Verwaltungsrecht

Konflikte in Nigeria sind in ihrer Intensität und Dauerhaftigkeit nicht mit Bürgerkriegsauseinandersetzungen vergleichbar

Aktenzeichen  Au 7 S 17.33192

Datum:
13.6.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 80 Abs. 5 S. 1
AsylG AsylG § 3c Nr. 3, § 4 Abs. 1 Nr. 3, § 30 Abs. 1, § 36 Abs. 4
GG GG Art. 16a Abs. 2 S. 1

 

Leitsatz

1 Voodoo, Hexerei und ähnliches stellen nach hier wohl herrschender Auffassung keine konkrete Gefahr dar und können im Rahmen eines Asylverfahrens bzw. hier im Rahmen der Frage, ob die Voraussetzungen für die Gewährung subsidiären Schutzes vorliegen, keine Beachtung finden. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
2 Die immer wieder aufkommenden, gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen christlichen und muslimischen Gruppen bzw. die Angriffe und Auseinandersetzung mit der Gruppierung „Boko Haram“ sind überwiegend regional begrenzt und weisen nicht die Merkmale eines innerstaatlichen Konflikts iS der Vorschrift und der dazu ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung auf. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben

Gründe

I.
Der Antragteller, der keine Ausweisdokumente vorlegte, wendet sich gegen die sofortige Vollziehbarkeit der Androhung seiner Abschiebung nach Nigeria.
1. Der Antragsteller ist nach eigenen Angaben am … 1992 in Nigeria geboren, nigerianischer Staatsangehöriger, Volkszugehörigkeit Issa, katholischer Religionszugehörigkeit.
Er reiste nach eigenen Angaben im … 2015 in … ein und stellte am 2. Juni 2016 beim Bundesamt für … (nachfolgend: Bundesamt) einen förmlichen Asylantrag.
Am 25. Oktober 2016 fand die persönliche Anhörung des Antragstellers durch das Bundesamt statt. Dabei gab er im Wesentlichen folgendes an:
Er habe sein Heimatland am 16. Mai 2014 verlassen. Vor der Ausreise habe er sich zuletzt in … aufgehalten. Dort lebe noch seine Mutter, sein Vater sei verstorben. Er habe noch einen Bruder, einen Halbbruder und sechs Halbschwestern. Er habe sechs Jahre die Grundschule besucht und sei Lkw-Fahrer gewesen. Seine wirtschaftliche Situation sei gut gewesen. Die Flucht nach Italien habe 450.000 Naira gekostet.
Zu den Gründen für seinen Asylantrag führte er aus, er sei der älteste Sohn der ersten Frau seines Vaters und damit erbberechtigter für das Geld, das Land und die Häuser seines Vaters gewesen. Die zweite Frau seine Vaters habe verhindern wollen, dass er alles erbe und habe ihn deswegen umbringen wollen. Sie habe versucht, ihn auf spirituelle Weise, durch Albträume, zu töten. Trotz der Gebete seiner Mutter und seines Umzugs zu seinem Bruder seien die Albträume weitergegangen. Sein Bruder habe ihm geraten, Nigeria zu verlassen. Die Träume hätten an der Grenze von Nigeria geendet und er habe in Italien keine Albträume mehr gehabt.
2. Mit Bescheid vom 22. Mai 2017 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Nr. 1), den Asylantrag (Nr. 2) sowie den Antrag auf subsidiären Schutz (Nr. 3) jeweils als offensichtlich unbegründet ab. Es wurde festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) nicht vorliegen (Nr. 4). Unter Setzung einer Ausreisefrist von einer Woche wurde dem Antragsteller die Abschiebung nach Nigeria angedroht (Nr. 5). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltserbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 6).
Der Bescheid wurde am 23. Mai 2017 zur Post gegeben.
3. Am 31. Mai 2017 erhob der Antragsteller Klage beim Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg mit den Anträgen, den Bescheid der Antragsgegnerin vom 22. Mai 2017 aufzuheben, den Antragsteller als Asylberechtigten anzuerkennen, hilfsweise ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, hilfsweise den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen und hilfsweise festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5, 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.
Die Klage wird bei Gericht unter dem Aktenzeichen Au 7 K 17.33190 geführt.
Gleichzeitig wurde ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO dahingehend gestellt,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung anzuordnen.
Der Bevollmächtigte des Antragstellers wies mit Schriftsatz vom 2. Juni 2017 ausführlich auf die Situation in Nigeria hin, die durch vielfältige, auf ethnische, politische und religiöse Gründe zurückgehende sowie von Gewalt gekennzeichnete Übergriffe, Entführungen und Bedrohungen gekennzeichnet sei. Es spielten vor allem auch Ahnenkult, Fetischismus und ähnliche Elemente sowohl bei Christen als auch Moslems eine wichtige Rolle.
Das Bundesamt legte elektronisch die Behördenakte vor, äußerte sich jedoch nicht zur Sache.
Wegen der weiteren Einzelheiten und des Vortrags der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichtsakte sowie die Akte des Bundesamts Bezug genommen.
II.
Der fristgerecht erhobene (§ 36 Abs. 3 Satz 1 Asylgesetz/AsylG) Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ist zulässig, bleibt aber in der Sache ohne Erfolg.
1. Gemäß § 36 Abs. 4 AsylG kann das Verwaltungsgericht auf Antrag nach § 80 Abs. 5 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) die Aussetzung der Abschiebung anordnen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen. Ernstliche Zweifel liegen vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Überprüfung wahrscheinlich nicht standhält (vgl. BVerwG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – juris).
Dabei ist im Rahmen der Entscheidung über einen solchen Antrag im Hinblick auf den durch Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) gebotenen effektiven Rechtschutz auch zu prüfen, ob das Bundesamt zu Recht davon ausgegangen ist, dass der geltend gemachte Anspruch auf Asylanerkennung, auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG und auf Gewährung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 AsylG offensichtlich nicht besteht – wobei eine nur summarische Prüfung nicht ausreicht – und ob diese Ablehnung weiterhin Bestand haben kann (vgl. BVerfG, B.v. 2.5.1984 – 2 BvR 1413/83 – juris Rn. 40).
2. Nach Maßgabe dieser Grundsätze bestehen vorliegend keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes.
a) Ein Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter nach Art. 16a Abs. 1 Grundgesetz (GG) scheidet gemäß Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG schon deswegen offensichtlich aus, da der Antragsteller aus Italien, einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften, nach … eingereist ist. Dies ergibt sich zum einen aus den eigenen Angaben des Antragstellers. Zum anderen wurde für den Antragsteller ein Eurodac-Treffer der Kategorie 1 für Italien ermittelt, woraus hervorgeht, dass er bereits in Italien einen Asylantrag gestellt hat.
b) Auch die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (§ 3 Abs. 1, 4 AsylG) kommt offensichtlich nicht in Betracht. Der Antragsteller hat bei seiner persönlichen Anhörung gegenüber dem Bundesamt keinerlei asylrelevante Tatsachen vorgetragen, insbesondere keine politische Verfolgung in seinem Heimatland Nigeria geltend gemacht. Verfolgungshandlungen nach § 3a AsylG und Verfolgungsgründe im Sinne des § 3b AsylG hat er nicht behauptet. Die geltend gemachte Bedrohung durch die zweite Frau seines Vaters, die ihn auf spirituelle Weise – durch Albträume – habe töten wollen, stellt ganz offensichtlich keinen Verfolgungsgrund i.S. von § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 3 b Abs. 1 AsylG dar.
Dem unverfolgt ausgereisten Antragsteller drohen auch im Falle der Rückkehr in sein Heimatland keinerlei Verfolgungsmaßnahmen. Es bestehen keine Erkenntnisse darüber, dass abgelehnte Asylbewerber bei einer Rückkehr nach Nigeria allein wegen der Asylantragstellung mit staatlichen Repressionen zu rechnen hätten (Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria – Stand: September 2016 – vom 21. November 2016 – Lagebericht – Nr. IV.2).
c) Auch die Zuerkennung des (unionsrechtlichen) subsidiären Abschiebungsschutzes nach § 4 AsylG, kommt offensichtlich nicht in Betracht.
Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt dabei auch die Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG). Die Art der Behandlung oder Bestrafung muss eine Schwere erreichen, die dem Schutzbereich des Art. 3 EMRK zuzuordnen ist und für den Fall, dass die Schlechtbehandlung von nichtstaatlichen Akteuren ausgeht, muss der Staat erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sein, Schutz zu gewähren (§ 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG i.V.m. § 3 c Nr. 3 AsylG).
Gemessen an diesen Maßstäben hat der Antragsteller offensichtlich keinen Anspruch auf die Gewährung subsidiären Schutzes i.S. des § 4 Abs. 1 AsylG. Im Herkunftsstaat hat er offensichtlich keine Gefahr erlebt. Voodoo, Hexerei und ähnliches stellen nach hier wohl herrschender Auffassung keine konkrete Gefahr dar und können im Rahmen eines Asylverfahrens bzw. hier im Rahmen der Frage, ob die Voraussetzungen für die Gewährung subsidiären Schutzes vorliegen, keine Beachtung finden. Weshalb ihm bei der Rückkehr ein ernsthafter Schaden, insbesondere eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG) oder gar die Todesstrafe (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG) drohen sollte, ist unter keinem Gesichtspunkt erkennbar geworden.
Schließlich ist der Antragsteller im Falle seiner Rückkehr nicht der erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt, § 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG. Dies kann auch nicht im Hinblick auf die religiös motivierten Auseinandersetzungen in Nigeria angenommen werden. Die immer wieder aufkommenden, gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen christlichen und muslimischen Gruppen bzw. die Angriffe und Auseinandersetzung mit der Gruppierung „Boko Haram“ sind überwiegend regional begrenzt und weisen nicht die Merkmale eines innerstaatlichen Konflikts i.S. der Vorschrift und der dazu ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung auf (vgl. BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 2013 -, U.v. 17.11.2011 – 10 C 13/10 -, U.v. 27.4.2010 – 10 C 4/09 -, U.v. 14.7.2009 – 10 C 9/08 und U.v. 24.6.2008 – 10 C 43/07 – sowie B.v. 14.11.2012 – 10 B 22/12 -, jeweils juris).
Das Ausmaß dieser Konflikte ist in Intensität und Dauerhaftigkeit nicht mit Bürgerkriegsauseinandersetzungen, die in Nigeria nicht festzustellen sind, vergleichbar.
Nach den allgemein zugänglichen Erkenntnismitteln (Tagespresse, Medien) und Erkenntnissen des Gerichts kam es zwar auch in diesem Jahr fast täglich zu Anschlägen der Gruppe „Boko Haram“ und sind auch die Einsätze der nigerianischen Sicherheitskräfte mit Gewaltexzessen und willkürlichen Verhaftungen verbunden. Allerdings konzentrieren sich die Anschläge von „Boko Haram“ und die daraus folgenden Auseinandersetzungen immer noch hauptsächlich auf den Norden bzw. Nordosten Nigerias, während es in im Bundesstaat … (Westen Nigerias) oder in … (Südwesten Nigerias) – Aufenthaltsgebiete des Antragstellers vor seiner Ausreise – bzw. im Süden des Landes nur vereinzelt zu Anschlägen bzw. Terrorakten gekommen ist. Eine landesweite Verübung von Terrorakten durch die Organisation „Boko Haram“ findet nicht statt (vgl. dazu: AA, Lageberichte von Nigeria vom 26. November 2016, 28. November 2014, jew. Zusammenfassung S.5 sowie II, 1.4., vom 28. August 2013, vom 6. Mai 2012, 7. März 2011, 11. März 2010 und vom 21. Januar 2009, jeweils Ziffer II. 1.4)
Das Offensichtlichkeitsurteil des Bundesamtes begegnet nach allem keinen rechtlichen Bedenken. Der Asylantrag des Antragstellers ist insbesondere deshalb offensichtlich unbegründet, da ein Fall des § 30 Abs. 1 AsylG vorliegt. Danach ist ein Asylantrag offensichtlich unbegründet, wenn die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigter und die Voraussetzungen für die Zuerkennung des internationalen Schutzes offensichtlich nicht vorliegen. Dies ist hier entsprechend den obigen Ausführungen der Fall. Eine politische Verfolgung des Antragstellers in Nigeria ist unter keinem Gesichtspunkt erkennbar geworden.
3. Es bestehen auch keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheids, soweit das Nichtvorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG festgestellt wurde. Der Antragsteller konnte bis zu seiner Ausreise seinen Lebensunterhalt sichern. Es ist zu erwarten, dass er jedenfalls das Existenzminimum sicherstellen kann (vgl. auch Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria – Lagebericht – vom 21. November 2016, Stand September 2016, Nr. I.2., S. 21 ff.). Er ist gesund und arbeitsfähig und mit den Verhältnissen in seiner Heimat vertraut. Auch hat er etliche Verwandte in Nigeria, so dass er auch Unterstützung seitens seiner Familie erwarten kann. Zudem war er nach eigenen Angaben in der Lage, die erheblichen Kosten für die Schleusung nach Europa aufzubringen.
Im Übrigen folgt das Gericht vollumfänglich den Ausführungen des Bundesamtes im streitgegenständlichen Bescheid und sieht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Nach alldem war der Antrag abzulehnen.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 83 b AsylG.
Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylG unanfechtbar.

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