Verwaltungsrecht

Keine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft eines Rohingya- Flüchtlings

Aktenzeichen  M 17 S 17.43267

Datum:
22.6.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG GG Art. 16a Abs. 4 S. 1
EMRK EMRK Art. 3
VwGO VwGO § 80 Abs. 5 S. 1
AsylG AsylG § 3 Abs. 1, § 36 Abs. 3, Abs. 4, § 75, § 77 Abs. 2

 

Leitsatz

Ärztliche Unterlagen, die über sechs Monate alt sind, können den Gesundheitszustand zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung (vgl. § 77 Abs. 1 AsylG) nicht belegen. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Der Antragsteller stammt nach eigenen Angaben aus Myanmar, ist Zugehöriger der Volksgruppe der Rohingya und muslimischen Glaubens. Er reiste im September 2015 auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 9. März 2016 Asylantrag.
Mit Schreiben vom 14. Januar 2017 teilte Griechenland mit, dass der Antragsteller unter anderem Namen in Griechenland einen Asylantrag gestellt hatte, der in 1. Instanz am 12. April 2007 und in 2. Instanz am 22. Dezember 2007 abgelehnt worden war.
Bei der Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am … März 2017 gab der Antragsteller im Wesentlichen an, dass er Myanmar 2014 verlassen habe und nach … gegangen sei. Ihr Dorf in Myanmar sei 2012 in Brand gesetzt worden, wobei seine Eltern und sein Bruder gestorben seien. Diverse ärztliche Unterlagen wurden vorgelegt.
Mit Bescheid vom 30. Mai 2017 lehnte das Bundesamt die Anträge auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Nr. 1), auf Asylanerkennung (Nr. 2) und auf subsidiären Schutz (Nr. 3) als offensichtlich unbegründet ab und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) nicht vorliegen (Nr. 4). Der Antragsteller wurde aufgefordert, innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe dieser Entscheidung die Bundesrepublik Deutschland zu verlassen, anderenfalls wurde ihm die Abschiebung nach … bzw. in einen anderen Staat, in den er einreisen darf oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist, angedroht (Nr. 5). Zudem wurde das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 36 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 6).
Zur Begründung führte das Bundesamt insbesondere aus, dass es sich, da der Antragsteller bereits in einem sicheren Drittstaat ein Asylverfahren erfolglos betrieben habe, um einen Zweitantrag im Sinne des § 71a AsylG handele. Der Antrag sei zulässig, da die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens vorlägen. Mit der zum 9. Januar 2012 in Kraft getretenen Richtlinie 2011/95/EU sei die Aufnahme der Prüfung des subsidiären Schutzes als Teil der Prüfung des unionsrechtlichen internationalen Schutzes erfolgt. Da der Antragsteller seinen Asylantrag 2006 gestellt habe und die letztinstanzlich Ablehnung 2007 erfolgt sei, sei von einer relevanten Rechtslageänderung auszugehen. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung des internationalen Schutzes und die Anerkennung als Asylberechtigter lägen jedoch nicht vor. Der Antragsteller habe schon nicht glaubhaft machen können, tatsächlich aus Myanmar zu stammen und dem Volk der Rohingya anzugehören. Vielmehr habe er bewusst über seine Herkunft und damit über seine relevante Staats- und Volkszugehörigkeit getäuscht. So habe er nicht benennen können, in welchen Gebieten Myanmars Rohingyas größtenteils leben. Auf Nachfrage habe er vorgetragen, dass diese vor allem in …, aber auch in … leben würden, womit er seiner zuvor getätigten Aussage, wonach Rohingyas gar nicht erst nach … dürften, widersprochen habe. Er sei auch nicht in der Lage gewesen, eine der Organisationen zu benennen, die als repräsentative Organe dienten und Interessen der Rohingya verträten. Der Antragsteller sei ferner nicht in der Lage gewesen, Städte in Rakhine State zu benennen, obwohl es sich dabei um das Hauptsiedlungsgebiet der myanmarischen Rohingya handele. Er habe angegeben, dass die Stadt … Teil des Rakhine State sei und dieser sowie … getrennt seien, was jedoch unrichtig sei. Auch habe er die Hauptstadt von Rakhine State und die größte Stadt der Region nicht gekannt. Auch bleibe offen, wie der Antragsteller als myanmarischer Rohingya in der Lage gewesen sei, neben seiner Heimatsprachen auch Urdu und ein wenig Arabisch zu lernen. Auch habe er sein Verfahren in Griechenland noch als …ischer Staatsangehöriger geführt. Ungeachtet dessen sei sein Vortrag unsubstantiiert. Es mangele an klaren Details und deutlichen Angaben, die eine lebensnahe Sachverhaltsschilderung ausmachten. Der Antragsteller beschränke sich bei der Schilderung des Konflikts auf vage und oberflächliche Aussagen, obwohl nach näheren Details gefragt worden sei. Obwohl der Antragsteller gemäß den dort abgenommenen Fingerabdrücken 2006 in Griechenland gewesen sei, habe er diese Tatsache bestritten. Es sei davon auszugehen, dass der Antragsteller auch in den darauffolgenden Jahren in Griechenland gelebt habe, sodass sich der dargestellte fluchtbegründende Sachverhalt nicht ereignet haben könne. Auch auf subsidiären Schutz habe der Antragsteller keinen Anspruch. Todesstrafe, Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung drohten nicht. Der Antragsteller habe eine solche Bedrohung nicht geltend gemacht und nach den Erkenntnissen des Bundesamts drohe ihm eine solche in … auch nicht. Abschiebungsverbote lägen ebenfalls nicht vor. Dem Antragsteller drohe in … keine durch einen staatlichen oder nichtstaatlichen Akteur verursachte Folter oder relevante unmenschliche oder erniedrigende Behandlung. Die derzeitigen humanitären Bedingungen in … führten nicht zu der Annahme, dass bei einer Abschiebung des Antragstellers eine Verletzung des Art. 3 EMRK vorliege. Bei dem Antragsteller handele es sich um einen jungen und arbeitsfähigen Mann, der grundsätzlich in der Lage sei, sein Existenzminimum auch durch einfache Tätigkeiten sicherzustellen. Seine Arbeitsfähigkeit sei durch die vorgetragenen Erkrankungen auch nicht beeinträchtigt. Laut Attest vom … November 2016 befinde sich der Antragsteller in einem guten Allgemein- und Ernährungszustand. Auch der neurologische Befund zeige keine Hinweise auf akute behandlungsbedürftige Befunde. Soweit der Antragsteller über eine posttraumatische Belastungsstörung verfüge, was laut Attest noch unklar sei, bzw. an einer mittelgradigen depressiven Episode leide, sei eine medikamentöse Behandlung angezeigt worden, die bei einer Rückkehr ins Herkunftsland erfolgen könne. Die Arbeitsfähigkeit des Antragstellers sei insoweit nicht gefährdet. Dieser habe zudem vorgetragen, über relevante Berufserfahrung zu verfügen. Auch auf diese Erfahrungen könne er bei einer Rückkehr nach … bauen, um sich seinen Lebensunterhalt zu finanzieren. Der Antragsteller sei auch in den vergangenen Jahren in der Lage gewesen, seinen Lebensunterhalt sicherzustellen. Im Übrigen sei davon auszugehen, dass der Antragsteller ein bestehendes familiäres Netzwerk in … habe, auf das er zurückgreifen könne. Dem Antragsteller drohe auch keine individuelle Gefahr für Leib oder Leben. Eine gravierende Beeinträchtigung, die die Schwelle der allgemeinen Gefährdung deutlich übersteige, liege auch bei Zugrundelegung der geltend gemachten Erkrankung nicht vor. Insbesondere sei eine Behandlung mit Pantozol, Amitriptylin und Novalgin möglich. Dem Antragsteller sei insoweit zumutbar, sich in die Landesteile zu begeben, in denen die medizinische Versorgung gewährleistet sei. Insbesondere die Versorgung mit Medikamenten sei gesichert, wobei selbst Importmöglichkeiten gegeben seien.
Hiergegen erhoben die Prozessbevollmächtigten des Antragstellers mit Schreiben vom 2. Juni 2017, beim Bayerischen Verwaltungsgericht München eingegangen am selben Tag, Klage (M 17 K 17.43144) und beantragten gleichzeitig,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass dahingestellt bleiben könne, ob dem Antragsteller als Rohingya in … eine Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG drohe. Nachdem er dort nicht als Rohingya-Flüchtling registriert gewesen sei und über keinerlei Dokumente verfügt habe, bestehe zumindest die Gefahr, dass er bei Rückkehr nach … nach Myanmar weitergeschoben werde, wo ihn Verfolgungsmaßnahmen drohten. Insbesondere wäre er als Angehöriger der Minderheit der Rohingya in Myanmar zum Teil gravierenden Menschenrechtsverletzungen durch die Armee und lokale Behörden ausgesetzt. Die Rohingya seien unter anderem in ihrer Freizügigkeit und Berufsausübung erheblich eingeschränkt und würden aufgrund der Versagung eines personenrechtlichen Status drastisch und systematisch diskriminiert. Des Weiteren sei davon auszugehen, dass bei einer Rückkehr dem Antragsteller Maßnahmen auch aufgrund seiner illegalen Ausreise und Asylantragstellung drohten.
Die Antragsgegnerin stellte keinen Antrag.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte in den Verfahren M 17 S. 17.43267 und M 17 K 17.43144 sowie auf die vorgelegte Behördenakte verwiesen.
II.
Der Antrag ist zulässig, aber unbegründet.
1. Der Antragsteller möchte erreichen, dass die kraft Gesetzes (§ 75 AsylG) ausgeschlossene aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen den Bescheid vom 30. Mai 2017 nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO i.V.m. § 36 Abs. 3 AsylG angeordnet wird.
1.1 Gemäß Art. 16a GG, § 36 Abs. 4 AsylG kann das Verwaltungsgericht auf Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO die Aussetzung der Abschiebung anordnen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen. Im Rahmen der Entscheidung über einen solchen Antrag ist im Hinblick auf den durch Art. 19 Abs. 4 GG gebotenen effektiven Rechtsschutz zu prüfen, ob das Bundesamt zu Recht davon ausgegangen ist, dass der geltend gemachte Anspruch auf Asylanerkennung bzw. auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG offensichtlich nicht besteht – wobei eine nur summarische Prüfung nicht ausreicht – und ob dieser weiterhin Bestand haben kann (BVerfG, B.v. 2.5.1984 – 2 BvR 1413/83 – BVerfGE 67, 43). Offensichtlich unbegründet ist ein Asylantrag dann, wenn die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigter (Art. 16a GG) und die Voraussetzungen des § 3 AsylG offensichtlich nicht vorliegen (§ 30 Abs. 1 AsylG). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts liegen ernstliche Zweifel i.S.v. Art. 16a Abs. 4 Satz 1 GG vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – BVerfGE 94, 166 ff.), was nach ständiger Rechtsprechung aber nicht anzunehmen ist, wenn an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen vernünftigerweise keine Zweifel bestehen, und sich bei einem solchen Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung die Abweisung geradezu aufdrängt (vgl. BVerfG, B.v. 5.2.1993 – 2 BvR 1294/92 – Inf-AuslR 1993, 196).
1.2 An der Rechtmäßigkeit der seitens des Bundesamts getroffenen Entscheidungen bestehen hier keine derartigen ernstlichen Zweifel.
Das Gericht nimmt insoweit vollumfänglich auf die Ausführungen der Antragsgegnerin im angegriffenen Bescheid Bezug (§ 77 Abs. 2 AsylG). Weder im Eilverfahren noch im Hauptsacheverfahren wurde der streitgegenständliche Bescheid, insbesondere die Ausführungen zur fehlenden Glaubwürdigkeit des Antragstellers, substantiiert infrage gestellt. Auch wurden keine aktuellen ärztlichen Atteste vorgelegt. Die bisherigen Unterlagen sind aber über sechs Monate alt und können daher den Gesundheitszustand des Klägers zum maßgeblichen Zeitpunkt dieser Entscheidung (vgl. § 77 Abs. 1 AsylG) nicht belegen. Im Übrigen ist aus ihnen eine lebensbedrohliche oder schwerwiegende Erkrankung des Antragstellers im Sinne von § 60 Abs. 7 AufenthG nicht zu entnehmen.
Der (gerichtskostenfreie, § 83b AsylG) Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylG unanfechtbar.

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