Aktenzeichen M 24 K 16.2802
VwGO § 86 Abs. 1 S. 1
Leitsatz
Für die Ermittlung derjenigen Umstände, die für eine länderübergreifende Umverteilung sprechen, ist die jeweilige Klagepartei prozessual heranzuziehen. Sie hat derartige Umstände nicht nur substantiiert darzulegen, sondern auch zu belegen. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg.
1. Über die Klage konnte nach vorheriger Anhörung gemäß § 84 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entschieden werden, da die Streitsache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist.
2. Das Verwaltungsgericht München ist zur Entscheidung über die Klage örtlich zuständig nach § 52 Nr. 2 Satz 3 VwGO. Es handelt sich vorliegend um eine Streitigkeit nach dem Asylgesetz (AsylG), weil für die Entscheidung des Rechtsstreits § 51 AsylG maßgeblich ist – unabhängig davon, ob dessen Voraussetzungen erfüllt sind. Die Kläger hatten im maßgeblichen Zeitpunkt des Eintritts der Rechtshängigkeit (§ 83 VwGO i.V.m. § 17 Abs. 1 Satz 1 Gerichtsverfassungsgesetz – GVG) ihren Aufenthalt im Regierungsbezirk Oberbayern und damit im Gerichtsbezirk (Art. 1 Abs. 2 Nr. 1 des Gesetzes zur Ausführung der Verwaltungsgerichtsordnung – AGVwGO) zu nehmen.
Aufgrund des Übertragungsbeschlusses der Kammer vom 22. November 2016 ist der Einzelrichter zur Entscheidung über die Klage berufen (§ 76 Abs. 1 AsylG).
3. Streitgegenstand sind vorliegend die beiden an den Kläger zu 1) und die Klägerin zu 2) adressierten Bescheide der Beklagten vom 7. Juni 2016. Die Klage wurde im Namen beider Kläger erhoben; dem Klageschriftsatz vom 23. Juni 2016 lagen beide Bescheide als Anlage bei. Soweit im Klageantrag formuliert wurde, dass der Bescheid (anstelle die Bescheide) des Beklagten vom 7. Juni 2016 aufgehoben wird, erachtet das Gericht dies für ein Schreibversehen und legt den Klageantrag im o.g. Sinne aus (§ 88 VwGO).
4. Das Gericht geht davon aus, dass die so verstandene Klage zulässig ist, insbesondere die Klagefrist gewahrt wurde. Nach § 4 Abs. 2 Satz 2 Verwaltungszustellugnsgesetz (VwZG) gilt das zuzustellende Dokument am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als zugestellt, es sei denn, dass es nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist. Ein Nachweis über die Zustellung der jeweils an die Kläger adressierten Bescheide vom 7. Juni 2016 oder ein Vermerk über die Aufgabe der Bescheide zur Post befindet sich nicht in der vorgelegten Behördenakte. Da die Zustellungsfiktion jedoch frühestens am 10. Juni 2016 eintreten konnte, selbst wenn die Bescheide bereits am Tag des Erlasses, also am 7. Juni 2016, zur Post gegeben wurden, wurde die Klage am 23. Juni 2016 auf jeden Fall rechtzeitig erhoben.
5. Die Klage ist jedoch unbegründet, da die streitgegenständlichen Bescheide der Beklagten vom 7. Juni 2016 nicht rechtswidrig sind und die Kläger nicht in ihren Rechten verletzten; die Kläger haben keinen Anspruch auf länderübergreifende Umverteilung nach § 51 AsylG (§ 113 Abs. 5 VwGO).
5.1. Grundsätzlich hat ein Ausländer, der um Asyl nachsucht, keinen Anspruch darauf, sich in einem bestimmten Land oder an einem bestimmten Ort aufzuhalten (§ 55 Abs. 1 Satz 2 AsylG). Gemäß § 51 Abs. 1 AsylG ist jedoch, wenn der Ausländer nicht oder nicht mehr verpflichtet ist, in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen, der Haushaltsgemeinschaft von Ehegatten sowie Eltern und ihren minderjährigen ledigen Kindern oder sonstigen humanitären Gründen von vergleichbarem Gewicht auch durch länderübergreifende Umverteilung Rechnung zu tragen. Geht es um die Aufnahme von familiären Beziehungen Volljähriger (also „Über“-18-Jährigen), müssen diese ähnliches Gewicht aufweisen, wie das Verhältnis zwischen Ehegatten oder zwischen Eltern und ihren ledigen Kindern „unter“ 18 Jahren. Dies kann der Fall sein, wenn die betreffende Person auf die Lebenshilfe der anderen aufgrund Krankheit, Schwangerschaft, Alter, Gebrechlichkeit oder mangelnder Deutschkenntnisse angewiesen ist. Die Entscheidung über die Verteilung ist dabei grundsätzlich in das Ermessen der zuständigen Behörde gestellt (Sächsisches OVG, B.v. 7.4.1999 – A 4 S 78/98 – juris Rn. 4). Es ist allerdings in den von § 51 Abs. 1 AsylG erfassten Fallgestaltungen in der Regel gebunden (Sächsisches OVG, Beschluss vom 7.4.1999, a.a.O., juris, Rn. 4, VGH Baden-Württemberg, U.v. 2.2.2006 – A 12 S 929/05 – juris Rn. 17).
Prozessual ist dabei für die Ermittlung derjenigen Umstände, die für eine länderübergreifende Umverteilung sprechen, die jeweilige Klagepartei gemäß § 86 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 VwGO „heranzuziehen“. Daraus resultiert eine „Mitwirkungspflicht“ der Klagepartei. Diese hat derartige Umstände nicht nur substantiiert darzulegen, sondern auch zu belegen. Insbesondere bei Krankheit und Pflegebedürftigkeit der jeweiligen Klagepartei oder im persönlichen Umfeld der Klagepartei setzt dies regelmäßig voraus, dass nicht nur die konkrete Art der Erkrankung benannt (und belegt) wird, sondern darüber hinaus auch, dass beschrieben (und belegt) wird, welche Art von Pflegeerfordernis aus der jeweiligen Erkrankung resultiert und dass und auf welche Art und Weise diese Pflege zwischen den nahestehenden Personen bewerkstelligt werden kann.
5.2. Daran fehlt es im vorliegenden Fall. Weil die volljährigen Kläger die Umverteilung zu ihren volljährigen Söhnen bzw. Brüdern begehren, kommt es tatbestandlich auf das Vorliegen „sonstiger humanitäre Gründe von vergleichbarem Gewicht“ an.
Im Hinblick auf die Klägerin zu 2) wurde das Vorliegen derartiger Umstände nicht einmal ansatzweise behauptet. Der Umverteilungsantrag wurde im Wesentlichen mit der Herzerkrankung des Klägers zu 1) begründet. Wie die Beklagte in dem an den Kläger zu 1) adressierten Bescheid vom 7. Juni 2016 aber zu Recht ausgeführt hat, ist durch die vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen nicht schlüssig dargelegt und glaubhaft gemacht worden, dass in gesundheitlicher Hinsicht besondere Hilfs- und Pflegebedürftigkeit des Klägers zu 1) bestehe. Auch ist nicht erkennbar, welchen entscheidenden therapeutischen Gewinn eine Umverteilung bringen würde und ob die Verwandten tatsächlich fähig und bereit wären, die erforderlichen Pflegeleistungen im notwenigen Umfang zu erbringen. Zudem ist nicht ersichtlich, warum nicht auch die Klägerin zu 2) die etwaigen Hilfs- und Pflegeleistungen erbringen könne. Auch im Rahmen des Klageverfahrens wurden seitens der Bevollmächtigten hierzu keine weiteren Ausführungen getätigt. Die angekündigte ausführliche Klagebegründung erfolgte nicht. Deshalb ist nicht von einem sonstigen humanitären Grund von vergleichbarem Gewicht i.S.v. § 51 Abs. 1 AsylG auszugehen.
5.3. Darauf, ob die Kläger mittlerweile einen förmlichen Asylantrag beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gestellt haben und ob sie nicht oder nicht mehr verpflichtet sind, in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen, also die weiteren Tatbestandsvoraussetzungen des § 51 Abs. 1 AsylG erfüllt sind, kommt es somit nicht entscheidungserheblich an.
6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
7. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. Zivilprozessordnung (ZPO).