Verwaltungsrecht

Lediglich (inzidente) Prüfung der Wirksamkeit, nicht aber der Rechtmäßigkeit, eines bestandskräftigen Verwaltungsaktes in einem anderen Rechtsbehelfsverfahren

Aktenzeichen  6 ZB 16.1519

Datum:
26.1.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 102579
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1 – 3
VwVfG § 44
SG § 55 Abs. 4 Nr. 3, Abs. 5

 

Leitsatz

1 Im Rahmen der Prüfung der Rechtmäßigkeit eines Rückforderungsbescheides über Ausbildungskosten nach Entlassung aus dem Dienst findet keine inzidente Prüfung der Rechtmäßigkeit der bestandskräftig gewordenen Entlassungsverfügung statt‚ sondern nur eine inzidente Prüfung ihrer Wirksamkeit. (redaktioneller Leitsatz)
2 Die materielle (Tatbestands-)Wirkung eines Verwaltungsaktes besteht darin‚ dass nicht nur die Behörde‚ die den Verwaltungsakt erlassen hat‚ sondern auch alle anderen Behörden und öffentlich-rechtlichen Rechtsträger sowie grundsätzlich auch alle Gerichte die Tatsache‚ dass der Verwaltungsakt erlassen wurde‚ rechtlich existent ist und die in ihm enthaltene Regelung oder Feststellung getroffen worden ist‚ als maßgeblich akzeptieren müssen‚ ohne die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts nochmals überprüfen zu müssen oder zu dürfen. (redaktioneller Leitsatz)
3 Die Bestandskraft eines Verwaltungsaktes kann nicht durch eine inzidente Überprüfung in anderen Rechtsbehelfsverfahren unterlaufen werden. (redaktioneller Leitsatz)
4 Die Bindungswirkung eines Verwaltungsaktes entfällt nur‚ wenn der Verwaltungsakt nichtig ist. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

RO 1 K 15.2188 2016-06-28 Urt VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I. Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 28. Juni 2016 – RO 1 K 15.2188 – wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Antragsverfahrens.
III. Der Streitwert wird für das Antragsverfahren auf 14.119‚53 Euro festgesetzt.

Gründe

Der Antrag des Klägers‚ die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 28. Juni 2016 zuzulassen‚ hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe liegen – soweit sie den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO entsprechend dargelegt wurden – nicht vor.
1. Der Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) wäre dann gegeben‚ wenn vom Rechtsmittelführer ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt würde (vgl. BVerfG‚ B.v. 23.3.2007 – 1 BvR 2228/02 – BayVBl 2007‚ 624). Das ist hier nicht der Fall.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage gegen den Leistungsbescheid vom 14. Oktober 2015, mit dem die Beklagte vom Kläger, einem früheren Soldaten auf Zeit, nach der Entlassung aus dem Dienstverhältnis die (anteilige) Erstattung von Fachausbildungskosten verlangt, für unbegründet erachtet und abgewiesen. Es ist zur Auffassung gelangt‚ dass die Voraussetzungen des § 56 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 Soldatengesetz (SG) erfüllt seien: Der Kläger, dessen militärische Ausbildung mit einer Fachausbildung verbunden gewesen sei, sei mit Bescheid vom 14. September 2012 gemäß § 55 Abs. 5 SG wegen einer schuldhaften Verletzung seiner Dienstpflichten entlassen worden. Da er gegen diesen mit einer ordnungsgemäßen Rechtsbehelfsbelehrung:versehenen Bescheid keinen Rechtsbehelf eingelegt habe‚ stehe bestandskräftig fest‚ dass das Dienstverhältnis des Klägers aus dem in § 56 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3‚ § 55 Abs. 5 SG genannten Grund geendet habe. Im Rechtsstreit über die Erstattungspflicht der für die Fachausbildung entstandenen Kosten könne der Kläger hiergegen keine Einwände mehr vorbringen‚ da die Entlassungsverfügung auch dann wirksam bleibe‚ wenn sie rechtswidrig sein sollte. Dem hält der Kläger nichts Stichhaltiges entgegen‚ das weiterer Prüfung in einem Berufungsverfahren bedürfte.
Der – erstmals mit dem Zulassungsvorbringen geltend gemachte – Vortrag des Klägers‚ die Entlassungsverfügung vom 14. September 2012 sei nicht nur – wie bisher vertreten – rechtswidrig‚ sondern auch nichtig und könne daher nicht Grundlage für den angefochtenen Rückforderungsbescheid sein‚ kann nicht überzeugen.
Zu Recht hat das Verwaltungsgericht ausgeführt‚ dass im Rahmen der Prüfung der Rechtmäßigkeit des streitgegenständlichen Rückforderungsbescheides vom 14. Oktober 2015 keine inzidente Prüfung der Rechtmäßigkeit der bestandskräftig gewordenen Entlassungsverfügung stattfindet‚ sondern nur eine inzidente Prüfung ihrer Wirksamkeit (vgl. Walz/Eichen/Sohm, Soldatengesetz, 3. Auflage 2016, § 56 Rn. 14).
Wirkung der Bestandskraft in diesem Sinne ist nicht nur die formelle Unanfechtbarkeit der Entlassungsverfügung mit Rechtsbehelfen. Hinzu kommt vielmehr die materielle (Tatbestands-)Wirkung‚ wonach nicht nur die Behörde‚ die den Verwaltungsakt erlassen hat‚ sondern auch alle anderen Behörden und öffentlich-rechtlichen Rechtsträger sowie grundsätzlich auch alle Gerichte die Tatsache‚ dass der Verwaltungsakt erlassen wurde‚ rechtlich existent ist und die in ihm enthaltene Regelung oder Feststellung getroffen worden ist‚ als maßgeblich akzeptieren müssen‚ ohne die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts nochmals überprüfen zu müssen oder zu dürfen (vgl. dazu BayVGH, U.v. 2.8.2016 – 22 B 16.619 – juris Rn. 45; OVG NW‚ U.v. 6.10.2016 – 11 A 1297/14 – juris Rn. 47). Die Bestandskraft der Entlassungsverfügung kann nicht durch eine inzidente Überprüfung in anderen Rechtsbehelfsverfahren unterlaufen werden (vgl. BVerwG‚ B.v. 23.2.2010 – 1 WB 36.09 – juris Rn. 58 zur Bestandskraft der Beurteilung eines Soldaten), da andernfalls der Bindungswirkung eines vorgelagerten Verwaltungsaktes die Grundlage entzogen würde.
Diese Bindungswirkung entfiele nur‚ wenn der Verwaltungsakt nichtig wäre. Das ist gemäß § 44 Abs. 1 VwVfG nur dann der Fall‚ wenn der Verwaltungsakt an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offenkundig ist. Die Rechtsfolge der Nichtigkeit eines Verwaltungsaktes stellt eine besondere Ausnahme von dem Grundsatz dar‚ dass ein Akt staatlicher Gewalt die Vermutung seiner Gültigkeit in sich trägt. Der dem Verwaltungsakt anhaftende Fehler muss diesen als schlechterdings unerträglich‚ d.h. mit tragenden Verfassungsprinzipien oder der Rechtsordnung immanenten wesentlichen Wertvorstellungen unvereinbar erscheinen lassen. Der schwerwiegende Fehler muss darüber hinaus für einen verständigen Bürger offensichtlich sein. Nichtigkeit eines Verwaltungsaktes ist daher nur dann anzunehmen‚ wenn die an eine ordnungsgemäße Verwaltung zu stellenden Anforderungen in so erheblichem Maße verletzt werden‚ dass von niemanden erwartet werden kann‚ den Verwaltungsakt als verbindlich anzuerkennen (vgl. BVerwG‚ B.v. 11.5.2000 – 11 B 26.00 – juris; BVerwG‚ U.v. 17.10.1997 – 8 C 1.96 – juris Rn. 28; VGH BW, U.v. 15.12.2016 – 2 S 2506/14 – juris Rn. 23; HessVGH‚ B.v. 24.11.2016 – 3 B 2515/16 – juris Rn. 12; BAG‚ U.v. 16.4.2015 – 6 AZR 71/14 – juris; OVG SH‚ U.v. 5.2.2015 – 4 LB 15/13 – juris;). Nach Art und Ausmaß muss dem Verstoß daher ein solches Gewicht zukommen‚ dass eine Einschränkung des Gebots der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung zu Gunsten der Bestandskraft und der Rechtssicherheit des Verwaltungsaktes nicht mehr gerechtfertigt erscheint.
Beruht der angebliche Fehler – wie der Kläger geltend macht – auf einer behaupteten Verkennung der Voraussetzungen einer Entlassung nach § 55 Abs. 5 SG‚ so führt dies daher nur dann zur Nichtigkeit der Entlassungsverfügung, wenn die Entscheidung unter keinem denkbaren Gesichtspunkt mehr gerechtfertigt erscheint. Das ist hier ersichtlich nicht der Fall.
Der Kläger hat unter Verstoß gegen Sicherheitsvorschriften im Umgang mit Waffen‚ die ihm aufgrund seiner bisher geleisteten Dienstzeit und seines Ausbildungsstandes (er befand sich im 4. Dienstjahr!) bewusst gewesen sein mussten‚ seine geladene Waffe in seiner Stube mitgeführt‚ sie ohne Überprüfung von deren Ladungszustand entsichert und in Anwesenheit von acht Kameraden abgefeuert‚ so dass diese ein Knalltrauma erlitten und Sachschäden in Höhe von 400‚- Euro entstanden. Dieser unbestrittene Sachverhalt stellt eine erhebliche Verletzung von Dienstpflichten dar. Das wird auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass der Kläger – wie in der Zulassungsbegründung ausgeführt wird – den Schuss in der Stube nicht vorsätzlich abgegeben hat.
Selbst wenn – was sich vorliegend allerdings nach Auffassung des Senats nicht aufdrängt – die Einschätzung der Beklagten, ein Verbleib des Klägers in seinem Dienstverhältnis könne die militärische Ordnung oder das Ansehen der Bundeswehr gefährden, unzutreffend gewesen wäre, ließe sich daraus ein Nichtigkeitsvorwurf in Bezug auf die Entlassungsverfügung nicht herleiten. Denn dies könnte angesichts der Schwere des oben dargelegten Verstoßes gegen die Dienstpflichten keinesfalls als schlechterdings unerträglich‚ d.h. mit tragenden Verfassungsprinzipien oder der Rechtsordnung immanenten wesentlichen Wertvorstellungen unvereinbar angesehen werden. Eine Fehlerhaftigkeit der bestandskräftig gewordenen Entlassungsverfügung ist darüber hinaus bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände auch keinesfalls offenkundig.
2. Die Rechtssache weist aus den unter 1. genannten Gründen keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten auf‚ die der Klärung in einem Berufungsverfahren bedürften (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO).
3. Im Hinblick auf die Ausführungen unter 1. kommt der Rechtssache auch nicht die ihr vom Kläger beigemessene grundsätzliche Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) zu. Im Übrigen verlangt das Darlegungsgebot des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO‚ dass der Rechtsmittelführer erstens eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage formuliert‚ zweitens ausführt‚ weshalb diese Frage für den Rechtsstreit entscheidungserheblich ist‚ drittens erläutert‚ weshalb die formulierte Frage klärungsbedürftig ist und viertens darlegt‚ weshalb ihr eine über die Einzelfall bezogenen Rechtsanwendung hinausgehende Bedeutung zukommt (vgl. Happ in Eyermann‚ VwGO‚ 14. Aufl. 2014‚ § 124a Rn. 72). Eine solche Rechts- oder Tatsachenfrage hat der Kläger nicht aufgeworfen.
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47‚ § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit ihm wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).
Schmitz Greve-Decker Greger

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