Verwaltungsrecht

Landesinterne Umverteilung bereits erstverteilter Asylbewerber aus einem sicheren Herkunftsstaat zurück in eine Aufnahmeeinrichtung

Aktenzeichen  M 24 S 16.528

Datum:
3.3.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 132837
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
DVAsyl § 8
AsylG § 47 Abs. 1a, § 75 Abs. 1, § 76 Abs. 4 S. 1
VwGO § 80 Abs. 5

 

Leitsatz

Gründe, die zu einem Ende der aus § 47 Abs. 1 AsylG (aF) folgenden Wohnpflicht geführt haben, führen nicht dazu, dass eine spätere Umverteilung auf Grundlage des § 47 Abs. 1a S. 1 AsylG nicht mehr erfolgen kann. (Rn. 15 – 19) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragsteller haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Die Antragsteller sind albanische Staatsangehörige, die als Asylbewerber in einer ihnen zugewiesenen Wohnung in … wohnen.
Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 27. Januar 2016 wies die Regierung von Oberbayern den Antragstellern als künftigen Wohnsitz die Ankunfts- und Rückführungseinrichtung I Bayern (… I) in … zu, in die sie spätestens eine Woche nach Zustellung des Bescheides einzuziehen hätten. Es bestehe ein überwiegendes öffentliches Interesse im Sinne von § 8 Abs. 1 Satz 1 DVAsyl daran, die Antragsteller von der Anschlussunterbringung in die zuständige Aufnahmeeinrichtung umzuverteilen und dadurch der Wohnpflicht des § 47 Abs. 1a AsylG Geltung zu verschaffen.
Am 8. Februar 2016 erhoben die Antragsteller zur Niederschrift in der Rechtsantragstelle des Gerichts Klage mit dem Antrag, den Bescheid der Regierung von Oberbayern vom 27. Januar 2016 aufzuheben. Über die unter dem Aktenzeichen M 24 K 16.527 bei Gericht anhängige Klage wurde noch nicht entschieden. Zugleich beantragten die Antragsteller,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Zur Begründung wurde auf die in Kopie beigefügten Unterlagen, insbesondere Arztbriefe und -berichte Bezug genommen. Die Familie befinde sich in laufender ärztlicher Behandlung, weshalb ein Umzug derzeit nicht zumutbar sei. Der Klage und dem Antrag beigefügt waren eine histopathologische Begutachtung der Gemeinschaftspraxis Pathologie … vom 16. Dezember 2015 und ein Kurzarztbrief des Klinikums …Pränatalmedizin vom 14. Dezember 2015 im Hinblick auf „chronische Unterbauchbeschwerden„der Antragstellerin zu 2).
Mit Schreiben vom 18. Februar 2016 beantragte der Antragsgegner, die Klage abzuweisen und den Antrag abzulehnen.
Aus den Unterlagen würden sich keinerlei Hinweise ergeben, dass sich die Familie in „laufender ärztlicher Behandlung“ befinde. Auch in … sei eine medizinische Versorgung sichergestellt. Die Behauptung, ein Umzug sei derzeit nicht zumutbar, sei völlig unsubstantiiert.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten M 24 K 16.527 und M 24 S 16.528 Bezug genommen.
II.
1. Mit ihrem Antrag begehren die Antragsteller die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die kraft Gesetzes (§ 75 Abs. 1 AsylG) sofort vollziehbare Zuweisungsentscheidung im Bescheid vom 27. Januar 2016.
2. Das Verwaltungsgericht … ist zur Entscheidung über diesen Antrag als Gericht der Hauptsache sachlich zuständig gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. § 45 VwGO; seine örtliche Zuständigkeit ergibt sich aus § 52 Nr. 2 Satz 3 VwGO. Es handelt sich vorliegend um eine Streitigkeit nach dem Asylgesetz, da Kern der Streitigkeit eine Vorschrift des Asylgesetzes, nämlich § 47 Abs. 1a Satz 1 AsylG, ist (BayVGH, B.v. 9.12.2005 – 21 CS 15.30249 – juris Rn. 4). Die Antragsteller hatten im maßgeblichen Zeitpunkt des Eintritts der Rechtshängigkeit (vgl. § 83 Satz 1 VwGO i.V.m. § 17 Abs. 1 Satz 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes – GVG – ihren Aufenthalt nach dem Asylgesetz im Regierungsbezirk Oberbayern (… I in ……) und damit im Gerichtsbezirk (Art. 1 Abs. 2 Nr. 1 des Gesetzes zur Ausführung der Verwaltungsgerichtsordnung – AGVwGO) zu nehmen.
Zur Entscheidung über den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz ist der Berichterstatter als Einzelrichter berufen (§ 76 Abs. 4 Satz 1 AsylG).
3. Der zulässige Antrag ist unbegründet und war daher abzulehnen.
3.1. Bei der Entscheidung über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage nach § 80 Abs. 5 VwGO hat das Gericht abzuwägen zwischen dem gesetzlich bestimmten öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des Bescheides und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs. Im Rahmen dieser Interessenabwägung sind die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Ergibt die im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO allein mögliche, aber auch ausreichende summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage, dass die Klage voraussichtlich erfolglos bleiben wird, tritt das Interesse eines Antragstellers regelmäßig zurück. Erweist sich dagegen der angefochtene Bescheid schon bei summarischer Prüfung als offensichtlich rechtswidrig, besteht kein öffentliches Interesse an dessen sofortiger Vollziehung. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens nicht hinreichend absehbar, verbleibt es bei der Interessenabwägung.
3.2. Nach summarischer Prüfung ist vorliegend davon auszugehen, dass sich der streitgegenständliche Bescheid als rechtmäßig erweisen und die Klage der Antragsteller deshalb voraussichtlich erfolglos bleiben wird, so dass das staatliche Vollzugsinteresse das Interesse der Antragsteller an der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage überwiegt.
3.2.1. Rechtsgrundlage der im streitgegenständlichen Bescheid von Amts wegen verfügten landesinternen Umverteilung ist § 8 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 Asyldurchführungsverordnung (DVAsyl). Nach dieser Vorschrift kann aus Gründen des öffentlichen Interesses durch die insoweit nach § 8 Abs. 2 Satz 2 DVAsyl zuständige Regierung, in deren Bezirk die Verteilung erfolgen soll, landesintern eine Umverteilung in einen anderen Landkreis oder eine andere kreisfreie Gemeinde im selben oder in einem anderen Regierungsbezirk erfolgen.
Dass öffentliche Interesse i.S.v. § 8 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 DVAsyl (i.V.m. § 8 Abs. 5 DVAsyl i.V.m. Art. 4 Abs. 1 Aufnahmegesetz (AufnG)) ergibt sich vorliegend aus § 47 Abs. 1a Satz 1 AsylG. Nach dieser Vorschrift sind (abweichend von § 47 Abs. 1 AsylG, wonach Asylbewerber längstens sechs Monate zum Aufenthalt in einer Aufnahmeeinrichtung verpflichtet sind) Ausländer aus einem sicheren Herkunftsstaat i.S.v. § 29a AsylG i.V.m. Anlage II zum AsylG verpflichtet, bis zur Entscheidung des Bundesamtes über den Asylantrag und im Falle der Ablehnung des Asylantrags nach § 29a AsylG als offensichtlich unbegründet oder nach § 27a AsylG als unzulässig bis zur Ausreise oder bis zum Vollzug der Abschiebungsandrohung oder -anordnung in der für ihre Aufnahme zuständigen Aufnahmeeinrichtung zu wohnen. Nach § 47 Abs. 1a Satz 2 AsylG bleiben die §§ 48 bis 50 AsylG unberührt.
Die ohne Übergangsregelung seit Inkrafttreten des Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes vom 20. Oktober 2015 am 24. Oktober 2015 verbindliche Regelung des § 47 Abs. 1a AsylG findet dabei auch auf solche Asylbewerber Anwendung, die ihren Asylantrag vor dem 24. Oktober 2015 gestellt haben und vor diesem Tag aus der Aufnahmeeinrichtung heraus erstverteilt worden sind. Die Einzelrichterin schließt sich insoweit den Ausführungen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (in BayVGH, B.v. 9.12.2015 – 21 CS 15.30249 – juris Rn. 7) an:
Die Bestimmung des § 47 Abs. 1a Satz 2 AsylG, wonach die §§ 48 bis 50 AsylG unberührt bleiben, spricht für sich genommen nicht gegen die Annahme des Beklagten, dass auch solche Ausländer aus einem sicheren Herkunftsstaat der neu geschaffenen Wohnpflicht unterliegen, die bereits auf die Regierungsbezirke verteilt wurden. Damit ist lediglich bestimmt, dass die Wohnpflicht des § 47 Abs. 1a Satz 1 AsylG aus den in den §§ 48 bis 50 AsylG geregelten Gründen endet. Es kann jedoch nicht ohne Weiteres angenommen werden, dass die Gründe, die zu einem Ende der aus § 47 Abs. 1 (a.F.) folgenden Wohnpflicht geführt haben, auch einer späteren Umverteilung in eine auf der Grundlage des § 47 Abs. 1a Satz 1 AsylG bestehende Aufnahmeeinrichtung entgegenstehen. Denn diese Aufnahmeeinrichtungen wurden eigens für den Zweck geschaffen, bei Personen ohne flüchtlingsrelevanten Schutzbedarf – wie den Antragstellern – eine abschließende sowie im Ergebnis schnellere Bearbeitung der Asylverfahren und eine raschere Beendigung des Aufenthalts zu gewährleisten (vgl. BT-Drs. 18/6185 S. 33 f.).
Die Antragsteller sind als albanische Staatsangehöriger auch Ausländer aus einem sicheren Herkunftsstaat i.S.v. § 47 Abs. 1a, §§ 29a AsylG i.V.m. der Anlage II zum AsylG. Dass sie aufgrund einer (abweichend von § 29a Abs. 1 Halbs. 1 AsylG) positiven Entscheidung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge nicht mehr verpflichtet wären, in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen, wurde weder vorgetragen noch ist dies sonst ersichtlich.
Die im Regierungsbezirk Oberbayern in … gelegene … I ist dabei auch eine Aufnahmeeinrichtung i.S.v. § 47 Abs. 1a, § 44 Abs. 1 AsylG, wobei vorliegend dahinstehen kann, ob sie als Dependance zur in § 3 Satz 1 Nr. 2 DVAsyl genannten „Aufnahmeeinrichtung …“ oder als eigenständige zusätzliche Aufnahmeeinrichtung im Regierungsbezirk Oberbayern nach § 3 Satz 3 DVAsyl anzusehen ist.
3.2.2. Dass sonstige humanitäre Gründe von vergleichbarem Gewicht i.S.v. § 47 Abs. 1a Satz 2 i.V.m. § 50 Abs. 4 Satz 5 AsylG bzw. § 8 Abs. 6 DVAsyl bei den Antragstellern vorliegen würden, die die Umverteilungsentscheidung rechtswidrig erscheinen ließen, ist nicht ersichtlich. Insbesondere ist durch die vorgelegten Unterlagen, insbesondere den Kurzarztbrief vom 14. Dezember 2015, nicht einmal ansatzweise dargelegt, dass und aufgrund welcher körperlicher Beschwerden den Antragstellern, insbesondere der Antragstellerin zu 2), ein Umzug von … nach … derzeit nicht zumutbar sei. Dass eine Behandlung der Antragstellerin zu 2) nicht auch in … möglich sei, wurde nicht einmal geltend gemacht und ist auch sonst nicht ersichtlich.
3.2.3. Der streitgegenständliche Bescheid leidet auch nicht unter Ermessensfehlern (§ 114 VwGO). Die vorliegende landesinterne Umverteilungsentscheidung bedarf gemäß § 8 Abs. 4 i.V.m. § 7 Abs. 4 Satz 2 DVAsyl i.V.m. § 50 Abs. 4 Satz 3 i.V.m. § 47 Abs. 1a Satz 2 AsylG zum einen von vornherein keiner expliziten Begründung. Zudem ist auch nicht ersichtlich, dass der Bescheid vom 27. Januar 2016 auf ermessensfehlerhaften Erwägungen beruhen könnte; vielmehr dient er der Umsetzung der bundesrechtlich in § 47 Abs. 1a AsylG verankerten Pflicht der Antragsteller, (wieder) in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).

Jetzt teilen:

Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen