Verwaltungsrecht

Keine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und des subsidiären Schutzes für afghanische Hazara aus der Provinz Bamiyan

Aktenzeichen  Au 5 K 16.32053

Datum:
19.1.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 113 Abs. 5
AsylG AsylG § 3, § 3e, § 4

 

Leitsatz

1 Für afghanische Zugehörige der Volksgruppe der Hazara fehlt es an der für die Annahme einer Gruppenverfolgung erforderlichen kritischen Verfolgungsdichte (vgl. VGH München BeckRS 2013, 48093). Volkszugehörige der Hazara unterliegen in Afghanistan zwar noch einer gewissen Diskriminierung, sind aber weder in ganz Afghanistan noch in der Provinz Bamiyan einer an ihre Volks- oder Religionszugehörigkeit anknüpfenden, gruppengerichteten politischen oder religiösen Verfolgung durch die Taliban oder anderen nichtstaatlichen Akteuren ausgesetzt (VGH München BeckRS 2015, 56404). (red. LS Clemens Kurzidem)
2 Für Angehörige der Volksgruppe der Hazara besteht in Afghanistan jedenfalls in Kabul oder einer anderen größeren Stadt in Afghanistan die Möglichkeit internen Schutzes iSv § 3e AsylG. Grundsätzlich ist Kabul im Hinblick auf die allgemeine Sicherheitslage als Fluchtalternative geeignet, da das Risiko, dort durch Anschläge Schaden an Leib oder Leben zu erleiden, weit unterhalb der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit liegt (VGH München BeckRS 2013, 52737). (red. LS Clemens Kurzidem)
3 Nach dem aktuellen Erkenntnissstand zur Sicherheitslage in Afghanistan erreicht der einen innerstaatlichen bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt iSv § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 AsylG in Kabul und den angrenzenden Provinzen kein solches Niveau, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dieser Region einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre (vgl. VGH München BeckRS 2016, 50804). (red. LS Clemens Kurzidem)

Tenor

I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens als Gesamtschuldner zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Das Gericht konnte im vorliegenden Fall über die Klage die Kläger entscheiden, ohne dass die Beklagte an der mündlichen Verhandlung am 19. Januar 2017 teilgenommen hat. Auf den Umstand, dass beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann, wurden die Beteiligten bei der Ladung ausdrücklich hingewiesen (§ 102 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).
Die zulässige Klage ist in der Sache nicht begründet.
Die Kläger haben im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 AsylG) keinen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG. Es ist ihnen auch nicht der subsidiäre Schutz nach § 4 Abs. 1 AsylG zuzuerkennen. Der mit der Klage angegriffene Bescheid des Bundesamtes vom 23. September 2016 ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO, Abs. 5 Satz 1 VwGO). Es wird insoweit in vollem Umfang auf die Gründe des angefochtenen Bescheids Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG) und ergänzend ausgeführt:
1. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG liegen im Fall die Kläger nicht vor.
Nach § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Ein Ausländer ist nach § 3 Abs. 1 AsylG Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560 – Genfer Flüchtlingskonvention), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb seines Herkunftslandes befindet. Eine solche Verfolgung kann nicht nur vom Staat ausgehen (§ 3 c Nr. 1 AsylG), sondern auch von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (§ 3 c Nr. 2 AsylG) oder nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in Nrn. 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3 d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (§ 3 c Nr. 3 AsylG). Allerdings wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3 d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (§ 3 e Abs. 1 AsylG).
Die Tatsache, dass der Ausländer bereits verfolgt oder von Verfolgung unmittelbar bedroht war, ist dabei ein ernsthafter Hinweis darauf, dass seine Furcht vor Verfolgung begründet ist, wenn nicht stichhaltige Gründe dagegen sprechen, dass er neuerlich von derartiger Verfolgung bedroht ist. Hat der Asylbewerber seine Heimat jedoch unverfolgt verlassen, kann sein Asylantrag nur Erfolg haben, wenn ihm aufgrund von Nachfluchttatbeständen eine Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht. Dabei ist es Sache des Ausländers, die Gründe für eine Verfolgung in schlüssiger Form vorzutragen. Er hat unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich bei Wahrunterstellung ergibt, dass bei verständiger Würdigung seine Furcht vor Verfolgung begründet ist, so dass ihm nicht zuzumuten ist, im Herkunftsland zu verbleiben oder dorthin zurückzukehren. Dabei genügt für diesen Tatsachenvortrag aufgrund der typischerweise schwierigen Beweislage in der Regel eine Glaubhaftmachung. Voraussetzung für ein glaubhaftes Vorbringen ist allerdings ein detaillierter und in sich schlüssiger Vortrag ohne wesentliche Widersprüche und Steigerungen.
Gemessen an diesen Maßstäben konnten die Kläger nicht glaubhaft machen, dass ihnen bei einer Rückkehr nach Afghanistan Verfolgungshandlungen im Sinne der §§ 3 und 3 a AsylG drohen.
Zum einen fehlt es bezüglich der Zugehörigkeit der Kläger zur Volksgruppe der Hazara an der für die Annahme einer Gruppenverfolgung erforderlichen kritischen Verfolgungsdichte (vgl. BayVGH, U.v. 3.7.2012 – 13A B 11.30064 – juris Rn. 20 ff.; U.v. 1.2.2013 – 13A B 12.30045 – juris Rn. 18). Eine Verfolgung allein wegen ihrer Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara haben die Kläger nicht zu befürchten. Volkszugehörige der Hazara unterliegen in Afghanistan zwar noch einer gewissen Diskriminierung, sind aber weder in ganz Afghanistan noch in der Heimatprovinz der Kläger einer an ihre Volks- oder Religionszugehörigkeit anknüpfenden, gruppengerichteten politischen oder religiösen Verfolgung durch die Taliban oder anderen nichtstaatlichen Akteuren ausgesetzt (BayVGH, B.v. 1.12.2015 – 13A ZB 15.30224 – juris Rn. 4). Gemäß der aktuellen Auskunftslage, insbesondere des Lageberichts des Auswärtigen Amtes hat sich die Lage für die während der Taliban-Herrschaft besonders verfolgten Hazara grundsätzlich verbessert (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan vom 19.10.2016, S. 9).
Eine asylrelevante Vorverfolgung ergibt sich aus dem Vortrag die Kläger zu 1 und 2 im Verfahren vor dem Bundesamt bzw. in der mündlichen Verhandlung vor Gericht nicht. Das Vorbringen der Kläger knüpft bereits nicht an ein asylrelevantes Merkmal im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG an. Im Übrigen haben die Kläger keine individuelle Verfolgung geltend gemacht. Der Vortrag beschränkt sich in wesentlichen Teilen auf die allgemeine Situation der Hazara in ihrem Heimatdorf und die Tatsache, dass es bei Angriffen von Paschtunen bzw. Taliban bereits mehrere Tote gegeben habe. Der Kläger zu 1 beschreibt die allgemeine Situation des stetig anwachsenden Drucks auf die Bevölkerungsgruppe der Hazara. Dem Vortrag der Kläger lassen sich aber keine Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass ihnen aufgrund des Vorliegens eines der in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG genannten Merkmale flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgungshandlungen bei einer Rückkehr nach Afghanistan drohen. Jedenfalls lässt sich eine solche mit der erforderlichen Gefahrendichte nicht für den Gesamtstaat Afghanistan feststellen. Dass die Taliban den Aufenthalt des Klägers auch in der Anonymität Millionenstadt Kabul ausfindig gemacht haben, erscheint dem Gericht nicht glaubwürdig. Zumal die Tätigkeit des Klägers zu 1 im Rat seines Dorfes nicht als so herausgehoben erscheint, dass eine Verfolgung durch die Taliban bzw. Paschtunen auch nach Verlassen des Dorfes im Jahr 2013 naheliegend wäre. Auch die spätere Verhaftung des Klägers in Kabul hat nichts mit der Tätigkeit des Klägers in seinem Heimatdorf zu tun hat, sondern knüpft vielmehr an den Verkauf von alkoholischen Getränken an. Selbst wenn dem Vorbringen des Klägers zu 1 eine an seine Religion anknüpfende Vorverfolgung entnehmen würde, bleibt festzuhalten, dass die geschilderten Ereignisse sämtlich aus dem Jahr 2013 stammen, so dass die Kläger im Jahr 2015 jedenfalls unverfolgt ausgereist sind.
Zudem wären die Kläger selbst bei einem Vorliegen von individuellen Verfolgungshandlungen auf eine innerstaatliche Fluchtalternative gemäß § 3 e AsylG zu verweisen. Das Gericht ist der Überzeugung, dass die Kläger bei einer Rückkehr nach Afghanistan jedenfalls in Kabul oder einer anderen größeren Stadt in Afghanistan keiner Verfolgung ausgesetzt sind. Grundsätzlich ist Kabul im Hinblick auf die allgemeine Sicherheitslage als Fluchtalternative geeignet. Das Risiko, dort durch Anschläge Schaden an Leib oder Leben zu erleiden, ist weit unterhalb der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (BayVGH, B.v. 19.6.2013 – 13A ZB 12.30386 – juris). Es ist davon auszugehen, dass die Kläger in Kabul in der Anonymität der Stadt Schutz suchen können. Den Klägern ist es auch zumutbar, sich in Kabul niederzulassen, zumal sie dort bereits längere Zeit vor ihrer endgültigen Ausreise gelebt haben. Nach der Gesetzesbegründung zu § 3 e AsylG kann von einem Ausländer nur dann vernünftigerweise erwartet werden, dass er sich in dem verfolgungsfreien Landesteil aufhält, wenn er am Zufluchtsort eine ausreichende Lebensgrundlage vorfindet, d. h. dort das Existenzminimum gewährleistet ist. Im Falle fehlender Existenzgrundlage ist eine interne Schutzmöglichkeit nicht gegeben. Für die Frage, ob die Kläger vor Verfolgung sicher sind und eine ausreichende Lebensgrundlage besteht, kommt es danach auf die allgemeinen Gegebenheiten im Zufluchtsgebiet und die persönlichen Umstände des Klägers an (BT-Drs. 16/5065 S. 185; vgl. auch BVerwG, U.v. 29.5.2008 – 10 C 11/07 – BVerwGE 131, 186). Es ist im vorliegenden Fall jedoch davon auszugehen, dass die Kläger zumindest mit Gelegenheitsarbeiten ihren Lebensunterhalt in Kabul sicherstellen können. Zudem ist das Gericht der Überzeugung, dass die Kläger auch in der Provinz Bamiyan keiner Verfolgung ausgesetzt wären.
2. Die Kläger haben keinen Anspruch auf die Gewährung subsidiären Schutzes im Sinne des § 4 Abs. 1 AsylG. Die Kläger haben nicht glaubhaft machen können, dass ihnen bei einer Rückkehr nach Afghanistan ein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 1 bis 3 AsylG droht.
Es ist nach Überzeugung des Gerichts nicht zu erwarten, dass den Klägern bei einer Rückkehr nach Afghanistan die Verhängung der Todesstrafe, Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 1 und 2 AsylG) drohen könnte.
Die Kläger haben aber auch keinen Anspruch auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes auf der Grundlage des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG, wonach von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abzusehen ist, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist. Die Voraussetzungen hierfür liegen nicht vor, weil den Klägern bei einer Rückkehr nach Afghanistan aufgrund der dortigen Situation keine erheblichen individuellen Gefahren aufgrund willkürlicher Gewalt landesweit drohen. Nach den dem Gericht vorliegenden Erkenntnissen zur Sicherheitslage in Afghanistan (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan vom 19.10.2016 S. 4) erreicht der einen innerstaatlichen bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt in Kabul und den angrenzenden Provinzen kein solches Niveau, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dieser Region einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre (s. hierzu auch BayVGH, B.v. 17.8.2016 – 13A ZB 16.30090 – juris; BayVGH, B.v. 23.9.2013 – 13A ZB 13.30252 – juris). Individuelle, gefahrerhöhende Umstände über die Zugehörigkeit zur Bevölkerungsgruppe der Hazara hinaus, die zu einer Verdichtung der allgemeinen Gefahren im Rahmen eines bewaffneten innerstaatlichen Konflikts in der Person der Kläger führen, haben diese nicht vorgetragen.
3. Demzufolge war die Klage die Kläger mit der Kostenfolge aus §§ 154 Abs. 1, 159 Satz 2 VwGO abzuweisen. Als im Verfahren unterlegen haben die Kläger die Kosten des Verfahrens als Gesamtschuldner zu tragen. Die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 83 b AsylG.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO.

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