Aktenzeichen Au 5 K 16.31962
Leitsatz
1. Keine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3e Abs. 1 AsylG wegen Bestehens einer inländischen Fluchtalternative in Afghanistan, selbst wenn man die Angaben des Klägers zu seinem Verfolgungsschicksal als wahr unterstellt. (redaktioneller Leitsatz)
2. Für einen alleinstehenden, gesunden jungen Mann ist es in einer größeren afghanischen Stadt unabhängig von seiner Herkunftsprovinz möglich, sich ein Existenzminimum zu sichern, wobei insbesondere die Stadt Kabul aufgrund ihrer Anonymität Schutz vor Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure bietet. (redaktioneller Leitsatz)
3. Kein Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 AsylG, da nach § 3e AsylG auch insoweit auf eine innerstaatliche Fluchtalternative in einer größeren Stadt, insbesondere in Kabul, zu verweisen ist. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gründe
Die zulässige Klage ist nicht begründet.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus oder auf Feststellung nationaler 12 Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Der Bescheid des Bundesamtes vom 12. September 2016 ist, soweit er Gegenstand der Klage ist, rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).
Es wird zunächst nach § 77 Abs. 2 Asylgesetz (AsylG) in vollem Umfang auf die Gründe des angefochtenen Bescheides Bezug genommen. Ergänzend wird folgendes ausgeführt.
1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG.
Nach § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Ein Ausländer ist nach § 3 Abs. 1 AsylG Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl 1953 II S. 559, 560 – Genfer Flüchtlingskonvention), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb seines Herkunftslandes befindet. Dabei kann die Verfolgung im Sinne des § 3 AsylG nach § 3 c Nr. 3 AsylG auch von nicht staatlichen Akteuren ausgehen, sofern der Staat oder ihn beherrschende Parteien oder Organisationen einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor der Verfolgung zu bieten.
Nach § 3 e Abs. 1 AsylG wird einem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3 d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt. Bei der Prüfung der Frage, ob ein Teil des Herkunftslandes die Voraussetzungen des § 3 e Abs. 1 AsylG erfüllt, sind gemäß § 3 e Abs. 2 Satz 1 AsylG die im sicheren Teil des Herkunftslandes vorhandenen allgemeinen Gegebenheiten sowie die persönlichen Umstände des Klägers zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung zu be 16 rücksichtigen. Dieser Zumutbarkeitsmaßstab geht über das Fehlen einer im Rahmen des § 60 Abs. 7 Satz 1 und Satz 2 AufenthG beachtlichen existenziellen Notlage hinaus (BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – juris Rn. 20). Die Beurteilung erfordert dabei eine Einzelfallprüfung (BayVGH, B.v. 11.12.2013 – 13a ZB 13.30185 – juris Rn. 5). Dabei sind die individuellen Besonderheiten wie Sprache, Bildung, persönliche Fähigkeiten, vorangegangene Aufenthalte des Klägers in dem in Betracht kommenden Landesteil, örtliche und familiäre Bindungen, Geschlecht, Alter, ziviler Status, Lebenserfahrung, soziale Einrichtungen, gesundheitliche Vorsorge und verfügbares Vermögen zu berücksichtigen. Entscheidend dafür, ob eine inländische Fluchtalternative als zumutbar angesehen werden kann, ist dabei insbesondere auch die Frage, ob an dem verfolgungssicheren Ort das wirtschaftliche Existenzminimum des Asylsuchenden gewährleistet ist. Das ist in der Regel anzunehmen, wenn der Asylsuchende durch eigene Arbeit oder Zuwendungen von dritter Seite jedenfalls nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten das zu seinem Lebensunterhalt unbedingt notwendiger erlangen kann.
Gemessen an diesen Grundsätzen ist davon auszugehen, dass für den Kläger, selbst wenn man seine Angaben zu seinem Verfolgungsschicksal als wahr unterstellt, eine inländische Fluchtalternative in Afghanistan besteht.
Es ist davon auszugehen, dass sich der Kläger in Afghanistan für ihn zumutbar an einem Ort niederlassen kann, an dem er verfolgungssicher ist. Für den Kläger als gesunden jungen Mann ist es in einer größeren afghanischen Stadt unabhängig von seiner Herkunftsprovinz möglich, sich ein Existenzminimum zu sichern. Diese Einschätzung entspricht auch der aktuellen Auskunftslage. Nach den Angaben im Lagebericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan vom 19. Oktober 2016 (Stand: September 2016, S. 18), bieten größere Städte aufgrund ihrer Anonymität dabei eher Schutz als kleinere Städte oder Dorfgemeinschaften. Als eine solche schützende Anonymität kommt nach Auffassung des Gerichts insbesondere die Stadt Kabul in Betracht. Jedenfalls dort könnte sich der Kläger niederlassen, ohne der ernsthaften Gefahr einer Verfolgung durch nicht staatliche Akteure ausgesetzt zu sein. Es ist auch davon auszugehen, dass der Kläger als alleinstehender, gesunder junger 18 Mann seinen Lebensunterhalt in Kabul sicherstellen kann (BayVGH, B.v. 14.1.2015 – 13a ZB 14.30410 – juris Rn. 5; BayVGH, B.v. 2.3.2015 – 13a ZB 15.30034 – juris Rn. 4). Der Kläger ist mit einem Alter von 19 Jahren in der Lage, eine Arbeit zu finden, von der er leben kann. Hinzu kommt, dass der Kläger nach seinen Angaben bereits als Minderjähriger Afghanistan verlassen hat und sich nach seinen Angaben alleine über 3 Jahre hinweg in Pakistan, Iran, Türkei, Bulgarien und weiteren Ländern aufgehalten und sich zurechtgefunden hat.
2. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG, nach dem von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abzusehen ist, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konfliktes ausgesetzt ist.
Dabei kann die Frage, ob die in Afghanistan oder Teilen Afghanistans stattfindenden gewalttätigen Auseinandersetzungen nach Intensität und Größenordnung als bewaffneter innerstaatlicher Konflikt im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AsylG anzusehen sind, dahingestellt bleiben.
Auch insoweit ist der Kläger gemäß § 4 Abs. 2 Satz 1 AsylG, nach dem insoweit § 3 e AsylG analoge Anwendung findet, auf eine innerstaatliche Fluchtalternative in einer größeren Stadt, insbesondere in Kabul, zu verweisen.
Individuelle, gefahrerhöhende Umstände, die zu einer Verdichtung der allgemeinen Gefahren im Rahmen eines bewaffneten internationalen Konfliktes in der Person des Klägers führten, sind nicht ersichtlich.
3. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG sind zu verneinen.
3.1 Die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG liegen nicht vor.
Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger bei einer Abschiebung nach Afghanistan befürchten müsste, auf derart schlechte humanitäre Bedingungen zu stoßen, dass die Gefahr einer Verletzung des Art. 3 EMRK besteht, gibt es nicht. Obwohl die humanitären Verhältnisse in Afghanistan insgesamt schlecht sind, ist nicht davon auszugehen, dass jedenfalls der Kläger in einer größeren Stadt, z.B. Kabul, seinen Lebensunterhalt sicherstellen kann.
3.2 Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegt ebenfalls nicht vor. Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht.
Gefahren in diesem Staat, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, werden dabei nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG bei Entscheidungen nach § 60 a Abs. 1 AufenthG berücksichtigt.
Allgemeine Gefahren können nur dann Schutz vor Abschiebung begründen, wenn der Ausländer einer extremen Gefahrenlage dergestalt ausgesetzt wäre, dass er im Falle seiner Abschiebung dorthin gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwerster Verletzung ausgeliefert würde und diese Gefahren alsbald nach seiner Rückkehr und landesweit drohen würden (BVerwG, U.v. 8.9.2011 – 10 C 14.10 – BVerwGE 140, 319 Rn. 23).
Eine solche extreme allgemeine Gefahrenlage ergibt sich für den Kläger in Kabul als möglichem Zielort der Abschiebung oder einer anderen größeren Stadt in Afghanistan weder aus seiner Volks- oder Religionszugehörigkeit noch hinsichtlich der allgemeinen Sicherheitslage. Dem Kläger droht auch keine erhebliche konkrete Gefahr für Leib oder Leben wegen der allgemeinen Versorgungslage in Kabul oder einer anderen größeren Stadt.
4. Auf den in der mündlichen Verhandlung hilfsweise gestellten Beweisantrag kam es danach nicht entscheidungserheblich an, so dass die Beweiserhebung abgelehnt werden konnte.
5. Die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes nach § 11 Abs. 1 AufenthG ist ebenfalls rechtmäßig. Die in dem angefochtenen Bescheid hierzu erfolgten Ermessenserwägungen sind nicht zu beanstanden.
6. Danach war die Klage insgesamt als unbegründet abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Das Verfahren ist nach § 83 b AsylG gerichtskostenfrei.