Verwaltungsrecht

Keine Widerlegung der Regelvermutung der waffenrechtlichen Unzuverlässigkeit

Aktenzeichen  21 CS 18.388

Datum:
15.3.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 7800
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
WaffG § 5 Abs. 2 Nr. 1 a
BJagdG § 17 Abs. 1 S. 2, § 18 Abs. 1
StGB § 14, § 266a Abs. 1

 

Leitsatz

Die Regelvermutung der waffenrechtlichen Unzuverlässigkeit (§ 5 Abs. 2 Nr. 1a WaffG) wegen der Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe wegen Veruntreuens von Arbeitsentgelt (§ 266a StGB) wird nicht durch Umstände ausgeräumt, die bereits im Strafurteil berücksichtig wurden. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 7 S 17.4507 2018-01-05 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 9.875.- EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen den Widerruf seiner waffenrechtlichen Erlaubnisse sowie die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen die Ungültigerklärung und Einziehung seines Jagdscheins.
Der Antragsteller ist Inhaber zweier Waffenbesitzkarten (vom 16.4.1997 und vom 20.9.2010), in die neun Lang- und eine Kurzwaffe eingetragen sind (Bedürfnisgrund: Jäger § 13 Abs. 1, 3 WaffG). Am 26. Januar 2016 stellte die Antragsgegnerin dem Antragsteller einen Jahresjagdschein (3 Jahre) aus.
Mit seit 26. Juli 2016 rechtskräftigem Urteil vom 18. Juli 2016 verurteilte das Amtsgericht Pfaffenhofen a.d.Ilm den Antragsteller wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in 82 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Monaten, die zur Bewährung ausgesetzt wurde (§ 266a Abs. 1 und 2, §§ 52, 53, 56 Abs. 1 StGB). Laut Urteilsbegründung betrieb der Antragsteller als alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer die am 1. Juni 2009 gegründete Firma K* … T* … GmbH sowie die am 25. März 2011 gegründete Firma P** … UG, die fortgeführt wurde durch die Firma K* … K* … GmbH. Neben dem Antragsteller war sein ebenfalls gem. § 266a StGB verurteilter Vater faktischer Geschäftsführer beider Firmen. Im Zeitraum vom 1. Juni 2009 bis 31. Dezember 2012 wurden aufgrund der Falschdeklaration als steuerfreie Zusätze Sozialversicherungsbeiträge mit einem Gesamtbetrag von rund 39.000.- EUR in 51 Einzelfällen nicht abgeführt. Für den Zeitraum vom 1. Februar 2011 bis 30. September 2011 wurden Sozialversicherungsbeiträge von rund 13.000.- EUR in 31 Fällen nicht entrichtet. Bei der Strafzumessung berücksichtigte das Amtsgericht zugunsten des Antragstellers sein Geständnis und dass er strafrechtlich bisher nicht in Erscheinung getreten ist. Zu Lasten des Antragstellers wurden die langen Tatzeiträume und die nicht unerheblichen Schäden gewertet.
Nachdem das Landratsamt davon (Auskunft aus dem Bundeszentralregister vom 31. Januar 2017) Kenntnis erhielt, widerrief es mit Bescheid vom 22. August 2017 die dem Antragsteller erteilten Waffenbesitzkarten (Nr. 1 des Bescheids). Zugleich wurde unter Anordnung der sofortigen Vollziehung (Nr. 5) der Jagdschein für ungültig erklärt und eingezogen (Nr. 4). Wegen seiner strafrechtlichen Verurteilung habe der Antragsteller seine jagd- und waffenrechtliche Zuverlässigkeit verloren (§ 5 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a WaffG).
Der Antragsteller hat gegen den Bescheid am 21. September 2017 Klage erhoben und vorläufigen Rechtsschutz beantragt. Das Verwaltungsgericht München hat den Eilantrag mit Beschluss vom 5. Januar 2018 (M 7 S 17.4507) abgelehnt. Dagegen richtet sich die Beschwerde.
II.
1. Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg. Die im Beschwerdeverfahren fristgerecht dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat im Grundsatz beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigen es nicht, die angefochtene Entscheidung abzuändern oder aufzuheben.
1.1 Der Antragsteller rügt, das Verwaltungsgericht sei zu Unrecht wegen der rechtskräftigen Verurteilung des Antragstellers vom Vorliegen der waffenrechtlichen Regelunzuverlässigkeit des Antragstellers gem. § 5 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a WaffG ausgegangen. Im Fall des Antragstellers sei diese Regelvermutung vielmehr aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalles, die die Tat in einem milderen Licht erscheinen ließen, widerlegt. Der Antragsteller sei im Betrieb lediglich für die Immobilien (Vermietung, Verpachtung, Erhalt) und den Außendienst zuständig gewesen. Mit der Ein- und Ausstellung von Arbeitnehmern, deren Bezahlung, insbesondere der Abführung von Sozialbeiträgen sei er nicht befasst gewesen. Er habe als Geschäftsführer bestimmte Aufgaben und ganze Aufgabenfelder an nach seiner damaligen Kenntnis vertrauenswürdige Personen, nämlich dem eigenen Vater und einer eingestellten Lohnbuchhalterin als Fachkraft übertragen. Diese habe er aufgrund fehlender eigener buchhalterischer Kenntnisse nicht zu überwachen vermocht. Der Vorwurf des Verwaltungsgerichts, dass er im Geschäftsleben zu sorglos gewesen sei, begründe keine kriminelle Energie. Daraus lasse sich nicht die Schlussfolgerung für das Waffenrecht ziehen, dass sich der Antragsteller auch dort nicht an die strengen gesetzlichen Vorgaben halten werde.
1.2 Dieses Beschwerdevorbringen ist – summarisch geprüft – nicht geeignet, die Annahme der jagd- und waffenrechtlichen Regelunzuverlässigkeit (§ 18 Abs. 1, § 17 Abs. 1 Satz 2 BJagdG; § 45 Abs. 2 Satz 1 WaffG) aufgrund Verurteilung gem. § 5 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a WaffG in der Person des Antragstellers zu entkräften.
Die Regelvermutung der waffenrechtlichen Unzuverlässigkeit aufgrund Verurteilung knüpft nicht an bestimmte Delikte an, sondern an das Vorliegen einer Vorsatztat und an die Art und Höhe der rechtkräftig verhängten Sanktion. Die Anwendung des gesetzlichen Tatbestands erfordert daher keine Prüfung der Behörde, ob der Betroffene tatsächlich eine Straftat begangen hat. Indem es eine rechtskräftige Verurteilung voraussetzt, will das Gesetz sichern, dass die behördliche Beurteilung der waffenrechtlichen Zuverlässigkeit auf tragfähiger Grundlage erfolgt. Das gerichtliche Strafverfahren, in dem der Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln und im Zweifel zugunsten des Betroffenen zu entscheiden ist, bietet dafür eine besondere Gewähr. Daraus folgt, dass sich die Behörde auch auf die tatsächlichen Feststellungen des Strafgerichts stützen darf. Sie darf grundsätzlich von der Richtigkeit der Verurteilung ausgehen und sich auf die Prüfung beschränken, ob das die Verurteilung begründende Verhalten im Zusammenhang mit den sonstigen Umständen die Annahme waffenrechtlicher Unzuverlässigkeit rechtfertigt oder ob die Regelvermutung des § 5 Abs. 2 Satz 1 WaffG aufgrund besonderer Umstände ausnahmsweise ausgeräumt ist. Sinn und Zweck des Gesetzes ergeben danach, dass die Behörde allenfalls in Sonderfällen die strafgerichtlichen Feststellungen ihrer Entscheidung nicht ohne weitere Ermittlungen zugrunde legen darf, etwa dann, wenn für sie ohne weiteres erkennbar ist, dass die Verurteilung auf einem Irrtum beruht oder wenn sie ausnahmsweise in der Lage ist, den Vorfall besser als die Strafverfolgungsorgane aufzuklären (vgl. BVerwG, B.v. 22.4.1992 –1 B 61/92 – juris Rn. 6).
Der Antragsteller wendet sich weder gegen die tatsächlichen Feststellungen des Strafgerichts, noch gegen die strafrechtliche Bewertung oder die konkrete Strafzumessung, sondern macht das Vorliegen eines Ausnahmefalles von der Regelvermutung des § 5 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a WaffG geltend. Das Verwaltungsgericht hat einen Ausnahmefall, der ein Absehen von der Regelvermutung rechtfertigen könnte, zu Recht verneint:
Geschütztes Rechtsgut des § 266a StGB ist das Interesse der Solidargemeinschaft an der Sicherstellung des Aufkommens der Mittel für die Sozialversicherung bzw. das Schutzinteresse der Arbeitnehmer an der treuhänderischen Verwaltung von Teilen ihres Arbeitseinkommens (Perron in Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl. 2014, § 266 Rn. 5). Täter einer Straftat nach § 266a Abs. 1 StGB können nur Arbeitgeber (bzw. für den Arbeitgeber i.S. des § 14 StGB verantwortlich Handelnde) sein (Sonderdelikt). Dementsprechend enthält das Strafurteil auch die tatsächlichen Feststellungen dazu, dass der Antragsteller als alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer der bezeichneten Firmen – neben seinem als „faktischer Geschäftsführer“ tätigen Vater – dem Arbeitgeberbegriff des § 266a Abs. 1 StGB unterfällt. Das Strafurteil hat insbesondere auch den „neben“ dem Antragsteller vorhandenen maßgeblichen Einfluss seines Vaters auf die Geschäftsführung der Firmen gewürdigt und den Vater als faktischen Geschäftsführer und ebenfalls dem Arbeitgeberbegriff des § 266a StGB unterfallend eingestuft. Es ist daher davon auszugehen, dass das gesamte die Verurteilung des Antragstellers begründende Verhalten, wie auch der maßgebliche Einfluss des Vaters in der Geschäftsführung, die Organisation, die Zuweisung der Aufgabenbereiche etc. im Strafurteil seinen Niederschlag gefunden haben. Für eine Aufklärung aller insoweit wesentlichen Umstände spricht auch das Geständnis des Antragstellers, das bei der Strafzumessung zu seinen Gunsten gewertet wurde. Demnach durfte die Behörde grundsätzlich von der Richtigkeit der Verurteilung ausgehen und die Prüfung darauf beschränken, ob das die Verurteilung begründende Verhalten im Zusammenhang mit den sonstigen Umständen die Annahme der waffenrechtlichen Unzuverlässigkeit rechtfertigt oder die Regelvermutung aufgrund besonderer Umstände ausnahmsweise ausgeräumt ist (BVerwG, B.v. 21.7.2008 – 3 B 12/08 – juris Rn. 9). Die verhängte Freiheitsstrafe von sieben Monaten als tat- und schuldangemessene Strafe liegt zudem erheblich über dem für die waffenrechtliche Regelunzuverlässigkeit vorgesehenem Mindestmaß einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen.
Darüber hinaus sind dem Beschwerdevorbringen besondere Umstände der abgeurteilten Tat, die die Verfehlungen des Antragstellers ausnahmsweise derart in einem milden Licht erscheinen lassen, dass die nach der Wertung des Gesetzgebers in der Regel durch eine solche Straftat begründeten Zweifel an der waffenrechtlichen Zuverlässigkeit nicht gerechtfertigt sind, nicht zu entnehmen.
1.3 Entgegen dem Beschwerdevorbringen ist vorliegend die Regelvermutung auch nicht durch den Umstand widerlegt, dass zwar seit Rechtskrafteintritt des Strafurteils im Juli 2016 bis zum Zeitpunkt des Bescheidserlasses im August 2017 fünf Jahre noch nicht verstrichen gewesen sind (§ 5 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a WaffG), der strafrechtliche Unrechtsgehalt der abgeurteilten Tat aber bereits zuletzt im September 2011 begründet worden war. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, U.v. 24.4.1990 – 1 C 56/89 – juris) kann ein Abweichen von der Regelvermutung erwogen werden, wenn der Zeitpunkt der Begehung der Straftat sehr lange, d.h. mindestens 10 Jahre, zurückliegt und der Betroffene sich bisher straffrei geführt hat. Hier liegt die abgeurteilte Tat etwa 6 Jahre vor dem Zeitpunkt des Bescheidserlasses.
2. Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 154 Abs. 2 VwGO.
3. Der Streitwert ergibt sich aus § 47, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 und 2 GKG unter Berücksichtigung der Nrn. 20.3, 50.2 und 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Danach sind – unabhängig von der Anzahl der im Streit befindlichen Waffenbesitzkarten – für eine Waffenbesitzkarte einschließlich einer Waffe ein Betrag von 5.000.- EUR zzgl. 750.- EUR je weiterer Waffe und für den Entzug des Jagdscheins 8.000.- EUR anzusetzen. Daraus errechnet sich für das Hauptsacheverfahren ein Gesamtstreitwert von 19.750.- EUR, der im Verfahren des vorläufigen Rechtschutzes halbiert wird.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

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