Aktenzeichen M 24 K 16.2170
AsylG AsylG § 47 Abs. 1a
BayVwVfG BayVwVfG Art. 49 Abs. 2
VwGO VwGO § 114
Leitsatz
Bei der landesinternen Umverteilung eines bereits erstverteilten Asylbewerbers aus einem sicheren Herkunftsstaat zurück in eine Aufnahmeeinrichtung nach vorangegangener Gestattung der privaten Wohnsitznahme hat die Behörde Ermessen auszuüben. (redaktioneller Leitsatz)
Bei der Gestattung der privaten Wohnsitznahme handelt es sich um einen begünstigenden Verwaltungsakt, dessen Aufhebung sich hier nach dem Bayerischen Verwaltungsverfahrensgesetz richtet. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I.
Der Bescheid der Regierung von Oberbayern vom … April 2016 (MID-Nr. Freistaat Bayern: 1…) wird aufgehoben.
II.
Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
1. Das Gericht konnte gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung im schriftlichen Verfahren entscheiden, weil die Kläger mit Erklärung vom … Juli 2016 und der Beklagte mit Erklärung vom … Juli 2016 klar, eindeutig und vorbehaltlos auf mündliche Verhandlung verzichtet haben.
2. Das Verwaltungsgericht … ist zur Entscheidung über die Klage insbesondere örtlich zuständig (§ 52 Nr. 2 Satz 3 VwGO). Es handelt sich vorliegend um eine Streitigkeit nach dem Asylgesetz, da Kern der Streitigkeit eine Vorschrift des Asylgesetzes, nämlich § 47 Abs. 1a Satz 1 AsylG, ist (BayVGH, B. v. 9.12.2005 – 21 CS 15.30249 – juris Rn. 4). Der Kläger hatte im maßgeblichen Zeitpunkt des Eintritts der Rechtshängigkeit (vgl. § 83 Satz 1 VwGO i. V. m. § 17 Abs. 1 Satz 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes – GVG -) seinen Aufenthalt nach dem Asylgesetz im Regierungsbezirk Oberbayern (…) und damit im Gerichtsbezirk (Art. 1 Abs. 2 Nr. 1 des Gesetzes zur Ausführung der Verwaltungsgerichtsordnung – AGVwGO) zu nehmen.
Aufgrund des Kammerbeschlusses vom … Juni 2016 ist der Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung über die Klage berufen (§ 76 Abs. 1 AsylG).
3. Die gegen den Bescheid des Beklagten vom … April 2016 erhobenen Klage ist zulässig, insbesondere ist das Rechtsschutzbedürfnis für diese Klage nicht dadurch entfallen, dass der Beklagte zugesichert hat, bis zur Entscheidung über die Asylklage, die bei einer anderen Kammer des Verwaltungsgerichts München anhängig ist und auf deren Entscheidungszeitpunkt die Beteiligten des vorliegenden Verfahrens keinen Einfluss haben, die Zuweisungsentscheidung nicht zu vollstrecken. Das Ziel des Klägers, dass der Bescheid vom … April 2016 aufgehoben wird, wird mit der vom Beklagten ausgesprochenen Zusicherung nicht erreicht.
Der Antrag ist auch begründet, weil der Bescheid vom … April 2016 rechtswidrig ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 114 VwGO).
3.1. Der Beklagte hat seine Umverteilungsentscheidung u. a. auf § 8 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 Asyldurchführungsverordnung (DVAsyl) gestützt. Nach dieser Vorschrift kann aus Gründen des öffentlichen Interesses durch die insoweit nach § 8 Abs. 2 Satz 2 DVAsyl zuständige Regierung, in deren Bezirk die Verteilung erfolgen soll, landesintern eine Umverteilung in einen anderen Landkreis oder eine andere kreisfreie Gemeinde im selben oder in einem anderen Regierungsbezirk erfolgen. Dass öffentliche Interesse i. S. v. § 8 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 DVAsyl (i. V. m. § 8 Abs. 5 DVAsyl i. V. m. Art. 4 Abs. 1 Aufnahmegesetz (AufnG)) kann sich dabei aus § 47 Abs. 1a Satz 1 AsylG ergeben. Nach dieser Vorschrift sind (abweichend von § 47 Abs. 1 AsylG, wonach Asylbewerber längstens sechs Monate zum Aufenthalt in einer Aufnahmeeinrichtung verpflichtet sind) Ausländer aus einem sicheren Herkunftsstaat i. S. v. § 29a AsylG i. V. m. Anlage II zum AsylG verpflichtet, bis zur Entscheidung des Bundesamtes über den Asylantrag und im Falle der Ablehnung des Asylantrags nach § 29a AsylG als offensichtlich unbegründet oder nach § 27a AsylG als unzulässig bis zur Ausreise oder bis zum Vollzug der Abschiebungsandrohung oder -anordnung in der für ihre Aufnahme zuständigen Aufnahmeeinrichtung zu wohnen. Nach § 47 Abs. 1a Satz 2 AsylG bleiben die §§ 48 bis 50 AsylG unberührt; insbesondere dürfen sonstige humanitäre Gründe von vergleichbarem Gewicht i. S. v. § 47 Abs. 1a Satz 2 i. V. m. § 50 Abs. 4 Satz 5 AsylG bzw. § 8 Abs. 6 DVAsyl der Umverteilungsentscheidung nicht entgegenstehen.
3.2. Vorliegend kann dahingestellt bleiben, ob die vorgenannten Voraussetzungen für die getroffene Umverteilungsentscheidung gegeben sind. Denn der streitgegenständliche Bescheid erweist sich jedenfalls als ermessensfehlerhaft (§ 114 VwGO), weil er sich nicht damit auseinandergesetzt hat, dass dem Kläger bereits mit Bescheid vom … September 2015 unter Widerrufsvorbehalt die Wohnsitznahme außerhalb einer staatlichen Gemeinschaftsunterkunft (private Wohnsitznahme) im Zuständigkeitsbereich des Landkreises … nach Art. 4 Abs. 6 Satz 2 Nr. 3 AufnG gestattet worden war. Die vorliegende landesinterne Umverteilungsentscheidung bedarf zwar gemäß § 8 Abs. 4 i. V. m. § 7 Abs. 4 Satz 2 DVAsyl i. V. m. § 50 Abs. 4 Satz 3 i. V. m. § 47 Abs. 1a Satz 2 AsylG keiner expliziten Begründung. Bei der Gestattung der privaten Wohnsitznahme handelt es sich jedoch um einen begünstigen Verwaltungsakt, dessen Aufhebung sich nach den Art. 48, 49 i. V. m. Art. 39 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz (BayVwVfG), vorliegend Art. 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BayVwVfG, richtet. Da weder das Asylgesetz, noch die DVAsyl oder das Aufnahmegesetz eine Regelung enthält, dass bei einer landesinternen Umverteilungsentscheidung auf der Grundlage von § 8 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 DVAsyl i. V. m. § 47 Abs. 1a Satz 1 AsylG die bereits gestattete private Wohnsitznahme automatisch erlischt, bedarf es hierfür einer behördlichen Entscheidung, die die Erwägungsgründe, weshalb die Gestattung der privaten Wohnsitznahme widerrufen wird, erkennen lässt. Daran fehlt es im vorliegenden Fall, da im streitgegenständlichen Bescheid die Gestattung der privaten Wohnsitznahme weder im Tenor, noch in den Gründen I. oder II. überhaupt erwähnt worden ist.
Im Übrigen dürfte, soweit der Widerruf der Gestattung der privaten Wohnsitznahme zusammen mit der landesinternen Umverteilungsentscheidung auf der Grundlage von § 8 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 DVAsyl i. V. m. § 47 Abs. 1a Satz 1 AsylG getroffen wird, dem Umzuverteilenden eine längere Umzugsfrist als eine Woche einzuräumen sein, da ein Umzug aus einer Privatwohnung aufwändiger und mit entsprechenden Kündigungsfristen verbunden sein dürfte.
3.3. Im Ergebnis erweist sich der streitgegenständliche Bescheid deshalb als rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, so dass er aufzuheben war.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
5. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff der Zivilprozessordnung (ZPO).