Verwaltungsrecht

Keine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft wegen unglaubhaften Vortrags

Aktenzeichen  M 12 K 17.41851

Datum:
18.9.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 32819
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3, § 4
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1

 

Leitsatz

An der Glaubhaftmachung von Verfolgungsgründen fehlt es in der Regel, wenn der Asylsuchende im Laufe des Verfahrens unterschiedliche Angaben macht und sein Vorbringen nicht auflösbare Widersprüche enthält, wenn seine Darstellung nach der Lebenserfahrung oder aufgrund der Kenntnis entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe unglaubhaft erscheint, sowie auch dann, wenn er sein Asylvorbringen im Laufe des Asylverfahrens steigert, insbesondere wenn er Tatsachen, die er für sein Asylbegehren als maßgeblich bezeichnet ohne vernünftige Erklärung erst sehr spät in das Verfahren einführt. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Über die Verwaltungsstreitsache konnte aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 18. September 2019 entschieden werden, obwohl außer dem Kläger und seiner Prozessbevollmächtigten niemand erschienen ist. Die Parteien wurden zur mündlichen Verhandlung ordnungsgemäß geladen und in der Ladung darauf hingewiesen, dass auch ohne sie verhandelt und entschieden werden kann, § 102 Abs. 2 VwGO.
Verfahrensgegenstand ist, ob der Bescheid des Bundesamtes vom 22. Mai 2017 rechtswidrig und deshalb aufzuheben ist und ob der Kläger einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gem. § 3 AsylG, auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus gem. § 4 AsylG und auf Feststellung von Abschiebungsverboten gem. § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG hat (vgl. Antrag der Klägerbevollmächtigten vom 29. Mai 2017 und in der mündlichen Verhandlung).
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Der Bescheid der Beklagten ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 und 5 VwGO.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 3 AsylG. Zudem liegen beim Kläger keine Gründe für die Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG vor. Auch Abschiebungsverbote gem. § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG sind nicht festzustellen.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gem. § 3 AsylG.
Gemäß § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, wenn er Flüchtling im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG ist. Danach ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juni 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Flüchtlingskonvention – GK), wenn er sich wegen begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischer Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will (Nr. 1) oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will (Nr. 2).
Als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG gelten Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten – EMRK – keine Abweichung zulässig ist, oder Handlungen, die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher Weise betroffen ist (vgl. § 3a Abs. 1 AsylG). Als Verfolgung in diesem Sinne können unter anderem die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt oder unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung gelten (vgl. § 3a Abs. 2 Nr. 1 und 3 AsylG). Gemäß § 3a Abs. 3 AsylG muss zwischen den Verfolgungsgründen und den als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen eine Verknüpfung bestehen. Eine nähere Umschreibung der Verfolgungsgründe enthält § 3b AsylG. Demnach ist unter dem Begriff der politischen Überzeugung insbesondere zu verstehen, dass der Ausländer in einer Angelegenheit, die die in § 3c AsylG genannten potenziellen Verfolger sowie deren Politiken oder Verfahren betrifft, eine Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung vertritt, wobei es unerheblich ist, ob er aufgrund dieser Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung tätig geworden ist (vgl. § 3b Abs. 1 Nr. 5 AsylG). Unerheblich ist, ob der Ausländer tatsächlich die politischen Merkmale aufweist, sofern ihm diese Merkmale von seinen Verfolgern zugeschrieben werden (§ 3b Abs. 2 AsylG).
Eine Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG kann ausgehen von dem Staat, von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebietes beherrschen, oder nichtstaatlichen Akteuren, sofern die vorgenannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor der Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (vgl. § 3c AsylG). Der Schutz vor Verfolgung muss wirksam sein und darf nicht nur vorübergehender Art sein. Generell ist ein solcher Schutz gewährleistet, wenn die genannten Akteure geeignete Schritte einleiten, um die Verfolgung zu verhindern, beispielsweise durch wirksame Rechtsvorschriften zur Ermittlung, Strafverfolgung und Ahndung von Handlungen, die eine Verfolgung darstellen, und wenn der Ausländer Zugang zu diesem Schutz hat (vgl. § 3d Abs. 2 AsylG).
Gemäß § 3e AsylG wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslands keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (sog. „interner Schutz“, vgl. § 3e Abs. 1 AsylG).
Nach Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU ist die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde bzw. von solcher Verfolgung unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung bedroht wird. Diese Regelung privilegiert den von ihr erfassten Personenkreis durch eine Beweiserleichterung, nicht aber durch einen herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab, wie er in der deutschen asylrechtlichen Rechtsprechung entwickelt worden ist. Die Vorschrift begründet für die von ihr begünstigten Antragsteller eine widerlegbare Vermutung dafür, dass sie erneut von einer solchen Verfolgung bedroht sind. Dadurch wird der Vorverfolgte von der Notwendigkeit erfasst, stichhaltige Gründe dafür dazulegen, dass sich die verfolgungsbegründeten Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland erneut realisieren werden (vgl. BVerwG, U.v. 19.1.2009 – 10 C 5/09, juris Rn. 23).
Die Beweiserleichterung nach Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU kommt dem vorverfolgten Antragsteller dabei auch bei der Prüfung zugute, ob für ihn im Gebiet einer internen Schutzalternative keine begründete Furcht vor Verfolgung besteht (vgl. BVerwG, U.v. 5.5.2009 – 10 C 21/08 -, juris Rn. 24 f).
Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft setzt überdies voraus, dass zwischen der Verfolgungshandlung und der späteren Ausreise („Flucht“) ein objektiver Zusammenhang besteht. Zwar ist nicht nur derjenige i.S.d. Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG verfolgt ausgereist, der noch während der Dauer eines Pogroms oder individueller Verfolgung seinen Herkunftsstaat verlässt. Dies kann vielmehr auch bei einer Ausreise erst nach dem Ende einer Verfolgung der Fall sein. Die Ausreise muss dann aber unter Umständen geschehen, die bei objektiver Betrachtungsweise noch das äußere Erscheinungsbild einer unter dem Druck der erlittenen Verfolgung stattfindenden Flucht ergeben. Nur wenn ein durch die erlittene Verfolgung hervorgerufenes Trauma in einem solchen äußeren Zusammenhang eine Entsprechung findet, kann es als beachtlich angesehen werden. In dieser Hinsicht kommt der zwischen dem Abschluss der Verfolgung und der Ausreise verstrichenen Zeit eine entscheidende Bedeutung zu. Je länger der Ausländer nach erlittener Verfolgung in seinem Heimatland unbehelligt verbleibt, umso mehr schwindet der objektive äußere Zusammenhang mit seiner Ausreise dahin. Daher kann allein schon bloßer Zeitablauf dazu führen, dass eine Ausreise den Charakter einer unter dem Druck einer früheren Verfolgung stehenden Flucht verliert. Daraus folgt, dass ein Ausländer, dessen Verfolgung in der Vergangenheit ihr Ende gefunden hat, grundsätzlich nur dann als verfolgt ausgereist angesehen werden kann, wenn er seinen Heimatstaat in nahem zeitlichen Zusammenhang mit der Beendigung der Verfolgung verlässt. Das bedeutet nicht, dass er zwangsläufig stets sofort oder unmittelbar danach ausreisen müsste. Es ist ausreichend, aber auch erforderlich, dass die Ausreise zeitnah zur Beendigung der Verfolgung stattfindet. Welche Zeitspanne in dieser Hinsicht maßgebend ist, hängt von den Umständen der jeweiligen Verhältnisse ab (vgl. BVerwG, U.v. 30.10.1990 – 9 C 60/89 – juris; VGH BW, U.v. 7.3.2013 – A 9 S 1873/12 -, juris; Marx, Handbuch zum Flüchtlingsschutz, 2. Aufl. 2012, § 29 Rn. 59 ff.).
Bei der individuellen Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz sind alle mit dem Herkunftsland verbundenen Tatsachen zu berücksichtigen, die zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag relevant sind, einschließlich der Rechts- und Verwaltungsvorschriften des Herkunftslandes und der Weise, in der sie angewandt werden, sowie die maßgeblichen Angaben des Antragstellers und die von ihm vorgelegten Unterlagen, einschließlich Informationen zu der Frage, ob er verfolgt worden ist bzw. verfolgt werden könnte (Art. 4 Abs. 3 Buchst. a und b RL 2011/95/EU). Weiterhin sind zu berücksichtigen die individuelle Lage und die persönlichen Umstände des Antragstellers, einschließlich solcher Faktoren wie familiärer und sozialer Hintergrund, Geschlecht und Alter, um bewerten zu können, ob in Anbetracht seiner persönlichen Umstände die Handlungen, denen er ausgesetzt war oder ausgesetzt sein könnte, einer Verfolgung gleichzusetzen sind (vgl. Art. 4 Abs. 3 Buchst. c RL 2011/95/EU).
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts muss auch in Asylstreitigkeiten das Gericht die volle Überzeugung von der Wahrheit – und nicht etwa nur der Wahrscheinlichkeit – des vom Kläger behaupteten individuellen Schicksals erlangen, aus dem er seine Furcht vor politischer Verfolgung herleitet. Wegen der häufig bestehenden Beweisschwierigkeiten des Asylbewerbers kann schon allein sein eigener Sachvortrag zur Asylanerkennung führen, sofern sich das Tatsachengericht unter Berücksichtigung aller Umstände von dessen Wahrscheinlichkeit überzeugen kann (BVerwG, B.v. 21.7.1989 – 9 B 239/89 – juris Rn. 3).
Das Tatsachengericht darf dabei berücksichtigen, dass die Befragung von Asylbewerbern aus anderen Kulturkreisen mit erheblichen Problemen verbunden ist (vgl. BVerwG, B.v. 21.7.1989 a.a.O. Rn. 4). Der Asylbewerber befindet sich typischerweise in Beweisnot. Er ist als „Zeuge in eigener Sache“ zumeist das einzige Beweismittel. Auf die Glaubhaftigkeit seiner Schilderung und die Glaubwürdigkeit seiner Person kommt es entscheidend an (vgl. BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – juris Rn. 121). Demgemäss setzt ein Asylanspruch bzw. die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft gem. § 3 AsylG voraus, dass der Asylsuchende den Sachverhalt, der seine Verfolgungsfurcht begründen soll, schlüssig darlegt. Dabei obliegt es ihm, unter genauer Angabe von Einzelheiten und gegebenfalls unter Ausräumung von Widersprüchen und Unstimmigkeiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, der geeignet ist, das Asylbegehren lückenlos zu tragen (BVerwG, U.v. 8.5.1984, Buchholz § 108 VwGO Nr. 147).
An der Glaubhaftmachung von Verfolgungsgründen fehlt es in der Regel, wenn der Asylsuchende im Laufe des Verfahrens unterschiedliche Angaben macht und sein Vorbringen nicht auflösbare Widersprüche enthält, wenn seine Darstellung nach der Lebenserfahrung oder aufgrund der Kenntnis entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe unglaubhaft erscheint, sowie auch dann, wenn er sein Asylvorbringen im Laufe des Asylverfahrens steigert, insbesondere wenn er Tatsachen, die er für sein Asylbegehren als maßgeblich bezeichnet, ohne vernünftige Erklärung erst sehr spät in das Verfahren einführt (vgl. BVerfG, B.v. 29.11.1990, InfAuslR 1991, 94, 95; BVerwG, U.v. 30.10.1990, Buchholz 402.25 § 1 AsylG Nr. 135; B.v. 21.7.1989, Buchholz a.a.O., Nr. 113).
In Anwendung dieser Grundsätze ist dem Kläger keine Flüchtlingseigenschaft gem. § 3 AsylG zuzuerkennen. Es lässt sich nicht feststellen, dass der Kläger vor seiner Ausreise aus Äthiopien oder im Falle einer Rückkehr nach Äthiopien landesweit von politischer Verfolgung betroffen war bzw. bedroht sein würde.
Die vom Kläger geschilderten Vorfluchtgründe sind unsubstantiiert, widersprüchlich und unglaubhaft, so dass das Gericht davon ausgeht, dass sich der geschilderte Sachverhalt nicht ereignet hat.
Unglaubhaft ist schon, dass der Kläger im Jahr 2013 als Mitglied des Zirkus-Clubs verhaftet wurde. Die Einlassung, die Inhaftierung sei wegen der Farbe der Sportkleidung und des Gesangs der Zuschauer erfolgt, weil die Farben der Sportkleidung die Farben der ABO (rot und grün; OLF) gewesen seien, überzeugt nicht. Der Kläger hat mit keinem Wort vorgetragen, wozu eigentlich die Inhaftierung hätte dienen sollen und welche Folgen sich aus dem Tragen der Sportkleidung für den Kläger ergeben haben. Er trug vor, in der Haft misshandelt worden zu sein, erklärte aber nicht, welche Aussagen durch die Misshandlung von Kläger hätten erzielt werden sollen. Darüber hinaus waren die Vorgänge im Jahr 2013 nicht kausal für die Ausreise des Klägers am 21. Juli 2015.
Unglaubhaft ist das klägerische Vorbringen in der mündlichen Verhandlung, seit 2009, dem Tod des Vaters, habe der Kläger Probleme mit der Regierung gehabt. Beim Bundesamt hatte er vorgetragen, seine Probleme hätten mit der Gründung des Zirkus-Clubs im Jahr 2013 begonnen. Einen Zusammenhang mit dem angeblich inhaftierten und gestorbenen Vater für die eigenen Probleme hat der Kläger beim Bundesamt nicht vorgetragen, wohl dagegen in der mündlichen Verhandlung. Seine Einlassung in der mündlichen Verhandlung, er sei beim Bundesamt aufgefordert worden, nur Vorgänge vorzutragen, die ihn selbst betreffen, überzeugt nicht. Er trug ja in der mündlichen Verhandlung auch vor, seit 2009 selbst Probleme mit der Regierung zu haben und dass nachts Geheimpolizisten ins Haus gekommen seien, um nach OLF-Kämpfern zu suchen. Es handelt sich damit bei dem Vorbringen in der mündlichen Verhandlung um eine erhebliche Steigerung des Vorbringens beim Bundesamt, die den gesamten Sachverhalt unglaubhaft macht.
Unglaubhaft sind die Vorgänge um die Demonstration am 30. April 2014. Es ist schon nicht nachvollziehbar, wie der Kläger wegen der Teilnahme an dieser Demonstration ins Visier staatlicher Organe geraten ist. Der Kläger erklärte, es sei ihm gelungen zu fliehen. Er hat mit keinem Wort erwähnt, wie er von den Sicherheitsbehörden als Teilnehmer der Demonstration hätte identifiziert werden sollen. Er habe sich dann bei der Eltern versteckt und auch anderen Demonstrationsteilnehmern dort Unterschlupf gewährt (Bl. 63 BA). Es ist schon nicht nachvollziehbar, dass der Kläger einerseits flieht und sich andererseits ausgerechnet zu Hause versteckt und andere Demonstrationsteilnehmer gleich mit. Hätte der Kläger die Verhaftung fürchten müssen, hätte er wohl ein anderes Versteck gewählt als sein Zuhause, da er damit rechnen musste, dass dort als erstes nach ihm gesucht werden würde. Er hätte in einem solchen Fall wohl auch nicht gestattet, dass andere Demonstrationsteilnehmer auch noch gefährdet werden würden. Insgesamt ist das Vorbringen nicht nachvollziehbar und unglaubhaft. Darüber hinaus waren die Vorgänge im Jahr 2014 nicht kausal für die Ausreise des Klägers im Juli 2015, da er angab, gegen Zahlung von Geld entlassen worden zu sein und danach als Taxifahrer gearbeitet zu haben (Bl. 63 BA).
Unglaubhaft sind die Ausführungen betreffend die Vorgänge um die Wahlen im Mai 2015.
Es erschließt sich schon nicht, warum der Kläger für die CFO Flugblätter verteilt und Mitglieder geworben hat. Er trug vor, sich nicht politisch betätigt zu haben, aber die Flugblätter verteilt zu haben (Bl. 62 BA). Insofern erschließt sich die Motivation für die plötzliche politische Betätigung nicht. Im März sei er für vier Tage verhaftet worden, man habe eine Liste mit neuen Mitgliedern beim Kläger gefunden (Bl. 63 BA). Einen Monat später sei er erneut verhaftet worden. Es erschließt sich nicht, warum der Kläger nach einem Monat hätte erneut inhaftiert werden sollen, nachdem die Haftgründe (Auffinden einer Mitgliederliste) ja offenbar bereits bei der viertägigen Inhaftierung vorgelegen haben. Seine Einlassung, er habe sich mit anderen zum Sport getroffen und dies sei so ausgelegt worden, dass sie für die ABO trainieren (Bl. 64 BA), ist nicht nachvollziehbar. Auch ist nicht glaubhaft, warum man im Gefängnis vom Kläger „Namen der neuen Mitglieder“ wissen wollte, wenn man angeblich eine Liste mit neuen Mitgliedern beim Kläger im Haus gefunden hat (Bl. 63 BA). Die Einlassung, man habe wissen wollen, ob noch weitere Mitglieder geworben worden sind, überzeugt nicht.
Unglaubhaft ist auch, wie der Kläger nach drei Monaten Haft geflohen sein will. Beim Bundesamt trug er vor, an einen anderen Häftling gekettet gewesen zu sein; beim Öffnen der Kette sei ihm die Flucht gelungen. In der mündlichen Verhandlung trug er vor, im Gerichtsgebäude seien die Häftlinge abgekettet worden, ein Häftling habe geschrieen. Dadurch seien alle auf den schreienden Häftling konzentriert und abgelenkt gewesen. Diesen Augenblick habe der Kläger zur Flucht genutzt. Dieses Vorbringen ist völlig unglaubhaft. Zum einen werden sich Polizisten, die die Häftlinge sichern sollen, wohl kaum von einem schreienden Häftling derart ablenken lassen, dass andere Häftlinge ohne Probleme fliehen können. Derart dillethantisch verhalten sich äthiopische Sicherheitskräfte sicher nicht. Zum anderen ist unglaubhaft, dass der Kläger nach seiner Flucht einfach aus dem Gerichtsgebäude herausgekommen wäre. Auch in Äthiopien werden Gerichtsgebäude so gesichert sein, dass Angeklagte, die fliehen wollen, nicht einfach aus dem Gefängnis „herausspazieren können“.
Insgesamt ist der vom Kläger geschilderte Sachverhalt widersprüchlich und unglaubhaft. Es handelt sich um eine wahllose Aneinanderreihung behaupteter verschiedener Vorgänge, die keinerlei inneren asylrelevanten Zusammenhang aufweisen und lediglich insbesondere die von vielen Asylbewerbern vorgetragenen Gesichtspunkte „Flugblätter, Werbung neuer Mitglieder, mehrmalige Haft, etc.“ enthalten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gem. § 3 AsylG.
Darüber hinaus haben Opfer staatlicher Repressionen in Äthiopien grundsätzlich die Möglichkeit, ihren Wohnsitz in andere Landesteile zu verlegen und so der lokalen Bedrohungssituation zu entgehen (Bericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Äthiopien vom 17.10.2018, II. 3, vom 8.4.2019, II.3). Es wäre dem Kläger daher möglich gewesen, seinen Wohnsitz innerhalb Äthiopiens zu verlegen.
Im Übrigen kann dahingestellt bleiben, ob der Kläger in Äthiopien vorverfolgt wurde. Die politischen Verhältnisse in Äthiopien haben sich grundlegend verändert, so dass – selbst wenn der Kläger vorverfolgt wäre – stichhaltige Gründe gegen eine Wiederholung der Verfolgung bestehen. Seit seinem Amtsantritt hat Premierminister Abiy Ahmed eine Vielzahl tiefgreifender Reformen in Äthiopien umgesetzt. Die Mehrheit des Kabinetts besteht nunmehr aus Oromo. Die bisher einflussreiche TPLF, die zentrale Stellen des Machtapparates und der Wirtschaft unter ihre Kontrolle gebracht hatte, stellt nur noch zwei Minister. Am 5. Juni 2018 wurde der am 16. Februar 2018 verhängte Ausnahmezustand vorzeitig beendet. Gerade auch für (frühere) Oppositionelle hat sich die Situation deutlich und mit asylrechtlicher Relevanz verbessert. Bereits unmittelbar nach Amtstritt von Premierminister Abiy Ahmed im April 2018 wurde das berüchtigte „Maekelawi-Gefängnis“ in Addis Abeba geschlossen. Im August 2018 wurde auch das berüchtigte „Jail Ogaden“ in der Region Somali geschlossen. In der ersten Jahreshälfte 2018 sind ca. 25.000 teilweise aus politischen Gründen inhaftierte Personen entlassen worden. Seit Anfang des Jahres sind über 7.000 politische Gefangene freigelassen worden, darunter führende Oppositionspolitiker wie der Oppositionsführer der Region Oromia, Metera Gudina, und sein Stellvertreter Bekele Gerba (vgl. Bericht des Auswärtigen Amtes vom 17. Oktober 2018, S. 9f.), weiterhin der Anführer der Ginbot7, Berhane Nega, der unter dem früheren Regime zum Tode verurteilt worden war und der Kommandant der ONLF, Abdikarim Muse Qalbi Dhagah. Am 20. Juli 2018 wurde ein allgemeines Amnestiegesetz erlassen, nach welchem Personen, die sich bis zum 7. Juni 2018 wegen Verstoßes gegen bestimmte Artikel des äthiopischen Strafgesetzbuches sowie weiterer Gesetze, insbesondere wegen begangener politischer Vergehen, strafrechtlich verfolgt wurden, innerhalb von sechs Monaten einen Antrag auf Amnestie stellen konnten (Stellungnahme des Auswärtigen Amtes an den BayVGH v. 7.2.2019 – im Folgenden: AA v. 7.2.2019). Weiterhin wurde am 5. Juli 2018 die Einstufung der Untergrund- und Auslandsoppositionsgruppierung GInbot7, OLF und ONLF als terroristische Organisationen durch das Parlament von der Terrorliste gestrichen und die Oppositionsgruppen wurden eingeladen, nach Äthiopien zurückzukehren, um am politischen Diskurs teilzunehmen (AA v. 7.2.2019 und Bericht des Auswärtigen Amtes vom 17.10.2018, S.18f., The Danish Immigrations Service S.5, S.14f.). Daraufhin sind sowohl Vertreter der OLF (Jawar Mohammed) als auch Ginbot7 (Andargachew Tsige) aus der Diaspora nach Äthiopien zurückgekehrt (The Danish Immigrations Service S.5, 14 f.). Am 7. August 2018 unterzeichneten Vertreter der äthiopischen Regierung und der OLF in Asmara (Eritrea) ein Versöhnungsabkommen. Am 15. September wurde in Addis Abeba die Rückkehr der OLF unter der Führung von Dawud Ibsa gefeiert. Die Führung der OLF kündigte an, nach einer Aussöhnung fortan einen friedlichen Kampf für Reformen führen zu wollen. In den vergangenen sechs Monaten sind verschiedene herausgehobene äthiopische Exilpolitiker nach Äthiopien zurückgekehrt, die nunmehr teilweise aktive Rollen im politischen Geschehen haben (AA 7.2.2019). Schließlich wurden Verbote für soziale Medien aufgehoben (vgl. u.a. BayVGH, U.v. 13.2.2019 – 8 B 17.31645 – juris).
Unter Zugrundelegung dieser positiven Entwicklung ist nicht anzunehmen, dass bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Klägers mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit aufgrund der von ihm angegebenen früheren politischen Tätigkeit noch Furcht vor Verfolgung bestehen kann. Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass der Kläger für den Fall einer früheren Unterstützung der Partei OLF oder CFO verfolgt werden könnte.
Aus allen diesen Gesichtspunkten ist dem Kläger keine Flüchtlingseigenschaft gem. § 3 AsylG zuzuerkennen.
Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG. Ein unionsrechtliches Abschiebungsverbot zugunsten des Klägers ist nicht ersichtlich. Insbesondere ist – auch nach den Angaben des Klägers – nicht ersichtlich, dass ihm bei einer Rückkehr nach Äthiopien Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung drohen könnte. Im Übrigen wird auf obige Ausführungen verwiesen.
Ein Abschiebungsverbot gem. § 60 Abs. 5 AufenthG liegt offensichtlich nicht vor.
Bei dem Kläger liegt auch kein Abschiebungsverbot gem. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor.
Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Der Kläger kann keinen Abschiebungsschutz wegen der harten Existenzbedingungen in Äthiopien beanspruchen. Dies wäre nur dann der Fall, wenn er bei seiner Rückkehr einer extremen Gefahrenlage dergestalt ausgesetzt wäre, dass er im Falle der Abschiebung dorthin gleichsam „sehenden Auges“ dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert sein würde (vgl. BVerwG vom 12.7.2001, InfAuslR 2002,52/55). Davon ist jedoch nicht auszugehen. Die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln ist in Äthiopien nicht in allen Landesteilen und zu jeder Zeit gesichert. Die Existenzbedingungen in Äthiopien, einem der ärmsten Länder der Welt, sind für große Teile insbesondere der Landbevölkerung äußerst hart und, bei Ernteausfällen, potentiell lebensbedrohend. In diesen Fällen ist das Land auf die Unterstützung internationaler Hilfsorganisationen angewiesen. Ca. 3,2 Mio. Äthiopier waren in 2014 auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen, Die Hilfskosten wurden für 2014 auf 451,9 Mio. US-$ beziffert, darin enthalten sind neben der reinen Nahrungsmittelhilfe auch Non Food Items wie Kosten für Hygiene und Gesundheit. Zusätzlich werden 7.8 Mio. Menschen über das Productive Safety net Programme unterstützt, die sonst auch Nothilfe benötigen würden (Bericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Äthiopien vom 4.3.2015, IV.1.1.1 und vom 24.5.2016., IV.1.1.1, 22.3. und 17.10. 2018, IV.1.1.1). Anhaltspunkte dafür, dass Rückkehrer keine Nahrungsmittelhilfe erhalten, bestehen nicht. Für Rückkehrer bieten sich schon mit geringem Startkapital Möglichkeiten zur bescheidenen Existenzgründung. Vor allem für Rückkehrer, die über Qualifikationen und Sprachkenntnisse verfügen, besteht die Möglichkeit, Arbeit zu finden oder sich erfolgreich selbständig zu machen.
Es ist dem Kläger zuzumuten, sich in Äthiopien eine Arbeit zu suchen, wofür er als Rückkehrer gute Chancen hat. Er ist in Äthiopien 10 Jahre lang zur Schule gegangen (Bl. 62 BA). Er kann wieder an seine Tätigkeit als Taxifahrer anknüpfen oder in einem anderen einfachen Beruf in Äthiopien arbeiten und sich in der Anfangszeit an seine Verwandten in Äthiopien (drei Brüder und zwei Schwestern; Bl. 62 BA) wegen Unterstützung wenden.
Die Stellung eines Asylantrags im Bundesgebiet bzw. die illegale Ausreise aus Äthiopien bleiben ohne Konsequenzen (Lagebericht des Auswärtigen Amtes über Äthiopien vom 24.5.2016, II.,1.9, vom 6. 3. 2017, IV. 2 und vom 22.3.2018 und 17. 10.2018, 8.4.2019, jeweils II.1.9)*
Die nach Maßgabe des § 34 Abs. 1 und des § 36 Abs. 1 AsylG erlassene Abschiebungsandrohung ist nicht zu beanstanden. Der Kläger besitzt keine Aufenthaltsgenehmigung und ist auch nicht als Asylberechtigter/Schutzberechtigter anerkannt.
Die Klage hat auch gegen die im angefochtenen Bescheid ausgesprochene Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes auf 30 Monate (Nr. 5 des Bescheides) keinen Erfolg. Die Beklagte war nach § 11 Abs. 2 Satz 3 i.V.m. § 75 Nr. 12 AufenthG zur Entscheidung über die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots (§ 11 Abs. 1 AufenthG) berufen. Die Entscheidung, das Einreise- und Aufenthaltsverbot auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung zu befristen, ist auch ermessensfehlerfrei getroffen worden. Das Vorliegen besonderer Umstände ist vom Kläger weder vorgetragen noch ersichtlich. Die vorgenommene Befristung auf 30 Monate begegnet keinen Bedenken.
Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

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