Verwaltungsrecht

Konkrete Gefahr durch freies Herumlaufen großer Hunde

Aktenzeichen  10 CS 18.1780

Datum:
13.11.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 30636
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayLStVG Art. 18 Abs. 1 S. 1, Abs. 2

 

Leitsatz

1 Von großen Hunden, die auf öffentlichen Straßen und Wegen mit relevantem Publikumsverkehr frei herumlaufen, oder durch das Führen derartiger Hunde durch eine nicht befähigte Person geht in der Regel eine konkrete Gefahr für Leben und Gesundheit Dritter aus; insbesondere muss es vor dem Erlass entsprechender Anordnungen (Art. 18 Abs. 2 iVm Abs. 1 S. 1 LStVG) nicht zu Beißzwischenfällen gekommen sein (Fortführung von BayVGH BeckRS 2018, 28749). (Rn. 10 und 13) (redaktioneller Leitsatz)
2 Bei dem Hund einer Rasse, die nicht in der Verordnung über Hunde mit gesteigerter Aggressivität und Gefährlichkeit aufgeführt ist, ist nicht von einer Ungefährlichkeit auszugehen. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
3 Der Deutsche Boxer ist ein großer Hund iSd Art. 18 Abs. 2 iVm Abs. 1 S. 1 LStVG. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

AN 15 S 17.02116 2018-07-27 Bes VGANSBACH VG Ansbach

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Mit seiner Beschwerde verfolgt der Antragsteller seinen in erster Instanz erfolglosen Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage vom 9. Oktober 2017 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 27. September 2017 weiter.
Der Antragsteller ist Halter eines Hundes der Rasse Deutscher Boxer. Nach einem Vorfall mit einem anderen Hund am 24. Februar 2017, dessen Einzelheiten umstritten sind, verpflichtete die Antragsgegnerin den Antragsteller mit Bescheid vom 27. September 2017, außerhalb des befriedeten Haltergrundstückes innerhalb bewohnter Gebiete sowie außerhalb bewohnter Bereiche, welche nicht einsehbar und unübersichtlich sind, und beim Nähern von Menschen und anderen Hunden nur an einer reißfesten, schlupfsicheren und maximal 150 cm langen Leine auszuführen. Ansonsten sei der Hund ausbruchssicher zu verwahren. Der Antragsteller habe sicherzustellen, dass diese Verpflichtungen auch von Dritten erfüllt würden, die mit der Betreuung und Ausführung des Hundes beauftragt würden; ausgeführt werden dürfe der Hund nur durch eine Person, die zuverlässig und körperlich hinreichend befähigt sei, den Hund zu kontrollieren.
Mit Schriftsatz vom 9. Oktober 2017 erhob der Antragsteller Klage gegen diesen Bescheid und beantragte zudem, die aufschiebende Wirkung der Klage wiederherzustellen.
Mit Beschluss vom 27. Juli 2018 lehnte das Bayerische Verwaltungsgericht Ansbach den Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ab. Die angegriffenen Anordnungen seien zu Recht ergangen, da von dem Hund des Antragstellers eine konkrete Gefahr für die in Art. 18 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 LStVG genannten Rechtsgüter ausgehe. Dabei könne offenbleiben, ob der Hund, wie von der Antragsgegnerin vorgetragen, in mehrere Zwischenfälle verwickelt gewesen sei. Denn unabhängig hiervon gehe von dem Hund eine konkrete Gefahr schon deshalb aus, weil es sich um einen großen Hund handle. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof vertrete in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, dass von großen und kräftigen Hunden, die auf öffentlichen Straßen und Wegen mit relevantem Publikumsverkehr frei umherliefen, in der Regel eine konkrete Gefahr im Sinne von Art. 18 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 LStVG für Leib und Leben Dritter für andere Hunde ausgehe. Die Antragsgegnerin habe ihr Ermessen fehlerfrei ausgeübt. Die angeordneten Maßnahmen seien auch unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nicht zu beanstanden.
Mit der am 16. August 2018 eingelegten Beschwerde beantragt der Antragsteller weiterhin, die aufschiebende Wirkung der Klage wiederherzustellen.
Die Antragsgegnerin tritt der Beschwerde entgegen.
Ergänzend wird auf die vorgelegten Behördenakten und die Gerichtsakten verwiesen.
II.
Die zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Die vom Antragsteller dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigen keine Abänderung oder Aufhebung der angegriffenen Entscheidung.
Das Vorbringen im Beschwerdeverfahren stellt die Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Beurteilung, wonach die Klage gegen den Bescheid vom 27. September 2017 voraussichtlich keinen Erfolg haben wird, nicht mit Erfolg in Frage. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage vom 9. Oktober 2017 zu Recht abgelehnt.
Nach Art. 18 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 LStVG können Gemeinden zur Verhütung von Gefahren für Leben, Gesundheit und Eigentum Anordnungen für den Einzelfall zur Haltung von Hunden treffen. Eine solche Anordnung darf jedoch nur verfügt werden, wenn im zu betrachtenden Einzelfall eine konkrete Gefahr für die genannten Schutzgüter vorliegt. Der Senat geht dabei grundsätzlich davon aus, dass von großen Hunden, die auf öffentlichen Straßen und Wegen mit relevantem Publikumsverkehr frei herumlaufen, oder vom Führen derartiger Hunde durch eine nicht befähigte Person in der Regel eine konkrete Gefahr für Leben und Gesundheit Dritter ausgeht. Insbesondere muss es vor dem Erlass entsprechender Anordnungen nicht zu Beißzwischenfällen gekommen sein. Es ist mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten, dass Menschen, die in bewohntem Umfeld vor einem unangeleinten großen Hund, auch dann, wenn er auf den ersten Blick nicht furchteinflößend wirkt, Angst haben und es aufgrund von unvorhersehbaren oder unkontrollierten Reaktionen von Menschen und/oder Hunden zu erheblichen Gefahren für Leben und Gesundheit kommen kann. Daher eröffnet Art. 18 Abs. 2 LStVG nach ständiger Rechtsprechung des Senats grundsätzlich die Möglichkeit, für solche großen Hunde wie den Hund des Antragstellers einen Leinenzwang in bewohnten Gebieten anzuordnen (stRspr, vgl. z.B. BayVGH, B.v. 17.10.2018 – 10 CS 18.1717 – juris Rn. 18; B.v. 3.5.2017 – 10 CS 17.405 – juris Rn. 5 ff.; U.v. 9.11.2010 -10 BV 06.3053 – juris Rn. 25; U.v. 20.1.2011 – 10 B 09.5966 – juris Rn. 21 m.w.N.).
Diese Erwägungen hat das Verwaltungsgericht seiner Entscheidung fehlerfrei zugrunde gelegt.
Der Antragsteller bringt zur Begründung seiner Beschwerde vor, diese Erwägungen legten nahe, dass hier die „Kampfhundeverordnung“ als Rechtsgrundlage herangezogen worden sei. Es könne nicht sein, dass im Rahmen des LStVG einzig aufgrund der Größe des Hundes einer Rasse, die in der „Kampfhundeverordnung“ nicht genannt sei, pauschal Gefährlichkeit unterstellt werde.
Die Bezugnahme auf die Verordnung über Hunde mit gesteigerter Aggressivität und Gefährlichkeit vom 10. Juli 1992 (GVBl 268; sog. Kampfhundeverordnung) geht jedoch fehl; das Verwaltungsgericht hat diese Vorschrift weder ausdrücklich noch der Sache nach herangezogen. Es hat nicht auf eine individuelle besondere Aggressivität des Hundes des Antragstellers abgestellt, sondern offengelassen, ob sich die von der Antragsgegnerin herangezogenen Vorfälle – sowohl der anlassgebende vom 24. Februar 2017 wie auch die späteren – tatsächlich so zugetragen haben. Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts ebenso wie der Bescheid der Antragsgegnerin stellen darauf ab, dass unabhängig von einem konkreten Beißzwischenfall eine konkrete Gefahr im Sinn des Art. 18 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 LStVG von dem Hund des Antragstellers bereits dann ausgeht, wenn er als großer und kräftiger Hund – das ist bei einem Deutschen Boxer der Fall – frei und unangeleint auf öffentlichen Straßen und Wegen mit relevantem Publikumsverkehr innerhalb von bewohntem Gebiet herumläuft oder von einer hierzu nicht befähigten Person ausgeführt wird oder nicht ausbruchssicher untergebracht wird. Er trifft auch nicht zu, dass bei einem Hund einer Rasse, die nicht in der Verordnung über Hunde mit gesteigerter Aggressivität und Gefährlichkeit aufgeführt ist, nicht von einer relevanten Gefahr ausgegangen werden dürfe.
Weiter bezieht sich der Antragsteller auf die Ausführung des Verwaltungsgerichts, dass von dem freien Herumlaufen eines großen Hundes „in der Regel“ eine konkrete Gefahr ausgehe, und macht geltend, dass dann auch eine Ausnahme greifen müsse. Er bringt jedoch keine Anhaltspunkte dafür vor, warum in seinem Fall eine solche Ausnahme vorliegen sollte; solche sind auch nicht ersichtlich (etwa dass der Hund bereits ein weit fortgeschrittenes Alter oder körperliche Gebrechen aufweisen würde, vgl. BayVGH, B.v. 9.11.2010 – 10 BV 06.3053 – juris Rn. 29).
Schließlich macht der Antragsteller geltend, die Antragsgegnerin habe ihr Ermessen nicht ordnungsgemäß ausgeübt. Bei dem fraglichen Vorfall sei sein Hund provoziert worden und habe artgerecht und hundetypisch reagiert; die Nachbarin und Anzeigeerstatterin hege einen unerklärlichen Groll gegen ihn und habe hier eine strafrechtlich relevante Falschaussage getätigt. Diese Ausführungen sind jedoch für die angegriffene Entscheidung unerheblich, weil das Verwaltungsgericht die Frage, wie sich dieser Vorfall konkret abgespielt hat, offen gelassen und die Ermessenserwägungen in dem streitgegenständlichen Bescheid auch unabhängig davon als fehlerfrei angesehen hat.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 und § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

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