder erniedrigen Behandlung isd Art. 3 EMRK gleichzusetzenden Schweregrad.  (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragsteller haben die Kosten des Verfahrens gesamtschuldnerisch zu tragen.

Gründe

I.
Die Antragsteller sind Staatsangehörige von Bosnien und Herzegowina. Der Antragsteller zu 1 ist Vater der Antragsteller zu 2 bis 6, reiste zusammen mit seinen Kindern am 19. September 2017 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellten hier am 27. September 2017 einen Asylantrag.
Die Antragsteller wurden vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am 28. September 2017 angehört. Mit Bescheid vom 29. September 2017, den Antragstellern zugestellt am 10. Oktober 2017, lehnte das Bundesamt die Anträge auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Nr. 1), Asylanerkennung (Nr. 2) und Gewährung von subsidiärem Schutz (Nr. 3) als offensichtlich unbegründet ab und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) nicht vorliegen (Nr. 4). Es forderte die Antragsteller auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen, anderenfalls wurde ihnen die Abschiebung nach Bosnien und Herzegowina oder in einen anderen Staat, in den sie einreisen dürfen oder der zu ihrer Rückübernahme verpflichtet ist, angedroht (Nr. 5). Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde gemäß § 11 Abs. 7 AufenthG angeordnet und auf 10 Monate ab dem Tag der Ausreise befristet (Nr. 6). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 7).
Die Antragsteller erhoben zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle beim Bayerischen Verwaltungsgericht München am 11. Oktober 2017 Klage, die unter M 2 K 17.48507 anhängig ist, und beantragen dabei sinngemäß, die Antragsgegnerin unter Aufhebung des Bescheids vom 29. September 2017 zu verpflichten, festzustellen, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, hilfsweise die des subsidiären Schutzstatus, und weiter hilfsweise, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG vorliegen. Über die Klagen wurde bislang noch nicht entschieden. Zudem wird von ihnen beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Zur Begründung nehmen die Antragsteller Bezug auf ihre Angaben gegenüber dem Bundesamt. Zudem führt der Antragsteller zu 1 aus, er habe im Krieg gekämpft und in der Heimat keine Lebensgrundlage. Er habe dort bei Bekannten gelebt und Angst, sich in Bosnien und Herzegowina nicht mehr ausreichend um seine Kinder kümmern zu können.
Die Antragsgegnerin hat die Behördenakten elektronisch vorgelegt; sie stellt keinen Antrag.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten in diesem Verfahren und im Verfahren M 2 K 17.48507 sowie auf die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der statthafte Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO und § 75 Abs. 1 Asylgesetz (AsylG) wurden in der Wochenfrist des § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG erhoben; er ist zulässig.
In der Sache bleibt der Antrag allerdings erfolglos. Er ist unbegründet, da keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheide des Bundesamtes vom 29. September 2017 bestehen (vgl. Art. 16a Abs. 4 Grundgesetz – GG, § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG).
1. Nach Art. 16a GG, § 36 AsylG kann das Verwaltungsgericht auf Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO die Aussetzung der Abschiebung anordnen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen. Tatsachen und Beweismittel, die von den Beteiligten nicht angegeben worden sind, bleiben unberücksichtigt, es sei denn, sie sind gerichtsbekannt oder offenkundig (vgl. § 36 Abs. 4 Satz 1 und 2 AsylG). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts liegen ernstliche Zweifel i.S.d. Art. 16a Abs. 4 Satz 1 GG (und sodann auch § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG) vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – BVerfGE 94, 166 ff.).
Im Rahmen der Entscheidung über einen Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO ist im Hinblick auf den durch Art. 19 Abs. 4 GG gebotenen effektiven Rechtsschutz sonach zu prüfen, ob das Bundesamt zu Recht davon ausgegangen ist, dass der geltend gemachte Anspruch auf Asylanerkennung und auf Zuerkennung des internationalen Schutzes offensichtlich nicht besteht – wobei eine nur summarische Prüfung nicht ausreicht – und ob diese Ablehnung weiterhin Bestand haben kann (BVerfG B.v. 2.5.1984 – 2 BvR 1413/83 – juris Rn. 40). Offensichtlich unbegründet ist ein Asylantrag gemäß § 30 Abs. 1 AsylG dann, wenn die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigter und die Voraussetzungen für die Zuerkennung des internationalen Schutzes offensichtlich nicht vorliegen. Nach § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG ist zudem vom Bundesamt in seiner Entscheidung über einen Asylantrag auch festzustellen, ob die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG vorliegen.
Nach ständiger Rechtsprechung ist eine offensichtliche Unbegründetheit einer Asylklage dann anzunehmen, wenn an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen vernünftigerweise keine Zweifel bestehen, und bei einem solchen Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung sich die Abweisung geradezu aufdrängt (vgl. BVerfG, B.v. 5.2.1993 – 2 BvR 1294/92 – juris).
2. Gemessen an diesen Grundsätzen bestehen hier keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Entscheidungen des Bundesamts für die vorliegend allein noch streitige Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, hilfsweise des subsidiären Schutzes und der Feststellung des Vorliegens von Abschiebungsverboten. An der Richtigkeit der Feststellungen des Bundesamtes bestehen vernünftigerweise keine Zweifel. Bei dem zur Entscheidung gestellte Sachverhalt drängt sich dem erkennenden Gericht die Abweisung der Rechtsschutzbegehren der Antragstellers auf.
Zur Vermeidung von Wiederholungen wird zunächst auf die Ausführungen im Bescheid des Bundesamts vom 29. September 2017 verwiesen (vgl. § 77 Abs. 2 AsylG). Ergänzend ist Folgendes festzustellen:
2.1 Für das Gericht ist offensichtlich, dass den Antragstellern die geltend gemachte Ansprüche auf Zuerkennung von internationalem Schutz nach § 1 Abs. 1 Nr. 2, §§ 3 ff. AsylG nicht zustehen.
Die insoweit allein noch streitige Ablehnung des Antrags auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und der subsubsidiären Schutzberechtigung als offensichtlich unbegründet beruht auf § 29a Abs. 1 AsylG. Nach dieser Vorschrift ist der Asylantrag (vgl. § 13 AsylG) eines Ausländers aus einem Staat i.S.d. Art. 16a Abs. 3 Satz 1 GG (sicherer Herkunftsstaat) als offensichtlich unbegründet abzulehnen, es sei denn, die von dem Ausländer angegebenen Tatsachen oder Beweismittel begründen die Annahme, dass ihm abweichend von der allgemeinen Lage im Herkunftsstaat politische Verfolgung droht. Das Heimatland der Antragsteller, Bosnien und Herzegowina, ist ein sicherer Herkunftsstaat in diesem Sinne (vgl. § 29a Abs. 2 AsylG i.V.m. Anlage II). Die Gerichte sind an diese Einstufung gebunden, es sei denn, sie sind der Überzeugung, dass sich die Einstufung als verfassungswidrig erweist (BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1507/93 – Rn. 65). Gegen die Einstufung von Bosnien und Herzegowina als sicherer Herkunftsstaat bestehen weder verfassungsrechtliche noch europarechtliche Bedenken.
Die Antragsteller haben die normative Nichtverfolgungsvermutung auch nicht ansatzweise durch den schlüssigen Vortrag von individuellen Verfolgungstatsachen erschüttern können. Vielmehr erschöpft sich sein Vortrag in Ausführungen zur schlechten sozialen und finanziellen Situation seiner Familie nach dem Tod der Ehefrau und Mutter. Die von ihnen angegebenen Tatsachen und Beweismittel begründen gerade nicht die Annahme, dass ihnen abweichend von der allgemeinen Lage im Herkunftsstaat politische Verfolgung oder die Gefahr eines ernsthaften Schadens i.S.d. § 1 Abs. 1 Nr. 2, §§ 3 ff. AsylG droht.
Nach alledem fehlt es offenkundig an den Voraussetzungen der internationalen Schutzgewährung nach § 1 Abs. 1 Nr. 2, §§ 3 ff. AsylG:
2.2 Das Gericht ist ferner davon überzeugt, dass sich für die Antragsteller in Bosnien und Herzegowina weder mit Blick auf die dortige allgemeine wirtschaftliche, soziale und humanitäre Situation noch aufgrund besonderer individueller Umstände eine im Rahmen von § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG für den Abschiebungsschutz relevante Bedrohung, Verfolgung oder Gefährdung ergeben wird.
Allein wegen der Lebensbedingungen in Bosnien und Herzegowina vermögen sich die Antragsteller weder auf § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG noch auf § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK zu berufen. Die Abschiebung trotz schlechter humanitärer Verhältnisse ist nur in sehr außergewöhnlichen Einzelfällen als unmenschlich oder erniedrigende Behandlung zu bewerten, sodass auch nur dann die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK erfüllt sein können (BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – juris Rn. 23 ff.). Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Diese Regelung erfasst nur solche Gefahren, die in den spezifischen Verhältnissen im Zielstaat begründet sind, während Gefahren, die sich aus der Abschiebung als solche ergeben, nur von der Ausländerbehörde als inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis im Vollzug der Abschiebung berücksichtigt werden können.
Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt. Die Lebensbedingungen sind in Bosnien und Herzegowina grundsätzlich nicht als derart schlecht zu bewerten, dass diese den Schweregrad einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S.d. Art. 3 EMRGK aufweisen (vgl. Bericht des Auswärtigen Amtes im Hinblick auf die Einstufung von Bosnien und Herzegowina als sicheres Herkunftsland im Sinne des § 29a AsylG vom 16. Januar 2017). Dies gilt auch im Fall der Antragsteller. Der Antragsteller zu 1, ein Mann im erwerbsfähigen Alter, hat nach eigenen Angaben bereits in seiner Heimat gearbeitet. Vor diesem Hintergrund ist nicht ersichtlich, wieso er nicht in der Lage sein sollte, „durch seiner Hände Arbeit“ in seiner Heimat eine zumindest existenzsichernde Grundversorgung auf bescheidenem, landesangemessenem Niveau für sich und seine Familie zu erwirtschaften. Das Gericht verkennt nicht, dass sich das Leben in Bosnien und Herzegowina für die Antragsteller bei ihrer Rückkehr durchaus (wieder) als schwierig und hart erweisen kann. Die asylrechtlich sehr hohen Voraussetzungen, unter denen eine wirtschaftlich schlechte Lage im besonderen Einzelfall ausnahmsweise zu einem nationalen zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbot führen kann, sind jedoch im Fall der Antragsteller zur Überzeugung des Gerichts nicht erfüllt.
Nach alledem können sich die Antragsteller mit Erfolg weder auf die Gewährung internationalen Schutzes nach § 1 Abs. 1 Nr. 2, §§ 3 ff. AsylG noch auf die Feststellung von nationalen zielstaatsbezogenen Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG berufen. Vor diesem Hintergrund sind die nach §§ 34, 36 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG erlassene Abschiebungsandrohung und die dazu gesetzte einwöchige Ausreisefrist ebenfalls nicht zu beanstanden.
Der Antrag war daher mit der Kostenfolge der § 154 Abs. 1, § 159 VwGO abzulehnen. Das Verfahren ist nach § 83b AsylG gerichtskostenfrei.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).

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