Verwaltungsrecht

Keine Wiedereinsetzung bei verschuldetem Fristversäumnis

Aktenzeichen  10 ZB 16.1497

Datum:
13.1.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 100319
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 60, § 74, § 124 Abs. 2

 

Leitsatz

1 Wird die Klage nicht bei Gericht, sondern bei der Behörde eingereicht, kann angesichts einer korrekten Rechtsbehelfsbelehrung nicht davon ausgegangen werden, dass dadurch die Klagefrist von 1 Monat gewahrt wird. (redaktioneller Leitsatz)
2 Es besteht keine gerichtliche Hinweis- und Aufklärungspflicht zur Möglichkeit, einen Wiedereinsetzungsantrag zu stellen, wenn das Gericht von einem verschuldeten Fristversäumnis ausgeht. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

Au 6 K 16.768 2016-06-29 Urt VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II.
Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III.
Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung, mit dem der Kläger seine in erster Instanz wegen Versäumung der Klagefrist als unzulässig abgewiesene Klage gegen seine Ausweisung weiterverfolgt, ist zulässig, jedoch unbegründet.
Der Ausweisungsbescheid des Beklagten wurde dem Kläger mit Postzustellungsurkunde am 31. Oktober 2015 durch Einlegen in seinen Briefkasten zugestellt. Nach seiner Anfrage vom 9. Mai 2016 beim Verwaltungsgericht Augsburg, ob seine beim Landratsamt Dillingen eingereichte Klage dorthin weitergeleitet worden sei, und einer negativen Antwort, erhob er mit beim Verwaltungsgericht am 23. Mai 2016 eingegangenem handschriftlichen Schreiben Anfechtungsklage, die mit Urteil vom 29. Juni 2016 abgewiesen wurde.
Aus dem der rechtlichen Überprüfung durch den Senat ausschließlich unterliegenden Vorbringen im Zulassungsantrag ergeben sich weder die geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO; 1.) noch weist die Rechtssache die behauptete grundsätzliche Bedeutung auf (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, 2.) noch wurde dem Kläger in verfahrensfehlerhafter Weise rechtliches Gehör versagt (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO; 3.).
1. Das Zulassungsvorbringen zeigt keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung auf. Zu Recht hat das Verwaltungsgericht die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 60 Abs. 1 VwGO abgelehnt, denn der Kläger hatte nach eigener Aussage (vgl. das beim Verwaltungsgericht Augsburg am 15.6.2016 eingegangene Schreiben, Bl. 31 d. VG-Akte) den Ausweisungsbescheid noch im Oktober 2015 empfangen und war nicht ohne eigenes Verschulden an der Einhaltung der gesetzlichen Klagefrist von einem Monat (§ 74 Abs. 1 VwGO) gehindert. Ein Verschulden wird insbesondere nicht durch seinen – im Übrigen aus den Akten nicht nachvollziehbaren – Vortrag ausgeschlossen, seine Klage noch im November 2015 beim Landratsamt Dillingen in der Annahme eingereicht zu haben, sie werde vom zuständigen Sachbearbeiter an das Verwaltungsgericht weitergeleitet. Der damit geltend gemachte Irrtum über die Notwendigkeit, seine Klage unmittelbar beim Verwaltungsgericht einzureichen, ist angesichts der korrekten Rechtsbehelfsbelehrung im Bescheid vom 30. Oktober 2015 unerheblich. Zudem hätte dem Kläger das richtige Vorgehen bekannt sein müssen, weil er sich bereits einmal in der Vergangenheit vor dem Verwaltungsgericht gegen eine Ausweisung (Bescheid des Landratsamts Dillingen v. 24.6.2002) zur Wehr gesetzt hatte.
Wenn nun der Bevollmächtigte in der Zulassungsbegründung vorträgt, der Kläger habe den Ausweisungsbescheid erstmals „im Laufe des Monats April 2016…in Händen gehabt“ und sich „unverzüglich“ danach mit einer „handschriftlichen Klageschrift“ an das Landratsamt gewandt, ist dieser Vortrag schon im Hinblick auf die anderslautende vorangegangene Aussage des Klägers über den Erhalt des Bescheids und seine Reaktion noch im November 2015 nicht geeignet, die Richtigkeit des angefochtenen Urteils zu erschüttern. Unabhängig davon, dass auch ein derartiges Schreiben nicht in der Ausländerakte aufgefunden werden kann, hat der Kläger erstmals mit am 12. Mai 2016 beim Verwaltungsgericht eingegangenen Schreiben nachgefragt, ob das Landratsamt seine Klage „weitergeleitet“ habe. Im Übrigen spricht für eine Kenntniserlangung des Klägers vom Ausweisungsbescheid zum Zeitpunkt seiner Zustellung auch der Umstand, dass er aus der Haft heraus mit Schreiben vom 25. Januar 2016 an die Ausländerbehörde seiner Hoffnung auf eine „Rücknahme der Abschiebung“ Ausdruck verliehen hatte.
Die schließlich am 23. Mai 2016 beim Verwaltungsgericht erhobene Anfechtungsklage war verfristet. Hieran hätte auch – entgegen dem Zulassungsvortrag – ein sofortiger Hinweis des Verwaltungsgerichts auf die Möglichkeit, einen Wiedereinsetzungsantrag zu stellen, nichts geändert. Denn im angefochtenen Urteil wird der Wiedereinsetzungsantrag des Klägers nicht wegen seiner etwa im Hinblick auf § 60 Abs. 2 VwGO verspäteten Stellung abgelehnt, sondern weil der Kläger zuvor nicht ohne Verschulden an der Einhaltung der Frist gehindert war. Wenn im Zulassungsvorbringen sinngemäß weiter geltend gemacht wird, der Wiedereinsetzungsantrag sei allein im Hinblick auf die fehlende Darlegung der zu seiner Begründung vorzubringenden Tatsachen abgelehnt worden, worüber der Kläger jedoch zuvor habe belehrt werden müssen, kann dieser Sichtweise nicht gefolgt werden. Denn zum einen befasst sich das angefochtene Urteil auch mit dem Vortrag des Klägers, er sei von einer Weiterleitung seiner Klage durch das Landratsamt ausgegangen, und begründet, warum diese Vorstellung nicht erheblich ist. Zum anderen wird in der Zulassungsschrift nicht dargetan, welcher tatsächliche Vortrag, der den Schluss auf eine unverschuldete Fristversäumnis des Klägers zuließe, bei Erfüllung der hier angeblich „über das normale Maß hinaus“ bestehenden gerichtlichen Hinweis- und Aufklärungspflichten gemacht worden wäre. Schließlich vermag auch der Vortrag, der Kläger habe (zunächst) keinen Rechtsanwalt gehabt und sich in Haft befunden, nicht ein Fehlen des Verschuldens an der Versäumung der bereits am 30. November 2015 abgelaufenen Klagefrist zu begründen, zumal er seine Haft erst am 7. Januar 2016 angetreten hat.
Auch im Zulassungsverfahren wurde nicht dargetan, warum der Kläger nicht noch im November 2016 zur Klageerhebung in der Lage gewesen sein sollte.
2. Die Rechtssache hat auch nicht die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Selbst wenn man der Auffassung des Klägers folgen und die Klageschrift vom 17. Mai 2016 zugleich als Wiedereinsetzungsantrag nach § 60 Abs. 1 VwGO ansehen wollte, müsste dieser Antrag abgelehnt werden, weil keine Gründe für eine unverschuldete Fristversäumung vorliegen.
3. Es liegt auch kein Verfahrensmangel vor, auf dem das Urteil beruhen kann (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO). Der Kläger hat im Zulassungsverfahren keine (neuen) Umstände vorgetragen, die er infolge des behaupteten Gehörsverstoßes nicht hätte vortragen können und die geeignet wären, sein Verschulden an der Versäumung der Klagefrist auszuschließen. Schon aus diesem Grunde kann die angegriffene Entscheidung nicht auf der behaupteten Gehörsverletzung beruhen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1, 3 sowie § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

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