Verwaltungsrecht

Landesinterne Umverteilung zur Unterbindung von Störungen der öffentlichen Sicherheit

Aktenzeichen  M 24 S 16.5263

Datum:
26.1.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 80 Abs. 5
DVAsyl DVAsyl § 9 Abs. 1, Abs. 5, § 10 Nr. 1 b), Nr. 1 d)

 

Leitsatz

Eine landesinterne Umverteilung ergeht im Interesse der öffentlichen Sicherheit ermessensfehlerfrei, um Auseinandersetzungen verfeindeter Familien in einer Gemeinschaftsunterkunft zu unterbinden, auch wenn die Betroffenen dadurch nicht in ihrem gewohnten schulischen und soziale Umfeld verbleiben können. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Die Antragsteller haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Der Rechtsstreit betrifft eine vom Antragsgegner gegenüber den Antragstellern verfügte landesinterne Umverteilung in den Landkreis …
Die Antragsteller sind afghanische Staatsangehörige und Asylbewerber. Die Antragsteller zu 1) und zu 2) sind die Eltern der Antragsteller zu 3) bis 9).
Mit streitgegenständlichem Bescheid vom … November 2016 wies die Regierung von Oberbayern die Antragsteller ab … November 2016 dem Landkreis … (Nr. 1) und ihnen dort als künftigen Wohnsitz die Unterbringung durch das Landratsamt … zu, verpflichtete sie, am … November 2016 zum Einzug in die unter Nr. 2 genannte Unterkunft (Nr. 3) und drohte für den Fall, dass der Aufforderung unter Nr. 3 nicht rechtzeitig nachgekommen werde, die Vollstreckung durch unmittelbarem Zwang an (Nr. 4).
Ausweislich des streitgegenständlichen Bescheides wohnten die Antragsteller bislang in einer Gemeinschaftsunterkunft in … im Landkreis …
Am … November 2016 erhoben die Antragsteller Klage mit dem Antrag, den Bescheid des Antragsgegners vom … November 2016 aufzuheben. Über die unter dem Aktenzeichen M 24 K 16.5262 bei Gericht anhängige Klage wurde noch nicht entschieden. Zugleich beantragten die Antragsteller,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Der Umzug nach Eichstätt würde insbesondere für die Kinder eine besondere Härte bedeuten. Die älteren Kinder würden alle in … die Schule besuchen, hätten sich in ihren jeweiligen Klassenverbänden gut integriert und Freunde gefunden. Aus dieser Struktur würden sie jetzt unvermittelt herausgerissen werden. Ebenso würde es dem Antragsteller zu 7) ergehen, der den Kindergarten in … besuche und sich dort ebenfalls sehr gut eingewöhnt habe.
Mit Schreiben vom … Dezember 2016 teilte der Antragsgegner unter Vorlage zahlreicher Unterlagen mit, dass es sich vorliegend um eine Umverteilung von Amts wegen gemäß § 9 Abs. 5 Nr. 1, § 7 Abs. 3, § 10 Nr. 1c) und d) der Asyldurchführungsverordnung (DVAsyl) handele. Am … November 2016 habe die Verwaltungsleiterin der Gemeinschaftsunterkunft … um Umverteilung der Familie gebeten. Auslöser hierfür sei u. a. ein Polizeieinsatz am … Oktober 2016 gewesen, bei dem die Spannungen zwischen der Familie der Antragsteller und einer anderen 7-köpfigen Familie eskaliert seien. Es sei zu Verletzungen durch das Zuschlagen mit einer eisernen Gliederkette und einem Kabel gekommen. Ein Mitglied der anderen Familie sei mit schweren Kopfverletzungen im Krankenhaus stationär behandelt worden. Bereits im August 2016 hätte sich die andere Familie an die Beratungsstelle für Kinder, Jugendliche, Eltern und Familien des Landkreises … gewandt und berichtet, dass sie sich von der Familie der Antragsteller bedroht fühlten. Nach dem Vorfall am … Oktober 2016 habe sich die andere Familie zunächst nicht mehr in der Gemeinschaftsunterkunft zu wohnen getraut und habe diese nur in Begleitung von Mitarbeitern der Caritas betreten. Die andere Familie hätte mehrere Wochen bei einer befreundeten Familie in … mit insgesamt 10 Personen in einer 2-Zimmer-Wohnung gewohnt. Sowohl die Beratungsstelle für Kinder, Jugendliche, Eltern und Familien des Landkreises … als auch das Landratsamt, Amt für Ausländerwesen, Staatsangehörigkeit und Integration, die PI … sowie die Caritas würden eine Umverteilung der Antragsteller befürworten, da der Auslöser für Streitigkeiten und Bedrohungen bei der Familie der Antragsteller zu suchen sei. Aufgrund der dadurch erwiesenen erheblichen Störung nicht nur der inneren Ordnung und internen Betriebsabläufe in der Unterkunft, sondern generell der öffentlichen Sicherheit und Ordnung habe ein öffentliches Interesse an der Umverteilung bestanden, so dass diese rechtmäßig gewesen sei. Die Familieneinheit sei gewahrt. Sonstige humanitäre Gründe von vergleichbarem Gewicht, die einen Verbleib der Familie trotz der diversen Vorfälle erforderlich machen würden, seien nicht ersichtlich. Daher werde beantragt, die Klage abzuweisen und
den Antrag abzulehnen.
Mit Beschluss vom … Januar 2017 wurde der Rechtsstreit in der Hauptsache (M 24 K 16.5262) auf den Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten M 24 S 16.5263 und M 24 K 16.5262 Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag ist unbegründet.
1. Gegenstand des Verfahrens ist die von Amts wegen vorgenommene landesinterne Umverteilung der Antragsteller, die sich noch im Asylverfahren befinden. Da es sich dabei um eine Streitigkeit nach dem Asylgesetz (AsylG) handelt, ist im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes der Einzelrichter zur Entscheidung berufen (§ 76 Abs. 4 AsylG).
2. Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist statthaft, da die Anfechtungsklage gegen die Umverteilungsentscheidung des Antragsgegners vom … November 2016 keine aufschiebende Wirkung hat (§ 75 Abs. 1 AsylG, Art. 10 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. Art. 5 Abs. 2 Aufnahmegesetz (AufnG)).
3. Der Antrag hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.
3.1. Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage im Fall eines gesetzlichen Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO) ganz oder teilweise anordnen. Hierbei hat das Gericht selbst abzuwägen, ob diejenigen Interessen, die für einen gesetzlich angeordneten sofortigen Vollzug des angefochtenen Verwaltungsakts streiten, oder diejenigen, die für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung sprechen, höher zu bewerten sind. Im Rahmen dieser Interessenabwägung sind auch die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache als wesentliches, aber nicht als alleiniges Indiz zu berücksichtigen (beispielsweise BVerwG B.v. 25.3.1993 – 1 ER 301/92 – NJW 1993, 3213, juris Rn. 3). Wird der in der Hauptsache erhobene Rechtsbehelf bei der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren nur möglichen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung voraussichtlich erfolgreich sein, weil er zulässig und begründet ist, so wird im Regelfall nur die Anordnung der aufschiebenden Wirkung in Betracht kommen. Erweist sich dagegen der angefochtene Bescheid bei summarischer Prüfung als offensichtlich rechtmäßig, besteht ein öffentliches Interesse an seiner sofortigen Vollziehung und der Antrag bleibt voraussichtlich erfolglos. Sind die Erfolgsaussichten bei summarischer Prüfung als offen zu beurteilen, findet eine eigene gerichtliche Abwägung der für und gegen den Sofortvollzug sprechenden Interessen statt.
3.2. Vor diesem Hintergrund überwiegt vorliegend das Vollzugsinteresse des Antragsgegners. Denn bei summarischer Prüfung im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs.1 AsylG) wird die in der Hauptsache erhobene Klage voraussichtlich keinen Erfolg haben.
Die am … November 2016 erhobene Anfechtungsklage ist zwar zulässig, insbesondere fristgerecht erhoben worden. Sie erweist sich nach summarischer Prüfung aber voraussichtlich als unbegründet, weil der streitgegenständliche Bescheid rechtmäßig ist und die Antragsteller nicht in ihren Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
3.2.1. Rechtsgrundlage für die Umverteilungsentscheidung des Antragsgegners ist § 50 AsylG i. V. m. § 9 Asyldurchführungsverordnung (DVAsyl). Nach § 9 Abs. 1 Satz 1 DVAsyl kann unter anderem aus Gründen des öffentlichen Interesses landesintern eine Umverteilung in einen anderen Landkreis oder eine andere kreisfreie Gemeinde im selben oder in einem anderen Regierungsbezirk erfolgen (landesinterne Umverteilung). Ein öffentliches Interesse an der Umverteilung besteht nach § 9 Abs. 5 DVAsyl insbesondere bei Vorliegen der in § 7 Abs. 3 DVAsyl genannten öffentlichen Belange und Gründe und bei Vorliegen der in § 10 DVAsyl genannten Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung.
Nach § 7 Abs. 3 Satz 1 und Satz 2 DVAsyl ist bei der Verteilung und Zuweisung neben der Haushaltsgemeinschaft von Ehegatten und ihren minderjährigen ledigen Kindern oder sonstigen humanitären Gründen von gleichem Gewicht auch den Belangen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung Rechnung zu tragen. Durch die Verteilung und die Zuweisung soll auch die Begehung von Sicherheitsstörungen unterbunden und verhütet werden. Nach § 10 Nr. 1 DVAsyl liegen Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Sinne von § 7 Abs. 3 DVAsyl insbesondere vor, wenn aufgrund konkreter oder allgemeiner Erkenntnisse zu bestimmten Personen oder Personengruppen zu vermuten ist, dass durch die gleichzeitige Unterbringung verfeindeter oder rivalisierender Staatsangehöriger oder ethnischer Gruppen Sicherheitsrisiken nicht auszuschließen sind (Nr. 1 c) oder durch die Belegung die innere Ordnung oder die internen Betriebsabläufe in nicht unerheblichen Maße beeinträchtigt werden (Nr. 1 d).
So liegt es hier. Den vom Antragsgegner vorgelegten Unterlagen zufolge ist es durch das Aufeinandertreffen der beiden verfeindeten Familien – afghanische Staatsgehörige sunnitischer bzw. schiitischer Glaubensrichtung – in der Vergangenheit zu erheblichen Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in der Gemeinschaftsunterkunft … gekommen. Einem vorgelegten Bericht der Polizeiinspektion … vom … November 2016 zufolge wird von polizeilicher Seite die erhebliche Gefahr gesehen, dass es auch in Zukunft zu weiteren verbalen und tätlichen Auseinandersetzungen kommen wird. Mit der Umverteilung soll dies zukünftig verhindert werden. Da den vorgelegten Unterlagen zu entnehmen ist, dass Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Bedrohungen und körperliche Auseinandersetzungen von den Antragstellern ausgegangen sind, besteht auch ein öffentliches Interesse, die Antragsteller und nicht die ebenfalls vom Konflikt betroffene andere Familie umzuverteilen.
3.2.2. Der Bescheid verstößt auch nicht gegen die in § 9 Abs. 6 DVAsyl genannten Anforderungen, wonach der Haushaltsgemeinschaft der Ehegatten sowie von Eltern und ihren minderjährigen ledigen Kindern oder sonstige humanitäre Gründe von gleichem Gewicht bei der Umverteilung Rechnung getragen werden soll (§ 9 Abs. 6 DVAsyl). Die Antragsteller, Eltern mit ihren minderjährigen Kindern, wurden zusammen umverteilt. Dass die Antragteller zu 3) bis 9) aus ihrem bisherigen Kindergarten- bzw. Schulumfeld herausgenommen werden, begründet keine sonstigen humanitären Gründe von gleichem Gewicht im Sinne dieser Vorschrift, sondern stellt nur einen Abwägungsbelang im Rahmen der Ermessensentscheidung dar, dem allerdings das Gewicht des öffentlichen Belanges, weitere Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zu unterbinden, entgegenzuhalten ist (vgl. 3.2.3.).
3.2.3. Der streitgegenständliche Bescheid leidet auch nicht unter Ermessensfehlern (§ 114 VwGO). Die vorliegende landesinterne Umverteilungsentscheidung bedarf gemäß § 9 Abs. 4 i. V. m. § 7 Abs. 2 Satz 5 DVAsyl i. V. m. § 50 Abs. 4 Satz 3 AsylG zum einen von vornherein keiner expliziten Begründung. Zudem ist auch nicht ersichtlich, dass der Bescheid vom 16. November 2016 auf ermessensfehlerhaften Erwägungen beruhen könnte. Die Herausnahme der Antragssteller aus der bisher von ihnen bewohnten Unterkunft dient dem öffentlichen Belang der Wahrung und Herstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in der Gemeinschaftsunterkunft … demgegenüber der private Belang der Antragsteller, in ihrem gewohnten schulischen und privaten Umfeld bleiben zu können, zurückzutreten hat, zumal die Antragsteller den Anlass für die Umverteilungsentscheidung durch eigenes Verhalten gegeben haben.
Vor diesem Hintergrund wird die in der Hauptsache erhobene Anfechtungsklage voraussichtlich erfolglos bleiben, so dass das Vollzugsinteresse des Antragsgegners das Suspensivinteresse der Antragsteller überwiegt.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§83b AsylG).

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