Verwaltungsrecht

Landesinterne Umverteilung von bereits erstverteilten Asylbewerbern aus einem sicheren Herkunftsstaat zurück in eine Aufnahmeeinrichtung

Aktenzeichen  M 24 K 16.2268

Datum:
22.7.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
DVAsyl DVAsyl § 8
AsylG AsylG § 29a, § 47 Abs. 1a
RL 2013/33/EU Art. 14 Abs. 1

 

Leitsatz

Die ohne Übergangsregelung seit Inkrafttreten des Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes vom 20. Oktober 2015 am 24. Oktober 2015 verbindliche Regelung des § 47 Abs. 1a AsylG findet auch auf solche Asylbewerber Anwendung, die ihren Asylantrag vor dem 24. Oktober 2015 gestellt haben und vor diesem Tag aus der Aufnahmeeinrichtung heraus erstverteilt worden sind (ebenso BayVGH BeckRS 2016, 40766). (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

1. Das Gericht konnte gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung im schriftlichen Verfahren entscheiden, weil die Kläger mit Erklärung vom 12. Juli 2016 und der Beklagte mit Erklärung vom 29. Juni 2016 klar, eindeutig und vorbehaltlos auf mündliche Verhandlung verzichtet haben.
2. Das Verwaltungsgericht … ist zur Entscheidung über die Klage insbesondere örtlich zuständig (§ 52 Nr. 2 Satz 3 VwGO). Es handelt sich vorliegend um eine Streitigkeit nach dem Asylgesetz, da Kern der Streitigkeit eine Vorschrift des Asylgesetzes, nämlich § 47 Abs. 1a Satz 1 AsylG, ist (BayVGH, B. v. 9.12.2005 – 21 CS 15.30249 – juris Rn. 4). Die Kläger hatten im maßgeblichen Zeitpunkt des Eintritts der Rechtshängigkeit (vgl. § 83 Satz 1 VwGO i. V. m. § 17 Abs. 1 Satz 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes – GVG -) ihren Aufenthalt nach dem Asylgesetz im Regierungsbezirk Oberbayern (…) und damit im Gerichtsbezirk (Art. 1 Abs. 2 Nr. 1 des Gesetzes zur Ausführung der Verwaltungsgerichtsordnung – AGVwGO) zu nehmen.
Aufgrund des Kammerbeschlusses vom 23. Juni 2016 ist der Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung über die Klage berufen (§ 76 Abs. 1 AsylG).
3. Die zulässige Klage ist unbegründet und war daher abzuweisen. Der Bescheid des Beklagten vom 27. April 2016 ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
3.1. Rechtsgrundlage der im streitgegenständlichen Bescheid von Amts wegen verfügten landesinternen Umverteilung ist § 8 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 Asyldurchführungs-verordnung (DVAsyl). Nach dieser Vorschrift kann aus Gründen des öffentlichen Interesses durch die insoweit nach § 8 Abs. 2 Satz 2 DVAsyl zuständige Regierung, in deren Bezirk die Verteilung erfolgen soll, landesintern eine Umverteilung in einen anderen Landkreis oder eine andere kreisfreie Gemeinde im selben oder in einem anderen Regierungsbezirk erfolgen.
Das öffentliche Interesse i. S. v. § 8 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 DVAsyl (i. V. m. § 8 Abs. 5 DVAsyl i. V. m. Art. 4 Abs. 1 Aufnahmegesetz (AufnG)) ergibt sich vorliegend aus § 47 Abs. 1a Satz 1 AsylG. Nach dieser Vorschrift sind (abweichend von § 47 Abs. 1 AsylG, wonach Asylbewerber längstens sechs Monate zum Aufenthalt in einer Aufnahmeeinrichtung verpflichtet sind) Ausländer aus einem sicheren Herkunftsstaat i. S. v. § 29a AsylG i. V. m. Anlage II zum AsylG verpflichtet, bis zur Entscheidung des Bundesamtes über den Asylantrag und im Falle der Ablehnung des Asylantrags nach § 29a AsylG als offensichtlich unbegründet oder nach § 27a AsylG als unzulässig bis zur Ausreise oder bis zum Vollzug der Abschiebungsandrohung oder -anordnung in der für ihre Aufnahme zuständigen Aufnahmeeinrichtung zu wohnen. Nach § 47 Abs. 1a Satz 2 AsylG bleiben die §§ 48 bis 50 AsylG unberührt.
Die ohne Übergangsregelung seit Inkrafttreten des Asylverfahrensbeschleunigungs-gesetzes vom 20. Oktober 2015 am 24. Oktober 2015 verbindliche Regelung des § 47 Abs. 1a AsylG findet dabei auch auf solche Asylbewerber Anwendung, die ihren Asylantrag vor dem 24. Oktober 2015 gestellt haben und vor diesem Tag aus der Aufnahmeeinrichtung heraus erstverteilt worden sind. Die Einzelrichterin schließt sich insoweit den Ausführungen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (in BayVGH, B. v. 9.12.2015 – 21 CS 15.30249 – juris Rn. 7) an:
Die Bestimmung des § 47 Abs. 1a Satz 2 AsylG, wonach die §§ 48 bis 50 AsylG unberührt bleiben, spricht für sich genommen nicht gegen die Annahme des Beklagten, dass auch solche Ausländer aus einem sicheren Herkunftsstaat der neu geschaffenen Wohnpflicht unterliegen, die bereits auf die Regierungsbezirke verteilt wurden. Damit ist lediglich bestimmt, dass die Wohnpflicht des § 47 Abs. 1a Satz 1 AsylG aus den in den §§ 48 bis 50 AsylG geregelten Gründen endet. Es kann jedoch nicht ohne Weiteres angenommen werden, dass die Gründe, die zu einem Ende der aus § 47 Abs. 1 (a. F.) folgenden Wohnpflicht geführt haben, auch einer späteren Umverteilung in eine auf der Grundlage des § 47 Abs. 1a Satz 1 AsylG bestehende Aufnahmeeinrichtung entgegenstehen. Denn diese Aufnahmeeinrichtungen wurden eigens für den Zweck geschaffen, bei Personen ohne flüchtlingsrelevanten Schutzbedarf – wie den Antragstellern – eine abschließende sowie im Ergebnis schnellere Bearbeitung der Asylverfahren und eine raschere Beendigung des Aufenthalts zu gewährleisten (vgl. BT-Drs. 18/6185 S. 33 f.).
Die Kläger sind als albanische Staatsangehörige auch Ausländer aus einem sicheren Herkunftsstaat i. S. v. § 47 Abs. 1a, §§ 29a AsylG i. V. m. der Anlage II zum AsylG. Dass sie aufgrund einer (abweichend von § 29a Abs. 1 Halbs. 1 AsylG) positiven Entscheidung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge nicht mehr verpflichtet wären, in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen, wurde weder vorgetragen noch ist dies sonst ersichtlich.
Die im Regierungsbezirk Oberbayern in … gelegene … ist dabei auch eine Aufnahmeeinrichtung i. S. v. § 47 Abs. 1a, § 44 Abs. 1 AsylG, wobei vorliegend dahinstehen kann, ob sie als Dependance zur in § 3 Satz 1 Nr. 2 DVAsyl genannten „Aufnahmeeinrichtung …“ oder als eigenständige zusätzliche Aufnahmeeinrichtung im Regierungsbezirk Oberbayern nach § 3 Satz 3 DVAsyl anzusehen ist.
3.2. Der streitgegenständliche Bescheid verstößt auch nicht gegen die in § 47 Abs. 1a Satz 2 i. V. m. § 50 Abs. 4 Satz 5 AsylG bzw. § 8 Abs. 5 DVAsyl genannten Anforderungen. Der Haushaltsgemeinschaft der Kläger wurde durch eine gemeinsame Umverteilung Rechnung getragen.
Dass sonstige humanitäre Gründe von vergleichbarem Gewicht i. S. v. § 47 Abs. 1a Satz 2 i. V. m. § 50 Abs. 4 Satz 5 AsylG bzw. § 8 Abs. 6 DVAsyl vorliegen würden, die die Umverteilungsentscheidung rechtswidrig erscheinen ließen, ist nicht ersichtlich. Insbesondere ergibt sich dies nicht aus den vorgelegten Unterlagen zur Erkrankung der Klägerin zu 1).
Medizinische Aspekte, aus denen sich sonstige humanitäre Gründe von vergleichbarem, einer landesinternen Umverteilung entgegenstehenden Gewicht ergeben können, haben die Kläger im Rahmen ihrer Mitwirkungspflicht (vgl. § 86 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 VwGO) vorzulegen und zu belegen. Darüber hinaus sind bei bloß bayerninternen Umverteilungen – angesichts der in Deutschland verfügbaren Medikamente und der im Raum … dichten medizinischen Versorgung – die Kläger im Rahmen ihrer Mitwirkungspflicht des Weiteren gehalten, solche fachärztlichen/fachtherapeutischen Belege vorzulegen, die eine explizite Begründung enthalten, warum eine Therapie im Raum … nicht möglich sein sollte und womit (mit welcher Wahrscheinlichkeit) konkret gerade im Falle einer Verlegung der Therapie in den Raum Ingolstadt zu rechnen wäre. Vor diesem Hintergrund sind an die Darlegung und Belegung gesundheitlicher Gefahren, die mit einer landesinternen Umverteilung in die Aufnahme- und Rückkehreinrichtung verbunden sein können, insgesamt hohe Anforderungen zu stellen.
Diesen Anforderungen genügen die von der Klägerin zu 1) vorgelegten medizinischen Unterlagen nicht. Ihnen ist nicht einmal ansatzweise zu entnehmen, weshalb eine Harnwegsinfektion nicht auch in … mit Antibiotika behandelt werden könnte. Den Ausführungen des Beklagten zufolge steht den Bewohnern auch eine medizinische Versorgung in der … zur Verfügung.
Des Weiteren ist nicht ersichtlich, dass der Schulbesuch der Klägerin zu 3) und des Klägers zu 5) nicht auch in … fortgesetzt werden könnte. Wie vom Beklagten im Schreiben vom 1. Juni 2016 dargelegt, besteht auch in der Ankunfts- und Rückkehreinrichtung in … ein adäquates Beschulungsangebot. Nach Art. 14 Abs. 1 der RL 2013/33/EU vom 26. Juni 2013 ist minderjährigen Kindern von Antragstellern bzw. minderjährigen Antragstellern Zugang zum Bildungssystem „in ähnlicher Weise wie den eigenen Staatsangehörigen“ zu gewähren, wobei der Unterricht auch in Unterbringungszentren erfolgen kann.
Weshalb davon auszugehen ist, dass die Aussicht der Kläger auf ein Bleiberecht höher sei als für „gewöhnliche“ Asylbewerber aus Albanien, weil sich der Kläger zu 2) bereits von 1990 bis 1997 in Deutschland aufgehalten habe, wurde nicht näher ausgeführt und ist auch sonst nicht ersichtlich. Ein etwaiger Aufenthaltstitel wäre zwischenzeitlich erloschen (§ 51 Abs. 1 Nr. 6 und Nr. 7 AufenthG).
3.3. Der streitgegenständliche Bescheid leidet auch nicht unter Ermessensfehlern (§ 114 VwGO). Die vorliegende landesinterne Umverteilungsentscheidung bedarf gemäß § 8 Abs. 4 i. V. m. § 7 Abs. 4 Satz 2 DVAsyl i. V. m. § 50 Abs. 4 Satz 3 i. V. m. § 47 Abs. 1a Satz 2 AsylG zum einen von vornherein keiner expliziten Begründung. Ebenso war eine vorherige Anhörung der Kläger entbehrlich (§ 8 Abs. 4 i. V. m. § 7 Abs. 4 Satz 2 DVAsyl i. V. m. § 50 Abs. 4 Satz 4 i. V. m. § 47 Abs. 1a Satz 2 AsylG). Zudem ist auch nicht ersichtlich, dass der Bescheid vom 27. April 2016 auf ermessensfehlerhaften Erwägungen beruhen könnte; vielmehr dient er der Umsetzung der bundesrechtlich in § 47 Abs. 1a AsylG verankerten Pflicht der Kläger, (wieder) in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen.
3.4. Auch die Androhung unmittelbaren Zwangs entspricht den gesetzlichen Vorschriften (Art. 18 und Art. 19, Art. 29 i. V. m. Art. 34 und 36 Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetz – VwZVG).
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
5. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff der Zivilprozessordnung (ZPO).

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