Verwaltungsrecht

Kosovo ist ein sicherer Herkunftsstaat

Aktenzeichen  M 16 S 16.30448

Datum:
21.3.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 80 Abs. 5
AsylG AsylG § 3, § 4, § 29a
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
GG GG Art. 16a

 

Leitsatz

Der Kosovo ist ein sicherer Herkunftsstaat. Gegen diese Einstufung bestehen keine europa- oder verfassungsrechtlichen Bedenken. (redaktioneller Leitsatz)
Bei drohenden Übergriffen durch nichtstaatliche Dritte besteht eine inländische Fluchtalternative. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Der am … 1992 geborene Antragsteller ist Staatsangehöriger der Republik Kosovo. Am 13. Dezember 2012 stellte der Antragstellers bei dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) einen Asylantrag.
Bei seiner Anhörung gemäß § 25 AsylG vor dem Bundesamt am 14. Dezember 2012 gab der Antragsteller zu seinem Verfolgungsschicksal im Wesentlichen an, er sei Fußballer und stehe auf Männer. Dies sei bei ihnen eine Schande. Der Trainer habe das herausgefunden und es seinem Vater am Telefon erzählt. Es sei für seinen Vater, der ein streng gläubiger Moslem sei, eine Tragödie gewesen. Er habe den Antragsteller schwer geschlagen. Er sei vor die Wahl gestellt worden zu heiraten oder weg zu gehen. Da auch seine Verwandtschaft sich geweigert habe, ihn aufzunehmen, sei ihm nichts anderes übrig geblieben, als dann von dort weg zu gehen. Der Kosovo sei sehr klein und wohin sollte man schon hingehen, und wie. In Pristina lebe sein Bruder, der würde ihn sowieso finden. Eine weitere Anhörung gemäß § 25 AsylG vor dem Bundesamt erfolgte am 17. Januar 2013. Der Antragsteller gab dabei ergänzend im Wesentlichen an, sein Vater habe ihm gedroht, dass er ihn „kaputt schlagen“ werde. Er habe ihm auch verboten, weiter zur Schule zu gehen und der Trainer habe ihn aus der Mannschaft geworfen. Er sei dann zu Hause wie in einem Gefängnis gewesen. Er habe vor seiner Familie immer Angst gehabt. Er sei auch zu Hause bedroht worden. Weiteres Vorbringen des Antragstellers erfolgte mit Schreiben seiner Bevollmächtigten an das Bundesamt vom 1. April 2013 und vom 11. September 2015, in dem auch beantragt wurde, eine etwaige Sperrwirkung im Falle einer künftigen vollzogenen Abschiebung auf drei Monate nach der Abschiebung zu befristen.
Mit Bescheid vom … Februar 2016, zugestellt am 26. Februar 2016, lehnte das Bundesamt den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sowie den Antrag auf Asylanerkennung als offensichtlich unbegründet ab, lehnte zudem den Antrag auf subsidiären Schutz ab, und verneinte Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG. Der Antragsteller wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe des Bescheids zu verlassen. Für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise wurde die Abschiebung nach Kosovo oder in einen anderen Staat angedroht, in den der Antragsteller einreisen dürfe oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet sei. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde gemäß § 11 Abs. 7 AufenthG angeordnet und auf 10 Monate ab dem Tag der Ausreise befristet. Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet.
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Voraussetzungen für die Zuerkennung internationalen Schutzes und die Anerkennung als Asylberechtigter lägen offensichtlich nicht vor. Der Antragsteller stamme aus Kosovo, einem sicheren Herkunftsstaat im Sinne des Art. 16a Abs. 3 Satz 1 GG, § 29a Abs. 2 AsylG i. V. m. der Anlage II zum AsylG. Der Antragsteller habe nichts glaubhaft vorgetragen oder vorgelegt, was zu der Überzeugung gelangen ließe, dass entgegen der Einschätzung der allgemeinen Lage in seinem Herkunftsstaat in seinem Fall die Voraussetzungen für die Annahme einer begründeten Furcht vor Verfolgung erfüllt seien. Soweit der Antragsteller vortrage, er sei wegen seiner Volkszugehörigkeit oder aus sonstigen individuellen Gründen (potenzielles) Opfer von familiärer Einschüchterung und Bedrohung, könne dieses Vorbringen nicht zu Flüchtlingsschutz oder Asyl führen. Gegen rechtswidrige Übergriffe nichtstaatlicher Akteure stehe hinreichender staatlicher Schutz zur Verfügung. Einen lückenlosen Schutz vor möglicher Gewaltanwendung durch Dritte vermöge letztlich ab er kein Staatswesen zu gewährleisten. Im Übrigen könnte einer etwaigen regional bestehenden individuellen Gefährdung durch Wohnsitznahme in einem anderen Landesteil Kosovos oder auch in Serbien entgangen werden. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus lägen nicht vor. Weder von der kosovarischen Regierung noch durch nichtstaatliche Dritte sei eine unmenschliche Behandlung zu erwarten. Die nationalen und internationalen Sicherheitskräfte gewährleisteten grundsätzlich Schutz und Sicherheit. Der Vortrag des Antragstellers sei nicht geeignet, zu einem für ihn abweichenden Ergebnis einer dennoch bestehenden individuellen Gefährdung zu erlangen. Abschiebungsverbote lägen ebenfalls nicht vor. Die derzeitigen humanitären Bedingungen in Kosovo führten nicht zu der Annahme, dass bei Abschiebung des Antragstellers eine Verletzung von Art.3 EMRK vorliege. Wohnraum, wenn auch mitunter auf niedrigem Standard, stehe ausreichend zur Verfügung. Rückkehrer könnten zudem die Unterstützungen der in jeder Gemeinde eingerichteten Büros für Gemeinschaften und Rückkehrer (MOCR) in Anspruch nehmen und bedürftige Personen erhielten Unterstützung in Form von Sozialhilfe, die sich allerdings auf niedrigem Niveau bewege. Eine allgemein schwierige soziale und wirtschaftliche Lage begründe kein Abschiebungsverbot, sie müsse und könne vom Antragsteller ebenso wie von vielen seiner Landsleute gegebenenfalls unter Aufbietung entsprechender Aktivitäten bewältigt werden. Eine Rückkehr sei für den Antragsteller insofern zumutbar. Dem Antragsteller drohe auch keine individuelle Gefahr für Leib und Leben, die zur Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG führen würde.
Gegen diesen Bescheid erhoben die Bevollmächtigten des Antragstellers am 4. März 2016 Klage und beantragten gleichzeitig,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Z. 1-5 des streitgegenständlichen Bescheids anzuordnen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte, die Gerichtsakte im Klageverfahren M 16 K 16.30447 sowie auf die am 2. März gemäß § 36 Abs. 2 AsylG vorab vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage bleibt ohne Erfolg.
Der Antrag, die kraft Gesetzes (§ 75 Abs. 1 AsylG) ausgeschlossene aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung im streitgegenständlichen Bescheid des Bundesamts nach § 80 Abs. 5 VwGO anzuordnen, ist zulässig, insbesondere wurde die Wochenfrist des § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG gewahrt.
Der Antrag ist jedoch nicht begründet, da keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen (vgl. Art. 16a Abs. 4 GG, § 36 Abs. 4 AsylG).
Gemäß Art. 16a GG, § 36 Abs. 4 AsylG kann das Verwaltungsgericht auf Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO die Aussetzung der Abschiebung anordnen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen. Im Rahmen der Entscheidung über einen solchen Antrag ist im Hinblick auf den durch Art. 19 Abs. 4 GG gebotenen effektiven Rechtsschutz auch zu prüfen, ob das Bundesamt zu Recht davon ausgegangen ist, dass der geltend gemachte Anspruch auf Asylanerkennung bzw. auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG offensichtlich nicht besteht – wobei eine nur summarische Prüfung nicht ausreicht – und ob diese Ablehnung weiterhin Bestand haben kann (BVerfG, B. v. 2.5.1984 – 2 BvR 1413/83 – BVerfGE 67, 43 ff.). Offensichtlich unbegründet ist ein Asylantrag dann, wenn die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigter (Art. 16a GG) und die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft offensichtlich nicht vorliegen (§ 30 Abs. 1 AsylG). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts liegen ernstliche Zweifel i. S. v. Art. 16a Abs. 4 Satz 1 GG vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (BVerfG, U. v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – BVerfGE 94, 166 ff.). Dies ist nach ständiger Rechtsprechung dann anzunehmen, wenn an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen vernünftigerweise keine Zweifel bestehen, und bei einem solchen Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung sich die Abweisung geradezu aufdrängt (vgl. BVerfG, B. v. 5.2.1993 – 2 BvR 1294/92 – InfAuslR 1993, 196).
An der Rechtmäßigkeit der im vorliegenden Fall vom Bundesamt getroffenen Entscheidungen bestehen hier keine derartigen ernstlichen Zweifel.
Das Herkunftsland des Antragstellers, Kosovo, ist ein sicherer Herkunftsstaat (vgl. § 29a Abs. 2 AsylG und Anlage II zu § 29a AsylG). Die Gerichte sind an diese Einstufung gebunden, es sei denn, sie sind der Überzeugung, dass sich die Einstufung als verfassungswidrig erweist (BVerfG, U. v. 14.5.1996 – 2 BvR 1507/93 – juris Rn. 65). Verfassungs- oder europarechtliche Bedenken gegen die Einstufung von Kosovo als sicherer Herkunftsstaat sind nicht ersichtlich (vgl. z. B. VG München, B. v. 24.2.2016 – M 17 S 16.30199).
Der Antragsteller hat die durch § 29a AsylG normierte Nichtverfolgungsvermutung auch nicht durch den schlüssigen Vortrag von individuellen Verfolgungstatsachen erschüttern können. Er macht geltend, aufgrund seiner sexuellen Neigung von seinem Vater misshandelt und von seiner Familie verstoßen worden zu sein. Staatliche Verfolgungsmaßnahmen gibt er nicht an. Auch Übergriffe von Dritten hat der Antragsteller nicht vorgetragen. Um weiteren Übergriffen durch seine Familie zu entgehen, ist der Antragsteller darauf zu verweisen, sich an einem anderen Ort bzw. in einem anderen Landesteil niederzulassen und somit internen Schutz in Anspruch zu nehmen (vgl. § 3e AsylG).
Der Antragsteller hätte bei einer Rückkehr in den Kosovo die Möglichkeit, sich in einem anderen Landesteil niederzulassen, wenn er an seinem Herkunftsort weitere Übergriffe befürchtet (vgl. z. B. VG München, U. v. 5.2.2015 – M 17 K 14.31233; VG Würzburg, B. v. 29.11.2010 – W 1 S 10.30287 – juris Rn. 20; VG Gelsenkirchen, U. v. 30.5.2012 – 7a K 646/12.A – juris Rn. 20; VG Aachen, B. v. 18.7.2014 – 9 L 424/14.A – juris; VG Oldenburg, U. v. 10.4.2015 – 5 A 1688/14 – juris). Eine Übersiedelung in andere Teile des Landes unterliegt keinen rechtlichen Einschränkungen (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Kosovo; Stand: September 2015 – Lagebericht -, S. 17). Dabei ist davon auszugehen, dass der Antragsteller insbesondere in größeren und damit anonymeren Städten, etwa im Bereich der Hauptstadt Pristina, mit überwiegender Wahrscheinlichkeit vor einer etwaigen Verfolgung durch Familienmitglieder sicher wäre. Der Antragsteller hat insoweit nur pauschal angegeben, in Pristina lebe sei Bruder, der ihn sowieso finden würde, ohne dies näher darzulegen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Pristina. mit mehr als 160.000 Einwohnern eine Großstadt ist und auch die zweitgrößte Stadt, Prizren, knapp 100.000 Einwohner besitzt. Die Begründung eines neuen Wohnsitzes im Kosovo ist dem – arbeitsfähigen – Antragsteller auch zumutbar. Es ist nämlich davon auszugehen, dass er unter der Voraussetzung, dass er sich am neuen Wohnort registrieren lässt, dort sowohl Zugang zu einer nötigenfalls das Existenzminimum sichernden Sozialhilfe als auch zu evtl. erforderlichen medizinischen Versorgung hat (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht, S. 19 f.; vgl. auch VG Oldenburg, U. v. 10.4.2015 – 5 A 1688/14 – juris Rn. 30; VG Regensburg, U. v. 18.2.2015 – RO 6 K 14.30903 – juris Rn. 20 f.; VG Gelsenkirchen, B. v. 30.11.2015 – 13a L 2327/15.A – juris Rn. 11 m. w. N.).
Der Antragsteller hat daher in seinem konkreten Fall die gesetzliche Vermutung des Art. 16a Abs. 3 Satz 2 GG bzw. des § 29a Abs. 1 AsylVfG nicht widerlegt.
Gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG i. V. m. § 3e AsylG sind wegen Bestehens internen Schutzes auch die Voraussetzungen für die Zuerkennung subsidiären Schutzes nicht erfüllt.
Das Bundesamt hat auch zu Recht das Vorliegen von Abschiebungsverboten gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG verneint. Das Gericht nimmt insoweit auf die Begründung des Bundesamts Bezug (§ 77 Abs. 2 AsylG), der es folgt. Ergänzend ist auszuführen, dass für den Antragsteller im Hinblick auf eine evtl. von seiner Familie ausgehende konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit – wie dargestellt – eine innerstaatliche Fluchtalternative offensteht (vgl. auch VG Regensburg, U. v. 18.2.2015 – RO 6 K 14.30903 – juris Rn. 26).
Auch die nach Maßgabe der §§ 34, 36 Abs. 1 Satz 1 AsylG i. V. m. § 59 AufenthG erlassene Abschiebungsandrohung und die dort gesetzte Ausreisefrist sind nicht zu beanstanden.
Der Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
Das Verfahren ist nach § 83b AsylG gerichtskostenfrei.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).

Jetzt teilen:

Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen