Verwaltungsrecht

Landesinterne Umverteilung von Flüchtlingen aus sicheren Herkunftsstaaten

Aktenzeichen  W 6 S 16.30122

Datum:
22.2.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 47 Abs. 1a S. 1
DVAsyl DVAsyl § 8 Abs. 6

 

Leitsatz

1 Die ohne Übergangsregelung seit Inkrafttreten des Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes vom 20. Oktober 2015 am 24. Oktober 2015 verbindliche Regelung des § 47 Abs. 1a AsylG erfasst unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck der Vorschrift auch eine gebotene spätere landesinterne Umverteilung, wenn eine Pflicht zum Wohnen in der Aufnahmeeinrichtung erstmals oder wieder entsteht. (redaktioneller Leitsatz)
2 Das Vertrauen, dass sich die Regelungen über die landesinterne Umverteilung angesichts der Bewältigung der stark angestiegenen Flüchtlingszahlen für die Zukunft nicht ändern, ist nicht oder jedenfalls nicht überwiegend schutzwürdig. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage wird abgelehnt.
II.
Die Antragsteller haben die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung des Prozessbevollmächtigten wird sowohl im vorliegenden Sofortverfahren als auch im Klageverfahren W 6 K 16.30121 abgelehnt.

Gründe

I.
Die Antragsteller sind kosovarische Staatsangehörige, die sich gegen eine Zuweisungsentscheidung – innerbayerische Umverteilung – der Regierung von Oberfranken wehren.
Die Regierung von Oberfranken wies den Antragstellern mit Bescheid vom 8. Januar „2015“ (richtig: 2016) als künftigen Wohnsitz die Ankunfts- und Rückführungseinrichtung II Bayern (ARE II), …, zu (Nr. 1), setzte als Frist für die Erfüllung der Verpflichtung zum Einzug in die vorgenannte Unterkunft spätestens eine Woche nach Aushändigung des Bescheids (Nr. 2) und drohte für den Fall der nicht rechtzeitigen Erfüllung die Vollstreckung durch unmittelbaren Zwang an (Nr. 3).
Die Antragsteller ließen mit Schriftsatz vom 21. Januar 2016 im Verfahren W 6 K 16.30121 Klage erheben und gleichzeitig im vorliegenden Sofortverfahren beantragen,
1. die aufschiebende Wirkung der Klageerhebung anzuordnen,
2. den Antragstellern Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des Prozessbevollmächtigten zu bewilligen.
Zur Begründung ließen die Antragsteller im Wesentlichen vorbringen, die Antragstellerin zu 2) habe am 24. Dezember 2015 ein weiteres Kind geboren. Aufgrund des Alters des Säuglings und der momentan vorherrschenden Kälte sei ein Umzug in die ARE II unverhältnismäßig. Ein Umzug würde für den Säugling eine zu große Belastung darstellen. Außerdem sei die Antragstellerin zu 2) gemeinsam mit dem Säugling in medizinischer Behandlung.
Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte (einschließlich der Akte in der Hauptsache W 6 K 16.30121) Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO hat keinen Erfolg.
Der Antrag ist unbegründet, da der streitgegenständliche Bescheid nach der im vorliegenden Verfahren gebotenen summarischen Prüfung rechtmäßig ist und die Antragsteller nicht in ihren Rechten verletzt, so dass das öffentliche Vollzugsinteresse das Privatinteresse der Antragsteller, vorläufig bis zur Entscheidung in der Hauptsache in ihrer bisherigen Unterkunft verbleiben zu dürfen, überwiegt.
Das Gericht folgt den Feststellungen und der Begründung im angefochtenen Bescheid und sieht zur Vermeidung von Wiederholungen von einer nochmaligen Darstellung ab (§ 77 Abs. 2 AsylG). Im vorliegenden Antragsverfahren sind keine neuen Tatsachen und Rechtsargumente geltend gemacht worden, die zu einer abweichenden Entscheidung führen können.
Ergänzend ist anzumerken, dass die Antragsteller der Wohnverpflichtung in der Aufnahmeeinrichtung gemäß § 47 Abs. 1a Satz 1 AsylG unterfallen, weil sie aus einem sicheren Herkunftsstaat kommen. Die Umverteilung und die Umzugsaufforderung konnten auf § 47 Abs. 1a AsylG i. V. m. § 50 AsylG und die zu dessen Durchführung erlassene Rechtsverordnung gestützt werden. Unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck der Vorschriften erfassen diese auch eine gebotene spätere landesinterne Umverteilung, weil eine Pflicht zum Wohnen in der Aufnahmeeinrichtung erstmals oder wieder entsteht. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat mit Beschluss vom 9. Dezember 2015 (21 CS 15.30249 – juris Rn. 7) ausdrücklich auf die Gesetzesbegründung und den Sinn und Zweck der neuen Vorschrift des § 47 Abs. 1a AsylG verwiesen, wonach die neuen Aufnahmeeinrichtungen eigens für den Zweck geschaffen wurden, bei Personen ohne flüchtlingsrelevanten Schutzbedarf – wie den Antragstellern – eine abschließende sowie im Ergebnis schnelle Bearbeitung des Asylverfahrens und eine raschere Beendigung des Aufenthalts zu gewährleisten. Gerade im Jahr 2015 sind wegen des starken Anstiegs der Flüchtlingszahlen Verteilungen aus den Aufnahmeeinrichtungen in eine Anschlussunterbringung offensichtlich auch aus Kapazitätsproblemen erfolgt. Die Vorschrift des § 47 Abs. 1a AsylG bezweckt gerade die Entlastung der anderweitigen Kapazitäten für die Unterbringung von Asylbewerbern außerhalb der Aufnahmeeinrichtungen (vgl. VG Regensburg – RO 7 S 15.32072; vgl. auch VG Würzburg, B. v. 8.2.2016 – W 1 S 16.30061 – juris; VG Ansbach, B. v. 28.1.2016 – AN 16.30045 – juris).
Das Vertrauen der Antragsteller, dass sich die Regelungen über die landesinterne Umverteilung angesichts der Bewältigung der stark angestiegenen Flüchtlingszahlen für die Zukunft nicht ändern, ist nicht oder jedenfalls nicht überwiegend schutzwürdig. Die Antragsteller konnten nicht darauf vertrauen, in der bisherigen Unterkunft dauerhaft und nicht nur vorübergehend zu bleiben. Denn gemäß § 55 Abs. 1 Satz 2 AsylG hat ein Asylsuchender keinen Anspruch darauf, sich in einem bestimmten Land oder an einem bestimmten Ort aufzuhalten. Der Antragsgegner konnte auch schon vor der Gesetzesänderung landesinterne Umverteilungen im öffentlichen Interesse vornehmen.
Schließlich stehen auch eine zu berücksichtigende Haushaltsgemeinschaft sowie sonstige humanitäre Gründe von vergleichbarem Gewicht (vgl. § 50 Abs. 4 Satz 5 AsylG; § 8 Abs. 6 DVAsyl) der Umverteilung nicht entgegen, wie etwa konkrete Bedürfnisse des – am hiesigen Verfahren – nicht beteiligten, am 24. Dezember 2015 geborenen Säuglings einschließlich der medizinischen Behandlung seiner Mutter, der Antragstellerin zu 2). Zwar sind humanitäre Gründe und speziell die Haushaltsgemeinschaft von Familienangehörigen i. S. von § 26 Abs. 1 bis 3 AsylG, d. h. von Ehegatten und ihren minderjährigen Kindern bei der Zuweisungsentscheidung zu berücksichtigen, konkret bei der Ermessensausübung. Jedoch wird die Haushaltsgemeinschaft nicht beeinträchtigt oder gar aufgelöst, weil der am 24. Dezember 2015 geborene und am vorliegenden Verfahren nicht beteiligte Säugling mittlerweile ebenfalls einen entsprechenden Zuweisungsbescheid mit Datum vom 18. Februar 2016 erhalten hat und so im Gleichklang mit seinen Familienangehörigen, den Antragstellern des vorliegenden Verfahrens, der ARE II zugewiesen ist (ebenso VG Ansbach, B. v. 28.1.2016 – AN 16.30045 – juris).
Medizinische Gründe stehen der Umverteilung ebenfalls nicht entgegen, weil eine ärztliche Versorgung auch in … sichergestellt ist. Denn selbst bei Bestehen einer ernsthaften Erkrankung ist weder belegt noch ersichtlich, dass deren Behandlung bzw. Weiterbehandlung nicht in der ARE II möglich ist. Die gegebenen Behandlungsmöglichkeiten hat der Antragsgegner wiederholt ausdrücklich betont (vgl. auch VG Würzburg, B. v. 8.2.2016 – W 1 S 16.30061 – juris; VG Ansbach, B. v. 28.1.2016 – AN 16.30045 – juris; VG Regensburg, B. v. 29.12.2015 – RO 7 S 15.32072).
Des Weiteren stehen auch die kältere Witterung und die konkreten Unterbringungsmöglichkeiten einem Umzug in die ARE II nicht entgegen. Die Regierung von Oberfranken hat mit Schriftsatz vom 8. Februar 2016 konkret ausdrücklich angemerkt, dass die medizinische Versorgung und auch die Betreuung von Neugeborenen in … möglich und gesichert seien. Die Fahrt nach … erfolge im beheizbaren Reisebus, so dass die Außentemperatur einer Mitfahrt des Säuglings nicht entgegenstehe. Mit Schriftsatz vom 18. Februar hat sie ergänzt, dass die Versorgung und die Betreuung von Säuglingen in der ARE II jederzeit durch die Eltern wahrgenommen und bei Bedarf eine kinderärztliche Behandlung erfolgen könne. Die Regierung von Oberfranken hat zur Unterbringungssituation in der ARE II allgemein mitgeteilt, dass die Personen in Wohnungen zu 16 Personen wohnten, wobei sie in der Einheit dann noch in mit nicht abschließbaren, aber zu schließenden Türen abgetrennten Räumen mit Schlafplätzen untergebracht seien. Für eine solche Wohnung gebe es ein gemeinsames Bad mit WC, dass allein von den 16 Personen genutzt werde. Die Familien seien nicht getrennt, sondern zusammen untergebracht. Bei der Unterbringung in der ARE II kann so gesamtbetrachtet hinreichend auf die besonderen Bedürfnisse der Antragstellerin zu 2) als Wöchnerin sowie des Säuglings Rücksicht genommen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83 AsylG.
Schließlich war – nach den vorstehenden Ausführungen – der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung des Prozessbevollmächtigten mangels Erfolgsaussichten in der Hauptsache abzulehnen (§ 166 VwGO i. V. m. § 114 Satz 1 und § 121 Abs. 2 ZPO). Dies gilt sowohl für das vorliegende Antragsverfahren als auch für das Klageverfahren W 6 K 16.30121).

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