Aktenzeichen M 24 S 16.464
AsylG AsylG § 29a, § 47 Abs. 1a
Leitsatz
Die ohne Übergangsregelung seit Inkrafttreten des Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes vom 20.10.2015 am 24.10.2015 verbindliche Regelung des § 47 Abs. 1a AsylG findet auch auf solche Asylbewerber Anwendung, die ihren Asylantrag vor dem 24.10.2015 gestellt haben und vor diesem Tag aus der Aufnahmeeinrichtung heraus erstverteilt worden sind (ebenso VGH München BeckRS 2016, 40766). (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Die Antragsteller haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gründe
I.
Die Antragsteller sind albanische Staatsangehörige, die als Asylbewerber in einer ihnen zugewiesenen Wohnung (privat/dezentral) in … wohnen.
Mit streitgegenständlichem Bescheid vom … Januar 2016 wies die Regierung von Oberbayern den Antragstellern und ihren Kindern als künftigen Wohnsitz die Ankunfts- und Rückführungseinrichtung I Bayern (ARE I) in … zu, in die sie spätestens eine Woche nach Zustellung des Bescheides einzuziehen hätten. Es bestehe ein überwiegendes öffentliches Interesse im Sinne von § 8 Abs. 1 Satz 1 DVAsyl daran, die Antragsteller von der Anschlussunterbringung in die zuständige Aufnahmeeinrichtung umzuverteilen und dadurch der Wohnpflicht des § 47 Abs. 1a AsylG Geltung zu verschaffen.
Mit am 3. Februar 2016 bei Gericht eingegangenem Telefax erhoben die Antragsteller durch ihre Bevollmächtigte Klage mit dem Antrag, den Bescheid der Regierung von Oberbayern vom … Januar 2016 aufzuheben. Über die unter dem Aktenzeichen M 24 K 16.463 bei Gericht anhängige Klage wurde noch nicht entschieden. Zugleich beantragten die Antragsteller,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Zur Begründung wurde auf in der Anlage beigefügte ärztliche Bescheinigungen Bezug genommen, aus denen hervorgehe, dass die Antragsteller nicht reisefähig seien. Dabei handelt es sich um ein ärztliches Attest der Fachärzte für Allgemeinmedizin vom … Februar 2016, wonach der Antragsteller zu 2) „aufgrund körperlicher Beschwerden derzeit für 6 Wochen nicht reisefähig sei und dringend fachärztliche Abklärung seiner Symptome bedürfe“. Im Hinblick auf die beiden Kinder der Antragsteller zu 1) und zu 2) wurde eine Bestätigung der Grundschulrektorin vom … Februar 2016 vorgelegt, wonach diese seit … Mai 2015 die Grundschule … in … besuchen würden, sich problemlos in die jeweilige Klassengemeinschaft eingegliedert hätten und sehr lernwillig und fleißig seien. Zum Wohl der Kinder wäre es sehr wichtig, sie in ihrer gewohnten Schulumgebung zu belassen. Die Familie sei sehr um Integration bemüht und füge sich unproblematisch in die Schulgemeinschaft ein. Eine weitere Begründung des Antrags „in Kürze“ wurde angekündigt.
Mit Schreiben vom 26. Februar 2016 beantragte der Antragsgegner, die Klage abzuweisen und
den Antrag abzulehnen.
Die angekündigte Begründung des Antrags und die ärztlichen Bescheinigungen lägen ihm nicht vor. Auf die behauptete Reisefähigkeit käme es jedoch in diesem Verfahren nicht an. Gegenstand dieses Verfahrens sei der Umzug und die künftige Wohnungsnahme in …, dafür müssten die Antragsteller nicht reise-, sondern nur transportfähig sein. Dass dies nicht der Fall sei, sei schon nicht behauptet worden. Dass die Kinder der Antragsteller an ihrem jetzigen Wohnort die Schule besucht hätten, stehe einer Umverteilung ebenfalls nicht entgegen. Eine ausreichende Beschulung sei auch in der ARE sichergestellt. Ein am 25. Februar 2016 erschienener Zeitungsbericht, in dem Gegenteiliges behauptet wurde, sei nachweislich falsch und werde in Kürze auch offiziell berichtigt. Ein Anspruch auf Besuch einer Regelschule sei insbesondere vor dem Hintergrund der unsicheren Aufenthaltsperspektive nicht ersichtlich. Der Antragserwiderung beigefügt war ein regierungsinternes Schreiben vom 26. Februar 2016, wonach jedes Kind in der ARE I 12 Stunden Unterricht in den Fächern Mathe, Musik, Kunst, WTG, Englisch und HSU erhalte. Der Unterricht erfolge grundsätzlich in Deutsch, der Erstkontakt der Lehrkraft erfolge jedoch oft in Englisch, wenn die Kinder nur Englisch verstünden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten M 24 K 16.463 und M 24 S 16.464 Bezug genommen.
II.
1. Mit ihrem Antrag begehren die Antragsteller die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die kraft Gesetzes (§ 75 Abs. 1 AsylG) sofort vollziehbare Zuweisungsentscheidung im Bescheid vom … Januar 2016.
2. Das Verwaltungsgericht München ist zur Entscheidung über diesen Antrag als Gericht der Hauptsache sachlich zuständig gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 i. V. m. § 45 VwGO; seine örtliche Zuständigkeit ergibt sich aus § 52 Nr. 2 Satz 3 VwGO. Es handelt sich vorliegend um eine Streitigkeit nach dem Asylgesetz, da Kern der Streitigkeit eine Vorschrift des Asylgesetzes, nämlich § 47 Abs. 1a Satz 1 AsylG, ist (BayVGH, B. v. 9.12.2005 – 21 CS 15.30249 – juris Rn. 4). Die Antragsteller hatten im maßgeblichen Zeitpunkt des Eintritts der Rechtshängigkeit (vgl. § 83 Satz 1 VwGO i. V. m. § 17 Abs. 1 Satz 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes – GVG – ihren Aufenthalt nach dem Asylgesetz im Regierungsbezirk Oberbayern (ARE I in …) und damit im Gerichtsbezirk (Art. 1 Abs. 2 Nr. 1 des Gesetzes zur Ausführung der Verwaltungsgerichtsordnung – AGVwGO) zu nehmen.
Zur Entscheidung über den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz ist der Berichterstatter als Einzelrichter berufen (§ 76 Abs. 4 Satz 1 AsylG).
3. Der zulässige Antrag ist unbegründet und war daher abzulehnen.
3.1. Bei der Entscheidung über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage nach § 80 Abs. 5 VwGO hat das Gericht abzuwägen zwischen dem gesetzlich bestimmten öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des Bescheides und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs. Im Rahmen dieser Interessenabwägung sind die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Ergibt die im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO allein mögliche, aber auch ausreichende summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage, dass die Klage voraussichtlich erfolglos bleiben wird, tritt das Interesse eines Antragstellers regelmäßig zurück. Erweist sich dagegen der angefochtene Bescheid schon bei summarischer Prüfung als offensichtlich rechtswidrig, besteht kein öffentliches Interesse an dessen sofortiger Vollziehung. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens nicht hinreichend absehbar, verbleibt es bei der Interessenabwägung.
3.2. Nach summarischer Prüfung ist vorliegend davon auszugehen, dass sich der streitgegenständliche Bescheid als rechtmäßig erweisen und die Klage der Antragsteller deshalb voraussichtlich erfolglos bleiben wird, so dass das staatliche Vollzugsinteresse das Interesse der Antragsteller an der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage überwiegt.
3.2.1. Rechtsgrundlage der im streitgegenständlichen Bescheid von Amts wegen verfügten landesinternen Umverteilung ist § 8 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 Asyldurchführungs-verordnung (DVAsyl). Nach dieser Vorschrift kann aus Gründen des öffentlichen Interesses durch die insoweit nach § 8 Abs. 2 Satz 2 DVAsyl zuständige Regierung, in deren Bezirk die Verteilung erfolgen soll, landesintern eine Umverteilung in einen anderen Landkreis oder eine andere kreisfreie Gemeinde im selben oder in einem anderen Regierungsbezirk erfolgen.
Dass öffentliche Interesse i. S. v. § 8 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 DVAsyl (i. V. m. § 8 Abs. 5 DVAsyl i. V. m. Art. 4 Abs. 1 Aufnahmegesetz (AufnG)) ergibt sich vorliegend aus § 47 Abs. 1a Satz 1 AsylG. Nach dieser Vorschrift sind (abweichend von § 47 Abs. 1 AsylG, wonach Asylbewerber längstens sechs Monate zum Aufenthalt in einer Aufnahmeeinrichtung verpflichtet sind) Ausländer aus einem sicheren Herkunftsstaat i. S. v. § 29a AsylG i. V. m. Anlage II zum AsylG verpflichtet, bis zur Entscheidung des Bundesamtes über den Asylantrag und im Falle der Ablehnung des Asylantrags nach § 29a AsylG als offensichtlich unbegründet oder nach § 27a AsylG als unzulässig bis zur Ausreise oder bis zum Vollzug der Abschiebungsandrohung oder -anordnung in der für ihre Aufnahme zuständigen Aufnahmeeinrichtung zu wohnen. Nach § 47 Abs. 1a Satz 2 AsylG bleiben die §§ 48 bis 50 AsylG unberührt.
Die ohne Übergangsregelung seit Inkrafttreten des Asylverfahrensbeschleunigungs-gesetzes vom 20. Oktober 2015 am 24. Oktober 2015 verbindliche Regelung des § 47 Abs. 1a AsylG findet dabei auch auf solche Asylbewerber Anwendung, die ihren Asylantrag vor dem 24. Oktober 2015 gestellt haben und vor diesem Tag aus der Aufnahmeeinrichtung heraus erstverteilt worden sind. Die Einzelrichterin schließt sich insoweit den Ausführungen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (in BayVGH, B. v. 9.12.2015 – 21 CS 15.30249 – juris Rn. 7) an:
Die Bestimmung des § 47 Abs. 1a Satz 2 AsylG, wonach die §§ 48 bis 50 AsylG unberührt bleiben, spricht für sich genommen nicht gegen die Annahme des Beklagten, dass auch solche Ausländer aus einem sicheren Herkunftsstaat der neu geschaffenen Wohnpflicht unterliegen, die bereits auf die Regierungsbezirke verteilt wurden. Damit ist lediglich bestimmt, dass die Wohnpflicht des § 47 Abs. 1a Satz 1 AsylG aus den in den §§ 48 bis 50 AsylG geregelten Gründen endet. Es kann jedoch nicht ohne Weiteres angenommen werden, dass die Gründe, die zu einem Ende der aus § 47 Abs. 1 (a. F.) folgenden Wohnpflicht geführt haben, auch einer späteren Umverteilung in eine auf der Grundlage des § 47 Abs. 1a Satz 1 AsylG bestehende Aufnahmeeinrichtung entgegenstehen. Denn diese Aufnahmeeinrichtungen wurden eigens für den Zweck geschaffen, bei Personen ohne flüchtlingsrelevanten Schutzbedarf – wie den Antragstellern – eine abschließende sowie im Ergebnis schnellere Bearbeitung der Asylverfahren und eine raschere Beendigung des Aufenthalts zu gewährleisten (vgl. BT-Drs. 18/6185 S. 33 f.).
Die Antragsteller sind als albanische Staatsangehöriger auch Ausländer aus einem sicheren Herkunftsstaat i. S. v. § 47 Abs. 1a, §§ 29a AsylG i. V. m. der Anlage II zum AsylG. Dass sie aufgrund einer (abweichend von § 29a Abs. 1 Halbs. 1 AsylG) positiven Entscheidung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge nicht mehr verpflichtet wären, in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen, wurde weder vorgetragen noch ist dies sonst ersichtlich.
Die im Regierungsbezirk Oberbayern in … gelegene ARE I ist dabei auch eine Aufnahmeeinrichtung i. S. v. § 47 Abs. 1a, § 44 Abs. 1 AsylG, wobei vorliegend dahinstehen kann, ob sie als Dependance zur in § 3 Satz 1 Nr. 2 DVAsyl genannten „Aufnahmeeinrichtung München“ oder als eigenständige zusätzliche Aufnahmeeinrichtung im Regierungsbezirk Oberbayern nach § 3 Satz 3 DVAsyl anzusehen ist.
3.2.2. Dass sonstige humanitäre Gründe von vergleichbarem Gewicht i. S. v. § 47 Abs. 1a Satz 2 i. V. m. § 50 Abs. 4 Satz 5 AsylG bzw. § 8 Abs. 6 DVAsyl bei den Antragstellern vorliegen würden, die die Umverteilungsentscheidung rechtswidrig erscheinen ließen, ist nicht ersichtlich. Insbesondere ist durch das – nach Erhalt der Zuweisungsentscheidung vom … Januar 2016 ausgestellte – ärztliche Attest vom … Februar 2016 nicht substantiiert nachgewiesen, dass und aufgrund welcher körperlicher Beschwerden der Antragsteller zu 2) – im Hinblick auf einen innerbayerischen Umzug von … nach … – transportunfähig sei. Wie vom Antragsgegner im Schreiben vom 26. Februar 2016 dargelegt, besteht auch in der ARE I ein adäquates Beschulungsangebot.
3.2.3. Der streitgegenständliche Bescheid leidet auch nicht unter Ermessensfehlern (§ 114 VwGO). Die vorliegende landesinterne Umverteilungsentscheidung bedarf gemäß § 8 Abs. 4 i. V. m. § 7 Abs. 4 Satz 2 DVAsyl i. V. m. § 50 Abs. 4 Satz 3 i. V. m. § 47 Abs. 1a Satz 2 AsylG zum einen von vornherein keiner expliziten Begründung. Zudem ist auch nicht ersichtlich, dass der Bescheid vom … Januar 2016 auf ermessensfehlerhaften Erwägungen beruhen könnte; vielmehr dient er der Umsetzung der bundesrechtlich in § 47 Abs. 1a AsylG verankerten Pflicht der Antragsteller, (wieder) in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).
…