Verwaltungsrecht

Leinenpflicht für große Hunde (hier: „American Bully“)

Aktenzeichen  10 ZB 20.961

Datum:
5.6.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 14551
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayLStVG Art. 18 Abs. 2
BauGB § 34 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Da von großen Hunden, die auf öffentlichen Straßen und Wegen mit relevantem Publikumsverkehr frei herumlaufen, oder vom Führen derartiger Hunde durch eine hierzu nicht befähigte Person in der Regel eine konkrete Gefahr für Eigentum und Gesundheit Dritter ausgeht, ist die Anordnung eines Leinenzwangs für solche Hunde allein aufgrund ihrer Größe gerechtfertigt, ohne dass es zu einem (Beiß-)Vorfall gekommen sein muss. (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Formulierung „in bebauten Gebieten“ beschreibt – wie die vergleichbaren Formulierungen „innerhalb der geschlossenen Ortslage“, „in im Zusammenhang bebauten Ortsteilen“ oder „in zusammenhängend bebauten Gebieten“ – erkennbar den sogenannten Innenbereich (§ 34 BauGB).  (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

W 9 K 19.474 2020-03-13 Urt VGWUERZBURG VG Würzburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.
IV. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Zulassungsverfahren wird abgelehnt.

Gründe

Der Kläger verfolgt mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung seine in erster Instanz erfolglose Anfechtungsklage gegen einen Bescheid der Beklagten vom 25. März 2019 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 22. Januar 2020, mit dem hinsichtlich seiner drei Hunde der Rasse „American Bully“ eine Leinenpflicht angeordnet wurde, weiter.
Der zulässige Antrag ist unbegründet, weil sich aus dem der rechtlichen Überprüfung durch den Senat allein unterliegenden Vorbringen im Zulassungsantrag weder die geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (1.), noch die besondere rechtliche oder tatsächliche Schwierigkeit im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (2.) oder grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO (3.) ergibt.
1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestünden dann, wenn der Kläger im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Erstgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt hätte (BVerfG, B.v. 10.9.2009 – 1 BvR 814/09 – juris Rn. 11; B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – juris Rn. 16; B.v. 8.5.2019 – 2 BvR 657/19 – juris Rn. 33). Dies ist vorliegend nicht der Fall.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage unter Bezugnahme auf die ständige Rechtsprechung des Senats zur Zulässigkeit einer Leinenpflicht für große und kräftige Hunde auf öffentlichen Straßen und Wegen mit relevantem Publikumsverkehr (zuletzt BayVGH, B.v. 6.3.2020 – 10 CS 20.7 – juris m.w.N.) abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 25. März 2019 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 22. Januar 2020 sei insofern hinreichend bestimmt und verhältnismäßig.
Der Einwand des Klägers (allerdings zum Zulassungsgrund der besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten der Rechtssache), seine Hunde seien nicht gefährlich, verkennt, dass nach ständiger Rechtsprechung des Senats von großen Hunden, die auf öffentlichen Straßen und Wegen mit relevantem Publikumsverkehr frei herumlaufen oder vom Führen derartiger Hunde durch eine hierzu nicht befähigte Person in der Regel eine konkrete Gefahr für Eigentum und Gesundheit Dritter ausgeht. Die Anordnung eines Leinenzwangs auf öffentlichen Wegen, Straßen und Plätzen im Innenbereich auf der Grundlage von Art. 18 Abs. 2 LStVG ist daher bereits durch die Größe der Hunde Klägers gerechtfertigt, ohne dass es zu einem (Beiß-)Vorfall gekommen sein muss (stRspr, vgl. z.B. BayVGH, B.v. 12.2.2020 – 10 ZB 19.2474 – juris Rn. 6; B.v. 13.11.2018 – 10 CS 18.1780 – juris Rn. 10; B.v. 17.10.2018 – 10 CS 18.1717 – juris Rn. 18; B.v. 3.5.2017 – 10 CS 17.405 – juris Rn. 5 ff.; U.v. 9.11.2010 – 10 BV 06.3053 – juris Rn. 25; U.v. 20.1.2011 – 10 B 09.5966 – juris Rn. 21 m.w.N.). Die Feststellung des Verwaltungsgerichts, dass die Hunde des Klägers groß im Sinne dieser Rechtsprechung sind, hat der Kläger mit dem Zulassungsantrag nicht in Zweifel gezogen.
Soweit der Kläger rügt, die Leinenpflicht gehe aufgrund des räumlichen Geltungsbereiches „in einem bebauten Gebiet“ über das erforderliche Maß hinaus, weil sie auch für befriedete und ausbruchssichere Grundstücke sowie für Hundefreilaufflächen gelte, zeigt er keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils auf. Der Anordnung der Leinenpflicht „in einem bebauten Gebiet“ ist nach ihrem objektiven Erklärungswert (§§ 133, 157 BGB analog), insbesondere unter Berücksichtigung der Gründe beider Bescheide (dazu BayVGH, U.v. 12.5.2014 – 10 B 12.2084 – juris Rn. 25), dahingehend auszulegen, dass die Leinenpflicht nur auf öffentlichen Straßen und Wegen in bebauten Gebieten mit relevantem Publikumsverkehr bestehen soll. So führt bereits der Ausgangsbescheid vom 25. März 2019 aus, es müsse „bei Verlassen des Grundstücks“ sichergestellt sein, dass durch die Hunde keine Gefährdung Dritter eintrete. Auch der Änderungsbescheid vom 22. Januar 2020 belegt durch seine wörtliche Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Senats zur Leinenpflicht auf öffentlichen Straßen und Wegen mit relevantem Publikumsverkehr und die Erläuterung zu den „bebauten Gebieten“, dass von der Beklagten eine Leinenpflicht weder für befriedetes Besitztum noch für – regelmäßig unbebaute – Hundefreilaufflächen gewollt war. Die Formulierung „in bebauten Gebieten“ beschreibt – wie die vergleichbaren Formulierungen „innerhalb der geschlossenen Ortslage“ (vgl. BayVGH, B.v. 12.2.2020 – 10 ZB 19.2474 – juris Rn. 6), „in im Zusammenhang bebauten Ortsteilen“ (BayVGH, B.v. 2.4.2019 – 10 CS 19.277 – juris Rn. 4) oder „in zusammenhängend bebauten Gebieten“ (BayVGH, B.v, 3.5.2017 – 10 CS 17.405 – juris Rn. 8) – erkennbar den sogenannten Innenbereich (§ 34 BauGB). Wenn der Kläger schließlich rügt, ein Leinenzwang für alle „bebauten Gebiete“ sei unverhältnismäßig, soweit sich „dort“ keine Menschen aufhielten bzw. kein relevanter Publikumsverkehr stattfinde, erschließt sich dem Senat nicht, in welchen Gebieten des Innenbereichs bei der notwendigen typisierenden Betrachtung nicht mit einem relevanten Publikumsverkehr gerechnet werden kann.
Hinsichtlich des Anleinzwangs auch außerhalb bebauter Gebiete zeigt der Kläger ebenfalls keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts auf. Die Gefahrenprognose des Verwaltungsgerichts, unter Berücksichtigung des strengeren Maßstabs in der Rechtsprechung des Senats (vgl. etwa BayVGH, B.v. 12.2.2020 – 10 ZB 19.2474 – juris Rn. 7 m.w.N.) bestehe im konkreten Einzelfall auch im Außenbereich eine konkrete Gefahr für die körperliche Unversehrtheit von Personen, hat der Kläger mit dem Zulassungsantrag nicht beanstandet. Seine alleinige Rüge, ihm sei es unmöglich, die ihm für unbebaute Gebiete auferlegte Anleinpflicht für den Fall der Annäherung von oder an Personen auf 30 Meter zu erfüllen, weil er nicht in der Lage sei, die entsprechende Entfernung korrekt festzustellen, greift nicht durch. Die Beschränkung der Anleinpflicht auf die Anwesenheit von Personen im Umkreis von 30 Metern dient der Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu Gunsten des Klägers. Dass es dabei dem Kläger als Adressaten der Anordnung aufgeben wird, selbständig einzuschätzen, wann dieser Mindestabstand unterschritten zu werden droht, macht die Regelung nicht unverhältnismäßig. Wenn der Kläger meint, 30 Meter nicht sicher abschätzen zu können, bleibt es ihm unbenommen, seine Hunde bereits früher anzuleinen. Im Übrigen obliegt es der Beklagten, im Einzelfall nachzuweisen, dass ein Abstand von 30 Metern unterschritten wurde, wenn sie wegen eines Verstoßes gegen die Anleinpflicht für den Kläger nachteilige Konsequenzen (Buß- oder Zwangsgeld) ziehen will. Dass dieser Nachweis im Einzelfall schwierig sein kann, mag zutreffen. Dass er – wie der Kläger meint – generell nicht möglich wäre, erschließt sich dem Senat dagegen nicht.
2. Besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten, die die Zulassung der Berufung im Sinn von § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO rechtfertigen würden, liegen ebenfalls nicht vor.
Solche Schwierigkeiten weist eine Rechtssache dann auf, wenn sie in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht voraussichtlich größere, d.h. überdurchschnittliche, das normale Maß nicht unerheblich überschreitende Schwierigkeiten verursacht (vgl. BayVGH, B.v. 1.2.2019 – 10 ZB 18.2455 – juris Rn. 15; B.v. 4.3.2019 – 10 ZB 18.2195 – juris Rn. 17 m.w.N.). Es ist eine Begründung dafür anzugeben, weshalb die Rechtssache an den entscheidenden Richter (wesentlich) höhere Anforderungen stellt als im Normalfall (vgl. BayVGH, B.v. 20.2.2019 – 10 ZB 18.2343 – juris 18). Hierzu ist mit dem Zulassungsantrag nichts vorgetragen. Die entsprechenden Ausführungen des Klägers wenden sich insofern nur – noch einmal – gegen die inhaltliche Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts.
3. Die Berufung ist schließlich nicht wegen rechtsgrundsätzlicher Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) zuzulassen.
Die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache setzt voraus, dass für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts eine konkrete, jedoch fallübergreifende Rechts- oder Tatsachenfrage von Bedeutung ist, deren noch ausstehende obergerichtliche Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zu einer bedeutsamen Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint. Dementsprechend verlangt die Darlegung (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) der rechtsgrundsätzlichen Bedeutung, dass eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage formuliert und aufgezeigt wird, weshalb die Frage im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts klärungsbedürftig und entscheidungserheblich (klärungsfähig) ist; ferner muss dargelegt werden, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung dieser Frage besteht (vgl. BayVGH, B.v. 8.2.2019 – 10 ZB 18.1768 – Rn. 11; B.v. 14.2.2019 – 10 ZB 18.1967 – juris Rn. 10; Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 124a Rn. 72). Diesen Anforderungen wird der Zulassungsantrag nicht gerecht.
Wenn der Kläger meint, „(d) ie Normanwendung des Art. 18 Abs. 2 LStVG gebiet(e) eine Klarstellung zum Gefahrenbegriff und den Grenzen der Verhältnismäßigkeit bei der Anordnung von Maßnahmen im Einzelfall“ und als fraglich ansieht, „was mit einem Schadenseintritt in naher Zukunft gemeint ist“, weil sich „bis zum heutigen Tage (…) die angebliche Gefahr durch die Hunde des Klägers nicht realisiert“ habe, formuliert er bereits keine konkrete Rechtsfrage, sondern zielt auf die Anwendung allgemeiner Grundsätze der Gefahrenabwehr auf seinen konkreten Einzelfall. Dass eine Sicherheitsbehörde mit einer Maßnahme zur Gefahrenabwehr nicht warten muss, bis sich die Gefahr realisiert hat, liegt im Übrigen ohne weiteres auf der Hand und bedarf nicht der Feststellung in einem Berufungsverfahren.
Soweit der Kläger (allerdings zum Zulassungsgrund der besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten der Rechtssache) darum bittet, „die Interpretation des „relevanten“ Publikumsverkehrs hinreichend deutlich“ zu machen, begründet dies ebenfalls nicht die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache. Abgesehen davon, dass auch damit keine konkrete Rechtsfrage benannt ist, heißt „relevant“ schon begrifflich „in einem bestimmten Zusammenhang bedeutsam, [ge]wichtig“ (vgl. https:// …  In der oben dargestellten Rechtsprechung des Senats ist „relevanter Publikumsverkehr“ ein solcher, der für die Abwehr von Gefahren durch große Hunde bedeutsam ist, was wiederum von den Umständen des Einzelfalls, insbesondere dem Verhalten von Hund(en) und Halter, abhängt. Die Frage, wann im Einzelfall von „relevantem“ Publikumsverkehr gesprochen werden kann, ist deshalb einer allgemeinen Klärung nicht zugänglich.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3 sowie § 52 Abs. 2 GKG.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Zulassungsverfahren war abzulehnen, weil die Rechtsverfolgung – wie dargestellt – keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 166 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 ZPO).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

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