Aktenzeichen AN 4 S 16.30588
AsylG AsylG § 33 Abs. 5 S. 2
Leitsatz
Die Möglichkeit eines Antrags auf Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 33 Abs. 5 S. 2 AsylG steht dem Rechtsschutzinteresse an einem Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO entgegen, mit dem aufenthaltsbeendende Maßnahmen aufgrund einer nach Einstellung des Verfahrens ergangenen Abschiebungsandrohung verhindert werden sollen. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
1. Der Antrag auf Gewährung des einstweiligen Rechtsschutzes wird abgelehnt.
2. Die Antragstellerin trägt die Kosten des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
3. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Rechtsanwaltsbeiordnung für das einstweilige Rechtsschutzverfahren wird abgelehnt.
Gründe
I.
Die Antragstellerin, ukrainische Staatsangehörige, geboren am … 1990, reiste am 10. Juli 2014 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 4. September 2014 einen Asylantrag (Erstantrag).
Die Ladung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) zum Anhörungstermin gemäß § 25 AsylG für den 3. Mai 2016 um 8:00 Uhr, in der die Antragstellerin darauf hingewiesen wurde, dass das Verfahren gemäß § 33 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 AsylG eingestellt werde, wenn sie ihrer Mitwirkungspflicht, wozu auch das Erscheinen bei der Anhörung zähle, nicht nachkomme, erging mit Postzustellungsurkunde unter der dem Bundesamt zum Zeitpunkt der Ladungsverfügung letztbekannten Wohnanschrift der Antragstellerin (…Straße …, … …). Auf dieser Postzustellungsurkunde vom 7. April 2016 ist vermerkt, dass die Antragstellerin unter der oben genannten Adresse nicht zu ermitteln war.
Nachdem die Antragstellerin nach Aktenlage ohne Angabe von Gründen nicht zum Anhörungstermin erschienen war, stellte das Bundesamt unter Verweis auf § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AsylG mit Bescheid vom 3. Mai 2016 fest, dass der Asylantrag als zurückgenommen gelte und das Asylverfahren eingestellt sei. Es wurde ferner festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen. Die Antragstellerin wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen, anderenfalls wurde ihr die Abschiebung zuvorderst in die Ukraine angedroht. Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet. Für die Einzelheiten des Bescheids und dessen Begründung wird auf Blatt 56 bis 59 der Bundesamtsakte Az. … Bezug genommen.
Der Bescheid wurde vom Bundesamt laut Aktenvermerk am 19. Mai 2016 als Einschreiben zur Post gegeben.
Mit am 27. Mai 2016 beim Bayerischen Verwaltungsgericht Ansbach per Telefax eingegangenem Schriftsatz gleichen Datums ließ die Antragstellerin durch ihren Prozessbevollmächtigten unter dem Az.: AN 4 K 16.30589 Anfechtungsklage erheben gerichtet auf Aufhebung des Bundesamtsbescheids vom 3. Mai 2016 und Fortführung des Asylverfahrens sowie auf Feststellung, dass Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG vorliegen. Mit weiterem Schriftsatz vom selben Tag ließ die Antragstellerin ferner beantragen:
Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung des Prozessbevollmächtigten für nachstehenden Antrag, wobei dieser Antrag unabhängig von der Bewilligung von Prozesskostenhilfe gestellt wird.
1. Es wird festgestellt, dass die Klage der Antragstellerin vom 27. Mai 2016 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 3. Mai 2016 aufschiebende Wirkung hat.
2. Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragsgegnerin.
Zur Begründung wurde im Wesentlichen vorgebracht, die Antragstellerin habe von dem Termin zur persönlichen Anhörung vor dem Bundesamt am 3. Mai 2016 keinerlei Kenntnis gehabt. Eine Ladung zu diesem Termin sei ihr nie zugegangen. Die Antragstellerin wohne in einer Sammelunterkunft für Asylbewerber in der … Straße … in …. Für alle Asylbewerber stehe nur ein Briefkasten zur Verfügung. Dieser Briefkasten werde von einem Mitbewohner geleert, der die Post auf den Küchentisch der Sammelunterkunft lege. Dort hätten auch die Kinder der Mitbewohner ständigen Zugang. Die Antragstellerin bewohne den Ostteil der Ukraine, wo immer noch Krieg herrsche. Sie sei russischstämmig mit Muttersprache russisch. Ihre Mutter sei Russin, ihr Vater sei Bulgare. Während ihres Aufenthalts in der Ostukraine sei sie auf der Straße angepöbelt, telefonisch beleidigt und ständig bedroht worden. Sie habe mitten im Krisengebiet gewohnt, wo ständig geschossen worden sei. In ihrem Bekanntenkreis seien Vergewaltigungen russischstämmiger Frauen von ukrainischen Männern vorgekommen. Aufgrund dieser Bedrohung sei die Antragstellerin nach Deutschland geflüchtet. Zwischenzeitlich sei die Antragstellerin im 4. Monat schwanger. Vater des Kindes sei …, …Straße … Die Hochzeit der Antragstellerin mit Herrn … sei längst geplant, scheitere jedoch an der Tatsache, dass das Bundesamt die Originalpersonaldokumente der Antragstellerin, ohne die eine Eheschließung beim Standesamt in … nicht stattfinden könne, nicht herausgebe. Schließlich sei, sobald die Originaldokumente vorlägen, ein Befreiungsverfahren beim Oberlandesgericht … zu führen. Der zukünftige Ehemann der Antragstellerin stehe in einem festen Beschäftigungsverhältnis und erziele ein monatliches Nettoeinkommen von rund 1.350,00 €. Er sei in der Lage, die Antragstellerin und das zu erwartende Kind ordnungsgemäß zu versorgen. Die medizinische Versorgung der schwangeren Antragstellerin sei in der Ostukraine in keiner Weise gewährleistet. Es müsse für jede medizinische Dienstleistung Bargeld bezahlt werden. Die Antragstellerin verfüge über keinerlei Einkünfte und Vermögen und werde als Schwangere auch in kein Beschäftigungsverhältnis übernommen. Die Abschiebung der Antragstellerin verstoße gegen § 60 AufenthG. Gemäß § 60a AufenthG sei die Abschiebung daher auszusetzen.
Für die Antragsgegnerin beantragte das Bundesamt mit Schriftsatz vom 31. Mai 2016 unter Bezugnahme auf die angefochtene Entscheidung die Ablehnung des einstweiligen Rechtsschutzantrages.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Behördenakte und die Gerichtsakte Bezug genommen.
II.
Der einstweilige Rechtsschutzantrag wird abgelehnt, weil er mangels Rechtsschutzinteresses unzulässig ist. Der Antragstellerin steht mit einem Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 33 Abs. 5 Satz 2 AsylG in der seit 17. März 2016 geltenden neuen Fassung eine effektive und einfachere Möglichkeit zur Realisierung des Rechtsschutzziels als die Einleitung eines einstweiligen Rechtsschutzverfahrens beim Verwaltungsgericht zur Verfügung.
Da § 33 Abs. 5 Satz 2 AsylG die Wiederaufnahme des Verfahrens nach der Verfahrenseinstellung – abgesehen von einer formgerechten Antragstellung (§ 33 Abs. 5 Satz 3 AsylG) – an keine weiteren Voraussetzungen knüpft, schließt sich das erkennende Gericht der insoweit vom Bayerischen Verwaltungsgericht Regensburg mit Beschluss vom 18. April 2016, Az.: RO 9 S 16.30620, juris, ergangenen und auch vom Bayerischen Verwaltungsgericht Ansbach mit Beschluss vom 29. April 2016, Az.: AN 4 S 16.30410, juris, vertretenen Rechtsauffassung an und verweist auf die entsprechenden Ausführungen in den genannten Beschlüssen. Insbesondere ist zu verweisen auf die dortigen Ausführungen zu der amtlichen Begründung zu § 33 AsylG n. F. in BT-Drs. 18/7538, S. 17, wonach der „Ausländer […] nach den Regeln des neuen Absatzes 5 innerhalb der ersten neun Monate nach Einstellung des Asylverfahrens gemäß Abs. 1 oder 3 ohne Verfahrensnachteile einmal die Wiederaufnahme des Verfahrens beantragen [kann]. […] Die erstmalige Einstellung entfaltet somit lediglich Warncharakter.“ Nach Stellung des Wiederaufnahmeantrags nimmt das Bundesamt die Prüfung des Asylantrags in dem Verfahrensabschnitt wieder auf, in dem das Verfahren eingestellt wurde (§ 33 Abs. 5 Satz 5 AsylG).
Dies zugrunde gelegt, ist nicht entscheidungserheblich, ob die Antragstellerin ordnungsgemäß i. S. v. § 33 Abs. 4 AsylG über ihre Mitwirkungspflichten belehrt worden ist, sowie, ob der Antragstellerin die Ladung zum Anhörungstermin vom 3. Mai 2016 formell wirksam zugestellt worden ist. Ferner kann dahinstehen, ob in der erhobenen Hauptsacheklage oder dem gestellten einstweiligen Rechtsschutzantrag bereits wirksam ein Wiederaufnahmeantrag gemäß § 33 Abs. 5 AsylG mit enthalten ist, da die Antragstellerin jedenfalls jederzeit noch innerhalb der o. g. Frist von neun Monaten ab dem Zeitpunkt der Einstellung des Asylverfahrens einen entsprechenden Wiederaufnahmeantrag stellen kann.
Wird die Antragstellerin demnach nach einem Wiederaufnahmeantrag gemäß § 33 Abs. 5 Satz 2 AsylG wieder in den Verfahrensabschnitt vor der persönlichen Anhörung gemäß § 25 AsylG versetzt, so bedarf es keines Eilantrags gemäß § 80 Abs. 5 VwGO, um die Antragstellerin vor aufenthaltsbeendenden Maßnahmen aufgrund der ausgesprochenen Abschiebungsandrohung zu schützen. Gemäß § 67 Abs. 2 Nr. 1 AsylG tritt die Aufenthaltsgestattung wieder in Kraft, wenn ein nach § 33 Abs. 5 Satz 1 AsylG eingestelltes Verfahren wieder aufgenommen wird.
Die Antragstellerin trägt als unterliegender Teil gemäß § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben.
Im Hinblick auf die vorstehenden Ausführungen bietet die beabsichtigte Rechtsverfolgung im maßgeblichen Zeitpunkt keine hinreichende Aussicht auf Erfolg, so dass auch der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des Prozessbevollmächtigten für das Antragsverfahren unabhängig von den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen der Antragstellerin gemäß § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. §§ 114 ff. ZPO abzulehnen ist.
Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylG unanfechtbar.