Verwaltungsrecht

Keine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft – Asylsuchende aus Nigeria

Aktenzeichen  Au 9 K 17.35117

Datum:
20.2.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 3482
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 113 Abs. 5 S. 1
AsylG § 3, § 4
AufenthG § 11 Abs. 1, § 60 Abs. 5, Abs. 7

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens als Gesamtschuldner zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die Klage hat keinen Erfolg.
Über den Rechtsstreit konnte trotz Ausbleibens der Beklagten aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 20. Februar 2020 entschieden werden. In der frist- und formgerechten Ladung zur mündlichen Verhandlung wurde darauf hingewiesen, dass auch im Fall des Nichterscheinens der Beteiligten verhandelt und entschieden werden kann, § 102 Abs. 2 Verwaltungsgerichtordnung (VwGO). Die Beklagte ist zur mündlichen Verhandlung vom 20. Februar 2020 form- und fristgerecht geladen worden.
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
Die Kläger haben im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 AsylG) keinen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, auf die Gewährung subsidiären Schutzes bzw. auf Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbotes auf der Grundlage des § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 Satz 1 AufenthG (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Der angefochtene Bescheid des Bundesamtes vom 28. September 2017 ist daher rechtmäßig. Es wird zunächst in vollem Umfang auf die Gründe des angefochtenen Bescheides (§ 77 Abs. 2 AsylG) Bezug genommen. Darüber hinaus wird das Folgende ausgeführt:
1. Die Kläger haben keinen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach §§ 3 ff. AsylG.
Nach § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Ein Ausländer ist nach § 3 Abs. 1 AsylG Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560 – Genfer Flüchtlingskonvention), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb seines Herkunftslandes befindet. Eine solche Verfolgung kann nicht nur vom Staat ausgehen (§ 3c Nr. 1 AsylG), sondern auch von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (§ 3c Nr. 2 AsylG) oder nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in Nrn. 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (§ 3c Nr. 3 AsylG). Allerdings wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (§ 3e Abs. 1 AsylG).
Die Tatsache, dass der Ausländer bereits verfolgt oder von Verfolgung unmittelbar bedroht war, ist dabei ein ernsthafter Hinweis darauf, dass seine Furcht vor Verfolgung begründet ist, wenn nicht stichhaltige Gründe dagegen sprechen, dass er neuerlich von derartiger Verfolgung bedroht ist. Hat der Asylbewerber seine Heimat jedoch unverfolgt verlassen, kann sein Asylantrag nur Erfolg haben, wenn ihm auf Grund von Nachfluchttatbeständen eine Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht. Dabei ist es Sache des Ausländers, die Gründe für eine Verfolgung in schlüssiger Form vorzutragen. Er hat unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich bei Wahrunterstellung ergibt, dass bei verständiger Würdigung seine Furcht vor Verfolgung begründet ist, so dass ihm nicht zuzumuten ist, im Herkunftsland zu verbleiben oder dorthin zurückzukehren. Dabei genügt für diesen Tatsachenvortrag auf Grund der typischerweise schwierigen Beweislage in der Regel eine Glaubhaftmachung. Voraussetzung für ein glaubhaftes Vorbringen ist allerdings ein detaillierter und in sich schlüssiger Vortrag ohne wesentliche Widersprüche und Steigerungen.
Wer bereits Verfolgung erlitten hat, für den streitet die tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei der Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Als vorverfolgt gilt ein Schutzsuchender dann, wenn er aus einer durch eine eingetretene oder unmittelbar bevorstehende politische Verfolgung hervorgerufenen ausweglosen Lage geflohen ist. Die Ausreise muss das objektive äußere Erscheinungsbild einer unter dem Druck dieser Verfolgung stattfindenden Flucht aufweisen. Das auf dem Zufluchtsgedanken beruhende Asyl- und Flüchtlingsrecht setzt daher grundsätzlich einen nahen zeitlichen (kausal-) Zusammenhang zwischen der Verfolgung und der Ausreise voraus (vgl. BVerfG, B.v. 12.2.2008 – 2 BvR 2141/06 – juris Rn. 20; VG Köln, U.v. 26.2.2014 – 23 K 5187/11.A – juris Rn. 26).
Gemessen an diesen Maßstäben konnten die Kläger eine individuelle Verfolgung nicht glaubhaft machen. Der Vortrag der Kläger knüpft bereits teilweise nicht an eine asylrechtlich-relevante Vorverfolgung bzw. Rückkehrgefährdung im Sinne der §§ 3, 3b AsylG an bzw. ist eine relevante Verfolgung bei einer erstmaligen Einreise nach Nigeria (Klägerin zu 2, Kläger zu 3) nicht hinreichend glaubhaft gemacht.
Für die Klägerin zu 1 fehlt es bereits an der Anknüpfung eines asylrechtlich relevanten Merkmales im Sinne der §§ 3, 3b AsylG. Der Vortrag der Klägerin zu 1, das sie bei einer Rückkehr nach Nigeria befürchte, wie ihre Mutter dort gewaltsam zu Tode zu kommen, bleibt asylrechtlich ohne Relevanz. Insoweit handelt es sich beim Vortrag der Klägerin zu 1 allenfalls um befürchtetes kriminelles Unrecht, welches asylrechtlich unbeachtlich ist. Die Klägerin zu 1 ist insoweit auf die Inanspruchnahme staatlichen Schutzes zu verweisen. Sie hat insbesondere im Verfahren keine Vorverfolgung anknüpfend an Rasse, Religion, Nationalität, politische Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG, § 3b AsylG) geltend gemacht. Vor diesem Hintergrund scheidet die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft an die Klägerin zu 1 aus. Der Klägerin zu 1 steht kein diesbezüglicher Anspruch zur Seite.
Gleiches gilt für die Klägerin zu 2.
Für die Klägerin zu 2 scheidet die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft wegen einer vorgetragenen geschlechtsbezogenen Verfolgung aus. Zwar stellt die geltend gemachte zwangsweise Beschneidung einen asylerheblichen Eingriff dar, der vom Grundsatz her einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft begründen kann.
Dabei geht das Gericht nach den vorliegenden Erkenntnissen grundsätzlich davon aus, dass die weibliche Genitalverstümmelung in allen bekannten Formen nach wie vor in Nigeria verbreitet ist. Schätzungen zur Verbreitung der weiblichen Genitalverstümmelung gehen jedoch weit auseinander und reichen von 19% bis zu 50% bis 60% (vgl. dazu etwa Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria – Lagebericht – vom 21. Januar 2018, Stand September 2017, Nr. II.1.8).
Es wird zwar teilweise von einem Rückgang der Beschneidungspraxis bzw. einem Bewusstseinswandel ausgegangen, dennoch ist die Beschneidungspraxis noch in den Traditionen der nigerianischen Gesellschaft verwurzelt. Nach traditioneller Überzeugung dient die weibliche Genitalverstümmelung der Sicherung der Fruchtbarkeit, der Kontrolle der weiblichen Sexualität, der Verhinderung von Promiskuität und der Sicherung der wirtschaftlichen Zukunft der Frauen durch eine Heirat. Angesichts des Umstandes, dass teilweise nur eine beschnittene Frau als heiratsfähig angesehen wird, kann der Druck auf die Betroffenen als auch auf deren Eltern zur Durchführung einer Beschneidung erheblich sein. Zur Erreichung der „Heiratsfähigkeit“ sind häufig gerade weibliche Familienmitglieder bemüht, die Beschneidung durchführen zu lassen und mitunter erfolgt dies auch gegen den Willen der Eltern. Übereinstimmend wird davon ausgegangen, dass die weibliche Genitalverstümmelung besonders in ländlichen Gebieten und hierbei insbesondere im Süden bzw. Südwesten und im Norden des Landes verbreitet ist. Das Beschneidungsalter variiert von kurz nach der Geburt bis zum Erwachsenenalter und ist abhängig von der jeweiligen Ethnie. Überdies weist das Gericht darauf hin, dass auch nach der allgemein zugänglichen Stellungnahme „The Epidemiology of Female Genital Mutilation in Nigeria – A Twelve Year Review“ selbst innerhalb der Ethnie der Yoruba von 2013 bis 2016 die Beschneidungspraxis stark rückläufig ist (von 54,5% auf 45,4%). Landesweit betrachtet betrug der Anteil beschnittener Mädchen und Frauen in Nigeria im Jahr 2013 noch 24,8%, während es 2017 nur noch 18,4% waren (vgl. Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich – BFA – Nigeria Gesamtaktualisierung vom 12. April 2019 Nr. 18.1, S. 38 m.w.N.).
Aufgrund dieser Erkenntnislage in Zusammenschau mit dem Vortrag der Klägerin zu 1 beim Bundesamt und in der mündlichen Verhandlung vom 20. Februar 2020 steht zur vollen Überzeugung des Einzelrichters (§ 108 Abs. 1 VwGO) fest, dass bei der Klägerin zu 2 – für die eine Vorverfolgung in Nigeria aufgrund der Tatsache, dass sie in Libyen geboren ist, ausscheidet – eine mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eintretende Gefahr hinsichtlich der Durchführung einer Genitalverstümmelung (FGM) nicht besteht. Dies gilt ungeachtet der Volkszugehörigkeit der Klägerin zu 2 zur Volksgruppe der Yoruba.
Zwar verhält es sich nach der Information des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge – Informationszentrum Asyl und Migration – Weibliche Genitalverstümmelung – Formen – Auswirkungen – Verbreitung – Asylverfahren vom April 2010 bei der Ethnie der Yoruba so, dass Beschneidungen innerhalt der ersten Lebenswoche, im Kleinkindalter oder der Kindheit vorgenommen werden. Dies schließt es aus Sicht des erkennenden Gerichts zunächst nicht aus, dass – abgestellt auf das jeweilige Lebensalter – für die Klägerin zu 2 die Gefahr einer zwangsweisen Beschneidung (FGM) bei einer Einreise nach Nigeria besteht. Das Gericht ist andererseits aber auch der Auffassung, dass es der Klägerin zu 1 unschwer möglich ist, einer möglichen existenten Gefahr einer Beschneidung bei einer Rückkehr nach Nigeria zu entgehen. Dies ergibt sich aus den nachfolgenden Überlegungen. Die Klägerin zu 1 hat in der mündliche Verhandlung insoweit lediglich ausgeführt, dass eine Gefahr von der Familie ihres vormaligen Lebensgefährten ausginge. Auf ausdrückliche Nachfrage hat die Klägerin zu 1 aber nicht angeben können, wo sich die Verwandten, von denen allenfalls eine derartige Gefahr ausginge, aufhielten. Sie kenne weder den Aufenthaltsort ihres ehemaligen Lebensgefährten, noch den seiner Verwandten. Aktuell habe sie nur Kontakt zur Mutter ihres ehemaligen Lebensgefährten, die sich dauerhaft in Deutschland aufhalte und hier über ein Abschiebungsverbot auf der Grundlage des § 60 Abs. 5 AufenthG verfüge. Vor diesem Hintergrund ist eine Gefahr der weiblichen Genitalverstümmelung für die Klägerin zu 2 bereits nicht hinreichend wahrscheinlich. Die Klägerin zu 1 ist bei einer Rückkehr nach Nigeria insbesondere nicht darauf verwiesen, an ihre vormaligen Aufenthaltsorte zurückzukehren. Unter Inanspruchnahme gesellschaftlicher Hilfe ist es insbesondere möglich, sich in einer nigerianischen Großstadt in der Anonymität niederzulassen.
Insoweit ist davon auszugehen, dass der Klägerin zu 2 und ihrer Mutter interner Schutz vor Verfolgung zur Verfügung steht, § 3e Abs. 1 AsylG. Da Genitalverstümmelungen in ländlichen Gebieten weiter verbreitet sind als in den Städten, ist es der Mutter der Klägerin im Fall einer tatsächlichen Bedrohung möglich, sich in einem städtischen Gebiet niederzulassen, in welchem die Beschneidungspraxis nicht mehr derart verbreitet ist. So gilt die Durchführung der weiblichen Genitalverstümmelung beispielsweise in Lagos mittlerweile sogar als absolute Ausnahme (vgl. zum Gesamten: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Informationszentrum Asyl und Migration – weibliche Genitalverstümmelung – Formen, Auswirkungen, Verbreitung, Asylverfahren – April 2010, S. 44). Auch werden alleinstehende oder allein lebende Frauen im liberaleren Südwesten des Landes – und dort vor allem in den Städten – eher akzeptiert (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria vom 10. Dezember 2018, Stand: Oktober 2018, Nr. II.1.8, S. 15). Die Ansiedlung kann vorliegend auch vernünftigerweise erwartet werden. Zum einen wird die Klägerin zu 2 gemeinsam mit ihrer Mutter, der Klägerin zu 1, nach Nigeria zurückkehren. Es ist der Mutter der Klägerin auch zumutbar, sich in einem anderen sicheren Gebiet des Landes niederzulassen und eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen, um jedenfalls das Existenzminimum zu sichern. Zudem besteht die Möglichkeit effektiven Schutz und Unterstützung durch staatliche Stellen und NGO’s – wie zum Beispiel die Women`s Rights Advancement and Protection Alternative (WRAPA) -, die über landesweite Netzwerke verfügen, zu erhalten (vgl. Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des BFA – Nigeria, Gesamtaktualisierung vom 12.4.2019, Nr. 20, S. 40; Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Informationszentrum Asyl und Migration – weibliche Genitalverstümmelung – Formen, Auswirkungen, Verbreitung, Asylverfahren – April 2010, S. 44).
Gesamtbetrachtet steht für das Gericht zur Überzeugung fest, dass für die Klägerin zu 2 bei einer erstmaligen Einreise nach Nigeria zusammen mit ihrer Mutter und gesetzlichen Vertreterin, der Klägerin zu 1, keine Gefahr einer geschlechtsbezogenen Verfolgung besteht. Damit war der geltend gemachte Anspruch der Klägerin zu 2 auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß §§ 3 ff. AsylG abzulehnen.
Für den Kläger zu 3 wurden bereits keine eigenen Asylgründe geltend gemacht.
2. Der beantragte (unionsrechtliche) subsidiäre Abschiebungsschutz nach § 4 AsylG kommt ebenfalls nicht in Betracht.
Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt dabei auch die Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG). Die Art der Behandlung oder Bestrafung muss eine Schwere erreichen, die dem Schutzbereich des Art. 3 EMRK zuzuordnen ist und für den Fall, dass die Schlechtbehandlung von nichtstaatlichen Akteuren ausgeht, muss der Staat erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sein, Schutz zu gewähren (§ 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG i.V.m. § 3c Nr. 3 AsylG).
Die Kläger sind im Falle ihrer Rückkehr nicht einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (§ 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG) ausgesetzt, auch nicht wegen ihres christlichen Glaubens. Die immer wieder aufkommenden, gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen christlichen und muslimischen Gruppen, bzw. die Angriffe und Auseinandersetzung mit der Gruppierung „Boko Haram“ sind überwiegend regional begrenzt und weisen nicht die Merkmale eines innerstaatlichen Konflikts i.S. der Vorschrift und der dazu ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung auf (vgl. BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 2013 -, U.v. 17.11.2011 – 10 C 13/10 -, U.v. 27. 4.2010 – 10 C 4/09 -, U.v. 14.7.2009 – 10 C 9/08 und U.v. 24.6.2008 – 10 C 43/07 – sowie B.v. 14.11.2012 – 10 B 22/12 – jeweils juris). Das Ausmaß dieser Konflikte ist in Intensität und Dauerhaftigkeit nicht mit Bürgerkriegsauseinandersetzungen, die in Nigeria (noch) nicht festzustellen sind, vergleichbar. Nach den allgemein zugänglichen Erkenntnismitteln (Tagespresse, Medien) und Erkenntnissen des Gerichts kam es zwar auch im Jahr 2017 und 2018 sehr häufig zu Anschlägen der Gruppe „Boko Haram“ und sind auch die Einsätze der nigerianischen Sicherheitskräfte mit Gewaltexzessen und willkürlichen Verhaftungen verbunden. Allerdings konzentrieren sich die Anschläge von „Boko Haram“ und die daraus folgenden Auseinandersetzungen immer noch hauptsächlich auf den Norden bzw. Nordosten Nigerias, während es im Süden und Südwesten des Landes nur vereinzelt zu Anschlägen bzw. Terrorakten gekommen ist. Eine landesweite Verübung von Terrorakten durch die Organisation „Boko Haram“ findet nicht statt (vgl. dazu: AA, Lageberichte von Nigeria vom 10. Dezember 2018, 21. Januar 2018, 26. November 2016, 28. November 2014, jew. Zusammenfassung S. 5 sowie II.1.4., vom 28. August 2013, vom 6. Mai 2012, 7. März 2011, 11. März 2010 und vom 21. Januar 2009, jeweils Ziffer II.1.4). Ein Bürgerkrieg findet in Nigeria nicht statt; Bürgerkriegsparteien sind nicht vorhanden.
Die Kläger sind im aktuell bestehenden familiären Verbund in der Lage, diesen Konflikten durch Rückkehr in weniger gefährdete Gebiete im Sinne eines internen Schutzes aus dem Wege zu gehen. An dieser Stelle ist darauf zu verweisen, dass die Klägerin zu 1 selbst nach ihrem eigenen Vorbringen aus dem Bundesstaat … State im Süden Nigerias stammt. Selbst wenn die Klägerin zu 1 nicht an ihre vormaligen Aufenthaltsorte zurückkehren will, kommt nach Auffassung des Gerichts jedenfalls eine Rückkehr nach Lagos bzw. Abuja, aber auch nach Port Harcourt bzw. nach Owerri in Betracht.
3. Soweit mit der Klage die Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 Satz 1 AufenthG begehrt wird, bleibt die Klage ebenfalls ohne Erfolg. Nationale Abschiebungsverbote liegen zu Gunsten der Kläger nicht vor.
a) Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die schlechte wirtschaftliche Situation in Nigeria – hier leben immer noch ca. 70% der Bevölkerung am Existenzminimum und sind von informellem Handel und Subsistenzwirtschaft abhängig (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria – Lagebericht – a.a.O. Nr. I.2.) – ebenso wie die Situation hinsichtlich der verschiedenen gewalttätigen Auseinandersetzungen und Übergriffe, z.T. auch durch die Sicherheitskräfte, und die damit zusammenhängenden Gefahren (s.o. und Lagebericht, a.a.O., Nr. II.2. und 3.) grundsätzlich nicht zu einer individuellen, gerade dem Kläger drohenden Gefahr führt, sondern unter die allgemeinen Gefahren zu subsumieren ist, denen die Bevölkerung oder relevante Bevölkerungsgruppe allgemein ausgesetzt ist und die gemäß § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG durch Anordnungen gemäß § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen sind.
Der Umstand, dass im Falle einer Aufenthaltsbeendigung die Lage eines Betroffenen erheblich beeinträchtigt würde, reicht allein nicht aus, um einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK anzunehmen; anderes kann nur in besonderen Ausnahmefällen gelten, in denen humanitäre Gründe zwingend gegen die Aufenthaltsbeendigung sprechen, wie zum Beispiel im Falle einer tödlichen Erkrankung in fortgeschrittenen Stadium, wenn im Zielstaat keine Unterstützung besteht (BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15/12 – BVerwGE 146, 12-31, juris, Rn. 23 ff. m.w.N.). Im Hinblick auf die Bewertung eines Verstoßes gegen Art. 3 EMRK gelten dabei bei der Beurteilung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG die gleichen Voraussetzungen wie bei der Frage der Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 60 Abs. 2 AufenthG i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG wegen unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung (BVerwG, U.v. 31.1.2013 – a.a.O. – juris Rn. 22, 36).
Auch eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib und Leben (§ 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG) für einen Betroffenen aufgrund allgemein für die Bevölkerung bestehender Gefahren, die über diese allgemein bestehenden Gefahren hinausgeht ist, nur im Ausnahmefall im Sinne eines Abschiebungshindernisses nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen (BVerwG, U.v. 31.1.2013, a.a.O., juris Rn. 38). Ein Ausländer kann im Hinblick auf die Lebensbedingungen, die ihn im Abschiebezielstaat erwarten, insbesondere die dort herrschenden wirtschaftlichen Existenzbedingungen und die damit zusammenhängende Versorgungslage, Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nur ausnahmsweise beanspruchen, wenn er bei einer Rückkehr aufgrund dieser allgemein bestehenden Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Denn nur dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, ihm trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren. Wann danach allgemeine Gefahren von Verfassungs wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalles ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für die Betroffenen die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Betroffenen daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der eine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Schließlich müssen sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren (zum Ganzen BVerwG, U.v. 31.1.2013, a.a.O., juris Rn. 38).
b) Für derartige besondere Gefahren aufgrund schlechter humanitärer oder wirtschaftlicher Verhältnisse ist hier nichts ersichtlich. Insbesondere kann im Falle der Kläger nicht davon ausgegangen werden, dass die schlechte wirtschaftliche Situation in Nigeria zu einem Abschiebungsverbot aufgrund schlechter humanitärer Verhältnisse führt, die im Ausnahmefall als unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK qualifiziert werden könnten.
Dies gilt auch unter Berücksichtigung der weitgehend fehlenden Schulbildung der Klägerin zu 1 und ihrer unterstellten Rückkehr als alleinerziehende Mutter mit drei Kleinkindern. So ist darauf zu verweisen, dass im liberaleren Südwesten Nigerias – und dort vor allem in den Städten – alleinstehende oder alleinlebende Frauen eher akzeptiert werden. Im Allgemeinen ist eine interne Relokation insbesondere für alleinstehende Frauen nicht übermäßig hart. Diese sind darauf angewiesen, spezifische Hilfsorganisationen für Frauen in Anspruch zu nehmen. Diese sind in Nigeria insbesondere in den größeren Städten zahlreich vertreten. Auf die ins Verfahren eingeführte Aufstellung im Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich – BFA – Nigeria – Gesamtaktualisierung vom 12.4.2019, Nr. 18.2, S. 41) wird verwiesen. Weiter ist auf das in Afrika herrschende Prinzip der wechselseitigen Solidarität (Ubuntu) zu verweisen. Allgemein kann festgestellt werden, dass auch eine nach Nigeria zurückgeführte Person, die in keinem privaten Verband soziale Sicherheit findet, keiner lebensbedrohlichen Situation überantwortet wird (vgl. Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des BFA – Nigeria, Gesamtaktualisierung vom 12.4.2019, Nr. 20, S. 50). Schließlich ist auch darauf zu verweisen, dass die Analphabeten-Quote bei nigerianischen Frauen annähernd 50% beträgt. Daher lässt sich auch aus diesem Umstand kein nationales Abschiebungsverbot zu Gunsten der Kläger ableiten. Überdies bleibt zu berücksichtigen, dass die Klägerin zu 1 in der mündlichen Verhandlung ausgeführt hat, dass sie in Nigeria eine Ausbildung zur Frisörin zumindest begonnen hat.
c) Auch ein nationales Abschiebungsverbot auf der Grundlage des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG aus gesundheitlichen Gründen liegt zu Gunsten der Kläger nicht vor. Für die Klägerin zu 1 und die Klägerin zu 2 wurden bereits keine nennenswerten gesundheitlichen Einschränkungen im Verfahren geltend gemacht. Lediglich für den Kläger zu 3 wurde vorgetragen, dass dieser an einer Asthma bronchiale-Erkrankung leide. Aussagekräftige ärztliche Atteste in Bezug auf die Schwere und Behandlungsbedürftigkeit der beim Kläger zu 3 vorhandenen Erkrankung wurden im Verfahren nicht beigebracht. Dies ist aber Voraussetzung für die Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbotes auf der Grundlage des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG ist § 60a Abs. 2c Satz 2 und 3 AufenthG entsprechend anzuwenden. Nach § 60a Abs. 2c Satz 2 AufenthG muss der Ausländer eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen. Dies ist vorliegend unterblieben. Im Übrigen bleibt festzuhalten, dass eine Asthma bronchiale-Erkrankung in Nigeria durchaus behandelbar ist. Insoweit muss sich der Kläger zu 3 auf den in seinem Heimatstaat verfügbaren medizinischen Standard verweisen lassen. Auch dürfte es sich bei der vom Kläger zu 3 behaupteten Erkrankung nicht um eine lebensbedrohliche oder so schwerwiegende Erkrankung handeln, die sich durch eine Abschiebung wesentlich verschlechtern würde (§ 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG). Weiter ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Es genügt insoweit auch, dass eine angemessene medizinische Versorgung im Zielstaat zumindest partiell vorhanden ist (§ 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG). Die Versorgung einer Asthma bronchiale-Erkrankung dürfte in Nigeria jedenfalls in den Großstädten unschwer möglich und für die Kläger auch erreichbar sein.
Soweit die Kläger schließlich darauf verweisen, dass sie in Deutschland die sich hier dauerhaft aufhaltende Mutter des vormaligen Lebensgefährten der Klägerin zu 1 betreuen und unterstützen, ist auch dieser Umstand nicht geeignet, zur Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots führen. Insoweit fehlt es bereits am erforderlichen Zielstaatsbezug.
4. Die auf § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG gestützte Abschiebungsandrohung ist ebenfalls rechtmäßig, da die Voraussetzungen dieser Bestimmungen vorliegen. Die Ausreisefrist von 30 Tagen ergibt sich aus § 38 Abs. 1 AsylG.
Hinweise auf eine Fehlerhaftigkeit der Befristung der Einreise- und Aufenthaltsverbote nach § 11 AufenthG bestehen im maßgeblichen Zeitpunkt nicht. Die Beklagte hat das ihr zustehende Ermessen erkannt und im Rahmen der gerichtlich gemäß § 114 Satz 2 VwGO beschränkten Prüfung ordnungsgemäß ausgeübt. Die erforderliche Einzelfallentscheidung über die Verhängung eines Einreiseverbots von bestimmter Dauer kann in unionsrechtskonformer Auslegung des Aufenthaltsgesetzes auch in einer behördlichen Befristungsentscheidung gemäß § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG 2011 (§ 11 Abs. 2 AufenthG n.F.) gesehen werden (BVerwG, U.v. 21.8.2018 – 1 C 21.17 – juris).
5. Die Klage mithin mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1, § 159 Satz 2 VwGO abzuweisen. Als im Verfahren unterlegen haben die Kläger die Kosten des Verfahrens als Gesamtschuldner zu tragen. Die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 83b AsylG.
6. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO.

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