Aktenzeichen M 4 K 16.31018
Leitsatz
1 Die Minderheit der Hazara ist in Afghanistan keiner Gruppenverfolgung ausgesetzt. (redaktioneller Leitsatz)
2 Auch ohne die Unterstützung durch die Familie droht einem volljährigen, gesunden und arbeitsfähigen Mann bei einer Abschiebung nach Kabul keine extreme Gefahrenlage, die zu einem Abschiebungsverbot in entsprechender Anwendung des § 60 Abs. 7 AufenthG führen würde. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
Die zulässige Klage ist unbegründet, weil der angefochtene Bescheid des Bundesamtes vom 26. April 2016 rechtmäßig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt (vgl. § 113 Abs. 5, Abs. 1 VwGO).
Der Antragsteller hat im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) keinen Anspruch Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus nach § 4 Asylgesetz -AsylG- und auf Feststellung von Abschiebungsverboten nach §§ 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz -AufenthG-. Auch die vom Bundesamt nach Maßgabe des § 34 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG erlassene Abschiebungsandrohung ist nicht zu beanstanden.
I.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Zuerkennung von subsidiärem Schutz nach § 4 AsylG. Solcher ist einem Ausländer zuzuerkennen, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt die Verhängung der Todesstrafe, Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (§ 4 Abs. 1 AsylG). Die §§ 3c bis 3e gelten entsprechend (§ 4 Abs. 3 AsylG).
1. Der Kläger hat schon nicht in ausreichender Weise schlüssig dargelegt, dass für ihn im Fall einer Rückkehr in sein Heimatland die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung besteht. Auch dem Gericht erscheint es als unrealistisch, dass der Kläger in Kabul binnen drei Tagen von einem Verwandten seines Arbeitgebers erkannt worden sein soll.
2. Auch die Zugehörigkeit des Klägers zur Gruppe der Hazara begründet nicht die Zuerkennung subsidiären Schutzes. In der Rechtsprechung ist geklärt, dass eine Gruppenverfolgung der Hazara im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG in Afghanistan nicht vorliegt (vgl. BayVGH, B. v. 1.12.2015 – 13a ZB 15.30224 – juris Rn. 4 m. w. N.). Dies bestätigte der BayVGH auch in einer aktuellen Entscheidung aus dem Jahr 2017 abermals (BayVGH, B. v. 4.1.2017 – 13a ZB 16.30600 – juris).
3. Jedenfalls greift vorliegend auch der Ausschlussgrund des § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylG, da der Kläger eine schwere Straftat begangen hat. Dabei muss es sich um eine sonstige Straftat handeln, die in den meisten Rechtsordnungen als besonders schwerwiegend qualifiziert ist und entsprechend strafrechtlich verfolgt wird (statt vieler Marx, AsylG, 9. Aufl. 2017, § 3 Rn. 26 m.w.N.). Der Kläger wurde mit Urteil des Amtsgerichts – Jugendschöffengericht – München vom 14. Januar 2015 wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit Vergewaltigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Jugendstrafe von 2 Jahren und 10 Monaten verurteilt (Az.: 1013 Ls 458 Js 156030/14 jug, enthalten in den beigezogenen ausländerrechtlichen Akten AZR-Nr. 130423041459, vgl. auch Blatt 35 der Asylakte). Eine Verurteilung wegen Vergewaltigung zu einer Jugendstrafe von über zwei Jahren stellt eine schwere Straftat im Sinne von § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylG dar (vgl. Marx, AsylG, 9. Aufl. 2017, § 3 Rn. 26). Dies gilt umso mehr vor der Neuregelung des § 54 Abs. 1 AufenthG, wonach ein Ausweisungsinteresse sogar besonders schwer wiegt, wenn der Ausländer wegen einer oder mehreren vorsätzlichen Straftaten rechtskräftig zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren verurteilt wurde – wobei nach § 54 Abs. 1a AufenthG bei vorsätzlichen Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung auch die Verurteilung zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr ausreichend ist. Diese Wertungen des Gesetzgebers verdeutlichen zusätzlich, dass die gegen den Kläger verhängte Jugendstrafe von 2 Jahren und 10 Monaten eine schwere Straftat auch im Sinne von § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylG darstellt.
II.
Der Abschiebung des Klägers steht auch kein nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5, Abs. 7 Satz 1 AufenthG entgegen.
1. Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG liegt nicht vor. Eine Abschiebung ist gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG unzulässig, wenn sich dies aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten -EMRK- ergibt. Gemäß Art. 3 EMRK darf niemand Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen werden. Wann eine „unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung“ vorliegt, hängt vom Einzelfall ab. Eine Schlechtbehandlung einschließlich Bestrafung muss jedenfalls ein Minimum an Schwere erreichen, um in den Schutzbereich des Art. 3 EMRK zu fallen. Abstrakt formuliert sind unter einer menschenrechtswidrigen Schlechtbehandlung Maßnahmen zu verstehen, mit denen unter Missachtung der Menschenwürde absichtlich schwere psychische oder physische Leiden zugefügt werden und mit denen nach Art und Ausmaß besonders schwer und krass gegen Menschenrechte verstoßen wird. Es müssen konkrete Anhaltspunkte oder stichhaltige Gründe dafür glaubhaft gemacht werden, dass der Ausländer im Fall seiner Abschiebung einem echten Risiko oder einer ernsthaften Gefahr einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt wäre. Dabei sind lediglich zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse zu prüfen. Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 5 AufenthG kommt nach der neueren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (U. v. 13.6.2013 – 10 C 13/12 – juris Rn. 24) auch dann in Frage, wenn die umschriebenen Gefahren nicht durch den Staat oder eine staatsähnliche Organisation drohen oder dem Staat zuzurechnen sind.
Eine solche Gefahr ist bezogen auf den Kläger mit Hinweis auf die bereits getätigten Ausführungen nicht ersichtlich.
Eine unmenschliche Behandlung droht dem Kläger auch nicht aufgrund der schwierigen Lebensbedingungen in Afghanistan. Unzureichende wirtschaftliche Verhältnisse im Herkunftsland können in Ausnahmefällen, in denen die schlechten humanitären Verhältnisse eine konkrete Gefahr für Leib oder Leben des Asylbewerbers darstellen, ein Abschiebungsverbot in diesem Sinn begründen. In ganz außergewöhnlichen Fällen können auch (schlechte) humanitäre Verhältnisse Art. 3 EMRK verletzen, wenn die humanitären Gründe gegen die Ausweisung „zwingend sind“. Dies gilt in den Fällen, in denen die schlechten Bedingungen überwiegend auf die Armut oder die fehlenden staatlichen Mittel, um mit Naturereignissen umzugehen, zurückzuführen sind. Wenn jedoch die Aktionen von Konfliktparteien zum Zusammenbruch der sozialen, politischen und wirtschaftlichen Infrastruktur führen, ist zu berücksichtigen, ob es den Betroffenen gelingt, die elementaren Bedürfnisse, wie Nahrung, Hygiene und Unterkunft zu befriedigen (EGMR U. v. 28.6.2011 – 8319/07 – Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich – NVwZ 2012, 681 ff.; EGMR U. v. 27.5.2008 – 26565/05 – N/Vereinigtes Königreich; BVerwG U. v. 31.1.2013 – 10 C 15/12 – juris). Unter Berücksichtigung sämtlicher Gegebenheiten des Einzelfalls ist von einem sehr hohen Niveau der Gefährdung auszugehen (BayVGH, U. v. 21.11.2014 – 13a B 14.30285 – juris).
In Afghanistan ist die Lage jedoch nicht so ernst, dass eine Abschiebung ohne Weiteres eine Verletzung von Art. 3 EMRK zur Folge hätte (vgl. BVerwG, U. v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – Rn. 26 – juris). Zwar ist die Versorgungslage in Afghanistan weiterhin schlecht und soziale Sicherungssysteme existieren praktisch nicht. Die soziale Absicherung liegt bei den Familien und Stammesverbänden. Aber auch ohne die Unterstützung durch diese Gemeinschaft droht jedenfalls dem volljährigen, gesunden und arbeitsfähigen Kläger bei einer Abschiebung beispielsweise nach Kabul keine konkrete Gefahr für Leib und Leben aufgrund der humanitären Lage. Der Kläger kann jedenfalls unter Inanspruchnahme internationaler Hilfe und der Aufnahme von Gelegenheitsarbeiten zumindest das für das Existenzminimum Erforderliche erzielen, um sein Überleben zu sichern (vgl. BayVGH, B. v. 4.1.2017 – 13a ZB 16.30600 – juris m.w.N.; B. v. 27.7.2016 – 13a ZB 16.30051 – juris Rn. 4; B. v. 30.7.2015 – 13a ZB 15.30031 – juris Rn. 10). Der Kläger ist ein arbeitsfähiger junger Mann in diesem Sinne. Dieser Eindruck wurde durch die mündliche Verhandlung bestätigt. Bei der Arbeitssuche wird dem Kläger zudem die nach eigenen Aussagen in der Haft begonnene Maurerlehre helfen können.
2. Der Abschiebung des Klägers steht auch kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG entgegen. Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Gefahren, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen.
Die schlechte Versorgungslage in Afghanistan für Rückkehrer ohne Berufsausbildung und familiäre Unterstützung stellt eine allgemeine Gefahr dar, die aufgrund der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG die Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht rechtfertigen kann.
Hinsichtlich des Klägers besteht auch kein Abschiebungsverbot in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Im Rahmen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG analog wird die Frage geprüft, ob bei Gefahren, die der Bevölkerung oder der Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein drohen und bei denen eine politische Leitentscheidung nach § 60 a Abs. 1 Satz 1 AufenthG fehlt, ausnahmsweise Verfassungsrecht in Fällen einer extremen Gefahrenlage ein Abschiebungsverbot erforderlich macht. In diesem Zusammenhang wird auch die schlechte wirtschaftliche Lage im Herkunftsland berücksichtigt (vgl. BVerwG, U. v. 12.7.2001 – 1 C 5.01 – Rn. 15 ff. juris). Der Kläger wäre aber bei einer Rückkehr nach Afghanistan, insbesondere nach Kabul und insbesondere im Hinblick auf die dort herrschenden wirtschaftlichen Existenzbedingungen, nicht mit der für die analoge Anwendung von § 60 Abs. 7 AufenthG erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt. Auch ohne die Unterstützung durch eine familiäre Gemeinschaft droht dem volljährigen, gesunden und arbeitsfähigen Kläger bei einer Abschiebung nach Kabul keine extreme Gefahrenlage, die zu einem Abschiebungsverbot in entsprechender Anwendung des § 60 Abs. 7 AufenthG führen würde (vgl. BayVGH, B. v. 4.1.2017 – 13a ZB 16.30600 – juris m.w.N.; B. v. 30.7.2015 – 13a ZB 15.30031 – juris Rn. 10). Der Antragteller kann – wie bereits zu § 60 Abs. 5 AufenthG dargestellt – unter Inanspruchnahme internationaler Hilfe und der Aufnahme von Gelegenheitsarbeiten zumindest das für das Existenzminimum Erforderliche erzielen, um sein Überleben zu sichern.
III.
Die nach Maßgabe der § 34 Abs. 1, § 38 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG erlassene Abschiebungsandrohung nach Afghanistan ist in rechtlicher Hinsicht gleichfalls nicht zu beanstanden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.